Die Besessenen |
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In Trance: Die rituellen Praktiken der Haoukas im Niger | ||
(Foto: Unifrance) |
Höchste Hitzewarnung: Das legendäre Münchner Werkstattkino heizt seit vielen Jahren der Stadt Ende August durch ein verwegen-verschlagenes Programm zusätzlich ein. Dafür forschen sie in ihrem umfassenden Archiv und ihrer Kenntnis der Filmgeschichte nach brauchbarem Material, zurren es zu einem thematischen Päckchen zusammen und überraschen damit jedes Jahr aufs Neue die Münchner Cineasten unter dem Label »Dolly & Bernd zeigen«.
Dolly & Bernd: Das sind Doris Kuhn und Bernd Brehmer, vom Werkstattkino-Kollektiv. Dieses Mal haben sie sich noch einen Dritten in den Bund geholt, der auf den ersten Blick gar nicht in die »Verwegenheits«-Linie ihrer Sommerprogramme passen mag: Der altehrwürdige Filmkritiker und Filmhistoriker Helmut Färber, legendär wegen seiner Filmseminare, bei denen Kader für Kader untersucht wurde, wie ein Film eigentlich seinen Lauf nimmt. Er hat diesmal das Thema beigesteuert und eine Reihe mit Filmen zusammengestellt, die einen Schlenker aus dem bewährten Label nimmt und jetzt etwas eigenbrödlerisch heißt: »Helmut Färber zeigt«. Sein vorgeschlagenes Thema: Besessenheit.
Besessen sind die drei allemal. Auch Helmut Färber natürlich, wenn auch vielleicht mit mehr Andacht und ehrfürchtiger Demut vor der Art Kino, wie er sie in vier Beispielen vorstellt. Bei der Programmplanung soll er gesagt haben: »Warum einer narrisch wird, weiß man ja nicht. Ob das aus seinem Innern kommt, oder ob es ihn von außen packt.« Konsequenterweise steht Jean Rouchs bahnbrechender Les maîtres fous von 1955 auf dem Programm, in dem er versuchte, mit den Methoden des ethnologischen Films den Bereich des Imaginären zu erlangen, also dokumentarische Bodenhaftung zu verlieren. Der Film gilt als Wegbereiter des Cinéma vérité und ist ein Wendepunkt in Rouchs Leben, weg von den ethnologischen Field Studies, hin zum Filmemacher.
Seine für die damalige Zeit ungewöhnlich leichte Kamera ist ebenso entfesselt wie das gefilmte Ritual der Haouka, in das Rouch komplett eintaucht. Passend dazu hat Färber The Divine Horsemen der amerikanischen Avantgardisten Maya Deren und Teji Ito ausgewählt, die zwischen 1947 und 1951 in Haiti Voodoo-Rituale filmten.
Der am meisten besessene Filmemacher aller Zeiten ist sicherlich Werner Herzog, der in Klaus Kinski seinen Meister gefunden hat (oder umgekehrt?). Der amerikanische Dokumentarfilmer Les Blank hat über diese beiden Wahnsinnigen (im nicht-pathologischen Sinne) einen Film gedreht: Burden of Dreams, ein Making-of über Fitzcarraldo von 1982, mit dem Herzog und Kinski im Dschungel von Peru die Schwerkraft aushebelten.
Dolly und Bernd wiederum zeigen den verstörenden Requiem (2006) des aus Altötting stammenden – und damit per Herkunft besessenen – Hans-Christian Schmid. Sandra Hüller ist hier in ihrer ersten Filmrolle zu sehen, im religiösen Wahn, in epileptischen Anfällen, eine unglaubliche Performance, die sie so früh schon als Ausnahmeschauspielerin erkennen lässt.
Natürlich darf im Besessenheitsprogramm Possession (1981) des polnischen Regisseurs Andrzej Żuławski nicht fehlen, der, so könnte man den Film spröde zusammenfassen, von einer Ehekrise im geteilten Berlin handelt – in Gestalt eines Horrormovies. »Manchmal glaubt man das Fieber der Erregung zu spüren, den Geschmack der Erschöpfung«, schreibt der Filmkritiker Hans Schifferle, wenn Isabel Adjani mit einem Tentakel-Monster lusterfüllt Sex hat. »Kino der Exaltation«, hat Schifferle dies genannt.
»Beginnt die Besessenheit in einer Person selbst, sind es ein Hobby, eine Idee, eine Struktur, die an Kraft gewinnen, sich verselbständigen, letztlich die Person übernehmen? Oder ist es ein externes Ereignis, so erschütternd, dass man Herz oder Verstand danach nicht mehr unter Kontrolle kriegt?«, fragen Dolly und Bernd auf ihrem Werkstattkino-Handzettel. Und räsonnieren weiter: »In der Fiktion wie in der Dokumentation bleibt jede Besessenheit dubios, ein visionäres Flackern, das nur selten in die Selbstbestimmung zurückgeführt werden kann. Genau das macht ihre Beobachtung so exquisit bizarr.«
Wir freuen uns auf die Filme.
Dolly & Bernd zeigen
BESESSENHEIT
15.- 28.8., 20:00 / 22:15, Werkstattkino
Helmut Färber zeigt
BESESSENHEIT
Fr 23.8. und Sa 24.8., 20:00, Werkstattkino