Cinema Moralia – Folge 328
Einfach mal locker machen... |
||
Ab 17. Juli: die neue Kampagne KINO. FÜHLST DU. 2.0... | ||
(Foto: FFA/HdF) |
»Und der erste Kreis der Hölle war gleich nebenan/
Jeder Zweifel jeder Zwang verschwand vor unsern Augen/
Und die Pforten des Himmels öffneten sich vor unsern Augen/
Und die Worte der Weisheit trugen uns so weit wie nie/
Harmonie ist eine Strategie/ Harmonie ist eine Strategie/
Harmonie ist eine Strategie/ Harmonie ist eine Strategie/
Harmonie ist eine Strategie/ Harmonie ist eine Strategie«
– Tocotronic
Was lehrt uns eigentlich der enorme Erfolg der Fußball-EM in den Fernsehquoten für die übrigen Medien? Er lehrt uns, scheint mir, uns an das zu erinnern, was Fernsehen eigentlich ist: Nämlich riskant, unerwartet, live! Live-Erlebnisse, bei denen man vorher nicht weiß, was am Ende herauskommt und wie es ausgeht.
Man muss durch die Medien Unsicherheiten schaffen und nicht Sicherheiten. Und wenn jetzt der von der Politik verordnete Sparzwang zum Vorwand für Kulturabbau genommen
wird, und manche öffentlich-rechtliche Sender gerade in der ARD sich nun als neuer Heimatsender, als Ort für Gemütlichkeit und den kleinen Abendspaziergang neu entdecken und entsprechend vermarkten, dann irren sie; dann werden ihre Quoten einbrechen. Und zwar zu Recht!
+ + +
Fußball liefert Dramen und Erzählungen, Mythen und starke Bilder. Alles das, was einst das Kino lieferte.
Blut und Faust: Das Bild von Trump nach dem Attentat ist ein starkes Bild, ist Kino jenseits des Kinos. Wer dagegen antreten will, muss entsprechend starke Gegenbilder liefern, ansonsten ist das Scheitern vorprogrammiert.
Das Kino müsste sich auf seine urtümliche Kraft besinnen: Die Unvernunft der puren Bilder. Aber stattdessen...
+ + +
Zwei kleine Werbespots: Detlef Buck spielt die Hauptrolle, Heike Makatsch ist auch dabei und Kostja Ullmann. Jugend und Sex sind die visuellen Versprechen in diesen kleinen Filmen – im einen sehen wir zuerst einen Dart-Wettbewerb zwischen einem alten und einem jungen Mann. Der Alte verliert, aber dann gehen sie zusammen Bier trinken und sitzen im Kino.
Im anderen kommt es zum Kampf des alten Mannes mit den Sportgeräten im Gym, die ihn offensichtlich überfordern. Dann
plötzlich lädt ihn die 20 Jahre jüngere Frau ins Kino ein.
Wir hören und lesen: »Einfach mal locker machen«, »entspannt Freunde treffen« – so lauten die Slogans: Und danach immer »Kino. Fühlst Du!«
+ + +
In der neuen Werbekampagne des Hauptverbands deutscher Filmtheater hat der Zeitgeist das Kommando und ein etwas schlichtes Verständnis von Sinnlichkeit: »Lass mal wieder nicht aufstehen wollen«, »Lass mal wieder zusammen emotional werden«, »Lass mal wieder in der Popcorntüte treffen.«
Tatsächlich braucht das Kino dringend neue Zuschauer: Im Mittelpunkt der Spots, die zusammen mit der Plakatkampagne 1,8 Millionen Euro gekostet haben und breit gestreut werden, steht die Zielgruppe 40 plus. In den Kampagnenspots werden, so heißt es, »kleine Unannehmlichkeiten in der Freizeit ganz überraschend mit der Magie des Kinos kontrastiert, um die Key-Message zu platzieren«: Kino als Ort der Entspannung, der Action und einer guten Zeit fernab von Stress und Sorgen. Von
Kultur ist dagegen nicht die Rede, nicht von Bildung, nicht vom Erlebnis des Lernens aus der Begegnung mit dem Fremden.
Und von der wortreich beschworenen Magie ist in den Spots nicht viel übrig.
