25.07.2024
Cinema Moralia – Folge 329

Wieder ein Stück Freiheit weniger

Viktor Klemperer LTI
Viktor Klemperers LTI: »Worte können wie winzige Arsendosen sein...«

Die Verhunzung des Deutschen Filmpreises, toxische Sprache und die Ästhetik des Widerstands – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 329. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Schau ich jetzt von meinem Berge
In das deutsche Land hinab,
Seh ich nur ein Völklein Zwerge
Kriechend auf der Riesen Grab …
Mutter­söhn­chen gehen in Seide
Nennen sich des Volkes Kern
Schurken tragen Ehrge­schmeide
Söldner brüsten sich als Herrn.«

– Heinrich Heine

»Hey du, was starrst du mich an?/ Vom Straßen­rand
Hey du, was starrst du mich an?/ Breit­beinig auf der Bank
Bin ich was, das du nicht kennst?/ Dass du mich Schwuchtel nennst
Ist mein Stil zu ungewohnt/ Für den Klein­stadt­ho­ri­zont?
Hey du, was starrst du mich an?/ Ist es mein cooler Gang?
Hey du, was starrst du mich an?/ Oder mache ich dir Angst?
...
Ist mein Stil zu ungewohnt?/ Dass du mir mit Schlägen drohst
Ich bin von Anfang an/ Zu weit gegangen«

– Toco­tronic, Hey Du

»Die zerstö­re­ri­sche Macht, die von Worten, von Sprache, ausgehen kann, offenbart sich vor allem in Hassrede und Diffa­mie­rungen, vor allem wenn sie wieder und wieder erklingen.« Das steht in der epd-Rezension zu »Die Ermitt­lung«, lässt sich aber sofort in den konkreten Alltag unseres Lebens über­tragen.

+ + +

In einem hervor­ra­genden Essay beschäf­tigt sich Janett Haid mit Victor Klem­pe­rers LTI von 1947. Es lohnt sich, das zu hören. Klemperer schreibt über toxische Diskurse und toxische Menschen: »Worte können wie winzige Arsen­dosen sein: sie werden unbemerkt verschluckt; sie scheinen keine Wirkung zu tun – und nach einiger Zeit ist die Gift­wir­kung doch da.«

Wir begegnen solchen Menschen und ihren Worten auch heute an fast jeder Ecke, in jedem zweiten Zoom, in Verbänden und Parteien, in Filmen, Film­pre­mieren und Film­kri­tiken. Hier fängt Demo­kra­tie­zer­set­zung an!

+ + +

Was soll Film­kritik? Und was soll sie nicht? Am besten versucht sie sich mit Ästhetik zu beschäf­tigen, mit Stil statt mit Inhalten, mit Können statt mit Wollen. Am besten ist sie großzügig, voller Lust an Dissens – einem anderen Wort für Meinungs­viel­falt.
Film­kritik ist kein Sprach­ge­richt. Und sie hat eine Bring­schuld gegenüber ihrem Publikum, im Gegensatz zu den Filmen.
Film­kritik ist keine mora­li­sche Anstalt. So wenig wie das Kino eine mora­li­sche Anstalt ist. Miss­bil­li­gung ist keine Kategorie, mit der man auf eine Film­kritik überhaupt reagieren kann.

+ + +

Die Nach­fol­gerin oder der Nach­folger der Kultur­staats­mi­nis­terin nach der Bundes­tags­wahl im Herbst nächsten Jahres ist nicht zu beneiden. Denn alles, was Claudia Roth anfasst, wird schlechter, als es zuvor war. Ihr neuestes »Werk«: Die Verhun­zung des Deutschen Film­preises.
Wenn man nicht mit vernünf­tigen Taten in die Geschichte eingeht, dann immerhin mit falschen, unver­nünf­tigen.

+ + +

Was passiert eigent­lich, wenn man den Deutschen Filmpreis bekommt? Man bekommt Ehre, man bekommt Lob und Aufmerk­sam­keit, und bisher bekommt man auch Geld.
Ehre ist schön, Lob und Aufmerk­sam­keit auch, aber Geld ist auch schön und noch viel wichtiger, jeden­falls für Film­pro­du­zenten.

