15.08.2024

Die Besessenen

Les maîtres fous
In Trance: Die rituellen Praktiken der Haoukas im Niger
(Foto: Unifrance)

Dolly, Bernd und Helmut zeigen im Münchner Werkstattkino, wie sich Obsession, Passion und Possession ins Kinomachen übersetzt

Von artechock-Redaktion

Höchste Hitze­war­nung: Das legendäre Münchner Werk­statt­kino heizt seit vielen Jahren der Stadt Ende August durch ein verwegen-verschla­genes Programm zusätz­lich ein. Dafür forschen sie in ihrem umfas­senden Archiv und ihrer Kenntnis der Film­ge­schichte nach brauch­barem Material, zurren es zu einem thema­ti­schen Päckchen zusammen und über­ra­schen damit jedes Jahr aufs Neue die Münchner Cineasten unter dem Label »Dolly & Bernd zeigen«.

Dolly & Bernd: Das sind Doris Kuhn und Bernd Brehmer, vom Werk­statt­kino-Kollektiv. Dieses Mal haben sie sich noch einen Dritten in den Bund geholt, der auf den ersten Blick gar nicht in die »Verwe­gen­heits«-Linie ihrer Sommer­pro­gramme passen mag: Der altehr­wür­dige Film­kri­tiker und Film­his­to­riker Helmut Färber, legendär wegen seiner Film­se­mi­nare, bei denen Kader für Kader unter­sucht wurde, wie ein Film eigent­lich seinen Lauf nimmt. Er hat diesmal das Thema beigesteuert und eine Reihe mit Filmen zusam­men­ge­stellt, die einen Schlenker aus dem bewährten Label nimmt und jetzt etwas eigen­bröd­le­risch heißt: »Helmut Färber zeigt«. Sein vorge­schla­genes Thema: Beses­sen­heit.

Besessen sind die drei allemal. Auch Helmut Färber natürlich, wenn auch viel­leicht mit mehr Andacht und ehrfürch­tiger Demut vor der Art Kino, wie er sie in vier Beispielen vorstellt. Bei der Programm­pla­nung soll er gesagt haben: »Warum einer narrisch wird, weiß man ja nicht. Ob das aus seinem Innern kommt, oder ob es ihn von außen packt.« Konse­quen­ter­weise steht Jean Rouchs bahn­bre­chender Les maîtres fous von 1955 auf dem Programm, in dem er versuchte, mit den Methoden des ethno­lo­gi­schen Films den Bereich des Imaginären zu erlangen, also doku­men­ta­ri­sche Boden­haf­tung zu verlieren. Der Film gilt als Wegbe­reiter des Cinéma vérité und ist ein Wende­punkt in Rouchs Leben, weg von den ethno­lo­gi­schen Field Studies, hin zum Filme­ma­cher.

Seine für die damalige Zeit unge­wöhn­lich leichte Kamera ist ebenso entfes­selt wie das gefilmte Ritual der Haouka, in das Rouch komplett eintaucht. Passend dazu hat Färber The Divine Horsemen der ameri­ka­ni­schen Avant­gar­disten Maya Deren und Teji Ito ausge­wählt, die zwischen 1947 und 1951 in Haiti Voodoo-Rituale filmten.

Der am meisten besessene Filme­ma­cher aller Zeiten ist sicher­lich Werner Herzog, der in Klaus Kinski seinen Meister gefunden hat (oder umgekehrt?). Der ameri­ka­ni­sche Doku­men­tar­filmer Les Blank hat über diese beiden Wahn­sin­nigen (im nicht-patho­lo­gi­schen Sinne) einen Film gedreht: Burden of Dreams, ein Making-of über Fitz­car­raldo von 1982, mit dem Herzog und Kinski im Dschungel von Peru die Schwer­kraft aushe­belten.

Dolly und Bernd wiederum zeigen den vers­tö­renden Requiem (2006) des aus Altötting stam­menden – und damit per Herkunft beses­senen – Hans-Christian Schmid. Sandra Hüller ist hier in ihrer ersten Filmrolle zu sehen, im reli­giösen Wahn, in epilep­ti­schen Anfällen, eine unglaub­liche Perfor­mance, die sie so früh schon als Ausnah­me­schau­spie­lerin erkennen lässt.

Natürlich darf im Beses­sen­heits­pro­gramm Posses­sion (1981) des polni­schen Regis­seurs Andrzej Żuławski nicht fehlen, der, so könnte man den Film spröde zusam­men­fassen, von einer Ehekrise im geteilten Berlin handelt – in Gestalt eines Horror­mo­vies. »Manchmal glaubt man das Fieber der Erregung zu spüren, den Geschmack der Erschöp­fung«, schreibt der Film­kri­tiker Hans Schif­ferle, wenn Isabel Adjani mit einem Tentakel-Monster lust­erfüllt Sex hat. »Kino der Exal­ta­tion«, hat Schif­ferle dies genannt.

»Beginnt die Beses­sen­heit in einer Person selbst, sind es ein Hobby, eine Idee, eine Struktur, die an Kraft gewinnen, sich verselb­stän­digen, letztlich die Person über­nehmen? Oder ist es ein externes Ereignis, so erschüt­ternd, dass man Herz oder Verstand danach nicht mehr unter Kontrolle kriegt?«, fragen Dolly und Bernd auf ihrem Werk­statt­kino-Hand­zettel. Und räson­nieren weiter: »In der Fiktion wie in der Doku­men­ta­tion bleibt jede Beses­sen­heit dubios, ein visi­onäres Flackern, das nur selten in die Selbst­be­stim­mung zurück­ge­führt werden kann. Genau das macht ihre Beob­ach­tung so exquisit bizarr.«

Wir freuen uns auf die Filme.

Dolly & Bernd zeigen
BESESSENHEIT

15.- 28.8., 20:00 / 22:15, Werk­statt­kino

Helmut Färber zeigt
BESESSENHEIT

Fr 23.8. und Sa 24.8., 20:00, Werk­statt­kino