14.03.2024
Cinema Moralia – 318

Der Bastian Schweinsteiger des deutschen Films

The Zone of Interest
Bester deutschsprachiger Film: The Zone of Interest
(Foto: Leonine)

Schule aus, wir geh'n nach Haus: Die Leere nach dem Lehrerzimmer, die Lage des Weltkinos und die deutsche Filmförderung – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 318. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Auch in Zeiten von Klima­wandel und Ener­gie­krise kommen Auto­rennen nicht aus der Mode. Aber ihre klas­si­sche Epoche, die Zeit der 50er und 60er Jahre, als Renn­bo­liden rake­ten­schnell und zugleich zerbrech­lich wie rohe Eier waren, und fast die Hälfte aller Renn­sportler ihre Karriere nicht überlebte, scheint unwie­der­bring­lich dahin.

Von ihr erzählt jetzt Michael Mann in seinem Film Ferrari. Dies ist der beste US-ameri­ka­ni­sche Film des letzten Jahres; er stellt vergleichs­weise biedere Werke wie Oppen­heimer, Maestro oder Killers of the Flower Moon und auch exal­tierte akade­mi­sche Manifeste wie Poor Things in seiner Eleganz, seiner Souver­ä­nität und seinem Klas­si­zismus weit in den Schatten, und hätte unbedingt mehrere Oscar-Nomi­nie­rungen verdient. Das Schicksal auch dieses Films belegt, dass der Oscar längst zu einer reinen Arthouse-Veran­stal­tung für Kunst­szene und Medi­en­bou­le­vard geworden ist – ohne Sensorium oder beson­deren Belang für den Markt.

Und das Schicksal dieses Films in Deutsch­land ist traurig: Ferrari gehört auf die große Kino­lein­wand, für die er gemacht ist. Ich selbst konnte ihn glück­li­cher­weise zweimal dort sehen: Im Wett­be­werb von Venedig und beim CamerI­mage Festival in Torun. Aber die meisten unserer Leser konnten das leider nicht.

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Man muss Ferrari natürlich nicht so sehr mögen wie ich. Aber dass dieser Film in keiner einzigen Kategorie für die jüngste Oscar­ver­lei­hung nominiert war, sagt nicht das Geringste über ihn aus, aber einiges über die neuen Auswahl­ver­fahren der Oscars. Vor allem aber lässt dies nichts Gutes ahnen für die Zukunft des Kinos als ästhe­ti­sches Phänomen.

Man muss hier auch Ulf Posch­ardts Text aus der Welt zitieren:
»Es steht eher schlecht um die Filmkunst, wenn ein Meis­ter­werk wie Michael Manns Ferrari seinen Weg nicht mehr in deutsche Kinos findet. Auf der anderen Seite ist es ein weiterer Grund, Strea­ming­dienste – in diesem Fall Amazon Prime – zu feiern, die Filmkunst in die inter­es­sierte Öffent­lich­keit bringen. Programm­kinos hätten Abende mit Valet-Parking für Ferrari machen und diese wunder­bare italie­ni­sche Hoch­kultur in die von Radweg­pol­lern und seelen­losen Inves­to­ren­schrott-Immo­bi­lien zerstörten deutschen Innen­s­tädte lotsen können. Aber dafür fehlt diesem Land gerade jede Größe und Poesie.«

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Die Oscars waren nicht über­ra­schend. Etwas weniger für Oppen­heimer als erwartet. Doch einiges für Poor Things. Ein Über­ra­schungs­oscar für Miyazaki. Und ein Triumph für The Zone of Interest.

Die Oscar-Akademie wird weib­li­cher und inter­na­tio­naler. Filme, die wie Oppen­heimer »Männer­filme« sind, haben weniger Chancen, soge­nannte »femi­nis­ti­sche« Werke wie Poor Things haben mehr Chancen als früher.

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Die Bericht­erstat­tung über den Oscar ist ein Armuts­zeugnis, gerade in seriösen Medien herrscht da Klas­sen­fahrt­stim­mung. Es gibt Live-Streams, wo vier Leute Bana­li­täten oder Befind­lich­keiten rumposten oder so tun, als seien sie Fußball­re­porter. Kein Kolle­gen­bas­hing jetzt – es sollen einfach alle mal in den Spiegel sehen.

