Notizen zu Robert Kramer |
||
Schuf Meilensteine des amerikanischen Polit-Kinos: Robert Kramer (Foto: Milestones, 1975) | ||
(Foto: Viennale | Robert Kramer | Milestone) |
Von Timur Özkan
Ein Linker macht Filme über Linke. Robert Kramer, 1939 in New York geboren, war Filmemacher; einer, bei dem ähnlich wie bei Jean-Luc Godard das Politische untrennbar in sein filmisches Schaffen eingewoben war. Seine Arbeit führte in ihn die Kreise der Neuen Linken in Amerika, die er in diversen Filmen in allen ihren Widersprüchen einfing, und nach Europa, wo er – beginnend mit Scenes from the Class Struggle in Portugal (1976, einem Dokumentarfilm, der die Nelkenrevolution in Portugal begleitet) – seine Arbeit fortführte und sich schließlich in Paris niederließ.
1967 wurde Kramer Mitbegründer des Filmkollektivs »The Newsreel«. Dieses stand diversen progressiven Bewegungen nahe und hatte zum Ziel, den Film als agitatorische Waffe für den politischen Kampf zu nutzen. Über zwei frühe Spielfilme Kramers – The Edge von 1968 und Ice von 1970 –, die mit Mitgliedern von »The Newsreel« entstanden, soll hier gesprochen werden.
In ihrer selbstverwalteten DIY-Machart sind die Filme dem amerikanischen Populärkino entgegengesetzt. In Hollywood würde ohnehin niemand eine solche Produktion finanzieren, der moralisch-politische Ausverkauf, den ein solcher Pakt mit sich brächte, würde die Filme wiederum ihrer gesamten Substanz berauben. Nur in der Form des Underground-Kinos sind die Filme überhaupt möglich: Inhalt und Produktionsbedingungen gehen hier Hand in Hand.
Entsprechend diesen Prämissen können die Spielfilme überraschen: auf schwarz-weiß gedreht, lässt das überakzentuierte Sprechen die Amateurschauspieler durchscheinen. Die Filme, denen häufig eine Nähe zur Nouvelle Vague attestiert wurde, wirken sehr amerikanisch. Kramer nimmt die linke politische Szene, in der er sich selbst bewegte, in den Blick. Gut weg kommt sie dabei nur bedingt, jedoch ohne dass hier jemand mit dem erhobenen Zeigefinger fuchteln würde. Geradezu dokumentarisch beobachtet Kramer anhand von Individuen und Gruppierungen der Neuen Linken das private sowie politische Ringen – und ihr Scheitern.
Vorspann: Polizeiakten stellen die Protagonisten vor. Bilder geschossen aus dem Hinterhalt, beim Verlassen der Wohnung, auf dem Weg zur Arbeit. Alle tragen Angaben zu Alter, Beruf etc. Hausfrauen sind dabei, Schriftsteller, Lehrer, alle sind in ihren Zwanzigern, alle sind weiß. Alle werden verdächtigt, der radikalen Linken anzugehören.
Dann beginnt der Film.
Ein Mann flaniert scheinbar ziellos über Treppen und Straßen. Wir kennen ihn – Dan – aus der letzten Polizeiakte des Vorspanns. Gefilmt wird er aus der Ferne durch ein Zoom-Objektiv, eine Annäherung auf Distanz, von der die Person im Fokus nichts weiß. Ob jemand und wer hinter der Linse sitzt, lässt sich nur erahnen. Das Heimtückische der Bilder etabliert einen paranoiden Zustand als Grundlage, auf dem sich der restliche Film bewegt: 1967, die USA intensivieren ihr in der Operation Rolling Thunder angelegtes Bombardement Vietnams sowie die Überwachung jener Teile der Bevölkerung, die diesem Staat gefährlich werden könnten. Dan ist einer von ihnen.
In seinem Kopf ein Entschluss: Er will den amerikanischen Präsidenten ermorden. Seine Mitstreiter (die restlichen Köpfe der Polizeiakte) sind nur wenig begeistert. Die nächsten Tage, die die Struktur des Films vorgeben, ergehen sie sich in endlosem Schwadronieren im Umgang mit Dans Plan. Telefonate, Gespräche hinter dem Rücken Dritter geistern durch die Bilder. Man weiß weder ein noch aus.
