20.06.2024
Cinema Moralia – Folge 326

Nichts wird besser

The Return From The Other Planet
Assaf Lapids The Return From The Other Planet
(Foto: Jewish Film Institute)

Trost bietet Thomas Arslan und das Jüdische Filmfestival, Claudia Roth hingegen nicht – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 326. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart.«
– aus: Jubilee; Derek Jarman (1978)

n.b.k. – das steht für Neuer Berliner Kunst­verein. In der kleinen, aber feinen Berliner Insti­tu­tion in der Chau­see­straße findet seit dem Wochen­ende eine umfang­reiche Schau zum Werk von Thomas Arslan statt. Dieses Werk besteht außer aus den Filmen im Zentrum – die parallel zum n.b.k. komplett im Berliner »Arsenal« gezeigt werden – auch aus Vorbe­rei­tungs­ar­beiten, Photos, Story­boards.
Ganz besonders geht es den Kuratoren um das Berlin-Porträt, das Arslans Filme unter der Hand entwerfen. Denn Arslan, der im Ruhr­ge­biet aufwuchs, lebt seit 1980 in Berlin. Seine Filme spielen sehr oft in der Haupt­stadt und sie durch­wan­dern wie ihre Figuren die Metropole. Jetzt, im Rückblick auf über 30 Jahre Filme­ma­chen, schaut man hier auch der Verwand­lung dieser einzig­ar­tigen, in den Neunziger Jahren (in denen Arslans dffb-Kurzfilme entstanden) noch geteilten und produktiv versehrten Stadt in ein globales Hipster-Paradies und Touris­ten­dienst­leis­tungs­zen­trum zu.
Man sieht in diesen Filmen die Leere, die räumliche Freiheit, die Berlin einmal ausge­zeichnet hat. Es war eine Stadt ohne Touris­ten­massen, ohne Hostels und ohne Fanmeilen. Das Berlin von Arslans »Berlin-Trilogie« ist längst unter­ge­gangen.

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»Quasi flanie­rend kann der Besucher mit einem Kopfhörer versehen von Screen zu Screen wandern, ohne unter­bro­chen zu werden. Er folgt so den einzelnen Film-Figuren bei ihren Bewe­gungen durch den (städ­ti­schen) Raum, begleitet – quasi wie ein sich mitbe­we­gender Beob­achter – das Geschehen. Die Szenen vermit­teln eindrucks­voll, wie sich Berlin über die letzten Jahr­zehnte verändert hat, wie sich Räume durch den Verkehr, aber auch durch die Masse an Menschen massiv verdichtet haben.«
(Daniela Kloock)

Ausstel­lungs­dauer: 8.6. – 4.8.2024
Neuer Berliner Kunst­verein
Chaus­see­strasse 128/129
10115 Berlin
www.nbk.org

Filmschau im Arsenal ebenfalls bis zum 4.8.2024

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In einem langen Gespräch mit der »Berliner Zeitung« erzählt Arslan jetzt, wie sich Berlin in den Jahr­zehnten zum Schlech­teren verändert hat:

»Wir haben hier schon eine ziemlich krasse ökono­mi­sche Verschie­bung. Die Mieten sind zu hoch, Leute ziehen weg, weil sie sich die Wohnungen nicht mehr leisten können. Früher war hier eine gewisse Energie spürbar, weil eben eine andere Form der Existenz möglich war. Berlin wird für große Teile der Bevöl­ke­rung zunehmend eine eher abwei­sende Metropole.«

Das Berlin der Gegenwart sieht er vor allem durch den Verlust der Vergan­gen­heit und durch einen ästhe­ti­schen Nieder­gang gekenn­zeichnet:

»Was heute in Berlin gebaut wird, ist leider größ­ten­teils nicht sehr inter­es­sant. Das ist so eine Einheits­ware, diese Eigen­tum­sklötze, die alle gleich aussehen, wie von der Stange. Da haben sie sich in den 1990er-Jahren schon noch mehr Mühe gegeben, also die Gebäude von der IBA zum Beispiel, der Inter­na­tio­nalen Bauaus­stel­lung, die im 'Schönen Tag' explizit eine Rolle spielen.
'Der schöne Tag' zeigt zum Teil Orte, wo man sich gern aufhält, Orte, die man nicht durcheilt. Und so etwas hat sich in Berlin städ­te­pla­ne­risch schon sehr verändert. Plätze werden mitt­ler­weile so gestaltet, dass die Leute sich da nicht lange aufhalten sollen, unter anderem auch aus kontroll­tech­ni­schen Gründen.«

