11.07.2024
41. Filmfest München 2024

Aus Kind wird Kindl

Lars ist LOL
Der Siegerfilm: Lars ist LOL...
(Foto: 41. Filmfest München)

Auch das Kinderfilmfest des 41. Filmfest München musste sich neu taufen lassen, die Qualität der Sektion hat darunter jedoch nicht gelitten

Von Christel Strobel

Während das Filmfest München heuer mit neuer Leitung startet, bieten Tobias Krell, Tobias Obermeier dem Kino­nach­wuchs bereits im vierten Jahr eine Auswahl an anspruchs­vollen Kinder- und Jugend­filmen. Neu ist aber der Titel, der von »Kinder­film­fest« zu »CineKindl« mutiert ist. Mit dem neuen Namen soll deutlich werden, dass es eine Wett­be­werbs-Sektion vom Filmfest München ist, wo ebenfalls neue Titel einge­führt wurden (»Wett­be­werb CineCoPro«, … CineMas­ters, …CineVi­sion, … CineRe­bels etc). Der neue Name CineKindl soll also keine Vernied­li­chung für die Kinder­ecke sein, man kann es eher als Lokal­ko­lorit (»Münchner Kindl«) betrachten.

Das Film­pro­gramm selbst wider­legte solche Befürch­tungen, und bereits der Auftakt­film Sister­queens von Clara Stella Hüneke (D 2024, FSK 6, empfohlen ab 10 J.) war dafür ein Beispiel: Im Berliner Stadtteil Wedding nehmen die Freun­dinnen Jamila, (9 J.), Rachel (11 J.) und Fasehaa (12 J.) an einem Rap-Projekt teil, die Projekt­lei­terin lehrt sie aber auch, gesell­schaft­liche Normen zu hinter­fragen und Unge­rech­tig­keiten anzu­pran­gern. Aller­dings stellte sich hier manchmal die Frage, ob dies nicht zu stark der Wille der Projekt­lei­terin war. Sister­queens ist auch Hünekes Diplom­film, der von der »Young Jury« (fünf junge Erwach­sene aus München) den »Young Jury Award« bekam.

Vom Berliner Wedding der Gegenwart geht es in eine kali­for­ni­sche Vorstadt im Jahr 2008 im turbu­lenten Langfilm-Debüt DÌDI von Sean Wang (USA 2024, 84 Min., FSK ab 6 beantragt, empfohlen ab 11) . Schau­platz dieses Films ist eine kali­for­ni­sche Vorstadt im Jahr 2008: Der letzte Sommer­monat vor Beginn der High School ist für den 13-jährigen Chris mit einigen Heraus­for­de­rungen verbunden, denn zuhause hat er ständig Krach mit seiner vier Jahre älteren Schwester, während seine bei ihnen wohnende, fidele Groß­mutter nicht gut auf ihre Tochter – Chris' Mutter – zu sprechen ist. So kommt es immer wieder ganz unver­mit­telt zum laut­starken und derben Streit. Draußen muss Chris sich bei den „cool kids“ behaupten, dazu kommt der (Online-)Flirt mit einer Schul­ka­me­radin, der ihm Ärger bringt und den er natürlich umgehen möchte.
Das beein­dru­ckende Lang­film­debüt des Oscar-nomi­nierten Regis­seurs Sean Wang ist ein rasanter, manchmal geradezu grober, dennoch insgesamt witziger wie berüh­render Coming-of-Age-Film. DIDI ist aber auch eine persön­liche Ode an die eigene Mutter und die unbe­schwerten Anfangs­tage der sozialen Medien. Sean Wang studierte an der Univer­sity of Southern Cali­fornia und nahm an einer Reihe von Programmen des Sundance Instituts teil. Sein doku­men­ta­ri­scher Kurzfilm Nǎi nai & wài pó erhielt auf dem South by Southwest Festival 2023 den Großen Preis der Jury und den Publi­kums­preis und war 2024 für einen Oscar nominiert. Sein Langfilm-Debüt DÌDI feierte in Sundance Premiere und erhielt dort den Publi­kums­preis in der Sektion US Dramatic.

Der Film Durch Felsen Und Wolken von Franco Garcia Bacerra (Peru / Chile 2024, 83 Min., FSK ab 6 beantragt, empfohlen ab 7) ist in den perua­ni­schen Anden entstanden und beginnt mit geradezu über­wäl­ti­genden Aufnahmen vom schnee­be­deckten Hoch­ge­birgs-Panorama. Hier, in einem Dorf im Hochland, lebt der acht­jäh­rige Feliciano mit seinen Eltern. Er führt – begleitet von seinem Hund Rambo – die Alpaca-Herde auf die Weide. Ronaldo, ein putziges weißes Alpaca aus der Herde, und der schwarze Rambo sind seine engsten Freunde. Es ist die Zeit der WM-Quali­fi­ka­ti­ons­spiele der perua­ni­schen Fußball-Natio­nal­mann­schaft und Feliciano unterhält seine beiden Freunde mit den neuesten Meldungen aus dem Tran­sis­tor­radio… Doch das fried­liche Leben der Dorf­be­wohner wird durch Akti­vi­täten eines Berg­werk­un­ter­neh­mens bedroht, schließ­lich ist sogar Rambo verschwunden, und auch Feli­cianos Lieblings-Alpaka. In dieser bedroh­li­chen Lage schließt sich die Dorf­ge­mein­schaft zusammen. Ein Film mit hohem »Schauwert« und einer aktuellen Botschaft.

