17.10.2024

Zusammen

Viet and Nam
Einer der poetischsten Filme des Festivals: Minh Quy Truons Viêt and Nam
(Foto: Salzgeber)

Die neunte Ausgabe des Queer Film Festival München (QFFM) setzt auf Gemeinschaft, Selbstermächtigung und Sinnlichkeit

Von Lee Redepenning

Community – oder doch lieber Commu­ni­ties? Können Menschen, die queere Iden­ti­täten teilen, aber sonst ganz unter­schied­lich sind, wirklich eine Gruppe bilden? In queeren Räumen wird immer wieder disku­tiert, mit welchen Gemein­sam­keiten welche Formen der Gemein­schaft unter dem meta­pho­ri­schen Regen­bogen entstehen und wie queere Zugehö­rig­keit aussehen kann. Noch bis zum 20. Oktober zeigt das Queer Film Festival München (QFFM) Filme, die diese Frage im Herzen tragen und Arten mensch­li­cher Verbin­dung in den Blick nehmen.

Queer ist dabei weitaus mehr als eine Inhalts- oder Themen­be­zeich­nung. Die reine Darstel­lung gleich­ge­schlecht­li­cher Liebe macht noch keinen queeren Film – das sugge­rieren schon die wahllos zusam­men­ge­wür­felten LGBTQ-Reiter vieler Strea­ming­dienste. Die kura­tierte Auswahl des QFFM versteht das Queere als etwas Unka­te­go­ri­sier­bares, das sich im ausge­spro­chenen Unbehagen am Status quo gegen fest­ge­fah­rene Erzähl­weisen und Formen stellt, sich neuen Ausdruck sucht. Dieser folgt in dieser Ausgabe besonders den Leit­be­griffen der Selbst­er­mäch­ti­gung und Sinn­lich­keit.

Im Eröff­nungs­film Reas, der bereits am vergan­genen Dienstag in den Münchner Kammer­spielen gezeigt wurde, treffen die zentralen Motive der dies­jäh­rigen Ausgabe zusammen. Das Community-Projekt unter Leitung der argen­ti­ni­schen Regis­seurin Lola Arias, die inter­na­tional kollek­tive Thea­ter­pro­jekte insze­niert und dieses Jahr ihren zweiten Film auf der Berlinale gezeigt hat, gibt ehema­ligen Inhaf­tierten eine Stimme in der Darstel­lung ihrer Gefäng­nis­er­fah­rungen.

Statt von außen über die Härte des Straf­sys­tems und ein Leben unter der Kontrolle anderer zu berichten, übergibt Reas die Hand­lungs­macht und Autor:innen­schaft an seine Prot­ago­nist:innen. Sie reenacten ihre Geschichte und über­führen sie in selbst entwi­ckelten Choreo­gra­fien ins Musical. Mit Voguing und Strand im Gefäng­nishof schreiben sie dem Erlebten eine neue Lesart ein: ein Plädoyer für die Kraft von Zusam­men­halt und Freund­schaft, trotz Trauma musi­ka­lisch, bunt und lebens­be­ja­hend.

Zwischen Arbeit und bevor­ste­hendem Aufbruch stehlen zwei junge Männer intime Momente. Die Körper umschlungen, der Schacht rußschwarz, Kohle­fitzel wie Sterne. Traum­artig bedrü­ckend entfaltet sich in Minh Quy Truongs Viêt and Nam die Beziehung zweier Minen­ar­beiter. Die beiden sind auf der Suche nach Zukunft, nach Vergan­gen­heit, nach Identität. Schon aus dem Titel wird klar, dass diese Identität, oder besser: Iden­ti­täten viel­schichtig und alle­go­risch geladen sind. Die harte Arbeit unter der Erde, die Liebe zuein­ander, die Suche nach der verschol­lenen Leiche des Soldaten-Vaters, das Streben nach Aufbruch, die Wasser­massen bilden ein komplexes Netz an Metaphern in der grün strot­zenden Land­schaft Vietnams. Poetisch verweben sie sich mit Figuren und Bildern zu einem Portrait des Landes, das eher erfahren als verstanden werden muss.
Mi. 16.10. 20:15 City Kinos

Beendet wird das Festival am Sonntag nach der Verlei­hung des Jury-Preises mit All Shall Be Well. Der dritte Lang­spiel­film von Ray Yeung, dem lang­jäh­rigen Leiter des Hong Kong Lesbian & Gay Film Festivals, zeichnet die Grenzen und Bedin­gungen von Fami­li­en­zu­sam­men­halt vor dem Hinter­grund mate­ri­eller Zwänge und Gier nach. Angie und Pat sind seit dreißig Jahren zusammen und stehen im Zentrum ihres Groß­fa­mi­li­en­le­bens. Doch Pat stirbt, und im Erbchaos beginnt die Zerrüt­tung. Kata­ly­siert durch Hong­konger Rekord­mieten und Wohnungsnot, zeigt der Film, wie leicht sich unglei­ches Recht zum eigenen Nutzen instru­men­ta­li­sieren lässt, wie wenig tief man graben muss, um unaus­ge­spro­chene Homo­phobie zum Vorschein zu bringen. Schlei­chend wird Angie von Pats erbender Verwandt­schaft gleich nochmal alles genommen. Neben Anwalts­ter­minen und über­wäl­ti­gender Trauer gibt es Licht­blicke, durch Freund­schaft die Hoffnung auf eine Familie abseits der Familie.
So. 20.10., ca. 20:45 City Kinos

Ein Rahmen­pro­gramm im Habibi Kiosk der Münchner Kammer­spiele und vier Kurz­film­pro­gramme erweitern die 14 Langfilme und öffnen das Spektrum des Festivals. »Tales of Love and Loss«, im Community-Spirit kuratiert von der Filmreihe Queer Frames Wien, versam­melt Bezie­hungs­mo­mente zwischen Begeg­nungen und Verlust. Die Naughty Shorts suchen Darstel­lungen queerer Sexua­lität und Körper­lich­keit abseits stig­ma­ti­sie­render Porno­kli­schees.

Im thema­ti­schen Fokus zeigt das QFFM eine hoch­karä­tige Auswahl – viele der Filme dieser Ausgabe waren zuvor auf renom­mierten Festivals zu sehen –, die die Band­breite und Formen­viel­falt queerer Filme ausstellt. Die Vielfalt zeigt auch: Es werden überall queere Filme gemacht und auch gezeigt, von und über Menschen aller Alters­gruppen, sozialer Umstände und Lebens­si­tua­tionen.

9. QFFM
15.-20.10.2024

Eintritt: 12 Euro
Ticket-Link