Nachdem im letzten Jahr Im Westen nichts Neues mehrere Oscars gewann, waren ja immerhin in diesem Jahr gleich vier Filme mit deutscher Betei­li­gung nominiert. Trotzdem, ist das kein Erfolg »für Deutsch­land« oder »des deutschen Films.«
Vier Filme »mit deutscher Betei­li­gung«, von denen aber drei in Deutsch­land nicht gefördert wurden. Gleich­zeitig gab es im Vorfeld Irri­ta­tionen: Der Regisseur des einzigen echten deutschen Films, von Das Lehrer­zimmer, Ilker Çatak, hat darüber öffent­lich geklagt, dass er offenbar in der Wahr­neh­mung auch der offi­zi­ellen Förder­insti­tu­tionen nur ein Deutscher zweiter Klasse sei.

In der »Zeit« schreibt er über das Nicht-gesehen-Werden:
»Denn einen Tag später macht mich mein Produzent auf die gesamte Bericht­erstat­tung aufmerksam: Sandra Hüller und Wim Wenders, beides tolle Kolle­ginnen, die ich sehr bewundere, sind auch nominiert und werden immer wieder als ›die zwei Deutschen bei den Oscars‹ genannt und gefeiert. Doch mein Name fällt kaum. Eigent­lich gar nicht. Eine Headline sieht etwa so aus: ›Sandra Hüller, Wim Wenders, 'Das Lehrer­zimmer': Bei den Oscar­no­mi­nie­rungen bestechen deutsche Talente.‹ Im Fließtext dann keine Erwähnung meines Namen, statt­dessen wird der deutsche Regisseur Wim Wenders noch mal erwähnt, der mit seinem Beitrag für Japan ins Rennen geht. Dieses Beispiel kommt von einem Leit­me­dium.«
Huch! Meint er etwa den »Spiegel«?

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Wenn der Oscar eine Fußball-WM wäre, dann wären »wir« in der Grup­pen­phase ausge­schieden. Was eigent­lich nie vorkommt. In Deutsch­land ist das Halb­fi­nale Pflicht.
Dann wäre Sandra Hüller auch nicht der Bastian Schwein­steiger des deutschen Films. Denn der wurde ja Welt­meister.
Sie ist aber eine unglaub­lich wichtige Bran­chen­macht, also ohne Frage so etwas wie der Film-Schweini.

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Das sieht man – A propos Triumph für The Zone of Interest – bei diesem Film: Als Leonine letztes Jahr in Cannes den Film für eine Million gekauft hatte, hätte kaum jemand daran geglaubt, dass dieses Geld in Deutsch­land einzu­spielen sei.

Der Erfolg von Leonine ist großartig. Die Kinos sind voll, hundert­tau­sende Deutsche sehen schon jetzt diesen Film, der nun wirklich nicht einfach ist, den manche als eine Kunst­in­stal­la­tion beschreiben – was ich nicht ganz teile. Aber das Publikum, das in diesen Film hinein­geht, besteht nicht nur aus Volks­hoch­schul-Dozenten und Anti­se­mi­tis­mus­be­auf­tragten, es sind ganz normale Menschen. Hier tut Sandra Hüller unglaub­lich viel für diesen Film; sie hilft ihm bei seiner Wahr­neh­mung. Das beweist, dass bestimmte Stars allein einen Film­erfolg machen können. Dies zeigt auch, dass unsere schlichten Vorstel­lungen von Gleich­heit zu schlicht sind – so wie manche Politiker allein durch ihre Persön­lich­keit einen Unter­schied machen, machen auch Stars einen Unter­schied allein durch ihre Ausstrah­lung. Das hat auch etwas mit Können zu tun, aber es ist mehr als bloßes Können.

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Bald gibt das Film­fes­tival von Cannes sein Programm bekannt. Man darf gespannt sein, welche Werke dort gezeigt werden, die die Berlinale vorher abgelehnt hat. Allein der Anti­se­mi­tismus-Skandal bei der Berlinale wird den Planern in Cannes gezeigt haben, was sie auf keinen Fall wollen – auch bei der Preis­ver­lei­hung. Gut möglich, dass sie auch den einen oder anderen Film aus Deutsch­land einladen, der von Dingen erzählt, die die Berlinale offenbar nicht zeigen wollte – ob es nun migran­ti­sche Lebens­welten sind, die nicht den engen Stereo­typen und Klischees der Berliner Blase entspre­chen. Oder ob es ein Film ist, wie Die Ermitt­lung von RP Kahl nach Peter Weiss' Vorlage – da haben sich viele, sagen wir mal »gewundert«, man könnte auch sagen geärgert, dass dieser Film gerade »in unseren Zeiten« nicht bei der Berlinale lief.

Morgen ist übrigens der Trailer von Die Ermitt­lung auch online zu sehen. »Trailer Premiere« nennt man das jetzt; tatsäch­lich konnte man ihn schon sehen, wenn man z.B eine Vorstel­lung von The Zone of Interest im Kino besucht hat.