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Eröffnet wurde jetzt das Jüdische Film­fes­tival Berlin und Bran­den­burg, das in sein 30. Jahr geht. Rund 70. Filme werden gezeigt, und klarer­weise kann man auf das Programm in diesem Jahr nicht blicken, ohne an anti­se­mi­ti­sche Ausschrei­tungen in Deutsch­land, und hier gerade in Berlin zu denken.

Der Film The Return From The Other Planet von Assaf Lapid erzählt von Yehiel Feiner, 1909 geboren, der zwei Jahre in Auschwitz überlebte und als Schrift­steller mit dem Roman »Das Haus der Puppen« welt­be­kannt geworden ist. Im Zentrum steht Feiners Umgang mit seinen trau­ma­ti­schen Erfah­rungen.

Die Trau­ma­ti­sie­rungen aber sind allgemein. Kaum eine jüdische oder israe­li­sche Familie ist davon frei.

»Was geschieht, wenn neue Schocks in die lang­wie­rigen Heilungs­pro­zesse einbre­chen?!«, fragt der Film­ex­perte Claus Loeser in der Berliner Zeitung und stellt den aktu­ellsten Film des Festivals vor: Supernova – The Music Festival Massacre

»Yossi Bloch und Duki Dror führten für ihre TV-Doku­men­ta­tion Gespräche mit Über­le­benden der am 7. Oktober von der Hamas gestürmten Techno-Party. Von den rund 4000 Besuchern des Festivals wurden damals mindes­tens 364 getötet: junge, feier­freu­dige Leute, tech­ni­sches Personal, Sicher­heits­kräfte. Mehr als 40 Gäste gerieten in Geisel­haft.
Die Filme­ma­cher bauen eine Collage aus Splittern und Scherben. Sie greifen dabei auch auf Video­auf­nahmen aus Mobil­te­le­fonen zurück – sowohl von Gästen des Festivals, als auch auf solche ihrer Mörder. Das ist teilweise kaum auszu­halten. Trotz der nicht ohne Fern­seh­kon­ven­tionen auskom­menden Machart der Doku vermit­telt sich die entfes­selte Gewalt unmit­telbar, führt unsere Komfort­zone ad absurdum. Dieser Film wäre auf dem Campus der Humboldt-Univer­sität gut aufge­hoben.«

Auf jedem Campus, wäre zu ergänzen.

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Das Bundes­ka­bi­nett hat den von Kultur­staats­mi­nis­terin Claudia Roth (Grüne) vorge­legten Entwurf zum neuen Film­för­de­rungs­ge­setz (FFG) beschlossen. Der Gesetz­ent­wurf sieht viel Orga­ni­sa­to­ri­sches vor, Steu­er­erleich­te­rungen und ein paar Auto­ma­ti­sie­rungen von Förder­ver­fahren, aber an Kunst, Kunst­frei­heit und Bedin­gungen von Krea­ti­vität wird kein einziger ernst­hafter Gedanke verschwendet.
Die dem Gesetz einge­schrie­bene Inves­ti­ti­ons­ver­pflich­tung in deutsche Filme für Sender und Strea­ming­dienste von zwanzig Prozent der in Deutsch­land erzielten Umsätze gefällt vielen Filme­ma­chern, ist aber auf Länder­för­der­ebene und bei den vorge­se­henen Einzah­lern umstritten. Bisher hat sich Roth mit den Betrof­fenen nicht geeinigt.
Ebenso stehen die vorge­se­henen Steu­er­an­reize in ihrer prak­ti­schen Umsetzung noch in den Sternen. Der Bund bedient sich hier nämlich bei Geld (Körper­schaft­steuer), das den Ländern zusteht – ein allzu simpler Trick, mit dem Roth nicht durch­kommen wird.
Komplett vergessen hat sie in ihrem Entwurf schließ­lich Film­ver­leiher und Kinos. Die Film­bil­dung auch. Schließ­lich ist unklar, wie die kultu­relle Film­för­de­rung, die Roth zur Film­för­de­rungs­an­stalt (FFA) über­tragen will, eigent­lich praktisch vergeben werden.
Wenn es schlecht läuft, könnte Roth immerhin in die Geschichte der deutschen Kultur­po­litik eingehen – als Toten­grä­berin der deutschen Film­för­de­rung.

