24.10.2024
Cinema Moralia – Folge 336

Widerstand – gegen die Einschränkungen, die Vorschreibungen, und den Zeitgeist

Polizeiruf 110 - Jenseits des Rechts
Der neue Polizeiruf 110 in Hof: Regie Dominik Graf, Drehbuch Tobias Kniebe
(Foto: Provobis/Hofer Filmtage 2024)

Ulrich Seidl bekommt einen Preis und verbiegt sich nicht. Im Gegensatz zu anderen – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 336. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Beim dies­jäh­rigen inter­na­tio­nalen Film­fes­tival »KineNova« in Skopje wurde der öster­rei­chi­sche Regisseur, Dreh­buch­autor und Produzent Ulrich Seidl mit dem »Life Time Achie­ve­ment Award« ausge­zeichnet. Seidl bedankte sich in einer warm­her­zigen Rede bei Festi­val­leiter Nebojsha Jovanovik und seinem Team für diese besondere Ehrung und fügte am Ende einen Appell hinzu: »In Zeiten wie diesen, wo die Freiheit der Kunst und die Freiheit der Filmkunst in Gefahr ist, muss man, so mein Appell an eine nach­fol­gende Gene­ra­tion von Filme­ma­chern und Filme­ma­che­rinnen, Wider­stand leisten. Wider­stand gegen die Einschrän­kungen, Wider­stand gegen die Vorschrei­bungen, Wider­stand gegen den Zeitgeist. Der europäi­sche Film braucht Eigensinn und Indi­vi­dua­lität, er braucht wahre Geschichten und keine geschönte Wirk­lich­keit.«

Im Übrigen hoffe er aller­dings, »dass mein 'Life Time Achie­ve­ment' noch nicht beendet ist. Ich hoffe, weiterhin die Filme machen zu können, die ich machen möchte. Filme, denen ich mich verpflichtet fühle, Filme, die aufwühlen und Unruhe stiften. Und so will ich diesen Preis auch als eine Auffor­de­rung verstehen, meine Unru­he­stif­tung fort­zu­setzen.«
Nur für die Dummen ist das eine Drohung.

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Die schlimmsten deutschen Filme sind jene, die sich selbst beweih­räu­chern. Die sich selbst ganz toll finden, ganz wichtig.
Wen aus den letzten Wochen meine ich jetzt wohl?

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Diese ganzen Film­preise sind voll­kommen über­schätzt. Noch mehr, als alle Preise sowieso schon über­schätzt sind.
Man konnte es gerade wieder in Frankfurt erleben.

Da entspann sich über den zu Recht über seine Nicht­aus­zeich­nung verär­gerten Dreh­buch­autor und Schrift­steller Clemens Meyer eine Debatte, die auch für die Filmszene Relevanz hat: Meyer hatte bei der Buchmesse über die dürftige, weit­ge­hend nach iden­ti­täts­po­li­ti­schen und nicht nach quali­ta­tiven Kriterien entschei­dende Jury gemotzt (womit er sich in seinem Fall natürlich eine Blöße gab) und sofort wurden die Räder der deutschen Moral­ma­schine ange­worfen:

Man muss ihm deswegen zwar nicht den Preis geben, aber fast alle Argumente, die gegen Meyer aufge­fahren wurden, waren beschä­mend. Für die, die argu­men­tierten. Dabei soll Clemens Meyer doch bitte einfach so leben, wie er will, mit Renn­pferden, Steu­er­schulden, neuen Frauen und viel Hedo­nismus. Und er soll arbeiten, was, wann und wie er will.

Gegen Meyer stand das, was eine seiner Vertei­di­ge­rinnen die »Soli­da­rität des Abgrunds« genannt hat. »Skla­ven­moral« (Nietzsche). Unsere Zeiten produ­zieren immer mehr Block­warts, die im Namen der Gerech­tig­keit jeden anschwärzen, der es versteht, dem Joch der Lohn­ar­beit ein Schnipp­chen zu schlagen. Dass das prekäre Künst­ler­pack sich um die Reste staat­li­cher Zuwendung prügelt, ist eine nette Show für die besseren Ränge des Colos­seums. Aber dann raunte es doch in den asozialen Netz­werken gegen Meyer: »Warum hast du nichts ordent­li­ches gelernt, du faule Ratte, geh doch zur Bundes­wehr und Rhein­me­tall, die suchen noch Unge­lernte.«

