Cinema Moralia – Folge 333
Die Produktivkraft der Verstörung |
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Was jetzt ankreuzen??? Süddeutsche würden tendenziell mit »Nein« antworten. Besser aber ist wohl mit »Ja«. Hmmmm????? |
Der Mensch des Abends, mit den 'entschlafenen wilden Trieben', von denen Faust redet, bedarf der Sommerfrische, des Seebads, der Gletscher, Bayreuth’s… In solchen Zeitaltern hat die Kunst ein Recht auf reine Thorheit, – als eine Art Ferien für Geist, Witz und Gemüth.
Friedrich Nietzsche
Während am kommenden Freitag in San Sebastián das viertwichtigste und nach meinem Empfinden allerschönste Filmfestival mit A-Status eröffnet wird, hat anderenorts die Stunde des phantastischen Films geschlagen.
Und das gleich zweimal.
In Wien und in Hannover spritzt das Blut, glitschige Eingeweide verteilen sich über die Leinwand, Hirnrillen werden provoziert und empfindsame Gemüter brauchen die Spucktüte.
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Seit vierzehn Jahren, als man mit dem Slogan »Kino muss wieder gefährlich werden« antrat, gibt es in Wien das »Slash«-Filmfestival, das sich längst vom Geheimtip zu einer der ersten Adressen für Genrefans gemausert hat. Es passt, dass es in Wien stattfindet, und der Preis dort statt einer Palme, eines niedlichen Froschs oder eines Raubtiers eben eine Goldene Urne ist – das »Slash« ist das
einzige Festival der Welt, das von einem Bestattungsunternehmen gesponsort wird.
Neben dem Programm als solchem, das man auf der im Goldschwarz von Fritz Langs Die Nibelungen gefassten Website nachlesen kann, gibt es heute im »Standard« ein nicht weniger bemerkenswertes Interview des Festivalleiters (und Autorenkollegen) Markus Keuschnigg. Darin plädiert dieser gegen das modische Denken in identitären Gefühls- und Wohlfühlblasen für die Produktivkraft der Verstörung: »Ich sage, dass ich für jeden woken Film einen reaktionären Film im Programm haben möchte. Bis auf eine grundsätzlich humanistische Überzeugung, die
hoffentlich so viele Menschen wie möglich teilen, sind wir nicht hier, um Ideen oder Ideologien zu propagieren. Weder die eine noch die andere. Ein Film wie Class of 1984, in dem ein Lehrer aufmüpfige Jugendliche erschießt, darf im Programm gleichrangig neben dem queeren Hyperpop-Musical Queens of Drama stehen. Ich will mein Weltbild nicht von Filmen bestätigt bekommen.«
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Er gehe »schon von der Mündigkeit des Einzelnen aus«, so Keuschnigg. »Bei einem Festival unseres Zuschnitts wüsste ich gar nicht, wo man mit Warnhinweisen anfangen und aufhören soll.«
Filme müssen – wie jede Filmkritik und wie Debattentexte über das Kino übrigens auch – das eigene Weltbild eben nicht bestätigen, sondern besser mal infrage stellen. So viel Wagemut wünschte man sich bei manchem deutschen Festivalmacher: »Wir suchen verhaltensauffällige Filme. Wir suchen nach Filmen, die einen Charakter haben, nach etwas riechen, nach etwas schmecken und einen auch beleidigen und herausfordern. Ich suche nicht nach guten Filmen. Ich suche nach besonderen Filmen, die uns im Programmteam etwas erzählen.«
Angst ist die Stimmung der Gegenwart. So scheint es auch der Festivalmacher zu sehen: »In einer Welt, die von Angst durchsetzt ist, ist es schon ganz gut, wenn man sich in solche Versuchsanordnungen reintraut.«
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»Von Corona erzählen – aber mit Zombies« – so erklärt mit ähnlichem Duktus auch Festivalleiterin Wiebke Thomsen den ästhetisch-politischen Brückenschlag des neuen »Festival des fantastischen Films«, das am Mittwoch im Kommunalkino Hannover eröffnete. In der taz erklärt die erfahrene Kinomacherin im Interview, dass das Genrekino trotz großen Publikumszuspruchs unterrepräsentiert sei. »Es gibt noch kaum Festivals dafür. In anderen Ländern ist das anders.«
Sie und ihre Mitstreiter interessiert an phantastischen Filmen, »dass sie gesellschaftspolitische Themen ganz anders behandeln. ... Im Genrekino ist es oft leichter, Dinge zu verhandeln, die aktuell wichtig sind. Und das auf eine unterhaltsame und lustvolle Art und Weise. Ich glaube, dass viele, die sich nicht mit diesen Genres befassen, meinen: alles nur Blut, Gemetzel und Quatsch. Aber ich finde, sie bieten einen spannenden Blick aufs Filmemachen – und auf die
Gesellschaft.«
An zehn Tagen laufen nun 13 neue Filme aus den USA, Europa und ein Film aus Asien. In der Retrospektive laufen nur Filme auf klassischem analogem Kinomaterial: »Das sind ältere, eher unbekannte Produktionen. Wir zeigen zum Beispiel 'Panik im Tokyo Express', die japanische Vorlage zu 'Speed'.«
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Dass es dringend neue Arten von Filmen braucht, belegt nicht nur ein Blick in die täglichen Zeitungen, es genügt dazu auch die Auseinandersetzung mit dem deutschen Film und der sogenannten deutschen Filmförderung – sogenannt, weil sie ihrem Namen immer weniger gerecht wird, und wie das Monster eines Horrorfilms zur Filmverhinderung und Filmzerstörung mutiert – zu Förder-Bodysnatchern.
Ein Beispiel sind die neuen Förderanträge des angeblichen BKM, das unter Claudia Roth zu einem BKMINO mutiert ist: »Bundeskulturministerium In Name Only«
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Die realexistierende Absurdität und Realitätsverabschiebung der Filmförder-Verhältnisse, die längst surreale Züge angenommen haben, und die unüberbietbare Ignoranz und Dummheit unter Staatsministerin Claudia Roth illustriert Weniges besser als die hier vorliegende Anlage für Anträge auf Förderung nach der »Richtlinie für die kulturelle Filmförderung der BKM«. Ich habe tatsächlich, als mir ein Filmemacher diesen Wisch zuerst zumailte, zunächst geglaubt, es handle sich um eine Satire, oder er sei Fake News aufgesessen. Aber nein!
In der »Anlage zum Ausschluss terroristischer Sachverhalte« muss der Antragsteller erklären – (bitte ankreuzen) –,»dass sein Unternehmen keine terroristische Vereinigung ist oder eine solche unterstützt und die Zuwendung nicht zur Finanzierung terroristischer Aktivitäten eingesetzt wird.«
Unfassbar! Wie dumm geht es? Abgesehen davon, dass man die Terrororganisation sehen möchte, die so etwas ankreuzt. Monty-Python-Sketche werden Wirklichkeit im Minsiterium der Claudia Roth, das sich vor allem selbst lächerlich macht.
Ausgetragen wird das auf dem Rücken der Produzenten, die von ihren Verbänden im Stich gelassen werden. Besagtes Beispiel ist nur ein besonders sprechendes, unter über einem Dutzend filmfremder Zusatzformulare, die ausgefüllt werden müssen.
Das gilt zwar für alle Unternehmer, die in Deutschland unter einem schreienden Übermaß an Bürokratisierung und behördlicher Kontrolle leiden. Im Fall von Filmschaffenden ist es besonders schlimm, da diese zumindest versuchen, Kunst zu
produzieren. Aber an Kunst sind die Kulturbehörden zuallerletzt interessiert.