Cinema Moralia – Folge 329
Wieder ein Stück Freiheit weniger |
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Viktor Klemperers LTI: »Worte können wie winzige Arsendosen sein...« |
»Schau ich jetzt von meinem Berge
In das deutsche Land hinab,
Seh ich nur ein Völklein Zwerge
Kriechend auf der Riesen Grab …
Muttersöhnchen gehen in Seide
Nennen sich des Volkes Kern
Schurken tragen Ehrgeschmeide
Söldner brüsten sich als Herrn.«
– Heinrich Heine»Hey du, was starrst du mich an?/ Vom Straßenrand
Hey du, was starrst du mich an?/ Breitbeinig auf der Bank
Bin ich was, das du nicht kennst?/ Dass du mich Schwuchtel nennst
Ist mein Stil zu ungewohnt/ Für den Kleinstadthorizont?
Hey du, was starrst du mich an?/ Ist es mein cooler Gang?
Hey du, was starrst du mich an?/ Oder mache ich dir Angst?
...
Ist mein Stil zu ungewohnt?/ Dass du mir mit Schlägen drohst
Ich bin von Anfang an/ Zu weit gegangen«
– Tocotronic, Hey Du
»Die zerstörerische Macht, die von Worten, von Sprache, ausgehen kann, offenbart sich vor allem in Hassrede und Diffamierungen, vor allem wenn sie wieder und wieder erklingen.« Das steht in der epd-Rezension zu »Die Ermittlung«, lässt sich aber sofort in den konkreten Alltag unseres Lebens übertragen.
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In einem hervorragenden Essay beschäftigt sich Janett Haid mit Victor Klemperers LTI von 1947. Es lohnt sich, das zu hören. Klemperer schreibt über toxische Diskurse und toxische Menschen: »Worte können wie winzige Arsendosen sein: sie werden unbemerkt verschluckt; sie scheinen keine Wirkung zu tun – und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.«
Wir begegnen solchen Menschen und ihren Worten auch heute an fast jeder Ecke, in jedem zweiten Zoom, in Verbänden und Parteien, in Filmen, Filmpremieren und Filmkritiken. Hier fängt Demokratiezersetzung an!
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Was soll Filmkritik? Und was soll sie nicht? Am besten versucht sie sich mit Ästhetik zu beschäftigen, mit Stil statt mit Inhalten, mit Können statt mit Wollen. Am besten ist sie großzügig, voller Lust an Dissens – einem anderen Wort für Meinungsvielfalt.
Filmkritik ist kein Sprachgericht. Und sie hat eine Bringschuld gegenüber ihrem Publikum, im Gegensatz zu den Filmen.
Filmkritik ist keine moralische Anstalt. So wenig wie das Kino eine moralische Anstalt ist.
Missbilligung ist keine Kategorie, mit der man auf eine Filmkritik überhaupt reagieren kann.
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Die Nachfolgerin oder der Nachfolger der Kulturstaatsministerin nach der Bundestagswahl im Herbst nächsten Jahres ist nicht zu beneiden. Denn alles, was Claudia Roth anfasst, wird schlechter, als es zuvor war. Ihr neuestes »Werk«: Die Verhunzung des Deutschen Filmpreises.
Wenn man nicht mit vernünftigen Taten in die Geschichte eingeht, dann immerhin mit falschen, unvernünftigen.
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Was passiert eigentlich, wenn man den Deutschen Filmpreis bekommt? Man bekommt Ehre, man bekommt Lob und Aufmerksamkeit, und bisher bekommt man auch Geld.
Ehre ist schön, Lob und Aufmerksamkeit auch, aber Geld ist auch schön und noch viel wichtiger, jedenfalls für Filmproduzenten.