Ein Zersetzungsprozess ist im Gang, der Gruppe, der politischen Stoßrichtung und
Handlungsweise, der Mitglieder und ihrer Beziehungen. Das Private stellt dem Politischen ein Bein, Lohnarbeit und Familie lassen die politische Arbeit nicht mehr zu, der bröckelnde Idealismus des Mannes lässt die Frau an der Ehe zweifeln: »Do you think I could’ve done better?«, fragt sie einen Freund.
Alles redet sich um Kopf und Kragen, zeitweise fällt es schwer, dem Ganzen noch zu folgen.
Dan will stattdessen zur Tat schreiten, das Begonnene nicht im Ungefähren, in
Resignation versumpfen lassen; will der geleisteten Arbeit und dem eigenen Leben noch Bedeutung abringen. Dass er mit diesem schon längst abgeschlossen hat, enthüllt der zweite Teil seines Plans. Es ist eine einfache Rechnung, die er aufstellt: er erschießt den Präsidenten für all das Grauen, für das dieser verantwortlich ist, danach nimmt er sich das Leben. Andernfalls wäre er nur ein weiterer Killer.
Dans Plan in allen Ehren, so verzweifelt ist er auch. Die Konsequenz und (sich
selbst vorgetäuschte) Entschlossenheit, mit der er vorgeht, dienen ihm als Scheuklappen gegen jeden Zweifel, der in den Sätzen, die um ihn gesponnen werden, sitzt; den Zweifel darüber, was richtig, was falsch, was überhaupt zu tun ist. Dan handelt, nur um nicht noch weiter reden zu müssen, besser irgendeine Tat als gar keine, und wenn, dann schon der Königsmord. In eben diesem Wahnwitz sitzt die Verzweiflung.
Kramer fängt einen Moment der amerikanischen Gegenkultur ein, die sich mehr und mehr in ihrer politisch-ideologischen Orientierungslosigkeit zersetzt/verliert. Man redet auch, um nicht handeln zu müssen. Die Liebe, häufig als rettender Anker für restlos verzweifelte Seelen ins Drehbuch eingeschrieben, vergeht in ein paar sehnsüchtigen Blicken von Dans Mitbewohnerin; der Kuss, den er ihr vor dem Schlafen auf die Stirn gibt, erinnert mehr an eine Vater-Tochter Beziehung. Er verlässt das Zimmer, sie bleibt enttäuscht zurück. In der Küche wird ein Revolver gepackt. Am Ende wird es einen Toten gegeben haben, die Konsequenzen bleiben unausgesprochen.
Die Ausweglosigkeit ist zum Durchdrehen. Dass Robert Kramer selbst in den Credits als »Mental Patient« aufgeführt wird, nur konsequent.
Wieder schwarz-weiß, einige bekannte Gesichter aus The Edge, wieder sind sie Teil einer Polit-Zelle. Diesmal wird zum bewaffneten Widerstand aufgerufen. Sicherheitshalber (möchte man sagen) hat Kramer die Handlung deshalb in die Zukunft und ein fiktives Amerika verlegt. Dennoch lässt der Film keinen Zweifel über seinen realen Bezug.
Wieder Fallstricke des politischen Widerstands. Unzuverlässige Informanten (oder wieder das Gerede Dritter, das diesen Verdacht hervorruft), Spitzel, die sich in die Zelle einschleusen, der dauerpräsente Überwachungsstaat,endlose Übersetzerarbeit von Texten anderssprachiger Zellen. Und die ständige Frage: Was tun? Wie gewinnt man die Bevölkerung für die eigene Sache? Besonders wenn der Staat die Medien kontrolliert, die ihre eigene Version der Geschichte haben?
Immerhin geht man nun zur Sache, es ist kein einzelner Ausreißer, sondern eine geschlossene Aktion. Die Zelle dringt in einen Häuserblock ein und erteilt den Bewohnern Frontalunterricht. Man erläutert den Gegenpart der Geschichte, Ziele und eigene Motivationen. Dass dabei Maschinenpistolen präsent sind, lässt den Gehalt dieser Überzeugungsarbeit fraglich erscheinen.
