Nach Fassbinder: War da was? |
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»Nach Fassbinder: Das bundesrepublikanische Kino der 1980er Jahre. Eine Revision« | ||
(Foto: edition text + kritik) |
Von Dunja Bialas
»Die Revision ist die letzte Chance, ein fehlerhaftes Urteil korrigieren zu lassen.« – Deutsche Rechtssprechung
RW Fassbinder, der Chronist des bundesrepublikanischen Lebensgefühls, ist viel zu früh, schon Anfang der Achtzigerjahre, verstorben. Das war 1982, knappe vier Monate, bevor Helmut Kohl als frisch gewählter Bundeskanzler die »geistig-moralische Wende« einläutete. Friedrich Zimmermann, als Innenminister damals auch für den Kulturbereich zuständig, folgte mit der kulturpolitischen Wende, verbot Herbert Achternbuschs Gespenst (1982) und rief die Parole aus: »Kommerz statt Kunst.«
Wie oft haben wir uns in den nachfolgenden Jahrzehnten gedacht, im Erleben des Mauerfalls, der sogenannten Wiedervereinigung, des Islam-Terrorismus: Was für einen Film hätte Fassbinder dazu gemacht? Dafür gab es Wim Wenders, der in den Achtzigern seine wichtigsten und besten Filme drehte: Der Stand der Dinge (1982), Paris, Texas (1984), Der Himmel über Berlin (1987). Edgar Reitz begann seine Heimat-Trilogie 1984. Auch Volker Schlöndorff mit seinen internationalen Filmen ist erwähnenswert.
Sie aber waren dem Geist des Neuen deutschen Kinos verpflichtet, solche »schwierigen« Filme, wie es in Fördergremien allenthalben heißt, wollte die Regierung Kohl nicht. Eine andere Art von Kino kam auf. Produzenten wie Bernd Eichinger, die bislang das Kunstkino gefördert hatten, machten jetzt Filme fürs große Publikum. Die Produktion der Achtziger- und frühen Neunzigerjahre schenkte uns Namen wie Sönke Wortmann, Til Schweiger und Veronica Ferres. Viele der Filme werden heute als Kult abgefeiert, als »stählerne Werke« (Hofbauer-Kongress), weil sie das Lebensgefühl mitsamt Sexismus und Schwachmaten-Blödeleien der damaligen Zeit in Reinform atmen.
Die »edition text + kritik« hat nun einen Band herausgegeben, der sich des bundesrepublikanischen Kinos der 1980er Jahre annimmt, dabei aber auf die oben genannten anerkannten Namen, die man natürlich noch erweitern könnte, bewusst verzichtet. Vielmehr geht es ihnen um »Revision«, um die Neubewertung und Korrektur von bereits gefassten Urteilen, die in negativer Weise über eine Vielzahl der 80er-Jahre-Filme ausgeschüttet wurden. In drei Filmbeispielen zeichnet das Münchner Theatiner-Kino auf originalen 35mm-Kopien nach, was die Autor:innen beobachtet haben bzw. »revisioniert« wissen wollen. Eingeführt werden die Filme von den Herausgeber:innen selbst, von Jörn Glasenapp und Francesca Pistocchi, die beide an der Universität Bamberg am Lehrstuhl Literatur und Medien unterrichten und forschen.
Entsprechend dem Revisionsanspruch sind die gewählten Beispiele nicht zwingend konsensfähig, und teilweise sagen sie auch nur bedingt etwas über den bundesrepublikanischen Zustand der Zeit aus. Percy Adlons Out of Rosenheim von 1987 entwirft fernab der bundesrepublikanischen Verhältnisse einen oasenhaften Sehnsuchtsraum in der Mojave-Wüste, in dem sich die frischgetrennte Protagonistin Jasmin Münchgstettner (Marianne Sägebrecht) mit viel Magie neu erfindet. Das ist Eskapismus als Antidot gegen Bürgerlichkeit und Rollenerstarrung, das nur in der schwärmerischen Verwandlung der Wirklichkeit funktionieren mag. (Sa 07.09. 20:30)
Kontroverser wurde Doris Dörries Männer von 1985 diskutiert, der heute als Kultfilm über ein bestimmtes Männerbild gelten darf. Es spielt mit: Heiner Lauterbach, damals bekannt für seine Rollen in Schulmädchenreport, außerdem CDU-Adjutant und unbeirrbarer Kohl-Anhänger. Im Jahr 2000 spendete er (neben Uschi Glas, Dieter Thomas Heck und anderen) 10.000 DM an Helmut Kohl, als diesem wegen der Schwarzgeldaffäre empfindliche Strafzahlungen auferlegt worden waren. Der an seiner Seite spielende Uwe Ochsenknecht ist das Aushängeschild des deutschen Produzentenkinos. Er spielte in Wolfgang Petersens Das Boot und im satirischen Schtonk! über die gefälschten Hitler-Tagebücher. Mit Model-Ehe, Kokain-Konsum und Sängerkarriere gehört Ochsenknecht heute zu den schillerndsten Gestalten der BRD-Filmlandschaft, hat aber auch, als Gründungsmitglied der Deutschen Filmakademie, das deutsche Kino mitgestaltet.
