11.07.2024
41. Filmfest München 2024

Die imperfekte Welle

Zwei zu eins
Bei einer solchen Nullnummer kann man es nicht verübeln, dass eine merkliche Menge des Publikums sich für Spiel statt Spielfilm, für das 2:0 statt für Zwei Zu Eins entschloss...

Edelmann und Willmann paddeln dem Flow hinterher auf dem 41. Filmfest München

Von Anna Edelmann & Thomas Willmann

Wenn man eine Weile an der Eisbach­welle steht, kann man beob­achten, dass es zwei Varianten gibt von erfolg­rei­chen Wellen­ritten: Manchmal ist die Strömung den Surfenden gnädig. Da wirkt es, als müssten sie einfach nur das Brett auf den Wasser­bu­ckel legen, ruhig bleiben, keinen aktiven Fehler machen – und genießen, wie der Flow sie trägt. Manchmal aber wirken die Wellen widrig – zu nichts gewillt, als alle abzu­werfen, die den Versuch wagen, sie zu bezwingen. Da muss dann jede Sekunde des Ritts den Bedin­gungen abge­trotzt werden, geht nichts ohne Geschick, Wendig­keit, Kraft­auf­wand.

Es ist eine alte Regel: Wenn die Gene­ral­probe zu reibungslos über die Bühne geht, hakt’s bei der Premiere. Das wunder­bare Filmfest 2023 war für die neue Führung so eine Art Gene­ral­probe – nominell noch unter der Ägide der glück­losen Diana Iljine, die gefühlt da jedoch schon kaum mehr in Erschei­nung trat. Und da war das alles durch­drin­gende Grund­ge­fühl: Läuft!

Der erste offi­zi­elle Festival-Jahrgang des neuen Leitungs-Duos Christoph Gröner & Julia Weigl ließ sich dagegen deutlich wider­s­tän­diger an. Das lag freilich auch an äußeren Gege­ben­heiten wie der Heim-Fußball-EM in der Stadt (unser Mitleid mit den für Reisen und Unter­brin­gung Zustän­digen im Guest Manage­ment…) oder der seltsamen Berg-und-Tal-Fahrt des Wetters, das nie ein bestän­diges ‘S is wieder Sommer in der Stadt-Gefühl aufkommen lassen wollte. Und nicht jeder globale Film­jahr­gang ist so ein Glücks­fall wie 2023, gerade was neue Entde­ckungen betraf wie Augure, Mami Wata, oder Scrapper. Da kam man fast jeden Tag mindes­tens einmal mit hohem Glücks­hor­mon­pegel aus dem Kino. Auch das beste Programm­team kann nur in dem Reservoir des Gebotenen angeln. Und dieses Jahr hörte man bereits aus Sundance, Rotterdam, Berlin, Cannes nicht oft Jubel. 2024 ist da wohl in der Ebbe zwischen der ersten Post-Pandemie-Welle, in der sich viel Aufge­stautes entlud, und der hoffent­li­chen Rückkehr zu einem steten Strom an Krea­ti­vität und Produk­ti­ons­mög­lich­keiten.

Wo man eher ins Zweifeln kam, ob (Obacht, hier unser tollster H2O-Motiv-Kalauer!) Christoph Gröner & Julia Weigl genug Leitungs-Wasser getrunken haben, war das seltsame Losplät­schern und Auströp­feln des FFMUC 2024.

Ein im Grunde nurmehr sieben­tä­giges Festival in einen Zehn-Tage-Kanister zu füllen, hat nicht wirklich funk­tio­niert. Das gab dem Ganzen einen seltsam stol­pernden Rhythmus, ließ länger nicht den gewohnten Filmfest-Groove aufkommen. Es war wie Schrö­din­gers Filmfest: Man wusste erst – mit »Warm up-Freitag«, offi­zi­eller Eröffnung am Samstag und danach erst echtem Festival(sonn)tag – nicht recht, ob es denn nun schon ange­fangen hatte oder nicht. Und mit verfrühtem Ende der Beer­garden Conven­tion, ohne Abschluss­feier plus dem angehängten (an sich sehr begrüßens­werten!) Publikums-Sonntag dann eben­so­wenig, ob’s denn nun schon wirklich wahr war, dass es gar war. Und man ging verun­si­chert nach Hause, ob nicht doch noch irgendwo ein Film läuft oder eine Party steigt, die man übersieht.