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Die bekannten Haupt­pro­bleme bleiben ungelöst: Alles ist zu kompli­ziert, zu klein­teilig, zu büro­kra­tisch. Wirt­schaft und Kultur werden vermischt, statt zu begreifen, dass beides nach verschie­denen Gesetzen funk­tio­niert. Die Vielzahl, das Durch­ein­ander und die Undurch­sich­tig­keit der Gremien, das den Wolper­tinger des »deutschen Gremi­en­films« (Edgar Reitz) entstehen lässt. Es gibt kaum ästhe­ti­sche Expe­ri­mente. Kino muss sich an vermeint­liche »kommer­zi­elle Spiel­re­geln« halten, die aber einen über­holten Stand wider­spie­geln. Die Struk­turen der Film­för­de­rung sind lahm und über­büro­kra­ti­siert.
Es fehlt der deutschen Film­för­de­rung an Vertrauen in die Künstler. Sie degra­diert die Betei­ligten zu Bitt­stel­lern.

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Wer sich immer noch über die Minis­terin, ihre Über­for­de­rung und Unfähig­keit zu guter Politik wundert, und wem die Erklärung nicht ausreicht, dass das einfach an der – nicht nur kultur­po­li­ti­schen – Reali­täts­ferne und dem Dogma­tismus der »Grünen« liegt, dem empfehle ich, in der FAZ den herr­li­chen Text von Claudius Seidl mit dem Titel »Die schon wieder!« zu lesen (FAZ 08.06.2024).

Seidl erklärt, warum Roth »nicht aus der Defensive« kommt. In seinem Text steht vieles. Unter anderem:

»Claudia Roth hat einen schweren Stand im Kultur­be­trieb. Das zeigt sich auch Anfang Mai beim Deutschen Filmpreis. Die Gäste stehen zusammen, plaudern: Claudia Roth? – Ich mag sie nicht, ich glaub ihr nichts, sie ist mir zu laut, sie geht mir auf den Wecker. So ist die Stimmung im eher links­li­be­ralen Publikum, das ihr später, nach ihrem Grußwort, zujubeln wird, weil sie verspricht, die dringend nötige Reform der Film­för­de­rung zu einem guten Ende zu bringen. Zuvor hat sie aller­dings, mal wieder, die Kraft des Kinos schlechthin beschworen – und offenbar sind auch die Filmleute fein­fühlig genug zu spüren, dass damit alles und nichts gesagt ist.«

Und weiter:

»Haben Sie etwas gegen eine Kunst, die sich den guten Absichten verwei­gert? Die einzel­gän­ge­risch, unver­s­tänd­lich, böse, provokant, hässlich und radikal unver­söhnt mit der Gesell­schaft ist? Das ist die Frage, die man ihr nach solchen Abenden zumuten muss. Dass sie mit 'Nein, natürlich nicht' antwortet; dass sie mit der gleichen Emphase, mit der sie eben noch die Kunst in Haft genommen hat für die Heilung der Gesell­schaft, jetzt deren absolute Freiheit beschwört, ist womöglich eines ihrer Probleme.«

Schließ­lich schreibt Seidl noch, dass Roths »leiden­schaft­li­ches Einrennen offener Türen selbst Sympa­thi­santen pompös erscheint und auf den Wecker geht«: »Bis heute kann sie den Anti­se­mi­tismus nicht verur­teilen, ohne gleich die Verur­tei­lung des Rassismus und jeder grup­pen­be­zo­genen Mensch­lich­keit hinter­her­zu­schieben. Politik ist aber etwas anderes.«

Damit ist alles über eine Kultur­staats­mi­nis­terin gesagt, die wir hoffent­lich nur noch ein Jahr und zwei Sommer­pausen lang über­stehen müssen.