07.11.2024

Notizen zu Robert Kramer

Viennale Robert Kramer
Schuf Meilensteine des amerikanischen Polit-Kinos: Robert Kramer (Foto: Milestones, 1975)
(Foto: Viennale | Robert Kramer | Milestone)

Die Viennale 2024 zeigte eine Retrospektive zum Filmemacher der amerikanischen Linken. Dazu einige Bemerkungen, Notizen, Auffälligkeiten, die im Gedächtnis geblieben sind

Von Timur Özkan

Ein Linker macht Filme über Linke. Robert Kramer, 1939 in New York geboren, war Filme­ma­cher; einer, bei dem ähnlich wie bei Jean-Luc Godard das Poli­ti­sche untrennbar in sein filmi­sches Schaffen einge­woben war. Seine Arbeit führte in ihn die Kreise der Neuen Linken in Amerika, die er in diversen Filmen in allen ihren Wider­sprüchen einfing, und nach Europa, wo er – beginnend mit Scenes from the Class Struggle in Portugal (1976, einem Doku­men­tar­film, der die Nelken­re­vo­lu­tion in Portugal begleitet) – seine Arbeit fort­führte und sich schließ­lich in Paris nieder­ließ.

1967 wurde Kramer Mitbe­gründer des Film­kol­lek­tivs »The Newsreel«. Dieses stand diversen progres­siven Bewe­gungen nahe und hatte zum Ziel, den Film als agita­to­ri­sche Waffe für den poli­ti­schen Kampf zu nutzen. Über zwei frühe Spiel­filme Kramers – The Edge von 1968 und Ice von 1970 –, die mit Mitglie­dern von »The Newsreel« entstanden, soll hier gespro­chen werden.

In ihrer selbst­ver­wal­teten DIY-Machart sind die Filme dem ameri­ka­ni­schen Populär­kino entge­gen­ge­setzt. In Hollywood würde ohnehin niemand eine solche Produk­tion finan­zieren, der moralisch-poli­ti­sche Ausver­kauf, den ein solcher Pakt mit sich brächte, würde die Filme wiederum ihrer gesamten Substanz berauben. Nur in der Form des Under­ground-Kinos sind die Filme überhaupt möglich: Inhalt und Produk­ti­ons­be­din­gungen gehen hier Hand in Hand.

Entspre­chend diesen Prämissen können die Spiel­filme über­ra­schen: auf schwarz-weiß gedreht, lässt das über­ak­zen­tu­ierte Sprechen die Amateur­schau­spieler durch­scheinen. Die Filme, denen häufig eine Nähe zur Nouvelle Vague attes­tiert wurde, wirken sehr ameri­ka­nisch. Kramer nimmt die linke poli­ti­sche Szene, in der er sich selbst bewegte, in den Blick. Gut weg kommt sie dabei nur bedingt, jedoch ohne dass hier jemand mit dem erhobenen Zeige­finger fuchteln würde. Geradezu doku­men­ta­risch beob­achtet Kramer anhand von Indi­vi­duen und Grup­pie­rungen der Neuen Linken das private sowie poli­ti­sche Ringen – und ihr Scheitern.

Die Ausweg­s­lo­sig­keit ist zum Durch­drehen: »The Edge« (1968)

The Edge
(Foto: Viennale | Robert Kramer)

Vorspann: Poli­zei­akten stellen die Prot­ago­nisten vor. Bilder geschossen aus dem Hinter­halt, beim Verlassen der Wohnung, auf dem Weg zur Arbeit. Alle tragen Angaben zu Alter, Beruf etc. Haus­frauen sind dabei, Schrift­steller, Lehrer, alle sind in ihren Zwan­zi­gern, alle sind weiß. Alle werden verdäch­tigt, der radikalen Linken anzu­gehören.

Dann beginnt der Film.

Ein Mann flaniert scheinbar ziellos über Treppen und Straßen. Wir kennen ihn – Dan – aus der letzten Poli­zei­akte des Vorspanns. Gefilmt wird er aus der Ferne durch ein Zoom-Objektiv, eine Annähe­rung auf Distanz, von der die Person im Fokus nichts weiß. Ob jemand und wer hinter der Linse sitzt, lässt sich nur erahnen. Das Heim­tü­cki­sche der Bilder etabliert einen para­no­iden Zustand als Grundlage, auf dem sich der restliche Film bewegt: 1967, die USA inten­si­vieren ihr in der Operation Rolling Thunder ange­legtes Bombar­de­ment Vietnams sowie die Über­wa­chung jener Teile der Bevöl­ke­rung, die diesem Staat gefähr­lich werden könnten. Dan ist einer von ihnen.

