05.09.2024

Nach Fassbinder: War da was?

Edition text + kritik
»Nach Fassbinder: Das bundesrepublikanische Kino der 1980er Jahre. Eine Revision«
(Foto: edition text + kritik)

Das Theatiner-Kino in München geht in drei Filmen der Ära nach RW Fassbinder nach. Anlass ist eine Publikation zum bundesrepublikanischen Kino der 1980er Jahre, erschienen bei »edition text + kritik«

Von Dunja Bialas

»Die Revision ist die letzte Chance, ein fehler­haftes Urteil korri­gieren zu lassen.« – Deutsche Rechts­spre­chung

RW Fass­binder, der Chronist des bundes­re­pu­bli­ka­ni­schen Lebens­ge­fühls, ist viel zu früh, schon Anfang der Acht­zi­ger­jahre, verstorben. Das war 1982, knappe vier Monate, bevor Helmut Kohl als frisch gewählter Bundes­kanzler die »geistig-mora­li­sche Wende« einläu­tete. Friedrich Zimmer­mann, als Innen­mi­nister damals auch für den Kultur­be­reich zuständig, folgte mit der kultur­po­li­ti­schen Wende, verbot Herbert Achtern­buschs Gespenst (1982) und rief die Parole aus: »Kommerz statt Kunst.«

Wie oft haben wir uns in den nach­fol­genden Jahr­zehnten gedacht, im Erleben des Mauer­falls, der soge­nannten Wieder­ver­ei­ni­gung, des Islam-Terro­rismus: Was für einen Film hätte Fass­binder dazu gemacht? Dafür gab es Wim Wenders, der in den Acht­zi­gern seine wich­tigsten und besten Filme drehte: Der Stand der Dinge (1982), Paris, Texas (1984), Der Himmel über Berlin (1987). Edgar Reitz begann seine Heimat-Trilogie 1984. Auch Volker Schlön­dorff mit seinen inter­na­tio­nalen Filmen ist erwäh­nens­wert.

Sie aber waren dem Geist des Neuen deutschen Kinos verpflichtet, solche »schwie­rigen« Filme, wie es in Förder­gre­mien allent­halben heißt, wollte die Regierung Kohl nicht. Eine andere Art von Kino kam auf. Produ­zenten wie Bernd Eichinger, die bislang das Kunstkino gefördert hatten, machten jetzt Filme fürs große Publikum. Die Produk­tion der Achtziger- und frühen Neun­zi­ger­jahre schenkte uns Namen wie Sönke Wortmann, Til Schweiger und Veronica Ferres. Viele der Filme werden heute als Kult abge­feiert, als »stählerne Werke« (Hofbauer-Kongress), weil sie das Lebens­ge­fühl mitsamt Sexismus und Schwach­maten-Blöde­leien der damaligen Zeit in Reinform atmen.

Die »edition text + kritik« hat nun einen Band heraus­ge­geben, der sich des bundes­re­pu­bli­ka­ni­schen Kinos der 1980er Jahre annimmt, dabei aber auf die oben genannten aner­kannten Namen, die man natürlich noch erweitern könnte, bewusst verzichtet. Vielmehr geht es ihnen um »Revision«, um die Neube­wer­tung und Korrektur von bereits gefassten Urteilen, die in negativer Weise über eine Vielzahl der 80er-Jahre-Filme ausge­schüttet wurden. In drei Film­bei­spielen zeichnet das Münchner Theatiner-Kino auf origi­nalen 35mm-Kopien nach, was die Autor:innen beob­achtet haben bzw. »revi­sio­niert« wissen wollen. Einge­führt werden die Filme von den Heraus­geber:innen selbst, von Jörn Glasenapp und Francesca Pistocchi, die beide an der Univer­sität Bamberg am Lehrstuhl Literatur und Medien unter­richten und forschen.

Entspre­chend dem Revi­si­ons­an­spruch sind die gewählten Beispiele nicht zwingend konsens­fähig, und teilweise sagen sie auch nur bedingt etwas über den bundes­re­pu­bli­ka­ni­schen Zustand der Zeit aus. Percy Adlons Out of Rosenheim von 1987 entwirft fernab der bundes­re­pu­bli­ka­ni­schen Verhält­nisse einen oasen­haften Sehn­suchts­raum in der Mojave-Wüste, in dem sich die frisch­ge­trennte Prot­ago­nistin Jasmin Münchg­stettner (Marianne Säge­brecht) mit viel Magie neu erfindet. Das ist Eska­pismus als Antidot gegen Bürger­lich­keit und Rolle­ner­star­rung, das nur in der schwär­me­ri­schen Verwand­lung der Wirk­lich­keit funk­tio­nieren mag. (Sa 07.09. 20:30)

