In die Leinwand hineinschreiten |
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Das Ausstellungsplakat wirbt mit einem Still aus dem Film |
Albert Serra hat ein neues Projekt vorgestellt. Nach dem umjubelten Pacifiction nun allerdings keinen Film, sondern eine Ausstellung – oder besser gesagt: Eine Installation, die noch immer eng beim Film bleibt, diesen aber aus der Black-Box des Kinos hinein in ein Museum trägt.
Das Eye Filmmuseum Amsterdam stellte ihm einen großräumigen Ausstellungsraum zur Verfügung, den Serra völlig nach seinen Wünschen bespielen und ausstatten konnte. Der Titel dieses Projekts dürfte Fans des Regisseurs bereits bekannt sein: »Liberté«.
Diesen Namen tragen bereits zwei weitere Projekte des Katalanen. Das Erste: Ein Theaterstück, 2018 an der Volksbühne Berlin uraufgeführt, es folgte ein Film (2019) und nun als dritte und vorläufig letzte Variation eben diese Ausstellung. Alle handeln von derselben Geschichte: 1774 – die französische Revolution steht vor der Tür – macht sich eine Handvoll Freidenker auf, den Hof Ludwigs XVI. zu verlassen und nach Preußen überzusiedeln. An der Grenze erwartet sie der Herzog de Walchen, dem sie die neuen, freien Ideale präsentieren möchten. Es folgt eine schier endlose Nacht, bestehend aus Sex und sexueller Demütigung, durchexerziert wechselseitig von und an den beteiligten Frauen und Männern.
Es ist eher eine Ausgangslage denn eine tatsächliche Geschichte, die uns Serra erzählt, mehr eine Versuchsanordnung als eine tatsächliche dramaturgische Arbeit.
Es passt also sehr gut, dass es ausgerechnet dieses Sujet ist, zu dem der Künstler immer wieder zurückkehrt: In keiner der Variationen ist er darauf bedacht, dem Treiben einen Sinn aufzuzwingen, gerade der Film mit seinen statischen, schier ewig anhaltenden Einstellungen, die zusehends um sich selbst kreisen, treibt das Prinzip auf die Spitze. Genau wie die Revoluzzer im Wald sucht Serra – und damit natürlich der Zuschauer – einen Sinn in diesem Treiben, wird seiner nie ganz Herr, steht ungläubig davor, zu fasziniert jedoch, um zurückzuschrecken. Es ist ein typisches Thema für ihn, die Sinnsuche in langen, unbeweglichen Einstellungen, die sich in erster Linie durch ihre betörende Schönheit ausweisen, und doch etwas verstecken, was nie ganz greifbar wird, was in, über oder hinter ihnen zu liegen scheint. Diese – scheinbare – Unfokussiertheit, die immer wieder an der Grenze zur Wahllosigkeit steht, bietet sich natürlich wunderbar für einen musealen Kontext an. Ein bisschen zu sehr, wie sich zeigen soll, denn Serra macht genau das: Er zeigt den Film in einem Museum.
Natürlich nicht am Stück und ohne Veränderung, aber doch, wer den Film Liberté kennt, der kennt auch die Ausstellung »Liberté«: Der überschaubar große Ausstellungsraum wurde zu diesem Zweck vollständig verändert, das Licht ist gedämmt, so sehr, dass man im ersten Moment kaum erkennt, worauf man tritt, was sich hier überhaupt befindet. In die Schwärze dann wurden kleine Gestrüppinseln installiert, die zusammen mit dem den ganzen Boden bedeckenden Dreck und der Erde, die darüber ausgekippt wurde, den französischen Wald evozieren sollen. In diesen Büschen finden sich immer wieder Verunreinigungen; Plastiktüten haben sich in den Ästen verhakt, ein wenig Müll liegt auch herum. Dazwischen: Nachbildungen der aus dem Film bekannten Kutschen des Adels, sowie ein immerwährendes Gezwitscher und Rauschen, das durch unsichtbare Lautsprecher abgespielt wird.
In dieses Setting wurden fünf Leinwände montiert, die besonders graphische Szenen aus Serras Film in Endlosschleife zeigen. Man soll also wirklich in Liberté (den Film) hineingezogen werden, es ist ein Erlebnisraum, der sein Vorbild rekonstruiert und nachbildet, der versucht, das Imaginierte in die Realität zu verfrachten. Ein durchaus interessanter Ansatz, der jedoch einfach nicht aufgehen mag. So aufwendig der Raum auch gestaltet wurde, realistisch ist hieran nichts. Man fühlt sich mehr in einen Freizeitpark versetzt, ein Spukhaus in Euro-Disney oder einen besonders pervertierten Raum im Europapark. Das Rauschen des Waldes – im Film ein zentrales Motiv, ein ständiger Begleiter, der die Bilder umgibt, untrennbar mit ihnen verschmolzen – wirkt zu künstlich, kommt von außen und besitzt nichts Assimilierendes, ist einfach da. Die Kutschen, durchaus schön gestaltet, aber eben Holzreplika, die nichts zu tun haben mit dem Prunk des Königshauses, wirken leer, unbenutzt, sind zu unbeweglichen, blassen Statisten verkommen.
