19.09.2024

Von der Armut des Reichtums

Ein neuer Sommer
Familienaufstellung des Unglücks
(Foto: Netflix)

Susanne Bier gelingt es auch in ihrer Mini-Serie »Ein neuer Sommer« mit Nicole Kidman, die Stärken aus ihren Dogma-Tagen zu reaktivieren und über Alltäglichkeiten von Abgründen zu erzählen und gleichzeitig wild mit Genres zu spielen

Von Axel Timo Purr

Man mag sich bei all den Serien und Filmen, die in letzter Zeit überaus erfolg­reich die Welt der Reichen nicht nur porträ­tierten, sondern wie etwa Emerald Fennells Saltburn auch radikal hinter­fragten, in Susanne Biers Netflix-Miniserie Ein neuer Sommer (Engl. The Perfect Couple) leicht täuschen. Zwar spielt die dänische Regis­seurin mit Motiven, die bereits in »Klas­si­kern« dieses Genres wie Gossip Girl oder letztens in der wunder­baren letzten Staffel von The Summer I turned pretty, einem echten Guilty Pleasure, durch­de­kli­niert wurden. Doch Bier inter­es­siert dann letzt­end­lich doch mehr als die leichte Melan­cholie, die fragilen Dramen und der bittere Humor, die das Reichsein so mit sich bringt.

All das gibt es zwar auch in Susanne Biers sechs Folgen von Ein neuer Sommer auf Netflix zu sehen, doch wird spätes­tens nach der zweiten Folge deutlich, dass Bier nicht nur in Dänemark sozia­li­siert worden ist, sondern sich seit ihren Dogma-Tagen und Filmen wie Open Hearts (2002), Brothers (2004) und Nach der Hochzeit (2006), aber auch in späteren in den USA reali­sierten Werken wie In einer besseren Welt (2010) sich immer auch für gesell­schaft­liche und mensch­liche Abgründe inter­es­siert hat. Erst mit der roman­ti­schen Komödie Love Is All You Need (2012) und Serien wie The Night Manager (2016) und The Undoing (2020) inte­grierte Bier eine neue Leich­tig­keit in ihr Werk und ein Spiel mit Genres, das auch vor klas­si­schem Thriller und Mystery nicht Halt macht.

In Ein neuer Sommer erreicht dieses Spiel einen vorläu­figen Höhepunkt. Denn Bier führt mit einem groß­ar­tigen Cast und wie schon in ihrer letzten Mini-Serie The Undoing einer umwer­fenden Nicole Kidman als »Galli­ons­figur« ihres schwan­kenden Schiffs den Zuschauer immer wieder in die Irre. Zieht ihn mit einem fast schon bolly­woo­desken Hochzeits-Intro und einer dementspre­chenden ersten Folge in das klas­si­sche Hoch­zeits­film-Genre, um am Ende klar zu machen, dass das nicht mehr als ein erzäh­le­ri­scher Lockvogel war, um in den fünf weiteren Folgen von dem zu erzählen, was in Biers Werk immer wichtig war: von sozialen Unge­rech­tig­keiten, von fami­liären Abgründen und neuro­ti­schen Achter­bahn­fahrten, die Bier über eine gleitende, asyn­chrone, multi­per­spek­ti­vi­sche Erzählung immer wieder über­ra­schend mitein­ander verschränkt. Damit wird sie nicht nur der lite­ra­ri­schen Murder-Mystery-Vorlage von Elin Hilder­brand gerecht, sondern hebelt auch die Stereo­typen des klas­si­schen Whodunit-Genres aus.

Diese Amal­ga­mi­sie­rung und das Spielen mit all den Genres, denn es gibt auch auch noch die schwarze und die roman­ti­sche Komödie, derer sich Bier ausgiebig bedient, führen aller­dings auch dazu, dass Biers Serie für Momente austauschbar erscheint, nicht nur die oben genannten Filme asso­ziativ vorbei­ziehen, sondern auch ein anderer Seri­en­klas­siker, ebenfalls mit Nicole Kidman in der Haupt­rolle, vor Augen tritt. Doch Biers Perfect Couple ist trotz eines myste­riösen Todes­falls und einer gesell­schaft­li­chen Quer­schnitts-Anamnese dann doch kein Big Little Lies (2017), denn mehr als das Melodrama inter­es­siert Bier die Tragik von Bezie­hungen, ein filmi­sches »Fami­li­en­stellen«, das immer wieder zur Groteske mutiert. Dabei verrät Bier ihr Personal nie, sondern präsen­tiert nach jedem »Absturz« dann auch eine »Himmel­fahrt«, die verzwei­felte, aber sinnvolle Suche und Versu­chung, sich aus dysfunk­tio­nalen Familien- und Gesell­schafts­ver­hält­nissen zu eman­zi­pieren, wie sehr sie einem auch Heimat sein mögen.

Hier deutet Bier dann auch sehr ironisch, fast schon sarkas­tisch an, warum Filme über die Reichen und die Armen, die sich dann und wann mit viel Glück in die Welt der Reichen hinein­stehlen, gerade jetzt so erfolg­reich sind: Weil es in unseren neoli­be­ralen Zeiten, in denen der Graben zwischen Reich und Arm nie größer war, umso wichtiger ist zu zeigen, dass Geld viel­leicht nicht glücklich macht, aber auch, dass sich der Kampf gegen das System von innen nur bedingt lohnt und bislang jeder, der als Armer in die Welt der Reichen eindrang, am Ende heimatlos und korrum­piert wird. Das ist in Saltburn nicht anders als in Susanne Biers Serie.

Das ist klug und macht Spaß und ist vor allem in der letzten Folge, zu der zwar vorher­sehbar und konse­quent, aber mit fast schon bizarren Cliff­han­gern und einer immer wieder genauso konse­quent einge­fro­renen Dramatik hinge­führt wird, dann plötzlich auch über­ra­schend, weil Bier auch hier das Spielen nicht sein lassen kann, sondern in fast schon absurder Geschwin­dig­keit und der larmoy­anten Ironie eines Hercule Poirot die Täter und Tatmotive durch­rei­chen lässt, als wären es Staf­felstäbe in einem Staf­fel­rennen. Damit nimmt Bier ihrer Serie natürlich die Ernst­haf­tig­keit vergleich­barer Produk­tionen, wie etwa einer der ersten großen Netflix-Erfolge, Bloodline, einer ähnlich konzi­pierten Serie, die schon vor zehn Jahren das Fami­li­en­motiv des schwarzen Schafes ausgiebig thema­ti­sierte. Doch zehn Jahre später ist auch die Welt eine andere, gibt es kaum mehr ein weißes Schaf, sondern sind eigent­lich alle Betei­ligten schwarze Schafe, verlorene Söhne, verlorene Töchter, verlorene Väter und verlorene Mütter. In einer Welt, die verlo­rener nicht sein könnte.