15.08.2024

Urängste, Evolution und Überleben um jeden Preis

Alien: Poster 1979
Filmplakat zum ersten Alien-Film (1979) von Philip Gips
(Plakat: Wikipedia)

Schleimig, böse, unkaputtbar: Die Alien-Filmreihe zeigt Bilder des Schreckens, ist überraschend europäisch geprägt, und formuliert fast allzu aktuell unsere eigene Frage als Gestalt

Von Rüdiger Suchsland

»Es ist an der Zeit, sich gegen die Zukunft zur Wehr zu setzen.«
– Michael Althen, SZ vom 17.11.1986 über Aliens

Am Anfang war die Stille. Keine fried­liche Stille, sondern richtige Stille. Gnadenlos. Horror Vacui. »Im Weltraum hört dich niemand schreien« – mit diesem Slogan warb der Verleih für den ersten Alien-Film. Und als dann etwas zu hören war, wurde es nicht besser.

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Eine unheim­liche Begegnung der anderen Art. Plötzlich war im Kino alles anders: 1979 war auch in der Kino­ge­schichte ein Wendejahr: Das Jahr, in dem Apoca­lypse Now herauskam. In dem Paul Schraders American Gigolo den Ton setzte für den Sieg des Scheins über das Sein. Gemeinsam mit Alien markieren diese zwei Filme das endgül­tige Ende des Hippie-Flower-Power-Lebens­ge­fühls. Das Ende auch das Fort­schritts­op­ti­mismus der 60er Jahre, in denen der Weltraum allen­falls »neue Frontiers« bedeutete, aber keines­falls die finale Bedrohung des Endes aller Dinge. Doch nun war die Stille plötzlich nicht mehr die Stille des Para­dieses, sondern die Stille des Horrors.

Alien – der in Deutsch­land den Unter­titel trug: »Das unheim­liche Wesen aus einer fremden Welt«, in Frank­reich poeti­scher »Der achte Passagier« – war ein teures B-Movie, dessen Finan­zie­rung angeblich mit der Ankün­di­gung gesichert wurde: »Jaws in Space«, »Der weiße Hai im Weltraum«.
1979 setzte auf diesen Film kaum einer einen Pfif­fer­ling. Der »Spiegel« spottete, aber auch in den USA waren die ersten Kritiken verhalten. So etwa Jonathan Rosenbaum: »An empty-headed horror movie with nothing to recommend it beyond the disco-inspired art direction and some handsome, if gimmicky, cine­ma­to­graphy.« Plötzlich versetzte einer die Effekte des B-Movies in den Block­buster. Ridley Scott war damals vor allem für seine Werbe­spots bekannt, Sigourney Weaver in der Haupt­rolle war eine völlig unbe­kannte Schau­spie­lerin.

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Die Parallele zu Coppola wurde übrigens auch damals schon gesehen, zumindest von den Klügeren: Peter Buchka, dem Film gegenüber skeptisch, schrieb am 12.12.79 in der SZ: »Alien also als Weltraum-Pendant zu Colonel Kurtz aus Apoca­lypse Now, ebenfalls einem Dolby-Film.«

Buchka, ein erklärter Wenders-Fan, bespricht »diesen merk­wür­digen hoch­ge­putschten« Film nicht als Autoren­kino – »Der Regisseur heißt übrigens Ridley Scott« heißt sein ätzender Schluss­satz –, sondern als reines Indus­trie­pro­dukt und hier wieder als Schau­fenster des damals neu einge­führten Dolby-Systems. Ihn inter­es­siert vor allem die Rolle des Tons: »Bei leisen oder ganz stillen Passagen sind nicht mehr wie früher Neben­geräu­sche zu hören, die einen unbewußt immer daran erin­nerten, einer tech­ni­schen Vorfüh­rung beizu­wohnen. Dies also ist nun 'unter­drückt', darum ist der Schock desto größer, wenn es einmal urplötz­lich ganz laut wird. So ersetzt der Ton quasi die Mons­ter­hand, die früher zupackend ins Bild schnellte.«

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Es gibt aber noch mehr. Um es zu schätzen, musste man jünger sein, oder Hollywood-affiner oder Wenders-skep­ti­scher. Auch Film­kritik ist eine Gene­ra­tio­nen­frage.
Denn mit diesem Film kam ein Monster auf die Leinwand, wie man es noch nie gesehen hatte. Schon äußerlich der Ausdruck aller Schre­ckens­vor­stel­lungen, die unser Unbe­wusstes erzeugen kann: Eine Mischung aus Krake und Spinne und Schlange, rasend schnell wie eine Ratte, ausge­stattet mit den scharfen Zähnen eines Piranhas, glitschig und sabbernd. Das Alien sabbert aller­dings eine ätzende Säure.