Um es einmal ganz genau vorzu­rechnen: Allein schon die Nomi­nie­rung für den »Besten Film« beim Deutschen Filmpreis bedeutete, dass Produ­zenten 250.000 € bekamen, die sie relativ frei in neue Projekte inves­tieren konnten. In jedem Jahr hatten sechs Produ­zenten dieses Glück. Wer gewann, bekam 125.000, 175.000, oder 250.000 € zusätz­lich. Hinzu kommen noch die drei Produ­zenten der Filme, die für den Doku­men­tar­film­preis nominiert waren und die zwei Produ­zenten der nomi­nierten Kinder­filme. In diesen beiden Kate­go­rien gab es weniger Geld, nämlich nur 125.000 € für eine Nomi­nie­rung, der Sieger: 200.000 – eine Ungleich­be­hand­lung, die eigent­lich schon immer sehr frag­würdig war, so als ob bestimmte Filme weniger wert sind als andere. Aber darum geht es jetzt nicht.

Fest­zu­halten ist, dass bislang beim höchst dotierten deutschen Kultur­preis elf Produk­ti­ons­firmen pro Jahr eine beträcht­liche Summe Geld zum Reinves­tieren bekamen, und weit­ge­hend frei darüber entscheiden konnten, wie sie das einsetzen wollten. Ein großes Glück für jede Produk­ti­ons­firma! Insbe­son­dere für die etwas kleineren Inde­pen­dent-Produk­tionen, die bei den Film­preisen oft nominiert sind. Der Deutsche Filmpreis war damit der einzige Preis der öffent­li­chen Bundes­film­för­de­rung, in dem das fertige Ergebnis, das eigent­liche Film­kunst­werk ausge­zeichnet wird, nicht die gute Absicht, der beste Antrag, die Erwar­tungen einer anonymen Kommis­sion.

Ansonsten gibt es noch erheblich kleinere Summen für die Preis­ge­winner mancher Film­fes­ti­vals, etwa in Ludwigs­hafen, in Saar­brü­cken und in München. Ansonsten nichts.

Die Festivals immerhin wird es freuen, sie sind nun noch weiter aufge­wertet.

+ + +

Man konnte mit guten Gründen vieles am Deutschen Filmpreis kriti­sieren. Insbe­son­dere die Vergabe durch die Film­aka­demie, die eine Selbst­be­die­nungs­men­ta­lität fördert und immer wieder das Geschmäckle des Verdachts weckte: Gab es im Hinter­grund nicht doch Kampagnen mächtiger Produ­zenten? Ließen sich manche Leute nicht doch einschüch­tern von ihrer Macht? Wie viel Mauschelei war möglich und üblich, und wer in dieser Film-Akademie stimmt überhaupt ab? Warum veröf­fent­licht die Akademie nie ein Quorum – das kann ja wohl nur den Grund haben, dass ziemlich viele Leute nicht teil­nehmen und man sich schämen muss. Was eigent­lich nie kriti­siert wurde, war die Tatsache, dass der Deutsche Filmpreis seit seiner Gründung im Jahr 1971, also immerhin über 50 Jahre lang dotiert war.

Jetzt genügt ein Feder­strich der Kultur­staats­mi­nis­terin und diese Dotierung ist abge­schafft.

Man hört dann Sätze wie, der Oscar sei auch nicht dotiert und der César auch nicht. Das mag schon alles sein, nur ist der Deutsche Filmpreis, auch wenn man ihn Lola nennt, nun mal kein Oscar und auch kein César.

»Kein Geld, mehr Ehre, endlich!« – klar melden sich jetzt die üblichen Verdäch­tigen und freuen sich, wie toll es ist, dass der Preis nicht mehr dotiert ist. Der Neid­re­flex gegenüber den angeb­li­chen immer mächtigen Produ­zenten funk­tio­niert sowieso verläss­lich in Deutsch­land.

+ + +

Immerhin Günter Rohrbach, der streit­bare 95-jährige Nestor unter den deutschen Produ­zenten meldete sich mit einem kraft­vollen Einwurf in der Süddeut­schen Zeitung gegen die über­mü­tige Kultur­staats­mi­nis­terin zu Wort. »Ein Stück Freiheit weniger« klagte er und bemän­gelte das »große Miss­ver­s­tändnis« der deutschen Kultur­för­de­rung:
»Das fängt ja gut an. Die von der Staats­mi­nis­terin für Kultur Claudia Roth mit Aplomb angekün­digte Neufas­sung der deutschen Film­för­de­rung beginnt mit der Tilgung jener Hilfe, die unter allen Förde­rungen zwar nicht die größte, jedoch in ihrer Effek­ti­vität und Nütz­lich­keit die aller­beste war.«

