12.09.2024

In die Leinwand hineinschreiten

Liberté im Eye Museum Amsterdam
Das Ausstellungsplakat wirbt mit einem Still aus dem Film

Zu Albert Serras Ausstellung »Liberté« im Eye Filmmuseum Amsterdam

Von Benedikt Guntentaler

Albert Serra hat ein neues Projekt vorge­stellt. Nach dem umju­belten Paci­fic­tion nun aller­dings keinen Film, sondern eine Ausstel­lung – oder besser gesagt: Eine Instal­la­tion, die noch immer eng beim Film bleibt, diesen aber aus der Black-Box des Kinos hinein in ein Museum trägt.

Das Eye Film­mu­seum Amsterdam stellte ihm einen großräu­migen Ausstel­lungs­raum zur Verfügung, den Serra völlig nach seinen Wünschen bespielen und ausstatten konnte. Der Titel dieses Projekts dürfte Fans des Regis­seurs bereits bekannt sein: »Liberté«.

Diesen Namen tragen bereits zwei weitere Projekte des Katalanen. Das Erste: Ein Thea­ter­s­tück, 2018 an der Volks­bühne Berlin urauf­ge­führt, es folgte ein Film (2019) und nun als dritte und vorläufig letzte Variation eben diese Ausstel­lung. Alle handeln von derselben Geschichte: 1774 – die fran­zö­si­sche Revo­lu­tion steht vor der Tür – macht sich eine Handvoll Frei­denker auf, den Hof Ludwigs XVI. zu verlassen und nach Preußen über­zu­sie­deln. An der Grenze erwartet sie der Herzog de Walchen, dem sie die neuen, freien Ideale präsen­tieren möchten. Es folgt eine schier endlose Nacht, bestehend aus Sex und sexueller Demü­ti­gung, durch­ex­er­ziert wech­sel­seitig von und an den betei­ligten Frauen und Männern.

Es ist eher eine Ausgangs­lage denn eine tatsäch­liche Geschichte, die uns Serra erzählt, mehr eine Versuchs­an­ord­nung als eine tatsäch­liche drama­tur­gi­sche Arbeit.

Es passt also sehr gut, dass es ausge­rechnet dieses Sujet ist, zu dem der Künstler immer wieder zurück­kehrt: In keiner der Varia­tionen ist er darauf bedacht, dem Treiben einen Sinn aufzu­zwingen, gerade der Film mit seinen stati­schen, schier ewig anhal­tenden Einstel­lungen, die zusehends um sich selbst kreisen, treibt das Prinzip auf die Spitze. Genau wie die Revo­luzzer im Wald sucht Serra – und damit natürlich der Zuschauer – einen Sinn in diesem Treiben, wird seiner nie ganz Herr, steht ungläubig davor, zu faszi­niert jedoch, um zurück­zu­schre­cken. Es ist ein typisches Thema für ihn, die Sinnsuche in langen, unbe­weg­li­chen Einstel­lungen, die sich in erster Linie durch ihre betörende Schönheit ausweisen, und doch etwas verste­cken, was nie ganz greifbar wird, was in, über oder hinter ihnen zu liegen scheint. Diese – schein­bare – Unfo­kus­siert­heit, die immer wieder an der Grenze zur Wahl­lo­sig­keit steht, bietet sich natürlich wunderbar für einen musealen Kontext an. Ein bisschen zu sehr, wie sich zeigen soll, denn Serra macht genau das: Er zeigt den Film in einem Museum.

Natürlich nicht am Stück und ohne Verän­de­rung, aber doch, wer den Film Liberté kennt, der kennt auch die Ausstel­lung »Liberté«: Der über­schaubar große Ausstel­lungs­raum wurde zu diesem Zweck volls­tändig verändert, das Licht ist gedämmt, so sehr, dass man im ersten Moment kaum erkennt, worauf man tritt, was sich hier überhaupt befindet. In die Schwärze dann wurden kleine Gestrüp­pin­seln instal­liert, die zusammen mit dem den ganzen Boden bede­ckenden Dreck und der Erde, die darüber ausge­kippt wurde, den fran­zö­si­schen Wald evozieren sollen. In diesen Büschen finden sich immer wieder Verun­rei­ni­gungen; Plas­tik­tüten haben sich in den Ästen verhakt, ein wenig Müll liegt auch herum. Dazwi­schen: Nach­bil­dungen der aus dem Film bekannten Kutschen des Adels, sowie ein immer­wäh­rendes Gezwit­scher und Rauschen, das durch unsicht­bare Laut­spre­cher abge­spielt wird.

In dieses Setting wurden fünf Leinwände montiert, die besonders graphi­sche Szenen aus Serras Film in Endlos­schleife zeigen. Man soll also wirklich in Liberté (den Film) hinein­ge­zogen werden, es ist ein Erleb­nis­raum, der sein Vorbild rekon­stru­iert und nach­bildet, der versucht, das Imagi­nierte in die Realität zu verfrachten. Ein durchaus inter­es­santer Ansatz, der jedoch einfach nicht aufgehen mag. So aufwendig der Raum auch gestaltet wurde, realis­tisch ist hieran nichts. Man fühlt sich mehr in einen Frei­zeit­park versetzt, ein Spukhaus in Euro-Disney oder einen besonders perver­tierten Raum im Euro­pa­park. Das Rauschen des Waldes – im Film ein zentrales Motiv, ein ständiger Begleiter, der die Bilder umgibt, untrennbar mit ihnen verschmolzen – wirkt zu künstlich, kommt von außen und besitzt nichts Assi­mi­lie­rendes, ist einfach da. Die Kutschen, durchaus schön gestaltet, aber eben Holz­re­plika, die nichts zu tun haben mit dem Prunk des Königs­hauses, wirken leer, unbenutzt, sind zu unbe­weg­li­chen, blassen Statisten verkommen.

