19.09.2024
Cinema Moralia – Folge 333

Die Produktivkraft der Verstörung

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Was jetzt ankreuzen??? Süddeutsche würden tendenziell mit »Nein« antworten. Besser aber ist wohl mit »Ja«. Hmmmm?????

Kino muss wieder gefährlich werden: Zombies erzählen von Corona. Und sie machen deutsche Filmförderung. Im »Bundeskulturministerium in name only« werden Monty-Python-Sketche Wirklichkeit – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 333. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Der Mensch des Abends, mit den 'entschla­fenen wilden Trieben', von denen Faust redet, bedarf der Sommer­fri­sche, des Seebads, der Gletscher, Bayreuth’s… In solchen Zeital­tern hat die Kunst ein Recht auf reine Thorheit, – als eine Art Ferien für Geist, Witz und Gemüth.
Friedrich Nietzsche

Während am kommenden Freitag in San Sebastián das viert­wich­tigste und nach meinem Empfinden aller­schönste Film­fes­tival mit A-Status eröffnet wird, hat ande­ren­orts die Stunde des phan­tas­ti­schen Films geschlagen.
Und das gleich zweimal.

In Wien und in Hannover spritzt das Blut, glit­schige Einge­weide verteilen sich über die Leinwand, Hirn­rillen werden provo­ziert und empfind­same Gemüter brauchen die Spucktüte.

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Seit vierzehn Jahren, als man mit dem Slogan »Kino muss wieder gefähr­lich werden« antrat, gibt es in Wien das »Slash«-Film­fes­tival, das sich längst vom Geheimtip zu einer der ersten Adressen für Genrefans gemausert hat. Es passt, dass es in Wien statt­findet, und der Preis dort statt einer Palme, eines nied­li­chen Froschs oder eines Raubtiers eben eine Goldene Urne ist – das »Slash« ist das einzige Festival der Welt, das von einem Bestat­tungs­un­ter­nehmen gesponsort wird.
Neben dem Programm als solchem, das man auf der im Gold­schwarz von Fritz Langs Die Nibe­lungen gefassten Website nachlesen kann, gibt es heute im »Standard« ein nicht weniger bemer­kens­wertes Interview des Festi­val­lei­ters (und Auto­ren­kol­legen) Markus Keusch­nigg. Darin plädiert dieser gegen das modische Denken in iden­ti­tären Gefühls- und Wohl­fühl­b­lasen für die Produk­tiv­kraft der Vers­törung: »Ich sage, dass ich für jeden woken Film einen reak­ti­onären Film im Programm haben möchte. Bis auf eine grund­sätz­lich huma­nis­ti­sche Über­zeu­gung, die hoffent­lich so viele Menschen wie möglich teilen, sind wir nicht hier, um Ideen oder Ideo­lo­gien zu propa­gieren. Weder die eine noch die andere. Ein Film wie Class of 1984, in dem ein Lehrer aufmüp­fige Jugend­liche erschießt, darf im Programm gleich­rangig neben dem queeren Hyperpop-Musical Queens of Drama stehen. Ich will mein Weltbild nicht von Filmen bestätigt bekommen.«

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Er gehe »schon von der Mündig­keit des Einzelnen aus«, so Keusch­nigg. »Bei einem Festival unseres Zuschnitts wüsste ich gar nicht, wo man mit Warn­hin­weisen anfangen und aufhören soll.«

Filme müssen – wie jede Film­kritik und wie Debat­ten­texte über das Kino übrigens auch – das eigene Weltbild eben nicht bestä­tigen, sondern besser mal infrage stellen. So viel Wagemut wünschte man sich bei manchem deutschen Festi­val­ma­cher: »Wir suchen verhal­tens­auf­fäl­lige Filme. Wir suchen nach Filmen, die einen Charakter haben, nach etwas riechen, nach etwas schmecken und einen auch belei­digen und heraus­for­dern. Ich suche nicht nach guten Filmen. Ich suche nach beson­deren Filmen, die uns im Programm­team etwas erzählen.«

Angst ist die Stimmung der Gegenwart. So scheint es auch der Festi­val­ma­cher zu sehen: »In einer Welt, die von Angst durch­setzt ist, ist es schon ganz gut, wenn man sich in solche Versuchs­an­ord­nungen reintraut.«