Um es einmal ganz genau vorzurechnen: Allein schon die Nominierung für den »Besten Film« beim Deutschen Filmpreis bedeutete, dass Produzenten 250.000 € bekamen, die sie relativ frei in neue Projekte investieren konnten. In jedem Jahr hatten sechs Produzenten dieses Glück. Wer gewann, bekam 125.000, 175.000, oder 250.000 € zusätzlich. Hinzu kommen noch die drei Produzenten der Filme, die für den Dokumentarfilmpreis nominiert waren und die zwei Produzenten der nominierten Kinderfilme. In diesen beiden Kategorien gab es weniger Geld, nämlich nur 125.000 € für eine Nominierung, der Sieger: 200.000 – eine Ungleichbehandlung, die eigentlich schon immer sehr fragwürdig war, so als ob bestimmte Filme weniger wert sind als andere. Aber darum geht es jetzt nicht.
Festzuhalten ist, dass bislang beim höchst dotierten deutschen Kulturpreis elf Produktionsfirmen pro Jahr eine beträchtliche Summe Geld zum Reinvestieren bekamen, und weitgehend frei darüber entscheiden konnten, wie sie das einsetzen wollten. Ein großes Glück für jede Produktionsfirma! Insbesondere für die etwas kleineren Independent-Produktionen, die bei den Filmpreisen oft nominiert sind. Der Deutsche Filmpreis war damit der einzige Preis der öffentlichen Bundesfilmförderung, in dem das fertige Ergebnis, das eigentliche Filmkunstwerk ausgezeichnet wird, nicht die gute Absicht, der beste Antrag, die Erwartungen einer anonymen Kommission.
Ansonsten gibt es noch erheblich kleinere Summen für die Preisgewinner mancher Filmfestivals, etwa in Ludwigshafen, in Saarbrücken und in München. Ansonsten nichts.
Die Festivals immerhin wird es freuen, sie sind nun noch weiter aufgewertet.
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Man konnte mit guten Gründen vieles am Deutschen Filmpreis kritisieren. Insbesondere die Vergabe durch die Filmakademie, die eine Selbstbedienungsmentalität fördert und immer wieder das Geschmäckle des Verdachts weckte: Gab es im Hintergrund nicht doch Kampagnen mächtiger Produzenten? Ließen sich manche Leute nicht doch einschüchtern von ihrer Macht? Wie viel Mauschelei war möglich und üblich, und wer in dieser Film-Akademie stimmt überhaupt ab? Warum veröffentlicht die Akademie nie ein Quorum – das kann ja wohl nur den Grund haben, dass ziemlich viele Leute nicht teilnehmen und man sich schämen muss. Was eigentlich nie kritisiert wurde, war die Tatsache, dass der Deutsche Filmpreis seit seiner Gründung im Jahr 1971, also immerhin über 50 Jahre lang dotiert war.
Jetzt genügt ein Federstrich der Kulturstaatsministerin und diese Dotierung ist abgeschafft.
Man hört dann Sätze wie, der Oscar sei auch nicht dotiert und der César auch nicht. Das mag schon alles sein, nur ist der Deutsche Filmpreis, auch wenn man ihn Lola nennt, nun mal kein Oscar und auch kein César.
»Kein Geld, mehr Ehre, endlich!« – klar melden sich jetzt die üblichen Verdächtigen und freuen sich, wie toll es ist, dass der Preis nicht mehr dotiert ist. Der Neidreflex gegenüber den angeblichen immer mächtigen Produzenten funktioniert sowieso verlässlich in Deutschland.
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Immerhin Günter Rohrbach, der streitbare 95-jährige Nestor unter den deutschen Produzenten meldete sich mit einem kraftvollen Einwurf in der Süddeutschen Zeitung gegen die übermütige Kulturstaatsministerin zu Wort. »Ein Stück Freiheit weniger« klagte er und bemängelte das »große Missverständnis« der
deutschen Kulturförderung:
»Das fängt ja gut an. Die von der Staatsministerin für Kultur Claudia Roth mit Aplomb angekündigte Neufassung der deutschen Filmförderung beginnt mit der Tilgung jener Hilfe, die unter allen Förderungen zwar nicht die größte, jedoch in ihrer Effektivität und Nützlichkeit die allerbeste war.«
Die Filmpreisprämie, so Rohrbach völlig richtig, bedeutete ein kleines Stück Freiheit für die Produzenten, um einen neuen Film zu machen: »Was das für ein Film sein würde, wollte man den Produzenten überlassen, denn gerade darin, in diesem Moment von Freiheit, entfaltete sich der Lohn für die künstlerische Leistung. Damit ist nun Schluss.«
Rohrbach beschreibt in dem Text ausführlich, wie schwierig es ist, sich im Dschungel von Förderinstitutionen in Bund und Ländern, zwischen den zahlreichen Ansprechpartnern, die oft umso mehr Macht haben, je weniger sie von der Sache verstehen, durchschlagen muss.