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Gerade laufen wieder die »Hofer Filmtage«. Ich wäre gern gekommen. Es fehlt nur seit dem Tod des ewigen Leiters Heinz Badewitz an letzter Moti­va­tion. Trotzdem wäre ich gekommen, denn in Hof gibt es immer irgend­etwas zu sehen und zu entdecken. Zu sehen gibt es den neuesten »Poli­zeiruf« von Dominik Graf und zu entdecken höchst­wahr­schein­lich eine neue wichtige deutsche Filme­ma­cherin. Cliff­hanger: Dazu mehr nächste Woche.

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Ansonsten bleibt das wich­tigste Ereignis der Hofer Filmtage die während des Festivals alljähr­lich am Samstag statt­fin­dende Umstel­lung von Sommer- auf Winter­zeit.

Ich habe noch nie verstanden, warum in Deutsch­land alljähr­lich so über­pro­por­tional viel an der Zeit­um­stel­lung herum­ge­mäkelt wird. Es gibt Staaten mit vier oder sechs Zeitzonen, und da wird den Leuten auch nicht immer wochen­lang unwohl, wenn sie eine Zeit­grenze über­schreiten. Oder sie behalten es für sich. Beides die bessere Variante.
Es muss andere, sozi­al­psy­cho­lo­gi­sche Gründe geben. Ist man in Deutsch­land nun (über-)empfind­li­cher als ande­ren­orts? Oder haben sich die Menschen einfach daran gewöhnt, sich selbst zu wichtig zu nehmen?

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Joker: Folie à Deux hat sich zu einem der größten Hollywood-Flops der letzten Jahre entwi­ckelt. Zu Recht! Eine Festi­val­ku­ra­torin stellt dazu auf Facebook eine gute Frage:

»Fällt jemanden ein anderer Hollywood-Film ein, bei dem das Budget (hier 200 Mio. $ = Phoenix und Philipps je 20, Gaga = 12 wo sind die 148 Mio???) in so erschre­ckender Weise NICHT auf der Leinwand zu sehen ist?
Eine detail­lierte Aufschlüs­se­lung darüber, wohin das ganze Geld geflossen ist, wäre span­nender zu lesen als das Drehbuch des Films. Letzt­end­lich fühlt sich das ganze Unter­nehmen wie ein seltsamer post­mo­derner Witz auf Kosten Holly­woods an. Im Vorgän­ger­film griff Arthur Fleck Gothams reichste Leute an und wetterte gegen die Selbst­ge­fäl­lig­keit der Unter­hal­tungs­in­dus­trie. Dieses Mal haben die über­mäßigen Ausgaben und das nicht nur an der Kasse enttäu­schende Machwerk selbst das gleiche Ziel erreicht. 'Folie à Deux' hat einen Berg Studio­geld auf eine Weise verbrannt, die an Heath Ledgers 'Joker' erinnert, wie er in 'The Dark Knight' einen Riesen­berg aus Hundert-Dollar-Scheinen in Brand steckt. Wenn das das Ziel war: Mission accom­plished«

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Auch der Film­kritik geht es schlecht. Nicht nur inhalt­lich, sondern wie Joker 2: ökono­misch.

Davon zeugen die jetzt bekannt­ge­ge­benen fünf Nomi­nie­rungen für den Siegfried Kracauer Preis 2024 in der Kategorie Beste Film­kritik.

Denn vier der Nomi­nie­rungen gingen an Kollegen, die im Online-Bereich arbeiten, nur eine an eine Print-Redak­teurin, und die kommt aus der Schweiz.

Nun wird aber online leider fast nichts verdient.

Erkennbar ist hier zunächst mal aber die Abdankung der tradi­tio­nellen Print-Medien vom tradi­tio­nellen Jour­na­lismus, erst recht von der Kultur­kritik.

Zudem ist es auch sehr traurig, dass offenbar niemandem bislang aufge­fallen ist, dass es zwar einen neuge­schaf­fenen Preis für die »Beste Inno­va­tive Form der Film­kritik« gibt, aber kein Jahres­sti­pen­dium mehr. Und gekürzte Preis­gelder.
Das bestätigt alle, die diese Entschei­dungen zu verant­worten haben.