Dieses Szenario durch­bre­chend, schieben sich immer wieder die Film­szenen in den Vorder­grund, die trotz ihrer dras­ti­schen Darstel­lungen in diesem Kontext seltsam harmlos wirken. Ist man ihnen im Kino tatsäch­lich ausge­setzt, kann sich nicht abwenden, wirken sie in der Vielzahl der Ausstel­lung viel weniger dringlich.

Hier eine Vers­tüm­me­lung, dort ein Auspeit­schen, dreht man sich um: Eine Groß­auf­nahme, wie einem Adeligen ins Gesicht gepinkelt wird. Milde vers­tö­rend ist dies zwar noch immer, doch kann es im Grunde nicht ernst genommen werden. Gerade der Kontext einer Ausstel­lung – vor allem in Amsterdam, dazu später mehr – nimmt doch sehr viel von der Eindrück­lich­keit des Gezeigten.

Auf kleinen Sofas sitzen die anderen Besucher, starren gebannt auf die Leinwände, und auf einmal ist die Melan­cholie, die tiefe Trauer, der Abgesang auf eine Revo­lu­tion – alles im Film enthalten – verschwunden und zu einem reinen Konsumgut reduziert. Was den Film gerade so inter­es­sant macht, ist seine Unzu­gäng­lich­keit, die (bewusst) viel zu lange Laufzeit, die stets nur wieder­holt, sich verwei­gert, zu Aussagen zu kommen. Es ist ein bisschen wie bei Chantal Akerman, die Zeit und ihre Vergäng­lich­keit steht hier im Vorder­grund, die Themen müssen sich regel­recht durch sie hindurch­kämpfen, was gezeigt wird, das muss auch ertragen werden. Die damit einher­ge­henden Gefühle und Erkennt­nisse – wie nimmt man hier doch ein Bild wahr, das auf einmal von berau­schender Schönheit in all dieser Abgrün­dig­keit steckt – gehen in der Ausstel­lung gänzlich verloren. Jederzeit reicht ein kleiner Seiten­blick, um die nächste Szene zu betrachten, der Film verkommt zu einem Schre­ckens­ka­bi­nett, das nicht schockt – man fühlt sich ja doch sehr wohl in diesem klima­ti­sierten Raum, umgeben von höflichen, gut geklei­deten Nieder­län­dern – sondern schlichtweg langweilt, sogar billig wirkt.

Gepaart wird dieser Hauptteil der Ausstel­lung mit einem kleinen Nebenraum, der »Peepshow«. Durch zwei Bullau­gen­fenster lässt sich eine Montage von drei Lein­wänden einsehen, die alte Porno­filme aus dem Archiv des Museums zeigen. Dieser Raum ist im Grunde inter­es­santer, radi­ka­li­siert er doch die im großen Saal vorherr­schende Reizü­ber­flu­tung der Sexszenen und des Anstößigen. Radikal oder neu ist hieran dennoch nichts.

Dies hängt – und dessen sollte man sich bewusst sein, wenn man diese Themen in Amsterdam insze­niert – nicht zuletzt mit der Heimat­stadt des Museums zusammen. Denn im Grunde ist »Liberté« eine sehr brave, kompro­mit­tierte und harm­lo­sere Miniatur gewisser Ecken der nieder­län­di­schen Haupt­stadt. Es ist nicht unwahr­schein­lich, auf dem Rückweg vom Museum zurück ins Hotel am – das Zentrum domi­nie­renden – Rotlicht­viertel vorbei­zu­kommen. Und hier ist sie nun tatsäch­lich, die maxi­mierte, perver­tierte sexuelle Freiheit. Keine alten Pornos werden in den dortigen Peepshows vorge­führt, sondern tatsäch­liche Menschen, Frauen, denen man für ein paar Münzen beim Ausziehen zusehen kann. Serras Leinwände sind hier Schau­fenster, in denen sich Prosti­tu­ierte anbieten, das Wald­rau­schen die krakee­lenden Türsteher, alles umgeben von Gras­ge­ruch und anderen Drogen, die an jeder Ecke offeriert werden.

Wenn das Museum also schreibt: »Serra engages parti­ci­pants in a capti­vating game of obser­va­tion and parti­ci­pa­tion, exploring the essence of 'ultimate freedom'«, dann haben sie damit gewis­ser­maßen recht. Es wird nur weder der Stadt noch dem zugrun­de­lie­genden Film gerecht. Es bleibt eine bloße Behaup­tung, das Verspre­chen, die Anony­mität des Kinosaals zu verlassen, endet in der nächsten Black Box – nur dass in dieser die Schuhe dreckig werden und die Geräusche vom Band kommen; isoliert und von der Kunst getrennt. Die Leinwand wird dadurch nicht betreten, sie spaltet sich lediglich auf fünf Versionen auf – und wird kleiner.

»Liberté« im Eye Museum Amsterdam
Ausstel­lung noch bis zum 29. September 2024