Cinema Moralia – Folge 336
Widerstand – gegen die Einschränkungen, die Vorschreibungen, und den Zeitgeist |
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Der neue Polizeiruf 110 in Hof: Regie Dominik Graf, Drehbuch Tobias Kniebe | ||
(Foto: Provobis/Hofer Filmtage 2024) |
Beim diesjährigen internationalen Filmfestival »KineNova« in Skopje wurde der österreichische Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Ulrich Seidl mit dem »Life Time Achievement Award« ausgezeichnet. Seidl bedankte sich in einer warmherzigen Rede bei Festivalleiter Nebojsha Jovanovik und seinem Team für diese besondere Ehrung und fügte am Ende einen Appell hinzu: »In Zeiten wie diesen, wo die Freiheit der Kunst und die Freiheit der Filmkunst in Gefahr ist, muss man, so mein Appell an eine nachfolgende Generation von Filmemachern und Filmemacherinnen, Widerstand leisten. Widerstand gegen die Einschränkungen, Widerstand gegen die Vorschreibungen, Widerstand gegen den Zeitgeist. Der europäische Film braucht Eigensinn und Individualität, er braucht wahre Geschichten und keine geschönte Wirklichkeit.«
Im Übrigen hoffe er allerdings, »dass mein 'Life Time Achievement' noch nicht beendet ist. Ich hoffe, weiterhin die Filme machen zu können, die ich machen möchte. Filme, denen ich mich verpflichtet fühle, Filme, die aufwühlen und Unruhe stiften. Und so will ich diesen Preis auch als eine Aufforderung verstehen, meine Unruhestiftung fortzusetzen.«
Nur für die Dummen ist das eine Drohung.
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Die schlimmsten deutschen Filme sind jene, die sich selbst beweihräuchern. Die sich selbst ganz toll finden, ganz wichtig.
Wen aus den letzten Wochen meine ich jetzt wohl?
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Diese ganzen Filmpreise sind vollkommen überschätzt. Noch mehr, als alle Preise sowieso schon überschätzt sind.
Man konnte es gerade wieder in Frankfurt erleben.
Da entspann sich über den zu Recht über seine Nichtauszeichnung verärgerten Drehbuchautor und Schriftsteller Clemens Meyer eine Debatte, die auch für die Filmszene Relevanz hat: Meyer hatte bei der Buchmesse über die dürftige, weitgehend nach identitätspolitischen und nicht nach qualitativen Kriterien entscheidende Jury gemotzt (womit er sich in seinem Fall natürlich eine Blöße gab) und sofort wurden die Räder der deutschen Moralmaschine angeworfen:
Man muss ihm deswegen zwar nicht den Preis geben, aber fast alle Argumente, die gegen Meyer aufgefahren wurden, waren beschämend. Für die, die argumentierten. Dabei soll Clemens Meyer doch bitte einfach so leben, wie er will, mit Rennpferden, Steuerschulden, neuen Frauen und viel Hedonismus. Und er soll arbeiten, was, wann und wie er will.
Gegen Meyer stand das, was eine seiner Verteidigerinnen die »Solidarität des Abgrunds« genannt hat. »Sklavenmoral« (Nietzsche). Unsere Zeiten produzieren immer mehr Blockwarts, die im Namen der Gerechtigkeit jeden anschwärzen, der es versteht, dem Joch der Lohnarbeit ein Schnippchen zu schlagen. Dass das prekäre Künstlerpack sich um die Reste staatlicher Zuwendung prügelt, ist eine nette Show für die besseren Ränge des Colosseums. Aber dann raunte es doch in den asozialen Netzwerken gegen Meyer: »Warum hast du nichts ordentliches gelernt, du faule Ratte, geh doch zur Bundeswehr und Rheinmetall, die suchen noch Ungelernte.«
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Gerade laufen wieder die »Hofer Filmtage«. Ich wäre gern gekommen. Es fehlt nur seit dem Tod des ewigen Leiters Heinz Badewitz an letzter Motivation. Trotzdem wäre ich gekommen, denn in Hof gibt es immer irgendetwas zu sehen und zu entdecken. Zu sehen gibt es den neuesten »Polizeiruf« von Dominik Graf und zu entdecken höchstwahrscheinlich eine neue wichtige deutsche Filmemacherin. Cliffhanger: Dazu mehr nächste Woche.
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Ansonsten bleibt das wichtigste Ereignis der Hofer Filmtage die während des Festivals alljährlich am Samstag stattfindende Umstellung von Sommer- auf Winterzeit.
Ich habe noch nie verstanden, warum in Deutschland alljährlich so überproportional viel an der Zeitumstellung herumgemäkelt wird. Es gibt Staaten mit vier oder sechs Zeitzonen, und da wird den Leuten auch nicht immer wochenlang unwohl, wenn sie eine Zeitgrenze überschreiten. Oder sie behalten es für sich. Beides die bessere Variante.
Es muss andere, sozialpsychologische Gründe geben. Ist man in Deutschland nun (über-)empfindlicher als anderenorts? Oder haben sich
die Menschen einfach daran gewöhnt, sich selbst zu wichtig zu nehmen?
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Joker: Folie à Deux hat sich zu einem der größten Hollywood-Flops der letzten Jahre entwickelt. Zu Recht! Eine Festivalkuratorin stellt dazu auf Facebook eine gute Frage:
»Fällt jemanden ein anderer Hollywood-Film ein, bei dem das Budget (hier 200 Mio. $ = Phoenix und Philipps je 20, Gaga = 12 wo sind die 148 Mio???) in so erschreckender Weise NICHT auf der Leinwand zu sehen ist?
Eine detaillierte Aufschlüsselung darüber, wohin das ganze Geld geflossen ist, wäre spannender zu lesen als das Drehbuch des Films. Letztendlich fühlt sich das ganze Unternehmen wie ein seltsamer postmoderner Witz auf Kosten Hollywoods an. Im Vorgängerfilm griff
Arthur Fleck Gothams reichste Leute an und wetterte gegen die Selbstgefälligkeit der Unterhaltungsindustrie. Dieses Mal haben die übermäßigen Ausgaben und das nicht nur an der Kasse enttäuschende Machwerk selbst das gleiche Ziel erreicht. 'Folie à Deux' hat einen Berg Studiogeld auf eine Weise verbrannt, die an Heath Ledgers 'Joker' erinnert, wie er in 'The Dark Knight' einen Riesenberg aus Hundert-Dollar-Scheinen in Brand steckt. Wenn das das Ziel war: Mission accomplished«
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Auch der Filmkritik geht es schlecht. Nicht nur inhaltlich, sondern wie Joker 2: ökonomisch.
Davon zeugen die jetzt bekanntgegebenen fünf Nominierungen für den Siegfried Kracauer Preis 2024 in der Kategorie Beste Filmkritik.
Denn vier der Nominierungen gingen an Kollegen, die im Online-Bereich arbeiten, nur eine an eine Print-Redakteurin, und die kommt aus der Schweiz.
Nun wird aber online leider fast nichts verdient.
Erkennbar ist hier zunächst mal aber die Abdankung der traditionellen Print-Medien vom traditionellen Journalismus, erst recht von der Kulturkritik.
Zudem ist es auch sehr traurig, dass offenbar niemandem bislang aufgefallen ist, dass es zwar einen neugeschaffenen Preis für die »Beste Innovative Form der Filmkritik« gibt, aber kein Jahresstipendium mehr. Und gekürzte Preisgelder.
Das bestätigt alle, die diese Entscheidungen zu verantworten haben.