41. Filmfest München 2024
Die imperfekte Welle |
||
Bei einer solchen Nullnummer kann man es nicht verübeln, dass eine merkliche Menge des Publikums sich für Spiel statt Spielfilm, für das 2:0 statt für Zwei Zu Eins entschloss... |
Von Anna Edelmann & Thomas Willmann
Wenn man eine Weile an der Eisbachwelle steht, kann man beobachten, dass es zwei Varianten gibt von erfolgreichen Wellenritten: Manchmal ist die Strömung den Surfenden gnädig. Da wirkt es, als müssten sie einfach nur das Brett auf den Wasserbuckel legen, ruhig bleiben, keinen aktiven Fehler machen – und genießen, wie der Flow sie trägt. Manchmal aber wirken die Wellen widrig – zu nichts gewillt, als alle abzuwerfen, die den Versuch wagen, sie zu bezwingen. Da muss dann jede Sekunde des Ritts den Bedingungen abgetrotzt werden, geht nichts ohne Geschick, Wendigkeit, Kraftaufwand.
Es ist eine alte Regel: Wenn die Generalprobe zu reibungslos über die Bühne geht, hakt’s bei der Premiere. Das wunderbare Filmfest 2023 war für die neue Führung so eine Art Generalprobe – nominell noch unter der Ägide der glücklosen Diana Iljine, die gefühlt da jedoch schon kaum mehr in Erscheinung trat. Und da war das alles durchdringende Grundgefühl: Läuft!
Der erste offizielle Festival-Jahrgang des neuen Leitungs-Duos Christoph Gröner & Julia Weigl ließ sich dagegen deutlich widerständiger an. Das lag freilich auch an äußeren Gegebenheiten wie der Heim-Fußball-EM in der Stadt (unser Mitleid mit den für Reisen und Unterbringung Zuständigen im Guest Management…) oder der seltsamen Berg-und-Tal-Fahrt des Wetters, das nie ein beständiges ‘S is wieder Sommer in der Stadt-Gefühl aufkommen lassen wollte. Und nicht jeder globale Filmjahrgang ist so ein Glücksfall wie 2023, gerade was neue Entdeckungen betraf wie Augure, Mami Wata, oder Scrapper. Da kam man fast jeden Tag mindestens einmal mit hohem Glückshormonpegel aus dem Kino. Auch das beste Programmteam kann nur in dem Reservoir des Gebotenen angeln. Und dieses Jahr hörte man bereits aus Sundance, Rotterdam, Berlin, Cannes nicht oft Jubel. 2024 ist da wohl in der Ebbe zwischen der ersten Post-Pandemie-Welle, in der sich viel Aufgestautes entlud, und der hoffentlichen Rückkehr zu einem steten Strom an Kreativität und Produktionsmöglichkeiten.
Wo man eher ins Zweifeln kam, ob (Obacht, hier unser tollster H2O-Motiv-Kalauer!) Christoph Gröner & Julia Weigl genug Leitungs-Wasser getrunken haben, war das seltsame Losplätschern und Auströpfeln des FFMUC 2024.
Ein im Grunde nurmehr siebentägiges Festival in einen Zehn-Tage-Kanister zu füllen, hat nicht wirklich funktioniert. Das gab dem Ganzen einen seltsam stolpernden Rhythmus, ließ länger nicht den gewohnten Filmfest-Groove aufkommen. Es war wie Schrödingers Filmfest: Man wusste erst – mit »Warm up-Freitag«, offizieller Eröffnung am Samstag und danach erst echtem Festival(sonn)tag – nicht recht, ob es denn nun schon angefangen hatte oder nicht. Und mit verfrühtem Ende der Beergarden Convention, ohne Abschlussfeier plus dem angehängten (an sich sehr begrüßenswerten!) Publikums-Sonntag dann ebensowenig, ob’s denn nun schon wirklich wahr war, dass es gar war. Und man ging verunsichert nach Hause, ob nicht doch noch irgendwo ein Film läuft oder eine Party steigt, die man übersieht.
