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Historisch: Stummfilmsommer im Innenhof des Stadtmuseums |
Wer letzten Sommer bei den Stummfilmtagen im Filmmuseum München war, wird dieses Jahr den wunderschönen Innenhof des Stadtmuseums schmerzlich vermissen. Unter freiem Himmel, bei sich neigendem Sonnenstand, gab es, wenn es das Wetter zuließ, Stummfilme auf der aufgespannten 4:3-Leinwand, darunter spielten die Musiker live dazu.
Tempi passati. Das Stadtmuseum wird umgebaut, aber das Filmmuseum spielt weiter, in seiner Black Box im Untergeschoss, unbehelligt von der musealen Umstrukturierung. Und damit wandern auch wieder die Stummfilmtage zurück ins schwarze Kino. Was trotz des atmosphärischen Verlusts natürlich auch ein Gewinn ist: Die Projektionsqualität ist natürlich besser, auch die Akustik.
Restaurierte Stummfilme stehen dieses Jahr im Zentrum. Filmmuseumsleiter Stefan Drößler fragt einführend: »Was ist der Maßstab für die Restaurierung?« Der Fragenkatalog, den ein Restaurator für sich beantworten muss, enthält Aspekte der Filmpremiere sowie die originale Meterlänge, Zensureingriffe – die es mehrfach, vor und nach Premieren, gab –, Texte der Zwischentitel. Im Zeitalter der digitalen Restaurierung, in dem alles machbar, aber aus filmhistorischer Perspektive keinesfalls erwünscht ist, stellen sich zudem Fragen nach Tilgung der Laufstreifen, Verschmutzungen und anderes.
Vor den Filmen gibt Drößler entsprechende Insights in den Zustand des Originalmaterials und den Restaurierungsprozess. Viel lässt sich dabei auch über die historische Gesellschaft, die damalige Aufführungspraxis und, vor allem interessant, über Kriterien der Zensur erfahren. Auch auf ästhetische Verfahren wie Bild-Schablonen, expressionistische Dekors oder Schauspielkunst geht Drößler ein. Der Besuch der Stummfilmtage wird so ganz nebenbei zum anschaulichen Crashkurs in Sachen Kinogeschichte.
Noch bis zum Beginn der Sommerpause des Filmmuseums kann man erleben, wie stumme Filme in Worten und Gesten ihre ganze Expressivität entfalten, ergreifend sind, traurig stimmen wollen, unterstützt von einer Musikbegleitung. Meist übernimmt sie narrativ die Rolle des Erzählers, illustriert Szenen, bisweilen auch konterkariert sie aber auch, wird ironisch und macht sich über die Handlung oder ganze Gattungen lustig, wie letztens bei Ernst Lubitschs Die Bergkatze, wo eine Räubertochter sich im absurd-expressionistischen Dekor ein Stelldichein mit einem eitlen Lackaffen gab.
Die Musik spielt fast die Hauptrolle bei den Internationalen Stummfilmtagen München. Richard Siedhoff und Mykyta Sierov aus Weimar, Neil Brand und Stephen Horne aus London, Masako Ohta, Masha Khotimski, Sabrina Zimmermann und Mark Pogolski aus München sowie Günter A. Buchwald und Frank Bockius aus Freiburg sind bekannte Größen der internationalen Stummfilmszene. Meist begleiten eigene Kompositionen die Filme. »Es gibt nur ganz wenige Filme, für die eine eigene Begleitmusik komponiert wurde, die in mehr als einem Kino aufgeführt wurde«, schreibt Drößler. Deshalb kann in der Musik auch die Moderne, die Jetztzeit, in hohem Maße interpretierend auf die Filme wirken.
Im Programm stehen William Wyler Hell’s Heroes (1929) über drei Bankräuber, die auf der Flucht durch die Wüste ein Baby finden – Blaupause für John Fords Three Godfathers (und evtl. auch Drei Männer und ein Baby) (Do 18.7. 20:00). Im indischen Schicksalswürfel (1929) der Münchner Regie-Legende Franz Osten werden bei Elefanten, Tigerjagden und »menschlicher Märchenwahrheit« (Originalpressestimme von 1929) koloniale Sichtweisen und die 20er-Jahre-Faszination am Exotischen deutlich. (Fr 19.7. 20:00)
Der Sowjetstummfilm war bahnbrechend. Michail Romms Fettklößchen (1926) spielt zur Zeit des deutsch-französischen Kriegs 1870/71, nach Maupassants Roman »Boule de suif«. (Sa 20.7. 20:00) Die von der Straße leben haben Fridrich Ermler und Eduard Jogansson direkt in den Straßen von Sankt Petersburg gedreht. Quasidokumentarisch werden hier Alltagsszenen eingefangen. Gefeiert als »erstes russisches Sittenbild« mit wochenlang ausverkauften Vorstellungen. (So 21.7. 18:00)
Weitere Filme: Ost und West (Sydney M. Goldin, AT 1923), Im Dunkel der Nacht (R: Charles Vanel, FR 1929), Manolescu – Der König der Hochstapler (Robert Liebmann, DE 1929), A Cottage on Dartmoor (Anthony Asquith, GB 1928), Prix de beauté (Augusto Genina, nach dem Buch von René Clair und G.W. Papst).
Abschließend gibt es noch einen Höhepunkt. Zum Kafka-Jahr hält Hanns Zischler, Autor des bahnbrechenden Kinobuchs »Kafka geht ins Kino« einen Vortrag mit vielen Filmausschnitten, Textzitaten, Dokumenten und Fotos, die deutlich machen, was die imaginäre Welt von Kafka gewesen war. Zischler hat dafür akribisch in den Notizen und Tagebüchern von Kafka geforscht – eine völlig andere, textbasierte und rezipientenseitige Art der Film-Restauration. »Dass das Kino den Menschen ganz in den Bann schlagen kann, diese Erfahrung macht Kafka auch an sich selbst«, schreibt dazu der österreichische Kulturkritiker Paul Jandl. (So 28.7. 18:00)