05.12.2024

Nazi oder nicht Nazi, das ist hier die Frage

Lichtspiel
Nina Noé Stehlin als Leni Riefenstahl und Silas Breiding als G. W. Pabst
(Foto: Arno Declair)

Christian Stückl adaptiert Daniel Kehlmanns Roman »Lichtspiel« über den österreichischen Großregisseur G. W. Pabst für das Münchner Volkstheater. Das ist kurzweilig, aber immer wieder auch ambivalent

Von Axel Timo Purr

Daniel Kehlmanns im letzten Herbst erschie­nener Roman über den deutschen Groß­re­gis­seur Georg Wilhelm Pabst erhielt nicht die besten Kritiken. Zu stark klafften Fakten und Fiktion ausein­ander, zu wenig fülle Kehlmann sein histo­ri­sches Personal mit Leben und bleibe Pabst selbst allzu sehr Leer­stelle eines Lebens, das spek­ta­kulärer nicht hätte sein können. Das Leben eines der großen Film­re­gis­seure der Weimarer Republik, der nach großen Stumm­film­klas­si­kern wie Die freudlose Gasse (1925), Die Büchse der Pandora (1929), und Die weiße Hölle vom Piz Palü (1929 mit Arnold Fanck) mit Westfront 1918 (1930) und der Verfil­mung von Brechts Drei­gro­schen­oper (1931) auch den Sprung in den Tonfilm schaffte und spätere Schau­spiel­größen wie Greta Garbo, Asta Nielsen und Louise Brooks entdeckte. Und der auch dann alles »richtig« machte, als er 1933 in die USA nach Hollywood emigrierte. Doch mit dem Kassen­flop Ein moderner Held (1934) kam die Ernüch­te­rung und die Umkehr einer bis dahin souverän links­po­li­ti­schen »roten« Künst­ler­kar­riere. Pabst kehrte zurück nach Europa, drehte ein paar Filme in Frank­reich, um dann in seine Heimat Öster­reich und später weiter nach Deutsch­land zu reisen, wo er nach Kriegs­be­ginn Unter­hal­tungs­filme drehte, die das NS-Prädikat »staats­po­li­tisch und künst­le­risch wertvoll« erhielten. Pabst schien zunehmend alles egal zu werden: seine Inte­grität genauso wie seine Familie und die Ausbeu­tung von KZ-Insassen als Statisten; in seinem Lebens­zen­trum pulsiert nur mehr der Wunsch, um jeden Preis weiter Filme drehen zu können, folgt man Kehlmanns Roman. Das erinnert natürlich alles an Leni Riefen­stahl, die dann auch bei Kehlmann die erwart­bare unrühm­liche Rolle spielt. Grund genug also, einen Roman über dieses zerris­sene Leben zu schreiben, und erst recht, es auch auf die Bühne zu bringen, zumal der Roman vor Dialogen nur so strotzt.

Doch wie so oft bei Prosa­ad­ap­tionen an deutschen Theatern entscheidet sich auch Stückl am Münchner Volks­theater nicht für eine fließende, »filmische« Umsetzung, oder das klas­si­sche Sprech­theater, in dem die Schau­spieler auf den Dialog fokus­siert sind, sondern er wählt einen erzäh­le­ri­schen Rahmen, die Rück­blende und immer wieder das vom Gegenüber abge­wandte Erzählen und Sprechen zum Publikum, auch wenn erratisch immer wieder dialo­gisch gear­beitet wird. Es werden Masken abgesetzt und wieder aufge­setzt und Goebbels im Gespräch mit Pabst verschwindet humpelnd immer wieder in den Hinter­grund statt sich konzen­triert seinem Gegenüber zu widmen. Einer der wich­tigsten Momente nach der Rückkehr von Pabst nach Öster­reich wird ähnlich insze­niert: als Pabst von dem Unter­mieter seines Schlosses und jetzigen NS-Orts­vor­ste­hers eine Leiter hinab­ge­stoßen wird und sich damit die Besitz- und Wohn­ver­hält­nisse im Schloss völlig verdrehen und der Besitzer zum Diener wird, sehen wir nicht mehr als eine kaum zu dechif­frie­rende Leer­stelle (zumindest wenn man das Buch nicht kennt), werden wir allein mit den Folgen des Prozesses konfron­tiert.

Das ist zwar immer auch über­ra­schend und trotz der mehr als drei Stunden Spielzeit auch nie lang­weilig, doch wie in Kehlmanns Roman bleiben die Charak­tere program­ma­ti­sche Hülsen, die sich ihre Lebens­linie nicht erspielen, sondern deren Leben ohne nach­zu­voll­zie­hende Entwick­lung in den Raum gestellt wird, was vor allem für die Rolle des von Silas Breiding verkör­perten Pabst zutrifft. An anderen Stellen funk­tio­niert und beein­druckt diese Methode aller­dings, etwa bei dem von Cedric Stern in einer Doppel­be­set­zung großartig gespielten Sohn von Pabst und Goebbels Assis­tenten Kuno Krämer, dessen beiläu­fige alltäg­liche Dämonie die ist, die man sich auch von Jan Meeno Jürgens Goebbels erhofft, der jedoch gerade das nicht liefert – die verfüh­re­ri­sche Faszi­na­tion des Bösen, die in Bezug auf Goebbels nicht mehr als eine hinkende Maske bleibt. Das gilt auch für Nina Noé Stehlins Leni Riefen­stahl, deren clowneske Verkör­pe­rung einer stäh­lernen Megäre nicht weiter von der alles andere als eindeu­tigen Leni Riefen­stahl entfernt sein könnte, die gerade in Andres Veiels Riefen­stahl im Kino zu sehen ist.

Aber sowohl Kehlmann als auch Stückl wollen natürlich diesen Vergleich, auch wenn es auf Kosten des Fakti­schen geht, denn anders als Riefen­stahl und ihre Statisten aus einem KZ sind die KZ-Statisten von Pabst in seinem letzten, am Ende des Kriegs in Prag abge­drehten und verschol­lenen Film histo­risch nicht belegt.

Doch über Stefan Hagen­eiers Bühnen­bild, ein Film­do­sen­kon­volut und große Video­lein­wände, auf die die Filme proji­ziert werden, über die auf der Bühne gerade geredet oder an denen geschnitten wird, entsteht immerhin eine partielle, flirrende Fakti­zität, die dazu beiträgt, die Ambi­guität von Pabst und seinem Leben zu illu­mi­nieren und auch ein wenig die Tragik dieses Lebens zu verdeut­li­chen. Doch immer dann, wenn genau das gelingt, der Schmerz des Lebens spürbar wird, bricht Stückl auch gleich wieder damit, verfremdet, verleer­stellt, verein­facht, so wie in der Leiter-, der Goebbels- und der Riefen­stahl­szene.

Besonders schmerz­haft wird das am Ende, als die Frage, die natürlich von Anfang an wie ein Elefant im Raum steht, in einer abstrusen Dialog­szene zwischen allen Betei­ligten auch noch repetitiv ausge­spro­chen wird: Nazi oder nicht Nazi? Hätte Stückl mehr Vertrauen in seine Figu­ren­ent­wick­lung gehabt oder in die Gegenwart, die hier natürlich anvisiert wird, hätte es diesen Moment nicht gebraucht, erzählt das Leben von Pabst doch gerade die Antwort, auf die es nun mal die passende Frage nicht geben kann. Das ist bei Riefen­stahl nicht anders als bei Pabst. Und für unsere Gegenwart, in der sich popu­lis­ti­sche Führer und ihre Anhänger schon fast so anfühlen wie eben diese Geschichte, ganz genauso wenig.