Die Gesamtzahl der Filme zu reduzieren – wie es derzeit einige Festivals praktizieren – ist durchaus sinnvoll. Auch rund 150 sind mehr, als man irgendwie schaffen kann. Und die aktuelle Realität des Film- und Festivalmarkts gibt mehr kaum her, ohne das Programm mit brackem Füllmaterial zu verwässern. Aber lieber sollte man entweder das Festival entsprechend verkürzen – oder, noch besser, bei gewohnter Festivaldauer die Filme öfter zeigen. (Wo: Ja, wir wissen – Produktionen und Verleiher machen das nicht so einfach mit…) Vor allem, wenn die Programmierung die permanente Überschneidung so ziemlich aller Filme, die man sehen möchte, mit allen Filmen, die man sehen möchte, nicht in den Griff bekommt. Die – wie jedes Jahr – dieses Jahr besonders lästig war.
Was auch nicht beitrug zum Gefühl, nun schon wirklich ins große Kinoerlebnis einzutauchen: Die Wahl des Eröffnungsfilms. Ja, klar – Eröffnungsfilme sind immer so eine Sache. Da sind schon größere Festivals mit echten Peinlichkeiten baden gegangen. Und der diesjährige war immerhin nicht aktiv ärgerlich. Er war nur auch sonst: Nichts.
Jedes Bild und jeder Dialogsatz hatten exakt die Funktion, auf plumpeste, witzloseste Weise EINE offensichtliche Information ans
Publikum zu transportieren. Und hinter all den platten Informationen keine Welt…
Bei einer solchen Nullnummer kann man es nicht verübeln, dass eine merkliche Menge des Publikums sich für Spiel statt Spielfilm, für das 2:0 statt für Zwei Zu Eins entschloss und nach und nach aus der Isarphilharmonie tröpfelte, hin zur Sturmflut von Leipzig. Wir wollen keine Namen nennen (und haben auch gar nicht den Platz für alle…), aber die tapfer ausharrende
Frau Edelmann war anschließend beim Empfang sehr gefragt als Kommentatorin der zweiten Film-Halbzeit bei all jenen, die diese aus Gründen nicht mitbekommen hatten…
Und wo wir nun schon grade beim Mäkeln sind: Die Festivalzeitung – der Erstkontakt zum Festival für viele Menschen in München – sah freilich stylisher aus als das altgewohnte Magazin. Aber wir würden den Hipster-Appeal leichten Herzens wieder eintauschen für das schlichtweg praktischere Format, das nicht in einzelne Bücher zerfällt, weniger raumgreifend ist, von deutlich besser zu lesender Druckqualität. Eine Zeitung ist schön, um am Frühstückstisch das Programm zu
studieren – für die schnelle Suche nach Spielstätte, Lauflänge oder dergleichen in der U-Bahn auf dem hastigen Weg von Film zu Film taugt sie deutlich bedingter.
Dafür jedoch ist die Rückkehr des Katalogs als bleibendes, haptisches, gewichtiges Erinnerungsstück an den Festivaljahrgang eine Erquickung unserer Sammlergemüter – wenngleich nicht der heimischen, überquellenden Regale…
Aber wie anfangs gesagt: Es gehört zum Wellenritt auch, sich nicht vom
ersten Absacken der Brandung, dem ersten Quertreiben gleich abwerfen zu lassen. Sondern sich durchzubeißen, im Vertrauen auf die grundsätzliche Tragfähigkeit der Strömung an diesem Surf Spot.
Und das ist das Hoffnungsvolle an diesem widerständigeren FFMUC 2024: Dass man am Ende doch mit dem Gefühl ans Ufer kam, dass dieses Vertrauen endlich wieder berechtigt ist. Das nach den eher ruderlosen Jahren zwischen Pseudo-Glamour-Strudel und ministerpräsidialen
Hirngischt-Fontänen nun wieder ein Kurs erkennbar ist, und die Richtung stimmt.
Wichtigste Basis dafür: Die Filme stehen wieder im Zentrum. Sie sind nicht Beiwerk, um irgendwelchen Chichi drumrum zu veranstalten. Es rollt die CineWave statt CineVogue (oder vielmehr CineVague?). Es wird gefeiert, dass und weil man das Kino liebt. Und man zeigt nicht bloß notgedrungen Filme, wie es unter Iljine oft den Anschein hatte, nur um Party machen zu können.