In seinem Kopf ein Entschluss: Er will den ameri­ka­ni­schen Präsi­denten ermorden. Seine Mitstreiter (die rest­li­chen Köpfe der Poli­zei­akte) sind nur wenig begeis­tert. Die nächsten Tage, die die Struktur des Films vorgeben, ergehen sie sich in endlosem Schwa­dro­nieren im Umgang mit Dans Plan. Tele­fo­nate, Gespräche hinter dem Rücken Dritter geistern durch die Bilder. Man weiß weder ein noch aus.
Ein Zerset­zungs­pro­zess ist im Gang, der Gruppe, der poli­ti­schen Stoßrich­tung und Hand­lungs­weise, der Mitglieder und ihrer Bezie­hungen. Das Private stellt dem Poli­ti­schen ein Bein, Lohn­ar­beit und Familie lassen die poli­ti­sche Arbeit nicht mehr zu, der bröckelnde Idea­lismus des Mannes lässt die Frau an der Ehe zweifeln: »Do you think I could’ve done better?«, fragt sie einen Freund.
Alles redet sich um Kopf und Kragen, zeitweise fällt es schwer, dem Ganzen noch zu folgen.
Dan will statt­dessen zur Tat schreiten, das Begonnene nicht im Unge­fähren, in Resi­gna­tion versumpfen lassen; will der geleis­teten Arbeit und dem eigenen Leben noch Bedeutung abringen. Dass er mit diesem schon längst abge­schlossen hat, enthüllt der zweite Teil seines Plans. Es ist eine einfache Rechnung, die er aufstellt: er erschießt den Präsi­denten für all das Grauen, für das dieser verant­wort­lich ist, danach nimmt er sich das Leben. Andern­falls wäre er nur ein weiterer Killer.
Dans Plan in allen Ehren, so verzwei­felt ist er auch. Die Konse­quenz und (sich selbst vorge­täuschte) Entschlos­sen­heit, mit der er vorgeht, dienen ihm als Scheu­klappen gegen jeden Zweifel, der in den Sätzen, die um ihn gesponnen werden, sitzt; den Zweifel darüber, was richtig, was falsch, was überhaupt zu tun ist. Dan handelt, nur um nicht noch weiter reden zu müssen, besser irgend­eine Tat als gar keine, und wenn, dann schon der Königs­mord. In eben diesem Wahnwitz sitzt die Verzweif­lung.

Kramer fängt einen Moment der ameri­ka­ni­schen Gegen­kultur ein, die sich mehr und mehr in ihrer politisch-ideo­lo­gi­schen Orien­tie­rungs­lo­sig­keit zersetzt/verliert. Man redet auch, um nicht handeln zu müssen. Die Liebe, häufig als rettender Anker für restlos verzwei­felte Seelen ins Drehbuch einge­schrieben, vergeht in ein paar sehn­süch­tigen Blicken von Dans Mitbe­woh­nerin; der Kuss, den er ihr vor dem Schlafen auf die Stirn gibt, erinnert mehr an eine Vater-Tochter Beziehung. Er verlässt das Zimmer, sie bleibt enttäuscht zurück. In der Küche wird ein Revolver gepackt. Am Ende wird es einen Toten gegeben haben, die Konse­quenzen bleiben unaus­ge­spro­chen.

Die Ausweg­lo­sig­keit ist zum Durch­drehen. Dass Robert Kramer selbst in den Credits als »Mental Patient« aufge­führt wird, nur konse­quent.

Der eine Moment aus »Ice« (1970)

The Ice
(Foto: Viennale | Robert Kramer)

Wieder schwarz-weiß, einige bekannte Gesichter aus The Edge, wieder sind sie Teil einer Polit-Zelle. Diesmal wird zum bewaff­neten Wider­stand aufge­rufen. Sicher­heits­halber (möchte man sagen) hat Kramer die Handlung deshalb in die Zukunft und ein fiktives Amerika verlegt. Dennoch lässt der Film keinen Zweifel über seinen realen Bezug.

Wieder Fall­stricke des poli­ti­schen Wider­stands. Unzu­ver­läs­sige Infor­manten (oder wieder das Gerede Dritter, das diesen Verdacht hervor­ruft), Spitzel, die sich in die Zelle einschleusen, der dauer­prä­sente Über­wa­chungs­staat,endlose Über­set­zer­ar­beit von Texten anders­spra­chiger Zellen. Und die ständige Frage: Was tun? Wie gewinnt man die Bevöl­ke­rung für die eigene Sache? Besonders wenn der Staat die Medien kontrol­liert, die ihre eigene Version der Geschichte haben? Immerhin geht man nun zur Sache, es ist kein einzelner Ausreißer, sondern eine geschlos­sene Aktion. Die Zelle dringt in einen Häuser­block ein und erteilt den Bewohnern Fron­tal­un­ter­richt. Man erläutert den Gegenpart der Geschichte, Ziele und eigene Moti­va­tionen. Dass dabei Maschi­nen­pis­tolen präsent sind, lässt den Gehalt dieser Über­zeu­gungs­ar­beit fraglich erscheinen.
Es ist eine groteske Szene, sie steht jedoch sinn­bild­lich für eines der Span­nungs­felder, in dem sich die Filme bewegen. Die Notwen­dig­keit von Gewalt, um sich gegen Oppres­sion zu vertei­digen zum einen (parallel zur Lehr­stunde läuft eine Gefan­ge­nen­be­freiung), zum anderen, die eigenen Ziele durch­zu­setzen. Die Gewalt, die notwendig ist, jedoch poten­ti­elle Anhänger der Sache entfremdet.