Kontro­verser wurde Doris Dörries Männer von 1985 disku­tiert, der heute als Kultfilm über ein bestimmtes Männer­bild gelten darf. Es spielt mit: Heiner Lauter­bach, damals bekannt für seine Rollen in Schul­mäd­chen­re­port, außerdem CDU-Adjutant und unbe­irr­barer Kohl-Anhänger. Im Jahr 2000 spendete er (neben Uschi Glas, Dieter Thomas Heck und anderen) 10.000 DM an Helmut Kohl, als diesem wegen der Schwarz­geld­af­färe empfind­liche Straf­zah­lungen auferlegt worden waren. Der an seiner Seite spielende Uwe Ochsen­knecht ist das Aushän­ge­schild des deutschen Produ­zen­ten­kinos. Er spielte in Wolfgang Petersens Das Boot und im sati­ri­schen Schtonk! über die gefälschten Hitler-Tage­bücher. Mit Model-Ehe, Kokain-Konsum und Sänger­kar­riere gehört Ochsen­knecht heute zu den schil­lerndsten Gestalten der BRD-Film­land­schaft, hat aber auch, als Grün­dungs­mit­glied der Deutschen Film­aka­demie, das deutsche Kino mitge­staltet.

Beide Schau­spieler sind einem lebhaft in Erin­ne­rung geblieben, und Männer reiht sich als irgendwie sati­ri­scher, dann auch wieder affir­ma­tiver Gender­film etwas zwie­spältig in die bundes­re­pu­bli­ka­ni­sche Film­ge­schichte ein. Heraus­ge­berin Francesca Pistocchi kann dem Film ungleich viel mehr abge­winnen: »Durch die Wieder­ent­de­ckung der fanta­sie­vollen Situa­ti­ons­komik à la Lubitsch zeichnet Dörrie […] ein tref­fendes Porträt der zwischen­mensch­li­chen (oder zwischen­männ­li­chen) Bezie­hungen der Epoche, indem sie das Konzept der Männ­lich­keit (und demzu­folge auch der Weib­lich­keit) in Frage stellt.« (So 08.09. 20:00 | Doris Dörrie ist angefragt)

Nahezu unein­ge­schränkt darf Dominik Graf als würdiger Reprä­sen­tant des bundes­re­pu­bli­ka­ni­schen Kinos gefeiert werden. Aber selbst er hat in den Acht­zi­ger­jahren Unglaub­li­ches geschaffen: Drei gegen Drei (1985, Produzent: Bernd Eichinger) ist eine »stählerne« Klamotte mit der Neue-Deutsche-Welle-Band Trio, an die sich Graf sicher­lich nicht gerne erinnert, die aber auch viel aussagt über den Zustand des bundes­re­pu­bli­ka­ni­schen Kinos nach Fass­binder. (Bei den »Magic Moments« wurde der Film im Rahmen der Film­kunst­wo­chen München von den artechock-Autor:innen Anna Edelmann und Thomas Willmann zuletzt gewürdigt.) Umso mehr wird es Graf freuen, dass sich die »edition text + kritik« für Die Katze entschieden hat, der nur drei Jahre später erschien und als unbe­dingtes Grafsches Meis­ter­werk gilt. Graf zeigt in der Geschichte von zwei Klein­kri­mi­nellen seine Liebe zum Genre, zur Rubrik »Vermischtes« und zu Prot­ago­nisten, die er der sozialen Realität der BRD abringt. »Man kam raus [aus dem Film] in eine Bundes­re­pu­blik, die plötzlich zu sich gefunden hatte«, schreibt Film­kri­tiker Olaf Möller begeis­tert. Dem wollen wir keines­falls wider­spre­chen. (Mo 09.09. 20:30 | Zu Gast: Dominik Graf)

Ob also das bundes­re­pu­bli­ka­ni­sche Kino ebenso »bieder­mei­er­lich, harmlos und angepasst« (»edition text + kritik«) wie die bleiernen Jahre unter Kohl war, wie oftmals behauptet, wird sich in drei Tagen in Filmen und Gesprächen über­prüfen lassen. Die Heraus­geber haben ihren Stand­punkt jeden­falls bereits gefunden: Ob »das mono­li­thi­sche Pauschal­ur­teil über 'Kohls Kino'« richtiger werde, »nur weil es seit Jahr­zehnten unhin­ter­fragt geblieben ist«, fragen sie in einer Melange aus Vertei­di­gung, Klage und Anklage. Ob das Urteil aber tatsäch­lich revi­sio­niert werden kann, nur weil man dem vehement wider­spricht und einen teilweise unver­s­tänd­li­chen Acht­zi­ger­jahre-Hype bemüht? Aber es geht auch um Re-Vision, um das noch­ma­lige Sehen: Und so hat das Film­erlebnis am Ende das letzte Wort.

»Nach Fass­binder. Das bundes­re­pu­bli­ka­ni­sche Kino der 1980er Jahre – Eine Revision«
7.-9. September 2024, Theatiner Filmkunst
Zu Gast: Jörn Glasenapp und Francesca Pistocchi, »edition text+kritik«