Beide Schauspieler sind einem lebhaft in Erinnerung geblieben, und Männer reiht sich als irgendwie satirischer, dann auch wieder affirmativer Genderfilm etwas zwiespältig in die bundesrepublikanische Filmgeschichte ein. Herausgeberin Francesca Pistocchi kann dem Film ungleich viel mehr abgewinnen: »Durch die Wiederentdeckung der fantasievollen Situationskomik à la Lubitsch zeichnet Dörrie […] ein treffendes Porträt der zwischenmenschlichen (oder zwischenmännlichen) Beziehungen der Epoche, indem sie das Konzept der Männlichkeit (und demzufolge auch der Weiblichkeit) in Frage stellt.« (So 08.09. 20:00 | Doris Dörrie ist angefragt)
Nahezu uneingeschränkt darf Dominik Graf als würdiger Repräsentant des bundesrepublikanischen Kinos gefeiert werden. Aber selbst er hat in den Achtzigerjahren Unglaubliches geschaffen: Drei gegen Drei (1985, Produzent: Bernd Eichinger) ist eine »stählerne« Klamotte mit der Neue-Deutsche-Welle-Band Trio, an die sich Graf sicherlich nicht gerne erinnert, die aber auch viel aussagt über den Zustand des bundesrepublikanischen Kinos nach Fassbinder. (Bei den »Magic Moments« wurde der Film im Rahmen der Filmkunstwochen München von den artechock-Autor:innen Anna Edelmann und Thomas Willmann zuletzt gewürdigt.) Umso mehr wird es Graf freuen, dass sich die »edition text + kritik« für Die Katze entschieden hat, der nur drei Jahre später erschien und als unbedingtes Grafsches Meisterwerk gilt. Graf zeigt in der Geschichte von zwei Kleinkriminellen seine Liebe zum Genre, zur Rubrik »Vermischtes« und zu Protagonisten, die er der sozialen Realität der BRD abringt. »Man kam raus [aus dem Film] in eine Bundesrepublik, die plötzlich zu sich gefunden hatte«, schreibt Filmkritiker Olaf Möller begeistert. Dem wollen wir keinesfalls widersprechen. (Mo 09.09. 20:30 | Zu Gast: Dominik Graf)
Ob also das bundesrepublikanische Kino ebenso »biedermeierlich, harmlos und angepasst« (»edition text + kritik«) wie die bleiernen Jahre unter Kohl war, wie oftmals behauptet, wird sich in drei Tagen in Filmen und Gesprächen überprüfen lassen. Die Herausgeber haben ihren Standpunkt jedenfalls bereits gefunden: Ob »das monolithische Pauschalurteil über 'Kohls Kino'« richtiger werde, »nur weil es seit Jahrzehnten unhinterfragt geblieben ist«, fragen sie in einer Melange aus Verteidigung, Klage und Anklage. Ob das Urteil aber tatsächlich revisioniert werden kann, nur weil man dem vehement widerspricht und einen teilweise unverständlichen Achtzigerjahre-Hype bemüht? Aber es geht auch um Re-Vision, um das nochmalige Sehen: Und so hat das Filmerlebnis am Ende das letzte Wort.
»Nach Fassbinder. Das bundesrepublikanische Kino der 1980er Jahre – Eine Revision«
7.-9. September 2024, Theatiner Filmkunst
Zu Gast: Jörn Glasenapp und Francesca Pistocchi, »edition text+kritik«