18.07.2024
Cinema Moralia – Folge 328

Einfach mal locker machen...

KINO. FÜHLST DU. 2.0.
Ab 17. Juli: die neue Kampagne KINO. FÜHLST DU. 2.0...
(Foto: FFA/HdF)

Unsicherheiten schaffen und nicht Sicherheiten: Kino als Diskursverdichter und Katalysator statt als gefühlige Botschaft. Aber die Kinolobby versucht, mit Zeitgeist Kinolust zu machen – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 328. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Und der erste Kreis der Hölle war gleich nebenan/
Jeder Zweifel jeder Zwang verschwand vor unsern Augen/
Und die Pforten des Himmels öffneten sich vor unsern Augen/
Und die Worte der Weisheit trugen uns so weit wie nie/
Harmonie ist eine Strategie/ Harmonie ist eine Strategie/
Harmonie ist eine Strategie/ Harmonie ist eine Strategie/
Harmonie ist eine Strategie/ Harmonie ist eine Strategie«

– Toco­tronic

Was lehrt uns eigent­lich der enorme Erfolg der Fußball-EM in den Fern­seh­quoten für die übrigen Medien? Er lehrt uns, scheint mir, uns an das zu erinnern, was Fernsehen eigent­lich ist: Nämlich riskant, uner­wartet, live! Live-Erleb­nisse, bei denen man vorher nicht weiß, was am Ende heraus­kommt und wie es ausgeht.
Man muss durch die Medien Unsi­cher­heiten schaffen und nicht Sicher­heiten. Und wenn jetzt der von der Politik verord­nete Sparzwang zum Vorwand für Kultur­abbau genommen wird, und manche öffent­lich-recht­liche Sender gerade in der ARD sich nun als neuer Heimat­sender, als Ort für Gemüt­lich­keit und den kleinen Abend­spa­zier­gang neu entdecken und entspre­chend vermarkten, dann irren sie; dann werden ihre Quoten einbre­chen. Und zwar zu Recht!

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Fußball liefert Dramen und Erzäh­lungen, Mythen und starke Bilder. Alles das, was einst das Kino lieferte.

Blut und Faust: Das Bild von Trump nach dem Attentat ist ein starkes Bild, ist Kino jenseits des Kinos. Wer dagegen antreten will, muss entspre­chend starke Gegen­bilder liefern, ansonsten ist das Scheitern vorpro­gram­miert.

Das Kino müsste sich auf seine urtüm­liche Kraft besinnen: Die Unver­nunft der puren Bilder. Aber statt­dessen...

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Zwei kleine Werbe­spots: Detlef Buck spielt die Haupt­rolle, Heike Makatsch ist auch dabei und Kostja Ullmann. Jugend und Sex sind die visuellen Verspre­chen in diesen kleinen Filmen – im einen sehen wir zuerst einen Dart-Wett­be­werb zwischen einem alten und einem jungen Mann. Der Alte verliert, aber dann gehen sie zusammen Bier trinken und sitzen im Kino.
Im anderen kommt es zum Kampf des alten Mannes mit den Sport­geräten im Gym, die ihn offen­sicht­lich über­for­dern. Dann plötzlich lädt ihn die 20 Jahre jüngere Frau ins Kino ein.
Wir hören und lesen: »Einfach mal locker machen«, »entspannt Freunde treffen« – so lauten die Slogans: Und danach immer »Kino. Fühlst Du!«

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In der neuen Werbe­kam­pagne des Haupt­ver­bands deutscher Film­theater hat der Zeitgeist das Kommando und ein etwas schlichtes Vers­tändnis von Sinn­lich­keit: »Lass mal wieder nicht aufstehen wollen«, »Lass mal wieder zusammen emotional werden«, »Lass mal wieder in der Popcorn­tüte treffen.«

Tatsäch­lich braucht das Kino dringend neue Zuschauer: Im Mittel­punkt der Spots, die zusammen mit der Plakat­kam­pagne 1,8 Millionen Euro gekostet haben und breit gestreut werden, steht die Ziel­gruppe 40 plus. In den Kampa­gnen­spots werden, so heißt es, »kleine Unan­nehm­lich­keiten in der Freizeit ganz über­ra­schend mit der Magie des Kinos kontras­tiert, um die Key-Message zu plat­zieren«: Kino als Ort der Entspan­nung, der Action und einer guten Zeit fernab von Stress und Sorgen. Von Kultur ist dagegen nicht die Rede, nicht von Bildung, nicht vom Erlebnis des Lernens aus der Begegnung mit dem Fremden.
Und von der wortreich beschwo­renen Magie ist in den Spots nicht viel übrig.