Es ist eine groteske Szene, sie steht jedoch sinnbildlich für eines der Spannungsfelder, in dem sich die
Filme bewegen. Die Notwendigkeit von Gewalt, um sich gegen Oppression zu verteidigen zum einen (parallel zur Lehrstunde läuft eine Gefangenenbefreiung), zum anderen, die eigenen Ziele durchzusetzen. Die Gewalt, die notwendig ist, jedoch potentielle Anhänger der Sache entfremdet.
Der Film und seine ihn wieder über weite Teile bestimmenden Dialoge sind durchsetzt von der Frage, wie mit System und Staat umgehen, welche Worte und Taten zu welchen Konsequenzen führen, was damit gewonnen wäre. Dabei bewegt er sich in der Wechselwirkung zwischen Individuum, der Gruppe, und Öffentlichkeit, sowie privaten Beziehungen. Die Widersprüche, die mit diesen Beziehungen einhergehen, spitzen sich in einem Moment am schärfsten zu: Paare, die sich bei endlosen Debatten entkleiden, Paare, die an diesen zu zerbrechen drohen. Ein paar Tage später, nachts, er greift zur Spritze. Zeitsprung, etwas später. Wer auch immer gerade vor der Tür steht, wird vorsichtshalber mit der Schrotflinte bedroht. Doch es ist nichts. Zeitsprung. Wieder Übersetzerarbeit, nur er am spärlich beleuchteten Schreibtisch. Er bricht ab, hält inne. Und dann die Worte, die er schmettert:
»Rachel! Where’s dinner??«
Die Worte hallen in der Stille nach wie eine Niederlage. Es ist der endgültige Bruch, der Rückfall der ständig propagierten Worte von Freiheit und Gleichheit ins Stereotyp eines stumpfen Patriarchen. Vom Revoluzzer bleibt nur ein weiterer Mann übrig, der seine Frau nach dem Abendessen anschreit.
Kramers Figuren sind realitätsnah (zu einem Grad, dass es merkwürdig wirkt, hier von fiktiven, geschriebenen Figuren zu sprechen; man spürt die Nähe Kramers zu seinen realen Vorbildern, der dokumentarische Stil verstärkt diesen Eindruck nur noch), deshalb auch sind sie widersprüchlich, deshalb so niederschmetternd; jede potentielle politische Sympathie wird von den persönlichen Makeln dieser Figuren unterminiert. Was erneute Fragen impliziert, wie und mit wem eigentlich der Widerstand, eine Revolution zu machen sei, wer hier überhaupt spricht.
Die in The Edge angelegte Form wird in Ice dann gebrochen, wenn immer wieder agitatorische Schriften der Zelle verlesen und in den Film eingeschnitten werden. Das Filmpositiv, welches wir dabei sehen, enthebt sie der restlichen Handlung. Die Worte richten sich direkt an den Zuschauer. Man möchte meinen, dass Kramer an den Gehalt dieser Worte glaubte, nicht jedoch notwendigerweise an jene, die sie ausrufen.
The Edge und Ice rotieren unentwegt um die Frage, was zu tun, wie zu leben wäre in einem System, das Mensch und Erde frisst. Dies weniger dialogisch, dazu bietet die Dichte der Szenen und Gesprächspassagen kaum Raum. Sondern in der konfrontativen Auseinandersetzung mit den Kämpfen einer vergangenen Zeit, welche ihre Relevanz in veränderter Form auch heute noch beibehalten. Die frühen Spielfilme sind weniger agitatorisch-propagandistisch, als es das Selbstverständnis des Newsreel-Kollektivs vermuten lässt, durch ihren observierenden Blick, der Möglichkeit zur Analyse bietet, jedoch zeitloser als ein zeitkapselhaftes Stück Agitationskunst, das Vietnam anprangert.
Ein letztes Bild aus den Agitprop-Passagen von Ice: Auf dem Rücken einer Person steht geschrieben:
»Humanity won’t be happy until the last bureaucrat is dissolved in the blood of the last capitalist.«
Da in die Erfüllung dieses Statements wenig Hoffnung zu setzen ist, bleiben Kramers Filme und die Fragen, die sie aufwerfen, weiter relevant. Es gilt, sie zu schauen.