Dieses Szenario durchbrechend, schieben sich immer wieder die Filmszenen in den Vordergrund, die trotz ihrer drastischen Darstellungen in diesem Kontext seltsam harmlos wirken. Ist man ihnen im Kino tatsächlich ausgesetzt, kann sich nicht abwenden, wirken sie in der Vielzahl der Ausstellung viel weniger dringlich.
Hier eine Verstümmelung, dort ein Auspeitschen, dreht man sich um: Eine Großaufnahme, wie einem Adeligen ins Gesicht gepinkelt wird. Milde verstörend ist dies zwar noch immer, doch kann es im Grunde nicht ernst genommen werden. Gerade der Kontext einer Ausstellung – vor allem in Amsterdam, dazu später mehr – nimmt doch sehr viel von der Eindrücklichkeit des Gezeigten.
Auf kleinen Sofas sitzen die anderen Besucher, starren gebannt auf die Leinwände, und auf einmal ist die Melancholie, die tiefe Trauer, der Abgesang auf eine Revolution – alles im Film enthalten – verschwunden und zu einem reinen Konsumgut reduziert. Was den Film gerade so interessant macht, ist seine Unzugänglichkeit, die (bewusst) viel zu lange Laufzeit, die stets nur wiederholt, sich verweigert, zu Aussagen zu kommen. Es ist ein bisschen wie bei Chantal Akerman, die Zeit und ihre Vergänglichkeit steht hier im Vordergrund, die Themen müssen sich regelrecht durch sie hindurchkämpfen, was gezeigt wird, das muss auch ertragen werden. Die damit einhergehenden Gefühle und Erkenntnisse – wie nimmt man hier doch ein Bild wahr, das auf einmal von berauschender Schönheit in all dieser Abgründigkeit steckt – gehen in der Ausstellung gänzlich verloren. Jederzeit reicht ein kleiner Seitenblick, um die nächste Szene zu betrachten, der Film verkommt zu einem Schreckenskabinett, das nicht schockt – man fühlt sich ja doch sehr wohl in diesem klimatisierten Raum, umgeben von höflichen, gut gekleideten Niederländern – sondern schlichtweg langweilt, sogar billig wirkt.
Gepaart wird dieser Hauptteil der Ausstellung mit einem kleinen Nebenraum, der »Peepshow«. Durch zwei Bullaugenfenster lässt sich eine Montage von drei Leinwänden einsehen, die alte Pornofilme aus dem Archiv des Museums zeigen. Dieser Raum ist im Grunde interessanter, radikalisiert er doch die im großen Saal vorherrschende Reizüberflutung der Sexszenen und des Anstößigen. Radikal oder neu ist hieran dennoch nichts.
Dies hängt – und dessen sollte man sich bewusst sein, wenn man diese Themen in Amsterdam inszeniert – nicht zuletzt mit der Heimatstadt des Museums zusammen. Denn im Grunde ist »Liberté« eine sehr brave, kompromittierte und harmlosere Miniatur gewisser Ecken der niederländischen Hauptstadt. Es ist nicht unwahrscheinlich, auf dem Rückweg vom Museum zurück ins Hotel am – das Zentrum dominierenden – Rotlichtviertel vorbeizukommen. Und hier ist sie nun tatsächlich, die maximierte, pervertierte sexuelle Freiheit. Keine alten Pornos werden in den dortigen Peepshows vorgeführt, sondern tatsächliche Menschen, Frauen, denen man für ein paar Münzen beim Ausziehen zusehen kann. Serras Leinwände sind hier Schaufenster, in denen sich Prostituierte anbieten, das Waldrauschen die krakeelenden Türsteher, alles umgeben von Grasgeruch und anderen Drogen, die an jeder Ecke offeriert werden.
Wenn das Museum also schreibt: »Serra engages participants in a captivating game of observation and participation, exploring the essence of 'ultimate freedom'«, dann haben sie damit gewissermaßen recht. Es wird nur weder der Stadt noch dem zugrundeliegenden Film gerecht. Es bleibt eine bloße Behauptung, das Versprechen, die Anonymität des Kinosaals zu verlassen, endet in der nächsten Black Box – nur dass in dieser die Schuhe dreckig werden und die Geräusche vom Band kommen; isoliert und von der Kunst getrennt. Die Leinwand wird dadurch nicht betreten, sie spaltet sich lediglich auf fünf Versionen auf – und wird kleiner.
»Liberté« im Eye Museum Amsterdam
Ausstellung noch bis zum 29. September 2024