10.10.2024

Leni und die Zukunft

Deutscher Pavillon/Yael Bartana
So pathetisch wie lustvolle Überschreibung der Herrenmenschen-Körperkult-Ästhetik Leni Riefenstahls
(Foto: Axel Timo Purr)

Yael Bartanas Videoinstallation im deutschen Pavillon auf der diesjährigen 60. Biennale Arte ist eine Wucht und korrespondiert sowohl erschreckend gut mit unserer politischen Gegenwart als auch Vergangenheit

Von Axel Timo Purr

Noch bis zum 24. November ist Zeit, die Reise nach Venedig auf die 60. Biennale Arte anzu­treten. Und wie immer scheiden sich die Geister ob der Kunst, ist Wut und Frus­tra­tion natürlich genauso Teil des Gesamt­pa­kets wie die Begeis­te­rung. Ein kleines Unisono-Wunder lässt sich aller­dings im von Çağla Ilk kura­tierten deutschen Pavillon erleben. Zwar ist auch dieses Mal die inzwi­schen ein wenig leidige, weil ewige Dekon­struk­tion der alten Nazi-Archi­tektur der deutschen Pavillons Thema, kann man den Pavillon nur über den Seiten­ein­gang betreten, weil ein Schutt­berg den Haupt­ein­gang versperrt, doch geschenkt und vergessen, denn was dann im Innenraum zu sehen ist, ist neu, innovativ und trotz bekannter Vergan­gen­heits­a­kro­batik ein über­wäl­ti­gendes Erlebnis.

Das liegt vor allem an der 1970 in Israel geborenen und seit 15 Jahren in Deutsch­land lebende Yael Bartana, die schon im Vorfeld bekannt für ihre Video­kunst war und sowohl im Guggen­heim in New York, der Tate Modern in London und im Centre Pompidou in Paris zu sehen war. Ihre mehr­glie­de­rige Video­in­stal­la­tion ist in allen Räumen des Pavillons verteilt und hat es wirklich in sich. Denn anders als der platte Schutt­hau­fen­bezug vor der Tür, bana­li­siert Bartanas Arbeit die Geschichte nicht, sondern vertieft die deutsche Kata­strophe um den Holocaust mit einer in die Zukunft gerich­teten post­apo­ka­lyp­ti­schen Science-Fiction-Instal­la­tion, in deren zentral posi­tio­nierter Video­ani­ma­tion ein Raum­schiff – die titel­ge­bende „Light to the Nations“ – Menschen in die Weiten des Alls zu neuen Lebens­welten trans­por­tiert.

Der Film amal­ga­mi­siert Aufbruch und Flucht, Opti­mismus und Pessi­mismus, Utopie und Dystopie zu einem aufre­genden Hybriden, der für sich allein schon so faszi­nie­rend wie abschre­ckend wirkt, dessen Wurzeln und Bezüge in einem Nebenraum und auf einem kleinen Bild­schirm von der in Berlin lebenden israe­li­schen Kunst­his­to­ri­kerin Doreet LeVitte-Harten erklärt werden und die Faszi­na­tion und das Erschre­cken noch einmal poten­zieren: Denn wir sehen hier nicht irgendein Raum­schiff mit irgend­wel­chen Menschen, sondern eines nach einer Bibel­stelle aus dem Buch Jesaja benanntes Gene­ra­tio­nen­schiff, das allein für Juden seine Reise in die unend­li­chen und unent­deckten Weiten des Weltraums ange­treten hat. Der Grund ist so offen­sicht­lich wie realis­tisch: die Erde ist durch eine ökolo­gi­sche Kata­strophe zerstört worden und mit jüdisch-mysti­schen, kabba­lis­ti­schen Lehren soll nun der Samen für eine neue Gesell­schaft jenseits terri­to­rialer, ethni­scher, reli­giöser und staat­li­cher Para­digmen gesät werden und die Mensch­heit zu dem soge­nannten Tikkun Olam (hebräisch תיקון עולם »Reparatur der Welt«) trans­for­mieren. Eine Trans­for­ma­tion, die sich natürlich über tausende von Jahren hinziehen kann, weshalb wir hier ein ausge­klü­geltes Gene­ra­ti­ons­raum­schiff auf der Fahrt erleben, das sich nicht allein über das zentrale Video, sondern auch über Modell-Instal­la­tionen in den Neben­räumen „erleben“ lässt.

Das mag sich im ersten Moment viel­leicht gar nicht so aufregend ansehen, doch es ist wie immer das Wie des Was, das Dinge spannend macht. In diesem Fall ist es der subtile Humor, die feine Ironie von Yael Bartana, die hier aus jedem Pixel dringt, denn Bartana spielt so pathe­tisch wie lustvoll mit der Ästhetik der Nazis, vor allem mit dem Herren­men­schen-Körper­kult Leni Riefen­stahls. An einer Stelle etwa kommt aus der Ferne ein hoch­ge­wach­sener Licht­bringer ange­laufen – nur etwas lockerer und entspannter als die Fackel­träger der Nation im Natio­nal­so­zia­lismus. Und mit eben der Attitüde des von Arno Brekers 1940 just an diesem Ort – der Stelle, an der die Leinwand posi­tio­niert ist – ausge­stellten strammen Germanen mit halb gezogenem Schwert. Diese Über­schrei­bung ist so verblüf­fend wie witzig und über­wäl­ti­gend, denn sie wird noch einmal durch sugges­tive, wummernde, wagne­ri­sche Indus­trial-Beats verstärkt und Riefen­stahl­ar­tige rituell-ätherisch anmutende Tänze und Tanze­rinnen abgelöst, die fast schon eine Ewigkeits-Diaspora andeuten, einen Migra­ti­ons­pro­zess, dessen Weg das Ziel ist und der nicht anders als auf Erden kein Ende zu kennen scheint.

Wem diese umwer­fenden Migra­tions-Mythen zu viel sein sollten, der kann sich aller­dings auch gleich wieder durch ebenso deutsche Migra­tions-Hard-Facts erden lassen, denn gleich neben der großen Leinwand hat der in Berlin-Neukölln aufge­wach­sene Ersan Mondtag seinem Großvater ein Denkmal aus Raum- Video und Text­in­stal­la­tionen gesetzt, das sich kreativ und Horror-Kabinett-artig mit dem German-Gast­ar­beiter-Dream ausein­an­der­setzt. Denn Mondtat Großvater ist kurz nach seiner Verren­tung an dem gestorben, mit dem er wohl die meiste Zeit gear­beitet hat: Asbest. Es ist ein Totentanz und immer wieder auch pathe­ti­sches Abschied­nehmen und eine Realität, zu der es kein Zurück mehr geben darf, auch das deutet Mondtags Erdhaufen vor dem Pavillon natürlich an. Und es ist ein ebenso finales Ende, wie Yael Bartanas Instal­la­tion ein viel­leicht wirklich finaler Anfang ist. Denn was politisch seit dem 7. Oktober passiert, gleicht tatsäch­lich der Konse­quenz, die wir in Bartanas so hell­sichtig wie berau­schender Instal­la­tion sehen.

60. Biennale Arte, Venedig, 20.04 – 24.11 2024