Die Film­prei­sprämie, so Rohrbach völlig richtig, bedeutete ein kleines Stück Freiheit für die Produ­zenten, um einen neuen Film zu machen: »Was das für ein Film sein würde, wollte man den Produ­zenten über­lassen, denn gerade darin, in diesem Moment von Freiheit, entfal­tete sich der Lohn für die künst­le­ri­sche Leistung. Damit ist nun Schluss.«

Rohrbach beschreibt in dem Text ausführ­lich, wie schwierig es ist, sich im Dschungel von Förder­insti­tu­tionen in Bund und Ländern, zwischen den zahl­rei­chen Ansprech­part­nern, die oft umso mehr Macht haben, je weniger sie von der Sache verstehen, durch­schlagen muss.
Aber wer gute und erfolg­reiche Filme möchte, der muss die Regu­lie­rungen abschaffen und streichen, der muss den Produ­zenten und den Regis­seuren, also allen Film­künst­lern mehr Freiheit geben. Auch Freiheit zu scheitern, mehr Risiko mit Folgen gönnen, aber eben auch mit guten Folgen, wenn man etwas Vernünf­tiges zustande bringt.

Unter Claudia Roth soll die Film­för­de­rung mehr und mehr so orga­ni­siert werden, wie die Kran­ken­kassen oder die Deutsche Bahn und der Rest der deutschen Verkehrs­po­litik – wir alle wissen, was dabei rauskommt.

+ + +

Rohrbach weiter: »In einer solchen Situation waren die Gelder des deutschen Film­preises ein Himmels­ge­schenk. Dass das jetzt wegfallen soll, ist so bitter wie unver­s­tänd­lich. Dass die Film­aka­demie das offenbar kampflos hinge­nommen hat, ist hingegen unver­zeih­lich. Bei ihrer Gründung waren die mit dem Filmpreis verbun­denen Förder­mittel ein zentraler Punkt. Hätte es die verbind­liche Zusage des damaligen Kultur­staats­mi­nis­ters Nida-Rümelin, an die sich auch alle folgenden Minister gehalten haben, nicht gegeben, wäre die Akademie nicht gegründet worden. Wie hätte man auch den deutschen Film­schaf­fenden vermit­teln können, dass sie jetzt zwar eine Akademie bekommen, das Preisgeld aber hinter neuen Gremi­en­schranken verschwinde? Es waren immerhin fast drei Millionen Euro, auf elf (zum Teil auch nur nomi­nierte) Filme und ihre Produ­zenten verteilt. Ein weit kleinerer Teil des Geldes ging zudem an 15 indi­vi­du­elle Preis­träger. ...«

+ + +

Was die so umtrie­bige wie naive Kultur­staats­mi­nis­terin bewogen haben mag, eine Regelung, die vor ihr vier Kultur­staats­mi­nister vertreten hatten, abzu­schaffen, ist schlei­er­haft.
Offenbar ging es ums versteckte Einsparen. Denn faktisch vollzieht Roth eine geschickt ummän­telte Spar­maß­nahme.
Dafür muss man die Pres­se­mit­tei­lung der BKM genau lesen. Da steht zwar die Behaup­tung, der Bund erhöht die Mittel für kultu­relle Film­för­de­rung tatsäch­lich, aber es heißt in der Pres­se­mit­tei­lung, der Bund plant die Mittel deutlich zu erhöhen. Es geht um die Film­för­de­rung 2026 und 2027 um »je zwei Millionen jährlich«. Wenn vorher 2025-2027 jeweils drei Millionen gespart werden, macht das also ein Minus von fünf Millionen.

+ + +

Die Deutsche Film­aka­demie äußert sich in einem Schreiben an die Mitglieder wie gewohnt lau und harmo­nie­süchtig: »Wir sind uns bewusst, dass einige von uns die Entschei­dung sicher­lich bedauern werden ... Wir teilen als Branche mit der BKM das Ziel, den deutschen Film zu stärken, ihn wett­be­werbs­fähig und sowohl kulturell als auch wirt­schaft­lich beim Publikum erfolg­reich zu machen. Wir sind zuver­sicht­lich, dass diese Ziele mit der Reform erreicht werden können.«
Wir nicht!

+ + +

Wir werden sehen, ob die deutsche Film­branche die Kraft entwi­ckelt, der schlechten Politik Wider­stand entge­gen­zu­setzen, auch gegen die Schön­redner in den eigenen Reihen. Ohne Ästhetik des Wider­stands kein Wider­stand der Ästhetik.

+ + +

»Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffent­lich Wasser.
Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmel­reich errichten.«

– Heinrich Heine »Deutsch­land, ein Winter­mär­chen«