Leni und die Zukunft |
||
So pathetisch wie lustvolle Überschreibung der Herrenmenschen-Körperkult-Ästhetik Leni Riefenstahls | ||
(Foto: Axel Timo Purr) |
Von Axel Timo Purr
Noch bis zum 24. November ist Zeit, die Reise nach Venedig auf die 60. Biennale Arte anzutreten. Und wie immer scheiden sich die Geister ob der Kunst, ist Wut und Frustration natürlich genauso Teil des Gesamtpakets wie die Begeisterung. Ein kleines Unisono-Wunder lässt sich allerdings im von Çağla Ilk kuratierten deutschen Pavillon erleben. Zwar ist auch dieses Mal die inzwischen ein wenig leidige, weil ewige Dekonstruktion der alten Nazi-Architektur der deutschen Pavillons Thema, kann man den Pavillon nur über den Seiteneingang betreten, weil ein Schuttberg den Haupteingang versperrt, doch geschenkt und vergessen, denn was dann im Innenraum zu sehen ist, ist neu, innovativ und trotz bekannter Vergangenheitsakrobatik ein überwältigendes Erlebnis.
Das liegt vor allem an der 1970 in Israel geborenen und seit 15 Jahren in Deutschland lebende Yael Bartana, die schon im Vorfeld bekannt für ihre Videokunst war und sowohl im Guggenheim in New York, der Tate Modern in London und im Centre Pompidou in Paris zu sehen war. Ihre mehrgliederige Videoinstallation ist in allen Räumen des Pavillons verteilt und hat es wirklich in sich. Denn anders als der platte Schutthaufenbezug vor der Tür, banalisiert Bartanas Arbeit die Geschichte nicht, sondern vertieft die deutsche Katastrophe um den Holocaust mit einer in die Zukunft gerichteten postapokalyptischen Science-Fiction-Installation, in deren zentral positionierter Videoanimation ein Raumschiff – die titelgebende „Light to the Nations“ – Menschen in die Weiten des Alls zu neuen Lebenswelten transportiert.
Der Film amalgamisiert Aufbruch und Flucht, Optimismus und Pessimismus, Utopie und Dystopie zu einem aufregenden Hybriden, der für sich allein schon so faszinierend wie abschreckend wirkt, dessen Wurzeln und Bezüge in einem Nebenraum und auf einem kleinen Bildschirm von der in Berlin lebenden israelischen Kunsthistorikerin Doreet LeVitte-Harten erklärt werden und die Faszination und das Erschrecken noch einmal potenzieren: Denn wir sehen hier nicht irgendein Raumschiff mit irgendwelchen Menschen, sondern eines nach einer Bibelstelle aus dem Buch Jesaja benanntes Generationenschiff, das allein für Juden seine Reise in die unendlichen und unentdeckten Weiten des Weltraums angetreten hat. Der Grund ist so offensichtlich wie realistisch: die Erde ist durch eine ökologische Katastrophe zerstört worden und mit jüdisch-mystischen, kabbalistischen Lehren soll nun der Samen für eine neue Gesellschaft jenseits territorialer, ethnischer, religiöser und staatlicher Paradigmen gesät werden und die Menschheit zu dem sogenannten Tikkun Olam (hebräisch תיקון עולם »Reparatur der Welt«) transformieren. Eine Transformation, die sich natürlich über tausende von Jahren hinziehen kann, weshalb wir hier ein ausgeklügeltes Generationsraumschiff auf der Fahrt erleben, das sich nicht allein über das zentrale Video, sondern auch über Modell-Installationen in den Nebenräumen „erleben“ lässt.
Das mag sich im ersten Moment vielleicht gar nicht so aufregend ansehen, doch es ist wie immer das Wie des Was, das Dinge spannend macht. In diesem Fall ist es der subtile Humor, die feine Ironie von Yael Bartana, die hier aus jedem Pixel dringt, denn Bartana spielt so pathetisch wie lustvoll mit der Ästhetik der Nazis, vor allem mit dem Herrenmenschen-Körperkult Leni Riefenstahls. An einer Stelle etwa kommt aus der Ferne ein hochgewachsener Lichtbringer angelaufen – nur etwas lockerer und entspannter als die Fackelträger der Nation im Nationalsozialismus. Und mit eben der Attitüde des von Arno Brekers 1940 just an diesem Ort – der Stelle, an der die Leinwand positioniert ist – ausgestellten strammen Germanen mit halb gezogenem Schwert. Diese Überschreibung ist so verblüffend wie witzig und überwältigend, denn sie wird noch einmal durch suggestive, wummernde, wagnerische Industrial-Beats verstärkt und Riefenstahlartige rituell-ätherisch anmutende Tänze und Tanzerinnen abgelöst, die fast schon eine Ewigkeits-Diaspora andeuten, einen Migrationsprozess, dessen Weg das Ziel ist und der nicht anders als auf Erden kein Ende zu kennen scheint.
Wem diese umwerfenden Migrations-Mythen zu viel sein sollten, der kann sich allerdings auch gleich wieder durch ebenso deutsche Migrations-Hard-Facts erden lassen, denn gleich neben der großen Leinwand hat der in Berlin-Neukölln aufgewachsene Ersan Mondtag seinem Großvater ein Denkmal aus Raum- Video und Textinstallationen gesetzt, das sich kreativ und Horror-Kabinett-artig mit dem German-Gastarbeiter-Dream auseinandersetzt. Denn Mondtat Großvater ist kurz nach seiner Verrentung an dem gestorben, mit dem er wohl die meiste Zeit gearbeitet hat: Asbest. Es ist ein Totentanz und immer wieder auch pathetisches Abschiednehmen und eine Realität, zu der es kein Zurück mehr geben darf, auch das deutet Mondtags Erdhaufen vor dem Pavillon natürlich an. Und es ist ein ebenso finales Ende, wie Yael Bartanas Installation ein vielleicht wirklich finaler Anfang ist. Denn was politisch seit dem 7. Oktober passiert, gleicht tatsächlich der Konsequenz, die wir in Bartanas so hellsichtig wie berauschender Installation sehen.