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Rudolf Worschech, Vertreter der evan­ge­li­schen Film­ar­beit bei der Film­för­der­an­stalt in Berlin, sieht das Problem des Kinos dagegen woanders:

»Ich glaube, dass das Kino ein großes Problem hat, und das beobachte ich auch in meinem persön­li­chen Umfeld: die Leute die jetzt so zwischen 15 und 20 sind, sind meines Erachtens keine Kino­gänger und ich glaube das wich­tigste, was passieren muss, ist, dass man diese Gruppe wieder für das Kino inter­es­siert. Das klingt jetzt wie eine pauschale Einschät­zung, aber die gucken Filme nur, sie gucken sie auf dem Handy, und die wieder an das große Kino heran­zu­führen ist, glaube ich, eine der Haupt­auf­gaben.«

Worschech weiter: »Das Kino ist deswegen wichtig, weil es der Verein­ze­lung entge­gen­wirken kann. Wir leben ja in einer Zeit, in der man jetzt auch Filme nahezu unbe­grenzt im Netz und über Strea­ming­por­tale sehen kann – das finde ich vom Prinzip her nicht grund­sätz­lich falsch. Aber einen Film im Kino zu sehen, ist doch etwas ganz anderes als auf der Matt­scheibe zu Hause. Sie mag so groß sein, wie sie will, sie wird niemals das Kino­er­lebnis, das wir in einem großen Kino haben können, ersetzen.«

Zu ergänzen wäre hier nur: Das Kino hat neben dieser Aufgabe auch die, starke Bilder zu entwi­ckeln, starke Bilder, die die mythische Kraft haben und die als Diskurs­ver­dichter, -beschleu­niger und -kata­ly­sa­toren taugen, in die Welt zu setzen.

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Mal sehen, ob ausge­rechnet Detlef Buck und Heike Makatsch dieses junge Publikum wieder hinter dem Ofen hervor­lo­cken können. Kennen denn die jungen Zuschauer diese Menschen überhaupt noch? Zweifel daran sind erlaubt.

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Fest steht: Die aller­beste Werbung für das Kino sind immer noch gute Filme – und eine Film­kultur, die sich für das Kino nicht nur inter­es­siert, wenn es in Not ist oder wenn es mal Film­preise gibt, sondern die das Kino als tagtäg­li­ches Lebens­mittel und Teil des Alltags im Bewusst­sein präsent hält – zum Beispiel auch mit viel­fäl­tiger Film­kritik, mit Kultur- und Film­sen­dungen in Radio und Fernsehen.
Schlichte Spots können allen­falls daran erinnern.

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Ein über­ra­schender und sehr plötz­li­cher Wechsel wird an der Spitze des DFF (Deutsches Film­in­stitut & Film­mu­seum e.V.) gemeldet und seine Hinter­gründe erschüt­tern diese wichtige Insti­tu­tion von bundes­weiter Bedeutung: Laut aktueller Pres­se­mit­tei­lung zieht sich die bisherige Direk­torin Ellen Harrington zurück und es vollzieht sich »ein umfas­sender Wechsel«: »Der frühere Vorsit­zende der Geschäfts­füh­rung der Messe Frankfurt GmbH, Michael von Zitzewitz, wird zunächst für ein Jahr Vorstand des Vereins und ersetzt damit den bishe­rigen Vorstand, Aurélio de Sousa. Die kommis­sa­ri­sche Leitung des Hauses übernimmt Christine Kopf, bisher Leiterin der Abteilung Film­ver­mitt­lung im DFF. Ihr Stell­ver­treter wird Tobias Römer, seit Jahres­be­ginn kauf­män­ni­scher Leiter des DFF, und künftig als Verwal­tungs­di­rektor für Personal und Finanzen verant­wort­lich. Das teilten die Verwal­tungs­rats­vor­sit­zende des DFF, Kultur­de­zer­nentin Dr. Ina Hartwig, und das DFF gemeinsam mit.«
Wie zu hören ist, gibt es wohl noch andere Gründe, als nur das Erfor­dernis der bishe­rigen Direk­torin, ihre »Energien neu zu bündeln.« Maliziös titelt die FAZ: »Fremd ist sie einge­zogen, fremd zieht sie wieder aus«, aber nur an den auch nach sechs Jahren fehlenden Deutsch­kennt­nissen der Ameri­ka­nerin liegt der abrupte Abgang offenbar auch nicht: Die Rede ist von einem »Knall« und »finan­zi­ellen Lücken«. Offenbar steht dem DFF eine Gene­ral­re­vi­sion bevor. Wir wünschen viel Glück.