Entfreundet und entfremdet |
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Das Festival als Bühne und Projektionsfläche: die 70. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen | ||
(Foto: artechock) |
Von Dunja Bialas
Keine Ausweitung der Kampfzone! Vor ein paar Monaten formulierte ich an dieser Stelle ein Plädoyer, den Streit um die Kultur aus den Social-Media-Kanälen herauszuholen und zurück in die Öffentlichkeit zu bringen. Vorausgegangen war eine Boykott-Kampagne gegen die Kurzfilmtage Oberhausen aufgrund des Solidartitätsaufrufs ihres Leiters Lars Henrik Gass mit Israel am 20. Oktober 2023. Mittlerweile geht es den Lagern, grob gesagt, vor allem darum, was man wohl sagen und tun dürfe, bevor Antisemitismus eintritt. Erhofft hatte ich mir damals die Beruhigung der Gemüter, mehr Nachdenken, weniger Reflexe und vor allem: mehr Fairness im Umgang, ohne den anderen zu diffamieren.
Dass Diffamierung mit weiterer Diffamierung beantwortet wird, ist auch für »artechock« nicht tolerierbar. Deshalb haben wir einen entsprechenden Passus in einem der bei uns veröffentlichten Texte herausgenommen. Statt einer Vertiefung der Gegensätze braucht es Gesten der Deeskalation, finden wir. Das ist auch dann nicht verkehrt, wenn dies einseitig von einer »Partei« ausgeht. Irgendeiner muss doch mal aufhören, egal, wer angefangen hat. Wir sind nicht im Sandkasten, und schon gar nicht im Krieg, auch wenn manche den Kulturkampf ausrufen. Wenn es denn einer wäre! Die Frage ist: Wer kämpft hier überhaupt für oder gegen was? Oder geht es doch nur um Deutungshoheit, um Lautstärke und Lagerbildung, also darum, die anderen niederzuschreien und seinesgleichen zu bestätigen?
Wie Deeskalation geht, hat die 70. Ausgabe der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen gerade vorgeführt. Das könnte manchem, der das hier liest, gegen den Strich gehen. Im Vorfeld wurde zumindest auf Facebook aufgefordert, man solle sich doch »entfreunden«, wenn man nach Oberhausen fahre. Jurymitglieder wurden unter Druck gesetzt, nicht ihre Tätigkeit aufzunehmen. Kurator*innen zogen bereits zugesagte Programme zurück. Wirklich: Ihr verzichtet freiwillig auf Freundschaft und Teilhabe? Ihr cancelt Euch selbst? Euer Motto: »Strike Oberhausen«?
Wenn allein schon ein »Code of Conduct«, den sich auch das EMAF (European Media Art Film Festival) in Osnabrück gegeben hatte, genug Öl ins Feuer gießen kann, damit der Festivalbesuch in letzter Minute abgesagt wird, wie es einige meiner Bekannten taten, dann sollte man schon einmal genauer hinsehen, worum es hier eigentlich geht. Beanstandet wurde die dem Oberhausen-Verhaltenskodex zugrunde gelegte IHRA-Antisemitismus-Definition, nach der auch »solche Haltungen, Gruppierungen oder Organisationen als antisemitisch (gelten), die zum Boykott Israels aufrufen und/oder Israels Existenzrecht in Frage stellen«, so die Website der Kurzfilmtage. Anders das EMAF: Das Festival legte in seinem »Code of Ethics« die von der Bundesregierung nicht abgesegnete Jerusalem-Definition zugrunde, die nur den klassisch gefassten, historischen Antisemitismus als solchen anerkennt. Als ausdrücklich nicht antisemitisch gelten hier »boycott, divestment and sanctions«, also die BDS-Trias (wörtlich: »Boycott, divestment and sanctions are commonplace, non-violent forms of political protest against states. In the Israeli case they are not, in and of themselves, antisemitic«). Das birgt heftige Probleme, erkennt man dies als (öffentlich gefördertes) Festival nicht. »BDS« gilt hierzulande als »extremistischer Verdachtsfall«, sorry to say.
Was aber macht eigentlich die Kurzfilmtage Oberhausen zum Verdachtsfall für die Ferngebliebenen? Ein Code of Conduct, der den Richtlinien der Bundesregierung und auch des Bundeslandes folgt, in dem das Festival stattfindet. Präsenz von Sicherheitskräften, die beim Einlass in den Kinosaal und Veranstaltungsräume einen Blick in die Taschen werfen – wie es übrigens in anderen Ländern, zum Beispiel Frankreich, seit Jahren üblich ist. Ansonsten war: nichts.
Unterm Strich haben die zwei getroffenen Vorkehrungen (Code of Conduct, Sicherheitsdienst) genügt, um eine Atmosphäre der Entspannung zu schaffen. Protestierende Party-Crasher, wie zuletzt im Haus der Kulturen der Welt oder vor einigen Wochen im Hamburger Bahnhof, die durch Niederbrüllen herbeiführten, dass Veranstaltungen abgebrochen werden mussten, waren nicht angereist. Vielleicht hatten sie es ohnehin nicht vorgehabt. So war auch für die Sicherheit für die vielen jüdischen Filmemacher*innen und Gäste gesorgt, die auf den vier Podien der Panel-Serie »Why Festivals?« diskutierten.