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»Von Corona erzählen – aber mit Zombies« – so erklärt mit ähnlichem Duktus auch Festi­val­lei­terin Wiebke Thomsen den ästhe­tisch-poli­ti­schen Brücken­schlag des neuen »Festival des fantas­ti­schen Films«, das am Mittwoch im Kommu­nal­kino Hannover eröffnete. In der taz erklärt die erfahrene Kino­ma­cherin im Interview, dass das Genrekino trotz großen Publi­kums­zu­spruchs unter­re­prä­sen­tiert sei. »Es gibt noch kaum Festivals dafür. In anderen Ländern ist das anders.«

Sie und ihre Mitstreiter inter­es­siert an phan­tas­ti­schen Filmen, »dass sie gesell­schafts­po­li­ti­sche Themen ganz anders behandeln. ... Im Genrekino ist es oft leichter, Dinge zu verhan­deln, die aktuell wichtig sind. Und das auf eine unter­halt­same und lustvolle Art und Weise. Ich glaube, dass viele, die sich nicht mit diesen Genres befassen, meinen: alles nur Blut, Gemetzel und Quatsch. Aber ich finde, sie bieten einen span­nenden Blick aufs Filme­ma­chen – und auf die Gesell­schaft.«
An zehn Tagen laufen nun 13 neue Filme aus den USA, Europa und ein Film aus Asien. In der Retro­spek­tive laufen nur Filme auf klas­si­schem analogem Kino­ma­te­rial: »Das sind ältere, eher unbe­kannte Produk­tionen. Wir zeigen zum Beispiel 'Panik im Tokyo Express', die japa­ni­sche Vorlage zu 'Speed'.«

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Dass es dringend neue Arten von Filmen braucht, belegt nicht nur ein Blick in die täglichen Zeitungen, es genügt dazu auch die Ausein­an­der­set­zung mit dem deutschen Film und der soge­nannten deutschen Film­för­de­rung – sogenannt, weil sie ihrem Namen immer weniger gerecht wird, und wie das Monster eines Horror­films zur Film­ver­hin­de­rung und Film­zer­störung mutiert – zu Förder-Body­snat­chern.

Ein Beispiel sind die neuen Förder­an­träge des angeb­li­chen BKM, das unter Claudia Roth zu einem BKMINO mutiert ist: »Bundes­kul­tur­mi­nis­te­rium In Name Only«

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Die real­exis­tie­rende Absur­dität und Reali­täts­ver­ab­schie­bung der Film­förder-Verhält­nisse, die längst surreale Züge ange­nommen haben, und die unüber­biet­bare Ignoranz und Dummheit unter Staats­mi­nis­terin Claudia Roth illus­triert Weniges besser als die hier vorlie­gende Anlage für Anträge auf Förderung nach der »Richt­linie für die kultu­relle Film­för­de­rung der BKM«. Ich habe tatsäch­lich, als mir ein Filme­ma­cher diesen Wisch zuerst zumailte, zunächst geglaubt, es handle sich um eine Satire, oder er sei Fake News aufge­sessen. Aber nein!

In der »Anlage zum Ausschluss terro­ris­ti­scher Sach­ver­halte« muss der Antrag­steller erklären – (bitte ankreuzen) –,»dass sein Unter­nehmen keine terro­ris­ti­sche Verei­ni­gung ist oder eine solche unter­s­tützt und die Zuwendung nicht zur Finan­zie­rung terro­ris­ti­scher Akti­vi­täten einge­setzt wird.«

Unfassbar! Wie dumm geht es? Abgesehen davon, dass man die Terror­or­ga­ni­sa­tion sehen möchte, die so etwas ankreuzt. Monty-Python-Sketche werden Wirk­lich­keit im Minsit­e­rium der Claudia Roth, das sich vor allem selbst lächer­lich macht.

Ausge­tragen wird das auf dem Rücken der Produ­zenten, die von ihren Verbänden im Stich gelassen werden. Besagtes Beispiel ist nur ein besonders spre­chendes, unter über einem Dutzend film­fremder Zusatz­for­mu­lare, die ausge­füllt werden müssen.
Das gilt zwar für alle Unter­nehmer, die in Deutsch­land unter einem schrei­enden Übermaß an Büro­kra­ti­sie­rung und behörd­li­cher Kontrolle leiden. Im Fall von Film­schaf­fenden ist es besonders schlimm, da diese zumindest versuchen, Kunst zu produ­zieren. Aber an Kunst sind die Kultur­behörden zual­ler­letzt inter­es­siert.