Die Gesamt­zahl der Filme zu redu­zieren – wie es derzeit einige Festivals prak­ti­zieren – ist durchaus sinnvoll. Auch rund 150 sind mehr, als man irgendwie schaffen kann. Und die aktuelle Realität des Film- und Festi­val­markts gibt mehr kaum her, ohne das Programm mit brackem Füll­ma­te­rial zu verwäs­sern. Aber lieber sollte man entweder das Festival entspre­chend verkürzen – oder, noch besser, bei gewohnter Festi­val­dauer die Filme öfter zeigen. (Wo: Ja, wir wissen – Produk­tionen und Verleiher machen das nicht so einfach mit…) Vor allem, wenn die Program­mie­rung die perma­nente Über­schnei­dung so ziemlich aller Filme, die man sehen möchte, mit allen Filmen, die man sehen möchte, nicht in den Griff bekommt. Die – wie jedes Jahr – dieses Jahr besonders lästig war.

Was auch nicht beitrug zum Gefühl, nun schon wirklich ins große Kino­er­lebnis einzu­tau­chen: Die Wahl des Eröff­nungs­films. Ja, klar – Eröff­nungs­filme sind immer so eine Sache. Da sind schon größere Festivals mit echten Pein­lich­keiten baden gegangen. Und der dies­jäh­rige war immerhin nicht aktiv ärgerlich. Er war nur auch sonst: Nichts.
Jedes Bild und jeder Dialog­satz hatten exakt die Funktion, auf plumpeste, witz­lo­seste Weise EINE offen­sicht­liche Infor­ma­tion ans Publikum zu trans­por­tieren. Und hinter all den platten Infor­ma­tionen keine Welt…
Bei einer solchen Null­nummer kann man es nicht verübeln, dass eine merkliche Menge des Publikums sich für Spiel statt Spielfilm, für das 2:0 statt für Zwei Zu Eins entschloss und nach und nach aus der Isar­phil­har­monie tröpfelte, hin zur Sturmflut von Leipzig. Wir wollen keine Namen nennen (und haben auch gar nicht den Platz für alle…), aber die tapfer aushar­rende Frau Edelmann war anschließend beim Empfang sehr gefragt als Kommen­ta­torin der zweiten Film-Halbzeit bei all jenen, die diese aus Gründen nicht mitbe­kommen hatten…

Und wo wir nun schon grade beim Mäkeln sind: Die Festi­val­zei­tung – der Erst­kon­takt zum Festival für viele Menschen in München – sah freilich stylisher aus als das altge­wohnte Magazin. Aber wir würden den Hipster-Appeal leichten Herzens wieder eintau­schen für das schlichtweg prak­ti­schere Format, das nicht in einzelne Bücher zerfällt, weniger raum­grei­fend ist, von deutlich besser zu lesender Druck­qua­lität. Eine Zeitung ist schön, um am Frühs­tücks­tisch das Programm zu studieren – für die schnelle Suche nach Spielstätte, Lauflänge oder derglei­chen in der U-Bahn auf dem hastigen Weg von Film zu Film taugt sie deutlich bedingter.
Dafür jedoch ist die Rückkehr des Katalogs als blei­bendes, hapti­sches, gewich­tiges Erin­ne­rungs­stück an den Festi­val­jahr­gang eine Erqui­ckung unserer Samm­ler­ge­müter – wenn­gleich nicht der heimi­schen, über­quel­lenden Regale…
Aber wie anfangs gesagt: Es gehört zum Wellen­ritt auch, sich nicht vom ersten Absacken der Brandung, dem ersten Quer­treiben gleich abwerfen zu lassen. Sondern sich durch­zu­beißen, im Vertrauen auf die grund­sätz­liche Trag­fähig­keit der Strömung an diesem Surf Spot.
Und das ist das Hoff­nungs­volle an diesem wider­s­tän­di­geren FFMUC 2024: Dass man am Ende doch mit dem Gefühl ans Ufer kam, dass dieses Vertrauen endlich wieder berech­tigt ist. Das nach den eher ruder­losen Jahren zwischen Pseudo-Glamour-Strudel und minis­ter­prä­si­dialen Hirn­gischt-Fontänen nun wieder ein Kurs erkennbar ist, und die Richtung stimmt.
Wich­tigste Basis dafür: Die Filme stehen wieder im Zentrum. Sie sind nicht Beiwerk, um irgend­wel­chen Chichi drumrum zu veran­stalten. Es rollt die CineWave statt CineVogue (oder vielmehr CineVague?). Es wird gefeiert, dass und weil man das Kino liebt. Und man zeigt nicht bloß notge­drungen Filme, wie es unter Iljine oft den Anschein hatte, nur um Party machen zu können.
Nur so hält das Ganze zusammen. Nur so gelingt die Kunst der Verbin­dung des türkisen Teppichs für boule­vard­kom­pa­tible Weltstars mit der cine­as­ti­schen Neugier für echte Entde­ckungen. Nur so lässt man ein Filmfest ausstrahlen auf München.
Es gab in den letzten Jahren viele Versuche, das Festival in die ganze Stadt zu tragen. Aber die schienen zu oft zu beliebig, zu herbei­ge­krampfte Koope­ra­tionen. 2024 gelang es nun wirklich mit fließendem Übergang: Mit den Ausstel­lungen der Photo­gra­phien von Jessica Lange im Deutschen Thea­ter­mu­seum, von Michael Althens VHS-Sammlung im Pavillon 333 – oder Sonde­re­vents wie der Urauf­füh­rung von PLANET MAGNON in den Kammer­spielen. (Auf künst­le­ri­scher Ebene kann man an Letzterer viel kriti­sieren – aber es gab keine Zweifel, dass Theater und Kino sich da wirklich begeg­neten.) Weil das alles eben vom Film aus gedacht war, und sich als sinn­fäl­lige Erwei­te­rung und Berei­che­rung ergab.

