Von der Armut des Reichtums |
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Familienaufstellung des Unglücks | ||
(Foto: Netflix) |
Von Axel Timo Purr
Man mag sich bei all den Serien und Filmen, die in letzter Zeit überaus erfolgreich die Welt der Reichen nicht nur porträtierten, sondern wie etwa Emerald Fennells Saltburn auch radikal hinterfragten, in Susanne Biers Netflix-Miniserie Ein neuer Sommer (Engl. The Perfect Couple) leicht täuschen. Zwar spielt die dänische Regisseurin mit Motiven, die bereits in »Klassikern« dieses Genres wie Gossip Girl oder letztens in der wunderbaren letzten Staffel von The Summer I turned pretty, einem echten Guilty Pleasure, durchdekliniert wurden. Doch Bier interessiert dann letztendlich doch mehr als die leichte Melancholie, die fragilen Dramen und der bittere Humor, die das Reichsein so mit sich bringt.
All das gibt es zwar auch in Susanne Biers sechs Folgen von Ein neuer Sommer auf Netflix zu sehen, doch wird spätestens nach der zweiten Folge deutlich, dass Bier nicht nur in Dänemark sozialisiert worden ist, sondern sich seit ihren Dogma-Tagen und Filmen wie Open Hearts (2002), Brothers (2004) und Nach der Hochzeit (2006), aber auch in späteren in den USA realisierten Werken wie In einer besseren Welt (2010) sich immer auch für gesellschaftliche und menschliche Abgründe interessiert hat. Erst mit der romantischen Komödie Love Is All You Need (2012) und Serien wie The Night Manager (2016) und The Undoing (2020) integrierte Bier eine neue Leichtigkeit in ihr Werk und ein Spiel mit Genres, das auch vor klassischem Thriller und Mystery nicht Halt macht.
In Ein neuer Sommer erreicht dieses Spiel einen vorläufigen Höhepunkt. Denn Bier führt mit einem großartigen Cast und wie schon in ihrer letzten Mini-Serie The Undoing einer umwerfenden Nicole Kidman als »Gallionsfigur« ihres schwankenden Schiffs den Zuschauer immer wieder in die Irre. Zieht ihn mit einem fast schon bollywoodesken Hochzeits-Intro und einer dementsprechenden ersten Folge in das klassische Hochzeitsfilm-Genre, um am Ende klar zu machen, dass das nicht mehr als ein erzählerischer Lockvogel war, um in den fünf weiteren Folgen von dem zu erzählen, was in Biers Werk immer wichtig war: von sozialen Ungerechtigkeiten, von familiären Abgründen und neurotischen Achterbahnfahrten, die Bier über eine gleitende, asynchrone, multiperspektivische Erzählung immer wieder überraschend miteinander verschränkt. Damit wird sie nicht nur der literarischen Murder-Mystery-Vorlage von Elin Hilderbrand gerecht, sondern hebelt auch die Stereotypen des klassischen Whodunit-Genres aus.
Diese Amalgamisierung und das Spielen mit all den Genres, denn es gibt auch auch noch die schwarze und die romantische Komödie, derer sich Bier ausgiebig bedient, führen allerdings auch dazu, dass Biers Serie für Momente austauschbar erscheint, nicht nur die oben genannten Filme assoziativ vorbeiziehen, sondern auch ein anderer Serienklassiker, ebenfalls mit Nicole Kidman in der Hauptrolle, vor Augen tritt. Doch Biers Perfect Couple ist trotz eines mysteriösen Todesfalls und einer gesellschaftlichen Querschnitts-Anamnese dann doch kein Big Little Lies (2017), denn mehr als das Melodrama interessiert Bier die Tragik von Beziehungen, ein filmisches »Familienstellen«, das immer wieder zur Groteske mutiert. Dabei verrät Bier ihr Personal nie, sondern präsentiert nach jedem »Absturz« dann auch eine »Himmelfahrt«, die verzweifelte, aber sinnvolle Suche und Versuchung, sich aus dysfunktionalen Familien- und Gesellschaftsverhältnissen zu emanzipieren, wie sehr sie einem auch Heimat sein mögen.
Hier deutet Bier dann auch sehr ironisch, fast schon sarkastisch an, warum Filme über die Reichen und die Armen, die sich dann und wann mit viel Glück in die Welt der Reichen hineinstehlen, gerade jetzt so erfolgreich sind: Weil es in unseren neoliberalen Zeiten, in denen der Graben zwischen Reich und Arm nie größer war, umso wichtiger ist zu zeigen, dass Geld vielleicht nicht glücklich macht, aber auch, dass sich der Kampf gegen das System von innen nur bedingt lohnt und bislang jeder, der als Armer in die Welt der Reichen eindrang, am Ende heimatlos und korrumpiert wird. Das ist in Saltburn nicht anders als in Susanne Biers Serie.
Das ist klug und macht Spaß und ist vor allem in der letzten Folge, zu der zwar vorhersehbar und konsequent, aber mit fast schon bizarren Cliffhangern und einer immer wieder genauso konsequent eingefrorenen Dramatik hingeführt wird, dann plötzlich auch überraschend, weil Bier auch hier das Spielen nicht sein lassen kann, sondern in fast schon absurder Geschwindigkeit und der larmoyanten Ironie eines Hercule Poirot die Täter und Tatmotive durchreichen lässt, als wären es Staffelstäbe in einem Staffelrennen. Damit nimmt Bier ihrer Serie natürlich die Ernsthaftigkeit vergleichbarer Produktionen, wie etwa einer der ersten großen Netflix-Erfolge, Bloodline, einer ähnlich konzipierten Serie, die schon vor zehn Jahren das Familienmotiv des schwarzen Schafes ausgiebig thematisierte. Doch zehn Jahre später ist auch die Welt eine andere, gibt es kaum mehr ein weißes Schaf, sondern sind eigentlich alle Beteiligten schwarze Schafe, verlorene Söhne, verlorene Töchter, verlorene Väter und verlorene Mütter. In einer Welt, die verlorener nicht sein könnte.