19.08.2024

Trauer der Vollendung

Alain Delon 1971
Delon beim Schreiben von Autogrammen in Israel (1971)
(Foto: Israel Press and Photo Agency · Dan Hadani collection, Israelische Nationalbibliothek · CC BY 4.0)

Engel sterben nur zum Schein: Das heilige Monster des Kinos – der unverwechselbare Alain Delon ist tot

Von Rüdiger Suchsland

»C'est étrange, je ne sais pas ce qui m'arrive ce soir
Je te regarde comme pour la première fois
Je ne sais plus comme te dire
Tu es d’hier et de demain
De toujours ma seule vérité«

– Alain Delon in: Parole, parole

Zu seinem 60. Geburtstag zeigte das ZDF im November 1995 sieben Spiel­filme mit Alain Delon – das war noch öffent­lich-recht­li­ches Fernsehen, wie es sich gehört. Schon zehn Jahre später war das alles unvor­stellbar, und darum ist es nicht erst sein Tod, der uns daran erinnert, was das Kino in den letzten Jahr­zehnten verloren hat.

1995 wurde er auch mit einer Hommage auf der Berlinale geehrt, einer kleinen Filmschau ohne Zwang zur Volls­tän­dig­keit, wie sie damals unter dem legen­dären Direktor Moritz de Hadeln, neben der großen histo­ri­schen Retro­spek­tive, die Regel war bei diesem Festival. Nur die taz eiferte jeden Tag etwas humorlos gegen den »nichts­nut­zigen«, »vom Leben unbe­leckten Alain Delon«, den »bles­sierten Mann«.

Tatsäch­lich war Alain Delon einer jener explizit europäi­schen Kino-Stars, die das Medium viele Jahr­zehnte lang hervor­ge­bracht hat. Einer der Stars aus jenen Zeiten, als das Kino noch Kino war: Cinema, glamourös und geheim­nis­voll, auratisch und »bigger than life« – keine Erzie­hungs­an­stalt, kein elitäres Kunst­ka­bi­nett und kein Abspiel­raum für Fern­seh­film­chen. Als das Kino noch Mythos war und Utopie.

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Seine Schönheit fällt einem als erstes ein, wenn man an Delon denkt. Ihr hat er alles zu verdanken, seinen Ruhm und sein Verhängnis, den Erfolg und das Unglück. »Ich habe zehn Jahre lang gekämpft, um den Leuten klar­zu­ma­chen, dass ich nicht nur der nette Junge mit dem hübschen Gesicht bin«, sagte er mal in den 1960er-Jahren im Rückblick. Später dann, als Delon im Alter von Depres­sionen und Lebens­mü­dig­keit heim­ge­sucht wurde, war die Tonlage anders: Erfolg oder Glück – man könne nicht beides haben.

Eher zufällig war er Schau­spieler geworden. Sein Aussehen war schuld, und entspre­chend hießen die Filme erstmal Sei schön und halt den Mund! (1958) oder so ähnlich. Immerhin wurde dann René Clément auf ihn aufmerksam und gab ihm die Haupt­rolle in der Highsmith-Verfil­mung Nur die Sonne war Zeuge (1960), die zu seinem inter­na­tio­nalen Durch­bruch wurde. Das war schon eine fran­zö­sisch-italie­ni­sche Copro­duk­tion.

Seine mit Abstand besten Filme hat der Franzose Alain Delon dann in Italien gedreht. Hier war man eher geneigt, ihn auch als ernst­haften Schau­spieler zu sehen. 1960 gab ihm Luchino Visconti die Haupt­rolle in Rocco und seine Brüder. Dann kam L’Eclisse von Michel­an­gelo Antonioni (1962), in dem Delon an der Seite von Monica Vitti bereits verlo­rener wirkt denn je. Ein radikaler Film, an dem sich das Kino bis heute abar­beitet. Spielt Delon in L’Eclisse noch einen ober­fläch­li­chen Mate­ria­listen, der unglück­lich ist, ohne zu wissen, warum, so erreicht er ein Jahr später, 1963 in Viscontis Il gatto­pardo, eine andere Form der Voll­endung: Der pracht­voll-melan­cho­li­sche Abgesang auf den Untergang des alten Europa. Visconti war es auch, der als erster in diesem Film Delons Sensi­bi­lität und Schwäche offen­legte und fruchtbar machte: Der jugend­liche Tancredi steht für die Zukunft, doch seine Skru­pel­lo­sig­keit ist bereits durch Gefühle und Oppor­tu­nismus gebrochen – wo bei Burt Lancaster die Figur des Fürsten Salina durch die Liebe (zum Leben) noch stärker (und damit skru­pel­loser) wird, wird Tancredi durch die Liebe zum Fürsten und zu seiner Frau (Claudia Cardinale) geschwächt.

Mag sein ästhe­ti­scher Ersatz­vater Luchino Visconti auch Wagne­rianer gewesen sein – Delon war das Gegenteil eines Wagne­ria­ners: Ein Neorea­list und im Gegensatz zu seinem guten Freund (und Konkur­renten) Jean-Paul Belmondo auch nie ein Nouvelle-Vague-Darsteller. Godard und Truffaut wussten offenbar nicht viel anzu­fangen mit diesem Prole­ta­rier, der so gar nicht ihrem Bild vom »Volk« entsprach, mit den gegelten Haaren, den geschnie­gelten Anzügen, dem sphinx­haften Gesicht, aus dem man nie schlau wurde und das einem Schurken genauso gehören konnte wie einem zärt­li­chen Liebhaber.