Der Film und seine ihn wieder über weite Teile bestim­menden Dialoge sind durch­setzt von der Frage, wie mit System und Staat umgehen, welche Worte und Taten zu welchen Konse­quenzen führen, was damit gewonnen wäre. Dabei bewegt er sich in der Wech­sel­wir­kung zwischen Indi­vi­duum, der Gruppe, und Öffent­lich­keit, sowie privaten Bezie­hungen. Die Wider­sprüche, die mit diesen Bezie­hungen einher­gehen, spitzen sich in einem Moment am schärfsten zu: Paare, die sich bei endlosen Debatten entkleiden, Paare, die an diesen zu zerbre­chen drohen. Ein paar Tage später, nachts, er greift zur Spritze. Zeit­sprung, etwas später. Wer auch immer gerade vor der Tür steht, wird vorsichts­halber mit der Schrot­flinte bedroht. Doch es ist nichts. Zeit­sprung. Wieder Über­set­zer­ar­beit, nur er am spärlich beleuch­teten Schreib­tisch. Er bricht ab, hält inne. Und dann die Worte, die er schmet­tert:

»Rachel! Where’s dinner??«

Die Worte hallen in der Stille nach wie eine Nieder­lage. Es ist der endgül­tige Bruch, der Rückfall der ständig propa­gierten Worte von Freiheit und Gleich­heit ins Stereotyp eines stumpfen Patri­ar­chen. Vom Revo­luzzer bleibt nur ein weiterer Mann übrig, der seine Frau nach dem Abend­essen anschreit.

Kramers Figuren sind reali­tätsnah (zu einem Grad, dass es merk­würdig wirkt, hier von fiktiven, geschrie­benen Figuren zu sprechen; man spürt die Nähe Kramers zu seinen realen Vorbil­dern, der doku­men­ta­ri­sche Stil verstärkt diesen Eindruck nur noch), deshalb auch sind sie wider­sprüch­lich, deshalb so nieder­schmet­ternd; jede poten­ti­elle poli­ti­sche Sympathie wird von den persön­li­chen Makeln dieser Figuren unter­mi­niert. Was erneute Fragen impli­ziert, wie und mit wem eigent­lich der Wider­stand, eine Revo­lu­tion zu machen sei, wer hier überhaupt spricht.

Die in The Edge angelegte Form wird in Ice dann gebrochen, wenn immer wieder agita­to­ri­sche Schriften der Zelle verlesen und in den Film einge­schnitten werden. Das Film­po­sitiv, welches wir dabei sehen, enthebt sie der rest­li­chen Handlung. Die Worte richten sich direkt an den Zuschauer. Man möchte meinen, dass Kramer an den Gehalt dieser Worte glaubte, nicht jedoch notwen­di­ger­weise an jene, die sie ausrufen.

The Edge und Ice rotieren unentwegt um die Frage, was zu tun, wie zu leben wäre in einem System, das Mensch und Erde frisst. Dies weniger dialo­gisch, dazu bietet die Dichte der Szenen und Gespräch­s­pas­sagen kaum Raum. Sondern in der konfron­ta­tiven Ausein­an­der­set­zung mit den Kämpfen einer vergan­genen Zeit, welche ihre Relevanz in verän­derter Form auch heute noch beibe­halten. Die frühen Spiel­filme sind weniger agita­to­risch-propa­gan­dis­tisch, als es das Selbst­ver­s­tändnis des Newsreel-Kollek­tivs vermuten lässt, durch ihren obser­vie­renden Blick, der Möglich­keit zur Analyse bietet, jedoch zeitloser als ein zeit­kap­sel­haftes Stück Agita­ti­ons­kunst, das Vietnam anpran­gert.

Ein letztes Bild aus den Agitprop-Passagen von Ice: Auf dem Rücken einer Person steht geschrieben:

»Humanity won’t be happy until the last bureau­crat is dissolved in the blood of the last capi­ta­list.«

Da in die Erfüllung dieses State­ments wenig Hoffnung zu setzen ist, bleiben Kramers Filme und die Fragen, die sie aufwerfen, weiter relevant. Es gilt, sie zu schauen.