Alien ist unter anderem eine Geschichte über die Evolution: Über die Urangst des Menschen, dass es etwas geben könnte, das sich als über­le­bens­fähiger und stärker im »Kampf ums Dasein«, dem darwi­nis­ti­schen »Survival of the fittest«, erweist als der Mensch selbst.
Natürlich fasst das alles auch andere mensch­liche Urängste zusammen: Das »Alien« ist ein Wesen, das in den Menschen eindringt, sich dort fort­pflanzt, ein Parasit, der uns zu einem Wirtstier degra­diert. Es ist Natur pur und reine Kraft, Monster gewor­dener Fort­pflan­zungs­trieb; Psycho­ana­ly­tiker verglei­chen das Monster auch wahlweise mit einem Penis oder einer Vagina dentata.
Dieses unfass­bare, extrem wandlungs- und anpas­sungs­fähige »Alien« steht aber auch für vieles mehr: Es ist, wie der Name schon sagt, das Fremde, das Andere. Schon in den 80er Jahren entdeckten Kultur­wis­sen­schaftler hier eine AIDS-Metapher, und heute kommt man auf die Pandemie.
Aber die »Alien«-Geschichten sind immer auch Geschichten über Kapi­ta­lismus und Ausbeu­tung, und über die Macht trans­na­tio­naler Unter­nehmen, die nicht weniger alle Grenzen triebhaft einreißen, und zum Monster werden, als das Alien-Vieh.

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Und »Alien« ist natürlich eine femi­nis­ti­sche Reihe: Denn das »Alien« ist ein weib­li­ches Mutter­tier, das Eier legt und in der von Sigourney Weaver großartig gespielten Weltraum­fah­rerin Ripley eine eben­bür­tige Gegen­spie­lerin hat, die sie bald als Alter Ego erkennt. Nicht zuletzt, weil sie beide Mütter sind oder werden. Wobei das Alien-Wesen ein Herm­aphrodit ist und die Fähigkeit zur Selbst­be­fruch­tung besitzt.
Der Computer des ersten Films heißt übrigens schon Mother – und es ist hoffent­lich ein paar Leuten aufge­fallen, dass man das auch »(M)Other« schreiben kann.

Ellen Ripley wurde so oder so zu einer weib­li­chen Ikone, zum Vorbild für Empower­ment, für zahllose Frauen, die als Poli­zis­tinnen oder Solda­tinnen oder einfach Menschen das Böse bekämpfen, und dabei alles das tun, was Männer im Kino schon lange tun durften.

Der brutalste Moment in Ripleys Film-Existenz ist jener in Jean-Pierre Jeunets Alien: Resur­rec­tion, den Michael Althen in seiner Bespre­chung in der SZ vom 26. November 1997 folgen­der­maßen beschrieb:

»Es gibt eine Szene in Alien – Die Wieder­ge­burt, in der die atemlose Action innehält und zu einem Moment findet, der einem den Atem stocken lässt. Wenn Ripley von den Toten aufer­standen ist, findet sie auf ihrem Arm eine eintä­to­wierte Acht. Auf ihrem Weg durch das Raum­schiff kommt sie an einer Türe mit der Aufschrift 1-7 vorbei, zu der ihr der Zutritt streng verwehrt ist. Als sie sich doch Einlaß verschafft hat, erkennt sie den Grund: In großen Reagenz­glä­sern finden sich die ersten sieben Klone jener Reihe, deren achter Versuch sie ist.
Eigen­artig bewegt und entsetzt, wandert sie durch dieses Schre­ckens­ka­bi­nett von Mißge­burten, die im Grunde ihre Geschwister, wenn nicht gar ihre Doppel­gänger sind. Das siebte Expe­ri­ment, das ihr schon ziemlich ähnelt, muß sie sogar noch eigen­händig aus seiner Qual befreien. Dieses Museum einer grau­en­vollen künst­li­chen Evolution, dieses Spie­gel­ka­bi­nett ihrer zerstörten Identität ist wirklich ein würdiger Höhepunkt einer faszi­nie­renden Serie.«

