Trauer der Vollendung |
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Delon beim Schreiben von Autogrammen in Israel (1971) | ||
(Foto: Israel Press and Photo Agency · Dan Hadani collection, Israelische Nationalbibliothek · CC BY 4.0) |
»C'est étrange, je ne sais pas ce qui m'arrive ce soir
Je te regarde comme pour la première fois
Je ne sais plus comme te dire
Tu es d’hier et de demain
De toujours ma seule vérité«
– Alain Delon in: Parole, parole
Zu seinem 60. Geburtstag zeigte das ZDF im November 1995 sieben Spielfilme mit Alain Delon – das war noch öffentlich-rechtliches Fernsehen, wie es sich gehört. Schon zehn Jahre später war das alles unvorstellbar, und darum ist es nicht erst sein Tod, der uns daran erinnert, was das Kino in den letzten Jahrzehnten verloren hat.
1995 wurde er auch mit einer Hommage auf der Berlinale geehrt, einer kleinen Filmschau ohne Zwang zur Vollständigkeit, wie sie damals unter dem legendären Direktor Moritz de Hadeln, neben der großen historischen Retrospektive, die Regel war bei diesem Festival. Nur die taz eiferte jeden Tag etwas humorlos gegen den »nichtsnutzigen«, »vom Leben unbeleckten Alain Delon«, den »blessierten Mann«.
Tatsächlich war Alain Delon einer jener explizit europäischen Kino-Stars, die das Medium viele Jahrzehnte lang hervorgebracht hat. Einer der Stars aus jenen Zeiten, als das Kino noch Kino war: Cinema, glamourös und geheimnisvoll, auratisch und »bigger than life« – keine Erziehungsanstalt, kein elitäres Kunstkabinett und kein Abspielraum für Fernsehfilmchen. Als das Kino noch Mythos war und Utopie.
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Seine Schönheit fällt einem als erstes ein, wenn man an Delon denkt. Ihr hat er alles zu verdanken, seinen Ruhm und sein Verhängnis, den Erfolg und das Unglück. »Ich habe zehn Jahre lang gekämpft, um den Leuten klarzumachen, dass ich nicht nur der nette Junge mit dem hübschen Gesicht bin«, sagte er mal in den 1960er-Jahren im Rückblick. Später dann, als Delon im Alter von Depressionen und Lebensmüdigkeit heimgesucht wurde, war die Tonlage anders: Erfolg oder Glück – man könne nicht beides haben.
Eher zufällig war er Schauspieler geworden. Sein Aussehen war schuld, und entsprechend hießen die Filme erstmal Sei schön und halt den Mund! (1958) oder so ähnlich. Immerhin wurde dann René Clément auf ihn aufmerksam und gab ihm die Hauptrolle in der Highsmith-Verfilmung Nur die Sonne war Zeuge (1960), die zu seinem internationalen Durchbruch wurde. Das war schon eine französisch-italienische Coproduktion.
Seine mit Abstand besten Filme hat der Franzose Alain Delon dann in Italien gedreht. Hier war man eher geneigt, ihn auch als ernsthaften Schauspieler zu sehen. 1960 gab ihm Luchino Visconti die Hauptrolle in Rocco und seine Brüder. Dann kam L’Eclisse von Michelangelo Antonioni (1962), in dem Delon an der Seite von Monica Vitti bereits verlorener wirkt denn je. Ein radikaler Film, an dem sich das Kino bis heute abarbeitet. Spielt Delon in L’Eclisse noch einen oberflächlichen Materialisten, der unglücklich ist, ohne zu wissen, warum, so erreicht er ein Jahr später, 1963 in Viscontis Il gattopardo, eine andere Form der Vollendung: Der prachtvoll-melancholische Abgesang auf den Untergang des alten Europa. Visconti war es auch, der als erster in diesem Film Delons Sensibilität und Schwäche offenlegte und fruchtbar machte: Der jugendliche Tancredi steht für die Zukunft, doch seine Skrupellosigkeit ist bereits durch Gefühle und Opportunismus gebrochen – wo bei Burt Lancaster die Figur des Fürsten Salina durch die Liebe (zum Leben) noch stärker (und damit skrupelloser) wird, wird Tancredi durch die Liebe zum Fürsten und zu seiner Frau (Claudia Cardinale) geschwächt.
Mag sein ästhetischer Ersatzvater Luchino Visconti auch Wagnerianer gewesen sein – Delon war das Gegenteil eines Wagnerianers: Ein Neorealist und im Gegensatz zu seinem guten Freund (und Konkurrenten) Jean-Paul Belmondo auch nie ein Nouvelle-Vague-Darsteller. Godard und Truffaut wussten offenbar nicht viel anzufangen mit diesem Proletarier, der so gar nicht ihrem Bild vom »Volk« entsprach, mit den gegelten Haaren, den geschniegelten Anzügen, dem sphinxhaften Gesicht, aus dem man nie schlau wurde und das einem Schurken genauso gehören konnte wie einem zärtlichen Liebhaber.