Wenn ich als Moderatorin der Panel-Serie zusammenfassen sollte, worum es in den Diskussionen ging, könnte das vielleicht so heruntergebrochen werden: Es ging um den »Objektverlust«, und wie man sich wieder auf den eigentlichen Gegenstand von kulturellen Veranstaltungen besinnen könnte, auf die Kunst und die Ästhetik. Nicht aber ohne darüber die möglichen Gegenpole, die weitergefasste Kultur und die Politik, zu vergessen, sondern sie mitzudenken und mitzudiskutieren. Was, wenn nicht die Kunst selbst und der universalistische Auftrag an Festivals, demokratische Räume für den Dialog über Kunst und Gesellschaft zu schaffen, die auch Widerspruch aushalten, könnten und sollten Festivals und Ausstellungen legitimieren? Während zugleich aber festzustellen ist, wie zunehmend inhaltistische, partikularinteressierte oder ideologische Diskussionen zu Diskursdominanten von Veranstaltungen werden. Auch war zu fragen: Was sind vordergründig, was notwendig politische Festivals? Wie mache ich ein Festival politisch? Und wann beginnt im Gegensatz dazu die Politisierung von Festivals? Und schließlich: Warum trifft es ausgerechnet Festivals, Ausstellungen, Lesungen, wenn es um Positionierungen in politischen oder geopolitischen Konflikten geht? Werden damit nicht genau die Plattformen beschädigt, die genuin das Angebot machen, sich durch Kunst auszudrücken und darüber sichtbar zu werden?
Man könne es sich nicht aussuchen, was den Protest trifft, sagt nach der letzten Diskussion (»Politisierung von Festivals«) ein Kollege zu mir. Das ist richtig, für mich bleibt es dennoch unerklärlich, weshalb sich der Kulturbetrieb gerade von innen her zu zersetzen scheint. Außer, weil man das gerade irgendwie geil findet. Kulturkampf! Ich denke an die Freunde, die ich nicht entfreudet habe, obwohl sie es von mir verlangt haben, weil ich nach Oberhausen gefahren bin (und dort noch dazu eine aktive Rolle übernommen habe). Ich denke daran, an welchen gemeinsamen Projekten wir mal gearbeitet haben. Da ging es um die Sichtbarmachung von Filmen, das Entdecken von Kinematographien, und darum, neue Stimmen und Visionen zu zeigen. Ich denke daran, wie einer dieser Freunde mich mal gefragt hat, ob wir jetzt als Festival ihre Filme nicht mehr zeigen, sie als Kritiker nicht mehr besprechen wollen. So ein Schmarrn! war es mir damals entfahren. Und jetzt: Zeigen sie selbst ihre Filme nicht mehr. Reisen nicht an, weil sie nicht diskutieren wollen. Silencen sich selbst. Seltsam aber, dass es sie dann doch stört, dass Oberhausen die entstandenen Lücken mit anderen Werken gefüllt hat anstatt wie EMAF affirmativ die Leerstellen von »Strike Germany« auszustellen.
Ohne uns zu entfreunden, entfremden wir uns immer mehr, wenn wir einander nicht mehr zuhören und auch nicht mehr aufeinander zugehen, sondern fernbleiben und schweigen. Der Soziologe Hartmut Rosa schreibt zur Entfremdung: »Die eigene und/oder die fremde Stimme werden in einem Zustand der Entfremdung tendenziell unhörbar oder nichtssagend gemacht.« Wie wäre es also, die Gesten des regressiven Protests wie Niederbrüllen, Fernbleiben und Entfreunden zu überdenken und zurückzukehren zu Argumentation und Artikulation, Dialog und Kontroverse?
Und wann streiten wir wieder einmal um Ästhetik? Wie in der »Bataille d’Hernani«, wo die Klassik gegen die Romantik kämpfte. Es war ein erbitterter Dramatiker-Streit darüber, was auf der Bühne zur Darstellung gelangen durfte, wie tief die Sprache sinken und wie bürgerlich die Rollen sein durften. Aber: Ging es hier nur um Ästhetik, oder wurde nicht auch der ideologische Grund einer sich wandelnden Gesellschaft mitverhandelt? Dass sich Ästhetik nur schwer von Ideologie trennen lässt, kann an den Ausformungen des ästhetischen Mainstreams (Geschlossenheit der Systeme) und der Avantgarde (Offenheit und Vieldeutigkeit) festgestellt werden. In diesem Sinne sollte es sich weitreichend über Ästhetik streiten lassen. Kehren wir doch dazu zurück.
Offenlegung: Wie im Text erwähnt, hat die Autorin des Textes die Panel-Serie »Why Festivals?« vorbereitet und drei von vier Panels moderiert.