Ripley ist immer wieder eine Über­le­bende, das Vorbild weniger für die »Surviver«, die heute in den sozialen Netz­werken ihren Opfer­status ein wenig zu eitel zur Schau tragen, als für jene »Final Girls«, die »Last Woman Standing«, die etwa zur gleichen Zeit in den »American Nightmare«-Movies von John Carpenter, Wes Craven und George A. Romero auftauchten, und die einzigen waren, die es mit den Monstern aufnahmen – auch weil sie verwei­gerten, zum Opfer zu werden, oder sich diesen Status zuzu­schreiben, weil sie statt­dessen den Mut hatten, ihr Täter-sein, – gut katho­lisch gespro­chen: ihre Erbsünde – anzu­nehmen und eigene Schuld, notwen­diges Schuldig-werden qua Existenz anzu­er­kennen.
Diese Film-Frauen riefen nicht »Me Too!«, sondern den viel ergrei­fen­deren Ripley-Satz: »I’m a stranger here myself.«

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So erfolg­reich Alien war, so schwer war der Film fort­zu­setzen oder zu kopieren. Sieben Jahre dauerte es, bis sich James Cameron, damals auch noch nicht so bekannt wie heute, an eine Fort­set­zung wagte. Und noch einmal sechs Jahre später verdiente sich David Fincher, der bis dahin nur als begabter Musik­vi­deo­re­gis­seur galt, ebenfalls seine ersten Regie-Sporen mit dem dritten Teil der zum Franchise gewor­denen »Alien«-Reihe. Alien 3 ist der meta­phy­sischste Film der ganzen Reihe. Der Erfolg ließ aber nach und kam auch nicht mit dem fran­zö­si­schen Fantasy-Regisseur Jean Pierre Jeunet zurück. Obwohl dessen vierter Teil Alien – Die Wieder­ge­burt ein unglaub­lich poeti­scher, schöner und eben sehr fanta­sie­voller Film gewesen ist.
In diesem vierten Teil wird die Geschichte des Horror­we­sens auch zu einer Geschichte über die Essenz des Mensch­li­chen und seine Beziehung zu künst­li­cher, digital erzeugter Intel­li­genz. Denn das einzige mensch­liche Wesen, das hier an Empathie und Über­le­bens­fähig­keit Ripley auf Augenhöhe gleich­ge­stellt ist, ist die von Winona Rider gespielte Call, die sich am Ende des Films als eine Androidin entpuppt.

Es folgten zwei Prequels von Ridley Scott, die nicht schlecht sind, aber die Standards der vier ersten Filme auch nicht erfüllen. Der neueste »Alien«-Film, der jetzt in die Kinos kommt, knüpft an die alte Geschichte ziemlich unmit­telbar an und erzählt in manchem sogar die direkte Handlung des ersten Teils parallel weiter.

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Was für eine dunkle, böse schmerz­haft-faszi­nie­rende Film-Reihe!

Man sollte dabei daran erinnern, dass es sich um europäisch geprägte Horror­filme handelt: Ridley Scott ist Brite, Jean-Pierre Jeunet ist Franzose, auch H R Giger, der für das Design des schlei­migen Monsters verant­wort­lich ist, ist ein Schweizer.

Die Alien-Filme werden ober­fläch­lich oft als ein frag­men­tiertes Franchise wahr­ge­nommen, in dem jeder Film nur lose mit den anderen zusam­men­hängt. Sie sind nicht linear aufein­ander aufgebaut, sondern eine komplexe Sammlung von Genre­filmen, die von Horror über Krieg bis hin zur Farce reichen. Bei näherer Betrach­tung aber gibt es eindeu­tige Bezüge und »rote Fäden«, die diese Filme zusam­men­halten.
Die Alien-Reihe ist eine Variation über die Idee des Bösen, über seine Ursprünge und seine Folgen. Das Böse wird hier verstanden als Ausbeu­tung, nicht zuletzt körper­liche. Jeder Film erweitert diese Idee und schreibt sie zeitgemäß fort.

Das tut auch der neue Film, der das Franchise um zweierlei erweitert: Um ein neues »Final Girl«, die Roman­ti­kerin Rain, ein jüngeres Alter Ego von Ellen Ripley, die hier fast etwas zu eindeutig in die Fußstapfen der Vorgän­gerin tritt. Und in der Aufmerk­sam­keit für androide Roboter und deren künst­liche Intel­li­genz. Sie kann die Menschen schützen, deren perfekte Kopie sie ist. Aber es bleibt eine immer präsente Ambi­va­lenz: Je besser die Kopie, um so weniger mensch­lich erscheinen diese Hybrid-Wesen. Die Androiden und die KI sind jetzt das, was immer schon das schwarze diffuse Alien-Monster für uns Menschen war: »unsere eigene Frage als Gestalt.«