Um so witziger war dann der Einfall Godards, Delon doch noch zu besetzen, 1990, ausge­rechnet in Nouvelle Vague. Da spielt Delon einen Untoten: Den Wieder­gänger, bezie­hungs­weise den bis dahin unbe­kannten Zwil­lings­bruder des gestor­benen Lieb­ha­bers einer italie­ni­schen Gräfin. Ausge­rechnet Delon rezitiert dann philo­so­phi­sche Betrach­tungen aus der Welt­li­te­ratur, Bibel­stellen und anderes über Liebe und Vergäng­lich­keit.

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Die Rollen, die sein öffent­li­ches Image zemen­tiert haben, waren trotzdem andere: Zum besten Regisseur für Delon wurde Jean Pierre Melville, dessen Kino bei aller Radi­ka­lität und ästhe­ti­schen Inno­va­tion letztlich im Kosmos der 30er, 40er und 50er Jahre und in japa­ni­schen Einflüssen wurzelt. Ihre erste Zusam­men­ar­beit Le Samouraï von 1967 wurde der für Delon ikonischste Film. Seitdem schien er mit dem »eiskalten Engel« verschmolzen. Der von Delon gespielte Jeff Costello ist ein »Ronin«, ein von Gott und allen guten Geistern verlas­sener Held. Von Anfang an verloren durch das nacht­schwarze Paris gejagt, schreitet Delons Figur ihrem Ende entgegen – dem er ohne jede Gefühls­re­gung, aber mit unbeug­samer innerer Würde ins Auge blickt. Es kommt, nachdem er sich in die Frau verliebt hat, die er eigent­lich umbringen sollte. Gefühle bringen den Tod, und das ist auch gut so, zuvor aber steht Delons Figur für einen myste­riösen Einzel­gänger, der Schönheit und Amoral vereint.

Zu den zwei weiteren ausge­zeich­neten Melville-Arbeiten Le cercle rouge und Un flic kamen mehrere Filme mit Henri Verneuil und immer wieder auch Jacques Deray, der sein Stamm­re­gis­seur wurde. Immer wieder spielt Delon hier Varia­tionen seiner Figur aus Le Samouraï: Ein cooler blendend ausse­hender Mann mit Hut und Knarre, mal auf der Seite des Guten, mal ein Gangster – jeden­falls ein Solitär. Delon verkör­perte das Flair und den Stil des europäi­schen Thrillers und wurde zu einem der bekann­testen Filmstars des Konti­nents.

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»Sie müssen ganz und gar Tier sein«, hatte Joseph Losey zu ihm gesagt, bei dem Delon Monsieur Klein spielte: »Sie müssen eine Art enorme Raubkatze aus dem Dschungel sein, auf dem Sprung, um zu töten.« Und der Tier­ver­gleich kommt öfters vor: In einem Porträt hat es einmal geheißen: »Außer bei Tieren habe ich niemanden gesehen, der mit seinem Körper so voll­kommen in die Welt inte­griert ist. Seine Bewe­gungen sind immer harmo­nisch. Das ist nicht Talent, sondern seine Natur.«

Für Rocco und seine Brüder lieferte er sich im Mailänder Sport­pa­last bei einer offi­zi­ellen Boxver­an­stal­tung vor 4000 Zuschauern, die keine Ahnung hatten, dass sie auch einer Filmszene beiwohnten, mit dem italie­ni­schen Boxer Renato Salvatori einen Schau­kampf.

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Caramels, bonbons et chocolats – über die Frauen in Delons Leben könnte man jetzt reden: »Dieser Alain Delon – ich weiß nicht, Kind«, soll Magda Schnei­ders Kommentar gewesen sein, als sich ihre Tochter Romy mit Delon verlobte. Der ließ kurz danach die Klatsch­presse wissen: »Ich werde es mit allen Kräften versuchen treu zu sein – obgleich ein Ehemann seine Frau betrügen kann, ohne sie zu verraten, wenn er die andere nicht liebt.«

Alain Delon widerlegt auch die sowieso viel zu einfache Behaup­tung, dass nur Frauen ein Opfer von Schön­heits­vor­stel­lungen und Sexismus seien. Delon hat auch keine Rollen mehr bekommen, die seinem Können entspra­chen, nachdem er 1975 über 40 und äußerlich nicht mehr ganz taufrisch war. Dann gab es noch zehn Jahre lang die Zeit der »Alain-Delon-Filme«, die Titel trugen wie Killer stellen sich nicht vor – von Jacques Deray und übrigens gar nicht schlecht – oder Rette Deine Haut Killer, vom gleichen Autor, bei dem Delon selber Regie führte. Solche Filme funk­tio­nierten damals noch, weil die Leute ins Kino gingen, um Delon zu sehen, ziemlich egal, was er auf der Leinwand machte.

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Eiskalt war er nie; ein Engel immer. Wenn auch viel­leicht ein gefal­lener. Im Alter wurde er immer trauriger, verletz­li­cher, nach der Voll­endung auf der Leinwand, das war ihm nur zu bewusst, kam nichts mehr.
Alain Delon war ein ganz Großer, weil er unver­wech­selbar war. Nicht austauschbar, einmalig. Ein heiliges Monster – wie das Kino selbst.

»Mais c'est fini le temps des rêves
Les souvenirs se fanent aussi
Quand on les oublie«

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Zum Tod von Alain Delon gibt es immerhin auf ARTE eine Program­män­de­rung und eine Hommage. Neben zwei Spiel­filmen gibt es in der Mediathek mehrere Doku­men­ta­tionen und ein öffent­li­ches Gespräch zu sehen, das Olivier Père 2012 beim Film­fes­tival von Locarno führte.
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