Cinema Moralia – 318
Der Bastian Schweinsteiger des deutschen Films |
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Bester deutschsprachiger Film: The Zone of Interest | ||
(Foto: Leonine) |
Auch in Zeiten von Klimawandel und Energiekrise kommen Autorennen nicht aus der Mode. Aber ihre klassische Epoche, die Zeit der 50er und 60er Jahre, als Rennboliden raketenschnell und zugleich zerbrechlich wie rohe Eier waren, und fast die Hälfte aller Rennsportler ihre Karriere nicht überlebte, scheint unwiederbringlich dahin.
Von ihr erzählt jetzt Michael Mann in seinem Film Ferrari. Dies ist der beste US-amerikanische Film des letzten Jahres; er stellt vergleichsweise biedere Werke wie Oppenheimer, Maestro oder Killers of the Flower Moon und auch exaltierte akademische Manifeste wie Poor Things in seiner Eleganz, seiner Souveränität und seinem Klassizismus weit in den Schatten, und hätte unbedingt mehrere Oscar-Nominierungen verdient. Das Schicksal auch dieses Films belegt, dass der Oscar längst zu einer reinen Arthouse-Veranstaltung für Kunstszene und Medienboulevard geworden ist – ohne Sensorium oder besonderen Belang für den Markt.
Und das Schicksal dieses Films in Deutschland ist traurig: Ferrari gehört auf die große Kinoleinwand, für die er gemacht ist. Ich selbst konnte ihn glücklicherweise zweimal dort sehen: Im Wettbewerb von Venedig und beim CamerImage Festival in Torun. Aber die meisten unserer Leser konnten das leider nicht.
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Man muss Ferrari natürlich nicht so sehr mögen wie ich. Aber dass dieser Film in keiner einzigen Kategorie für die jüngste Oscarverleihung nominiert war, sagt nicht das Geringste über ihn aus, aber einiges über die neuen Auswahlverfahren der Oscars. Vor allem aber lässt dies nichts Gutes ahnen für die Zukunft des Kinos als ästhetisches Phänomen.
Man muss hier auch Ulf Poschardts Text aus der Welt zitieren:
»Es steht eher schlecht um die Filmkunst, wenn ein Meisterwerk wie Michael Manns Ferrari seinen Weg nicht mehr in deutsche Kinos findet. Auf der anderen Seite ist es ein weiterer Grund, Streamingdienste – in diesem Fall
Amazon Prime – zu feiern, die Filmkunst in die interessierte Öffentlichkeit bringen. Programmkinos hätten Abende mit Valet-Parking für Ferrari machen und diese wunderbare italienische Hochkultur in die von Radwegpollern und seelenlosen Investorenschrott-Immobilien zerstörten deutschen Innenstädte lotsen können. Aber dafür fehlt diesem Land gerade jede Größe und Poesie.«
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Die Oscars waren nicht überraschend. Etwas weniger für Oppenheimer als erwartet. Doch einiges für Poor Things. Ein Überraschungsoscar für Miyazaki. Und ein Triumph für The Zone of Interest.
Die Oscar-Akademie wird weiblicher und internationaler. Filme, die wie Oppenheimer »Männerfilme« sind, haben weniger Chancen, sogenannte »feministische« Werke wie Poor Things haben mehr Chancen als früher.
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Die Berichterstattung über den Oscar ist ein Armutszeugnis, gerade in seriösen Medien herrscht da Klassenfahrtstimmung. Es gibt Live-Streams, wo vier Leute Banalitäten oder Befindlichkeiten rumposten oder so tun, als seien sie Fußballreporter. Kein Kollegenbashing jetzt – es sollen einfach alle mal in den Spiegel sehen.
Nachdem im letzten Jahr Im Westen nichts Neues mehrere Oscars gewann, waren ja immerhin in diesem Jahr gleich vier Filme mit deutscher Beteiligung nominiert. Trotzdem, ist das kein Erfolg »für Deutschland« oder »des deutschen Films.«
Vier Filme »mit deutscher Beteiligung«, von denen aber drei in Deutschland nicht gefördert wurden. Gleichzeitig gab es im Vorfeld Irritationen: Der Regisseur
des einzigen echten deutschen Films, von Das Lehrerzimmer, Ilker Çatak, hat darüber öffentlich geklagt, dass er offenbar in der Wahrnehmung auch der offiziellen Förderinstitutionen nur ein Deutscher zweiter Klasse sei.