Nur so hält das Ganze zusammen. Nur
so gelingt die Kunst der Verbindung des türkisen Teppichs für boulevardkompatible Weltstars mit der cineastischen Neugier für echte Entdeckungen. Nur so lässt man ein Filmfest ausstrahlen auf München.
Es gab in den letzten Jahren viele Versuche, das Festival in die ganze Stadt zu tragen. Aber die schienen zu oft zu beliebig, zu herbeigekrampfte Kooperationen. 2024 gelang es nun wirklich mit fließendem Übergang: Mit den Ausstellungen der Photographien von Jessica Lange im
Deutschen Theatermuseum, von Michael Althens VHS-Sammlung im Pavillon 333 – oder Sonderevents wie der Uraufführung von PLANET MAGNON in den Kammerspielen. (Auf künstlerischer Ebene kann man an Letzterer viel kritisieren – aber es gab keine Zweifel, dass Theater und Kino sich da wirklich begegneten.) Weil das alles eben vom Film aus gedacht war, und sich als sinnfällige Erweiterung und Bereicherung ergab.
Da setzte auch der diesjährige Filmfest-Trailer eine Wassermarke. Ja, er war ein bisserl lang für etwas, das man vor jedem Film zu sehen bekam, und musikalisch vielleicht nicht so der Hit. Aber er machte eben mehr als nur zu sagen: Filmfest München! Wir! Hier! Sondern bot bereits, zusammengepuzzelt aus Schnipseln dieses Jahrgangs, den Filmen eine Seh-Bühne.
Und das wurde dann über die Festivaltage hinweg geradezu zum Bingo-Spiel. Bei dem man nach und nach die Ausschnitte
wiedererkannte aus Filmen, die man mittlerweile gesehen hatte. So dass man fast einen Gotta catch them all!-Eifer entwickelte und begann, im Programm nach den noch fehlenden Puzzlesteinchen zu fischen.
Dass auch im Trailer der Fokus sehr auf dem neuen Wasser! Irgendwas mit Wasser!-Branding des FFMUC lag, ließ allerdings spontan den Gedanken aufkommen, hier würde das Fünf Seen Filmfestival beworben. Und dieses Jahr hatte das Filmfest das Glück, dass tatsächlich zwanglos in vielen
Filmen Wasser als mehr oder minder zentrales Motiv auftauchte. Wir hoffen, dass das Programmteam nicht in Zukunft die Richtlinie bekommt, Filme hauptsächlich daraufhin auszuwählen!
Auch zu bedenken: Sollte mal wieder echtes Filmfestsommerwetter Einzug halten, dann könnte so ein feuchtfröhlicher Trailer gar sehr als Aufforderung wirken, die Badehose einzupacken und zum Plantschen an die Bayrischen Voralpenseen (Walchensee, Chiemsee, Meister Eder See…) zu fahren,
statt im Kino zu verweilen.
Die ersten Tage forcierte das Filmfest das Gefühl des Eintauchens in eine Woche Kino auch akustisch mit Blubbergeräuschen zur Festival-Diashow vor den Filmen. In manchen Kinos war das in einer derart immersiven Lautstärke, dass man sich vorkam wie in einem Maritim-Museum in der Taucherglocken-Simulation. Das Licht geht aus, die Wogen schließen sich über einem – gespanntes Atemanhalten, alle klaustrophoben Gedanken verdrängen und: Abtauchen. We all float down
here…
In der zweiten Festivalhälfte wurde das Blubbergeräusch gegen Regenplätschern getauscht. War das ein neckischer Kommentar und Hinweis auf das wechselhafte Wetter vor der Kinotür, der zum Verweilen im Kinosaal einladen sollte? Oder eine subtile Aufforderung, vor Filmstart nochmal auf die Toilette zu gehen?
Aber: Es ist tatsächlich eine nette Verbindung zwischen Kinosaal und Drumrum, vor den Filmen immer ein paar aktuelle Impressionen vom Festivalgeschehen zu
sehen. Das gibt einem mehr das Gefühl, dass beim Filmfest die Komponenten Film und Fest eine Gesamtheit sind. Und auch wenn das keine Neuerung war, wirkte es dieses Jahr mehr als stimmiger Teil des lebendigen Ganzen.
(Fortsetzung folgt…)