Da setzte auch der dies­jäh­rige Filmfest-Trailer eine Wasser­marke. Ja, er war ein bisserl lang für etwas, das man vor jedem Film zu sehen bekam, und musi­ka­lisch viel­leicht nicht so der Hit. Aber er machte eben mehr als nur zu sagen: Filmfest München! Wir! Hier! Sondern bot bereits, zusam­men­ge­puz­zelt aus Schnip­seln dieses Jahrgangs, den Filmen eine Seh-Bühne.
Und das wurde dann über die Festi­val­tage hinweg geradezu zum Bingo-Spiel. Bei dem man nach und nach die Ausschnitte wieder­erkannte aus Filmen, die man mitt­ler­weile gesehen hatte. So dass man fast einen Gotta catch them all!-Eifer entwi­ckelte und begann, im Programm nach den noch fehlenden Puzzle­stein­chen zu fischen.
Dass auch im Trailer der Fokus sehr auf dem neuen Wasser! Irgendwas mit Wasser!-Branding des FFMUC lag, ließ aller­dings spontan den Gedanken aufkommen, hier würde das Fünf Seen Film­fes­tival beworben. Und dieses Jahr hatte das Filmfest das Glück, dass tatsäch­lich zwanglos in vielen Filmen Wasser als mehr oder minder zentrales Motiv auftauchte. Wir hoffen, dass das Programm­team nicht in Zukunft die Richt­linie bekommt, Filme haupt­säch­lich daraufhin auszu­wählen!
Auch zu bedenken: Sollte mal wieder echtes Film­fest­som­mer­wetter Einzug halten, dann könnte so ein feucht­fröh­li­cher Trailer gar sehr als Auffor­de­rung wirken, die Badehose einzu­pa­cken und zum Plant­schen an die Bayri­schen Voral­pen­seen (Walchensee, Chiemsee, Meister Eder See…) zu fahren, statt im Kino zu verweilen.

Die ersten Tage forcierte das Filmfest das Gefühl des Eintau­chens in eine Woche Kino auch akustisch mit Blub­ber­geräu­schen zur Festival-Diashow vor den Filmen. In manchen Kinos war das in einer derart immersiven Laut­stärke, dass man sich vorkam wie in einem Maritim-Museum in der Taucher­glo­cken-Simu­la­tion. Das Licht geht aus, die Wogen schließen sich über einem – gespanntes Atem­an­halten, alle klaus­tro­phoben Gedanken verdrängen und: Abtauchen. We all float down here…
In der zweiten Festi­val­hälfte wurde das Blub­ber­geräusch gegen Regen­plät­schern getauscht. War das ein necki­scher Kommentar und Hinweis auf das wech­sel­hafte Wetter vor der Kinotür, der zum Verweilen im Kinosaal einladen sollte? Oder eine subtile Auffor­de­rung, vor Filmstart nochmal auf die Toilette zu gehen?
Aber: Es ist tatsäch­lich eine nette Verbin­dung zwischen Kinosaal und Drumrum, vor den Filmen immer ein paar aktuelle Impres­sionen vom Festi­val­ge­schehen zu sehen. Das gibt einem mehr das Gefühl, dass beim Filmfest die Kompo­nenten Film und Fest eine Gesamt­heit sind. Und auch wenn das keine Neuerung war, wirkte es dieses Jahr mehr als stimmiger Teil des leben­digen Ganzen.

(Fort­set­zung folgt…)