Aus Frank­reich, dem Land, aus dem schon viele origi­nelle, stil­si­chere und auch für ein jüngeres Publikum geeignete Anima­ti­ons­filme gekommen sind, war auch hier wieder ein ganz beson­deres Beispiel zu sehen: Sirocco Und Das König­reich Der Winde von Benoit Chieux (80 Min., FSK: 6 beantragt, empfohlen ab 7). – Juliette und Carmen, zwei Schwes­tern, die in gleicher Weise uner­schro­cken und belesen sind, entdecken zufällig einen Zugang zur fantas­ti­schen Welt ihres Lieb­lings­buchs »Das König­reich der Winde«. Auf einmal in Katzen verwan­delt, müssen sie ihren Mut zusam­men­nehmen, um wieder zusammen zu kommen. Die fliegende Sängerin Selma hilft ihnen mit ihrer melo­di­schen Stimme – und diese wunder­bare Melodie klingt auch in der Bericht­erstat­terin noch nach…

Mit Edge Of Summer von Lucy Cohen (United Kingdom 2024, 98 Min., FSK und empfohlen ab 12) war ein ganz fein­füh­liger Film über zwei Elfjäh­rige . Evie und Adam lernen sich in den Ferien an der engli­schen Küste kennen und gemeinsam erkunden sie die eindrucks­volle Land­schaft jenseits der idyl­li­schen Küsten­stadt. Als sie eine still­ge­legte Zinnmine entdecken, tauchen viele Fragen auf, die zu geheim­nis­vollen und auch düsteren Vorgängen führen. Sensibel und mit groß­ar­tigen Aufnahmen zeichnet Lucy Cohen (Buch und Regie) in ihrem zweiten Langfilm ein Coming of Age der beson­deren Art. Dieser Film war auch Bestand­teil der Inde­pen­dent-Reihe.

Für die Freunde des Kurzfilms wurde unter dem Titel »Kurzes für Kleine« ein Programm mit fünf Kurz­filmen (3 Realfilme und 2 Anima­ti­ons­filme) präsen­tiert.

Der Preis­träger des »CineKindl-Awards« heißt Lars Ist Lol und ist der Debütfilm von Eirik Sæter Stordahl (Norwegen 2023, FSK 6 beantragt, empfohlen ab 8 J.)
»Als Amanda nach den Sommer­fe­rien in die Schule zurück­kommt, soll sie sich als Mentorin um den neuen Mitschüler Lars kümmern. Er hat das Down-Syndrom und Amanda fürchtet, dass er sie blamieren wird; statt­dessen entsteht zwischen ihnen eine besondere Freund­schaft. Die gerät in Gefahr, als sie von ihren – falschen – Freun­dinnen gedrängt wird, die Freund­schaft zu Lars aufzu­geben. Dieser Film bewegt die Gemüter, man versteht den Konflikt, der Amanda hin- und hertreibt, und das ist sehr emotional darge­stellt, bis es endlich versöhn­lich für die beiden endet.«
Der 2022 erstmalig verlie­hene Preis ist mit 2.500 € dotiert und wird von megaherz gestiftet. Die drei­köp­fige Jury, die den Gewin­ner­film gewählt hat, bestand dieses Jahr aus der Dreh­buch­au­torin und Schau­spie­lerin Jytte-Merle Böhrnsen, dem Produ­zenten Philipp Budweg und der Regis­seurin Barbara Kronen­berg.

Zum großen Besucher-Erfolg hatte nicht zuletzt Tobias Krell, als Checker Tobi im ganzen Land bekannt, wieder ganz wesent­lich beigetragen. Seine Popu­la­rität ist immer wieder sagenhaft. Einen Unter­schied gibt es aber – ganz klar zwischen Schul­vor­füh­rungen und den Vorfüh­rungen mit ausschließ­lich privatem Publikum, wie z.B. am letzten Tag des Festivals, einem Samstag. Während bei größ­ten­teils ausge­buchten Schul­vor­füh­rungen anfangs eine fast hyste­risch anmutende Stimmung im Saal herrscht und frene­ti­scher Jubel ausbricht, wenn »Checker Tobi« auf die Bühne kommt, was ein Einfüh­rungs­ge­spräch erschwert, aber – wie auch das Gespräch nach dem Film – selbst­ver­s­tänd­lich durch­ge­führt wird, so ist es bei den Vorstel­lungen mit ausschließ­lich »privatem Publikum ›wesent­lich konzen­trierter, was eine fundierte Kommu­ni­ka­tion vor und nach der Film­vor­füh­rung möglich macht
Alles in allem ist »CineKindl« mit der gegen­wär­tigen Besetzung sehr gut aufge­stellt – und das freut die »Kinder­film­fest-Gründer/innen«…‹«