Aber wer gute und erfolgreiche Filme möchte, der muss die Regulierungen abschaffen und streichen, der muss den Produzenten und den Regisseuren, also allen Filmkünstlern mehr Freiheit geben. Auch Freiheit zu
scheitern, mehr Risiko mit Folgen gönnen, aber eben auch mit guten Folgen, wenn man etwas Vernünftiges zustande bringt.
Unter Claudia Roth soll die Filmförderung mehr und mehr so organisiert werden, wie die Krankenkassen oder die Deutsche Bahn und der Rest der deutschen Verkehrspolitik – wir alle wissen, was dabei rauskommt.
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Rohrbach weiter: »In einer solchen Situation waren die Gelder des deutschen Filmpreises ein Himmelsgeschenk. Dass das jetzt wegfallen soll, ist so bitter wie unverständlich. Dass die Filmakademie das offenbar kampflos hingenommen hat, ist hingegen unverzeihlich. Bei ihrer Gründung waren die mit dem Filmpreis verbundenen Fördermittel ein zentraler Punkt. Hätte es die verbindliche Zusage des damaligen Kulturstaatsministers Nida-Rümelin, an die sich auch alle folgenden Minister gehalten haben, nicht gegeben, wäre die Akademie nicht gegründet worden. Wie hätte man auch den deutschen Filmschaffenden vermitteln können, dass sie jetzt zwar eine Akademie bekommen, das Preisgeld aber hinter neuen Gremienschranken verschwinde? Es waren immerhin fast drei Millionen Euro, auf elf (zum Teil auch nur nominierte) Filme und ihre Produzenten verteilt. Ein weit kleinerer Teil des Geldes ging zudem an 15 individuelle Preisträger. ...«
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Was die so umtriebige wie naive Kulturstaatsministerin bewogen haben mag, eine Regelung, die vor ihr vier Kulturstaatsminister vertreten hatten, abzuschaffen, ist schleierhaft.
Offenbar ging es ums versteckte Einsparen. Denn faktisch vollzieht Roth eine geschickt ummäntelte Sparmaßnahme.
Dafür muss man die Pressemitteilung der BKM genau lesen. Da steht zwar die Behauptung, der Bund erhöht die Mittel für kulturelle Filmförderung tatsächlich, aber es heißt in der Pressemitteilung, der Bund plant die Mittel deutlich zu erhöhen. Es geht um
die Filmförderung 2026 und 2027 um »je zwei Millionen jährlich«. Wenn vorher 2025-2027 jeweils drei Millionen gespart werden, macht das also ein Minus von fünf Millionen.
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Die Deutsche Filmakademie äußert sich in einem Schreiben an die Mitglieder wie gewohnt lau und harmoniesüchtig: »Wir sind uns bewusst, dass einige von uns die Entscheidung sicherlich bedauern werden ... Wir teilen als Branche mit der BKM das Ziel, den deutschen Film zu stärken, ihn wettbewerbsfähig und sowohl kulturell als auch wirtschaftlich beim Publikum erfolgreich zu machen. Wir sind zuversichtlich, dass diese Ziele mit der Reform erreicht werden können.«
Wir nicht!
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Wir werden sehen, ob die deutsche Filmbranche die Kraft entwickelt, der schlechten Politik Widerstand entgegenzusetzen, auch gegen die Schönredner in den eigenen Reihen. Ohne Ästhetik des Widerstands kein Widerstand der Ästhetik.
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»Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.
Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.«
– Heinrich Heine »Deutschland, ein Wintermärchen«