+ + +
Rudolf Worschech, Vertreter der evangelischen Filmarbeit bei der Filmförderanstalt in Berlin, sieht das Problem des Kinos dagegen woanders:
»Ich glaube, dass das Kino ein großes Problem hat, und das beobachte ich auch in meinem persönlichen Umfeld: die Leute die jetzt so zwischen 15 und 20 sind, sind meines Erachtens keine Kinogänger und ich glaube das wichtigste, was passieren muss, ist, dass man diese Gruppe wieder für das Kino interessiert. Das klingt jetzt wie eine pauschale Einschätzung, aber die gucken Filme nur, sie gucken sie auf dem Handy, und die wieder an das große Kino heranzuführen ist, glaube ich, eine der Hauptaufgaben.«
Worschech weiter: »Das Kino ist deswegen wichtig, weil es der Vereinzelung entgegenwirken kann. Wir leben ja in einer Zeit, in der man jetzt auch Filme nahezu unbegrenzt im Netz und über Streamingportale sehen kann – das finde ich vom Prinzip her nicht grundsätzlich falsch. Aber einen Film im Kino zu sehen, ist doch etwas ganz anderes als auf der Mattscheibe zu Hause. Sie mag so groß sein, wie sie will, sie wird niemals das Kinoerlebnis, das wir in einem großen Kino haben können, ersetzen.«
Zu ergänzen wäre hier nur: Das Kino hat neben dieser Aufgabe auch die, starke Bilder zu entwickeln, starke Bilder, die die mythische Kraft haben und die als Diskursverdichter, -beschleuniger und -katalysatoren taugen, in die Welt zu setzen.
+ + +
Mal sehen, ob ausgerechnet Detlef Buck und Heike Makatsch dieses junge Publikum wieder hinter dem Ofen hervorlocken können. Kennen denn die jungen Zuschauer diese Menschen überhaupt noch? Zweifel daran sind erlaubt.
+ + +
Fest steht: Die allerbeste Werbung für das Kino sind immer noch gute Filme – und eine Filmkultur, die sich für das Kino nicht nur interessiert, wenn es in Not ist oder wenn es mal Filmpreise gibt, sondern die das Kino als tagtägliches Lebensmittel und Teil des Alltags im Bewusstsein präsent hält – zum Beispiel auch mit vielfältiger Filmkritik, mit Kultur- und Filmsendungen in Radio und Fernsehen.
Schlichte Spots können allenfalls daran erinnern.
+ + +
Ein überraschender und sehr plötzlicher Wechsel wird an der Spitze des DFF (Deutsches Filminstitut & Filmmuseum e.V.) gemeldet und seine Hintergründe erschüttern diese wichtige Institution von bundesweiter Bedeutung: Laut aktueller Pressemitteilung zieht sich die bisherige Direktorin Ellen Harrington zurück und es vollzieht sich »ein umfassender Wechsel«:
»Der frühere Vorsitzende der Geschäftsführung der Messe Frankfurt GmbH, Michael von Zitzewitz, wird zunächst für ein Jahr Vorstand des Vereins und ersetzt damit den bisherigen Vorstand, Aurélio de Sousa. Die kommissarische Leitung des Hauses übernimmt Christine Kopf, bisher Leiterin der Abteilung Filmvermittlung im DFF. Ihr Stellvertreter wird Tobias Römer, seit Jahresbeginn kaufmännischer Leiter des DFF, und künftig als Verwaltungsdirektor für Personal und Finanzen
verantwortlich. Das teilten die Verwaltungsratsvorsitzende des DFF, Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig, und das DFF gemeinsam mit.«
Wie zu hören ist, gibt es wohl noch andere Gründe, als nur das Erfordernis der bisherigen Direktorin, ihre »Energien neu zu bündeln.« Maliziös titelt die FAZ: »Fremd ist sie eingezogen, fremd zieht sie wieder aus«, aber nur an den auch nach sechs Jahren fehlenden Deutschkenntnissen der Amerikanerin liegt der abrupte Abgang offenbar auch nicht:
Die Rede ist von einem »Knall« und »finanziellen Lücken«. Offenbar steht dem DFF eine Generalrevision bevor. Wir wünschen viel Glück.