Um so witziger war dann der Einfall Godards, Delon doch noch zu besetzen, 1990, ausgerechnet in Nouvelle Vague. Da spielt Delon einen Untoten: Den Wiedergänger, beziehungsweise den bis dahin unbekannten Zwillingsbruder des gestorbenen Liebhabers einer italienischen Gräfin. Ausgerechnet Delon rezitiert dann philosophische Betrachtungen aus der Weltliteratur, Bibelstellen und anderes über Liebe und Vergänglichkeit.
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Die Rollen, die sein öffentliches Image zementiert haben, waren trotzdem andere: Zum besten Regisseur für Delon wurde Jean Pierre Melville, dessen Kino bei aller Radikalität und ästhetischen Innovation letztlich im Kosmos der 30er, 40er und 50er Jahre und in japanischen Einflüssen wurzelt. Ihre erste Zusammenarbeit Le Samouraï von 1967 wurde der für Delon ikonischste Film. Seitdem schien er mit dem »eiskalten Engel« verschmolzen. Der von Delon gespielte Jeff Costello ist ein »Ronin«, ein von Gott und allen guten Geistern verlassener Held. Von Anfang an verloren durch das nachtschwarze Paris gejagt, schreitet Delons Figur ihrem Ende entgegen – dem er ohne jede Gefühlsregung, aber mit unbeugsamer innerer Würde ins Auge blickt. Es kommt, nachdem er sich in die Frau verliebt hat, die er eigentlich umbringen sollte. Gefühle bringen den Tod, und das ist auch gut so, zuvor aber steht Delons Figur für einen mysteriösen Einzelgänger, der Schönheit und Amoral vereint.
Zu den zwei weiteren ausgezeichneten Melville-Arbeiten Le cercle rouge und Un flic kamen mehrere Filme mit Henri Verneuil und immer wieder auch Jacques Deray, der sein Stammregisseur wurde. Immer wieder spielt Delon hier Variationen seiner Figur aus Le Samouraï: Ein cooler blendend aussehender Mann mit Hut und Knarre, mal auf der Seite des Guten, mal ein Gangster – jedenfalls ein Solitär. Delon verkörperte das Flair und den Stil des europäischen Thrillers und wurde zu einem der bekanntesten Filmstars des Kontinents.
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»Sie müssen ganz und gar Tier sein«, hatte Joseph Losey zu ihm gesagt, bei dem Delon Monsieur Klein spielte: »Sie müssen eine Art enorme Raubkatze aus dem Dschungel sein, auf dem Sprung, um zu töten.« Und der Tiervergleich kommt öfters vor: In einem Porträt hat es einmal geheißen: »Außer bei Tieren habe ich niemanden gesehen, der mit seinem Körper so vollkommen in die Welt integriert ist. Seine Bewegungen sind immer harmonisch. Das ist nicht Talent, sondern seine Natur.«
Für Rocco und seine Brüder lieferte er sich im Mailänder Sportpalast bei einer offiziellen Boxveranstaltung vor 4000 Zuschauern, die keine Ahnung hatten, dass sie auch einer Filmszene beiwohnten, mit dem italienischen Boxer Renato Salvatori einen Schaukampf.
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Caramels, bonbons et chocolats – über die Frauen in Delons Leben könnte man jetzt reden: »Dieser Alain Delon – ich weiß nicht, Kind«, soll Magda Schneiders Kommentar gewesen sein, als sich ihre Tochter Romy mit Delon verlobte. Der ließ kurz danach die Klatschpresse wissen: »Ich werde es mit allen Kräften versuchen treu zu sein – obgleich ein Ehemann seine Frau betrügen kann, ohne sie zu verraten, wenn er die andere nicht liebt.«
Alain Delon widerlegt auch die sowieso viel zu einfache Behauptung, dass nur Frauen ein Opfer von Schönheitsvorstellungen und Sexismus seien. Delon hat auch keine Rollen mehr bekommen, die seinem Können entsprachen, nachdem er 1975 über 40 und äußerlich nicht mehr ganz taufrisch war. Dann gab es noch zehn Jahre lang die Zeit der »Alain-Delon-Filme«, die Titel trugen wie Killer stellen sich nicht vor – von Jacques Deray und übrigens gar nicht schlecht – oder Rette Deine Haut Killer, vom gleichen Autor, bei dem Delon selber Regie führte. Solche Filme funktionierten damals noch, weil die Leute ins Kino gingen, um Delon zu sehen, ziemlich egal, was er auf der Leinwand machte.
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Eiskalt war er nie; ein Engel immer. Wenn auch vielleicht ein gefallener. Im Alter wurde er immer trauriger, verletzlicher, nach der Vollendung auf der Leinwand, das war ihm nur zu bewusst, kam nichts mehr.
Alain Delon war ein ganz Großer, weil er unverwechselbar war. Nicht austauschbar, einmalig. Ein heiliges Monster – wie das Kino selbst.
»Mais c'est fini le temps des rêves
Les souvenirs se fanent aussi
Quand on les oublie«
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Zum Tod von Alain Delon gibt es immerhin auf ARTE eine Programmänderung und eine Hommage. Neben zwei Spielfilmen gibt es in der Mediathek mehrere Dokumentationen und ein öffentliches Gespräch zu sehen, das Olivier Père 2012 beim Filmfestival von Locarno führte.
Weitere Informationen auf arte.tv