Zusammen |
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Einer der poetischsten Filme des Festivals: Minh Quy Truons Viêt and Nam | ||
(Foto: Salzgeber) |
Von Lee Redepenning
Community – oder doch lieber Communities? Können Menschen, die queere Identitäten teilen, aber sonst ganz unterschiedlich sind, wirklich eine Gruppe bilden? In queeren Räumen wird immer wieder diskutiert, mit welchen Gemeinsamkeiten welche Formen der Gemeinschaft unter dem metaphorischen Regenbogen entstehen und wie queere Zugehörigkeit aussehen kann. Noch bis zum 20. Oktober zeigt das Queer Film Festival München (QFFM) Filme, die diese Frage im Herzen tragen und Arten menschlicher Verbindung in den Blick nehmen.
Queer ist dabei weitaus mehr als eine Inhalts- oder Themenbezeichnung. Die reine Darstellung gleichgeschlechtlicher Liebe macht noch keinen queeren Film – das suggerieren schon die wahllos zusammengewürfelten LGBTQ-Reiter vieler Streamingdienste. Die kuratierte Auswahl des QFFM versteht das Queere als etwas Unkategorisierbares, das sich im ausgesprochenen Unbehagen am Status quo gegen festgefahrene Erzählweisen und Formen stellt, sich neuen Ausdruck sucht. Dieser folgt in dieser Ausgabe besonders den Leitbegriffen der Selbstermächtigung und Sinnlichkeit.
Im Eröffnungsfilm Reas, der bereits am vergangenen Dienstag in den Münchner Kammerspielen gezeigt wurde, treffen die zentralen Motive der diesjährigen Ausgabe zusammen. Das Community-Projekt unter Leitung der argentinischen Regisseurin Lola Arias, die international kollektive Theaterprojekte inszeniert und dieses Jahr ihren zweiten Film auf der Berlinale gezeigt hat, gibt ehemaligen Inhaftierten eine Stimme in der Darstellung ihrer Gefängniserfahrungen.
Statt von außen über die Härte des Strafsystems und ein Leben unter der Kontrolle anderer zu berichten, übergibt Reas die Handlungsmacht und Autor:innenschaft an seine Protagonist:innen. Sie reenacten ihre Geschichte und überführen sie in selbst entwickelten Choreografien ins Musical. Mit Voguing und Strand im Gefängnishof schreiben sie dem Erlebten eine neue Lesart ein: ein Plädoyer für die Kraft von Zusammenhalt und Freundschaft, trotz Trauma musikalisch, bunt und lebensbejahend.
Zwischen Arbeit und bevorstehendem Aufbruch stehlen zwei junge Männer intime Momente. Die Körper umschlungen, der Schacht rußschwarz, Kohlefitzel wie Sterne. Traumartig bedrückend entfaltet sich in Minh Quy Truongs Viêt and Nam die Beziehung zweier Minenarbeiter. Die beiden sind auf der Suche nach Zukunft, nach Vergangenheit, nach Identität. Schon aus dem Titel wird
klar, dass diese Identität, oder besser: Identitäten vielschichtig und allegorisch geladen sind. Die harte Arbeit unter der Erde, die Liebe zueinander, die Suche nach der verschollenen Leiche des Soldaten-Vaters, das Streben nach Aufbruch, die Wassermassen bilden ein komplexes Netz an Metaphern in der grün strotzenden Landschaft Vietnams. Poetisch verweben sie sich mit Figuren und Bildern zu einem Portrait des Landes, das eher erfahren als verstanden werden muss.
Mi. 16.10.
20:15 City Kinos
Beendet wird das Festival am Sonntag nach der Verleihung des Jury-Preises mit All Shall Be Well. Der dritte Langspielfilm von Ray Yeung, dem langjährigen Leiter des Hong Kong Lesbian & Gay Film Festivals, zeichnet die Grenzen und Bedingungen von Familienzusammenhalt vor dem Hintergrund materieller Zwänge und Gier nach. Angie und Pat sind seit dreißig Jahren zusammen und stehen im
Zentrum ihres Großfamilienlebens. Doch Pat stirbt, und im Erbchaos beginnt die Zerrüttung. Katalysiert durch Hongkonger Rekordmieten und Wohnungsnot, zeigt der Film, wie leicht sich ungleiches Recht zum eigenen Nutzen instrumentalisieren lässt, wie wenig tief man graben muss, um unausgesprochene Homophobie zum Vorschein zu bringen. Schleichend wird Angie von Pats erbender Verwandtschaft gleich nochmal alles genommen. Neben Anwaltsterminen und überwältigender Trauer
gibt es Lichtblicke, durch Freundschaft die Hoffnung auf eine Familie abseits der Familie.
So. 20.10., ca. 20:45 City Kinos
Ein Rahmenprogramm im Habibi Kiosk der Münchner Kammerspiele und vier Kurzfilmprogramme erweitern die 14 Langfilme und öffnen das Spektrum des Festivals. »Tales of Love and Loss«, im Community-Spirit kuratiert von der Filmreihe Queer Frames Wien, versammelt Beziehungsmomente zwischen Begegnungen und Verlust. Die Naughty Shorts suchen Darstellungen queerer Sexualität und Körperlichkeit abseits stigmatisierender Pornoklischees.
Im thematischen Fokus zeigt das QFFM eine hochkarätige Auswahl – viele der Filme dieser Ausgabe waren zuvor auf renommierten Festivals zu sehen –, die die Bandbreite und Formenvielfalt queerer Filme ausstellt. Die Vielfalt zeigt auch: Es werden überall queere Filme gemacht und auch gezeigt, von und über Menschen aller Altersgruppen, sozialer Umstände und Lebenssituationen.
Eintritt: 12 Euro
Ticket-Link