In der »Zeit« schreibt er über das Nicht-gesehen-Werden:
»Denn einen Tag später macht mich mein Produzent auf die gesamte Berichterstattung aufmerksam: Sandra Hüller und Wim Wenders, beides tolle Kolleginnen, die ich sehr bewundere, sind auch nominiert und werden immer wieder als ›die zwei Deutschen bei den
Oscars‹ genannt und gefeiert. Doch mein Name fällt kaum. Eigentlich gar nicht. Eine Headline sieht etwa so aus: ›Sandra Hüller, Wim Wenders, 'Das Lehrerzimmer': Bei den Oscarnominierungen bestechen deutsche Talente.‹ Im Fließtext dann keine Erwähnung meines Namen, stattdessen wird der deutsche Regisseur Wim Wenders noch mal erwähnt, der mit seinem Beitrag für Japan ins Rennen geht. Dieses Beispiel kommt von einem Leitmedium.«
Huch! Meint er etwa den
»Spiegel«?
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Wenn der Oscar eine Fußball-WM wäre, dann wären »wir« in der Gruppenphase ausgeschieden. Was eigentlich nie vorkommt. In Deutschland ist das Halbfinale Pflicht.
Dann wäre Sandra Hüller auch nicht der Bastian Schweinsteiger des deutschen Films. Denn der wurde ja Weltmeister.
Sie ist aber eine unglaublich wichtige Branchenmacht, also ohne Frage so etwas wie der Film-Schweini.
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Das sieht man – A propos Triumph für The Zone of Interest – bei diesem Film: Als Leonine letztes Jahr in Cannes den Film für eine Million gekauft hatte, hätte kaum jemand daran geglaubt, dass dieses Geld in Deutschland einzuspielen sei.
Der Erfolg von Leonine ist großartig. Die Kinos sind voll, hunderttausende Deutsche sehen schon jetzt diesen Film, der nun wirklich nicht einfach ist, den manche als eine Kunstinstallation beschreiben – was ich nicht ganz teile. Aber das Publikum, das in diesen Film hineingeht, besteht nicht nur aus Volkshochschul-Dozenten und Antisemitismusbeauftragten, es sind ganz normale Menschen. Hier tut Sandra Hüller unglaublich viel für diesen Film; sie hilft ihm bei seiner Wahrnehmung. Das beweist, dass bestimmte Stars allein einen Filmerfolg machen können. Dies zeigt auch, dass unsere schlichten Vorstellungen von Gleichheit zu schlicht sind – so wie manche Politiker allein durch ihre Persönlichkeit einen Unterschied machen, machen auch Stars einen Unterschied allein durch ihre Ausstrahlung. Das hat auch etwas mit Können zu tun, aber es ist mehr als bloßes Können.
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Bald gibt das Filmfestival von Cannes sein Programm bekannt. Man darf gespannt sein, welche Werke dort gezeigt werden, die die Berlinale vorher abgelehnt hat. Allein der Antisemitismus-Skandal bei der Berlinale wird den Planern in Cannes gezeigt haben, was sie auf keinen Fall wollen – auch bei der Preisverleihung. Gut möglich, dass sie auch den einen oder anderen Film aus Deutschland einladen, der von Dingen erzählt, die die Berlinale offenbar nicht zeigen wollte – ob es nun migrantische Lebenswelten sind, die nicht den engen Stereotypen und Klischees der Berliner Blase entsprechen. Oder ob es ein Film ist, wie Die Ermittlung von RP Kahl nach Peter Weiss' Vorlage – da haben sich viele, sagen wir mal »gewundert«, man könnte auch sagen geärgert, dass dieser Film gerade »in unseren Zeiten« nicht bei der Berlinale lief.
Morgen ist übrigens der Trailer von Die Ermittlung auch online zu sehen. »Trailer Premiere« nennt man das jetzt; tatsächlich konnte man ihn schon sehen, wenn man z.B eine Vorstellung von The Zone of Interest im Kino besucht hat.