Nazi oder nicht Nazi, das ist hier die Frage |
||
Nina Noé Stehlin als Leni Riefenstahl und Silas Breiding als G. W. Pabst | ||
(Foto: Arno Declair) |
Von Axel Timo Purr
Daniel Kehlmanns im letzten Herbst erschienener Roman über den deutschen Großregisseur Georg Wilhelm Pabst erhielt nicht die besten Kritiken. Zu stark klafften Fakten und Fiktion auseinander, zu wenig fülle Kehlmann sein historisches Personal mit Leben und bleibe Pabst selbst allzu sehr Leerstelle eines Lebens, das spektakulärer nicht hätte sein können. Das Leben eines der großen Filmregisseure der Weimarer Republik, der nach großen Stummfilmklassikern wie Die freudlose Gasse (1925), Die Büchse der Pandora (1929), und Die weiße Hölle vom Piz Palü (1929 mit Arnold Fanck) mit Westfront 1918 (1930) und der Verfilmung von Brechts Dreigroschenoper (1931) auch den Sprung in den Tonfilm schaffte und spätere Schauspielgrößen wie Greta Garbo, Asta Nielsen und Louise Brooks entdeckte. Und der auch dann alles »richtig« machte, als er 1933 in die USA nach Hollywood emigrierte. Doch mit dem Kassenflop Ein moderner Held (1934) kam die Ernüchterung und die Umkehr einer bis dahin souverän linkspolitischen »roten« Künstlerkarriere. Pabst kehrte zurück nach Europa, drehte ein paar Filme in Frankreich, um dann in seine Heimat Österreich und später weiter nach Deutschland zu reisen, wo er nach Kriegsbeginn Unterhaltungsfilme drehte, die das NS-Prädikat »staatspolitisch und künstlerisch wertvoll« erhielten. Pabst schien zunehmend alles egal zu werden: seine Integrität genauso wie seine Familie und die Ausbeutung von KZ-Insassen als Statisten; in seinem Lebenszentrum pulsiert nur mehr der Wunsch, um jeden Preis weiter Filme drehen zu können, folgt man Kehlmanns Roman. Das erinnert natürlich alles an Leni Riefenstahl, die dann auch bei Kehlmann die erwartbare unrühmliche Rolle spielt. Grund genug also, einen Roman über dieses zerrissene Leben zu schreiben, und erst recht, es auch auf die Bühne zu bringen, zumal der Roman vor Dialogen nur so strotzt.
Doch wie so oft bei Prosaadaptionen an deutschen Theatern entscheidet sich auch Stückl am Münchner Volkstheater nicht für eine fließende, »filmische« Umsetzung, oder das klassische Sprechtheater, in dem die Schauspieler auf den Dialog fokussiert sind, sondern er wählt einen erzählerischen Rahmen, die Rückblende und immer wieder das vom Gegenüber abgewandte Erzählen und Sprechen zum Publikum, auch wenn erratisch immer wieder dialogisch gearbeitet wird. Es werden Masken abgesetzt und wieder aufgesetzt und Goebbels im Gespräch mit Pabst verschwindet humpelnd immer wieder in den Hintergrund statt sich konzentriert seinem Gegenüber zu widmen. Einer der wichtigsten Momente nach der Rückkehr von Pabst nach Österreich wird ähnlich inszeniert: als Pabst von dem Untermieter seines Schlosses und jetzigen NS-Ortsvorstehers eine Leiter hinabgestoßen wird und sich damit die Besitz- und Wohnverhältnisse im Schloss völlig verdrehen und der Besitzer zum Diener wird, sehen wir nicht mehr als eine kaum zu dechiffrierende Leerstelle (zumindest wenn man das Buch nicht kennt), werden wir allein mit den Folgen des Prozesses konfrontiert.
Das ist zwar immer auch überraschend und trotz der mehr als drei Stunden Spielzeit auch nie langweilig, doch wie in Kehlmanns Roman bleiben die Charaktere programmatische Hülsen, die sich ihre Lebenslinie nicht erspielen, sondern deren Leben ohne nachzuvollziehende Entwicklung in den Raum gestellt wird, was vor allem für die Rolle des von Silas Breiding verkörperten Pabst zutrifft. An anderen Stellen funktioniert und beeindruckt diese Methode allerdings, etwa bei dem von Cedric Stern in einer Doppelbesetzung großartig gespielten Sohn von Pabst und Goebbels Assistenten Kuno Krämer, dessen beiläufige alltägliche Dämonie die ist, die man sich auch von Jan Meeno Jürgens Goebbels erhofft, der jedoch gerade das nicht liefert – die verführerische Faszination des Bösen, die in Bezug auf Goebbels nicht mehr als eine hinkende Maske bleibt. Das gilt auch für Nina Noé Stehlins Leni Riefenstahl, deren clowneske Verkörperung einer stählernen Megäre nicht weiter von der alles andere als eindeutigen Leni Riefenstahl entfernt sein könnte, die gerade in Andres Veiels Riefenstahl im Kino zu sehen ist.
Aber sowohl Kehlmann als auch Stückl wollen natürlich diesen Vergleich, auch wenn es auf Kosten des Faktischen geht, denn anders als Riefenstahl und ihre Statisten aus einem KZ sind die KZ-Statisten von Pabst in seinem letzten, am Ende des Kriegs in Prag abgedrehten und verschollenen Film historisch nicht belegt.
Doch über Stefan Hageneiers Bühnenbild, ein Filmdosenkonvolut und große Videoleinwände, auf die die Filme projiziert werden, über die auf der Bühne gerade geredet oder an denen geschnitten wird, entsteht immerhin eine partielle, flirrende Faktizität, die dazu beiträgt, die Ambiguität von Pabst und seinem Leben zu illuminieren und auch ein wenig die Tragik dieses Lebens zu verdeutlichen. Doch immer dann, wenn genau das gelingt, der Schmerz des Lebens spürbar wird, bricht Stückl auch gleich wieder damit, verfremdet, verleerstellt, vereinfacht, so wie in der Leiter-, der Goebbels- und der Riefenstahlszene.
Besonders schmerzhaft wird das am Ende, als die Frage, die natürlich von Anfang an wie ein Elefant im Raum steht, in einer abstrusen Dialogszene zwischen allen Beteiligten auch noch repetitiv ausgesprochen wird: Nazi oder nicht Nazi? Hätte Stückl mehr Vertrauen in seine Figurenentwicklung gehabt oder in die Gegenwart, die hier natürlich anvisiert wird, hätte es diesen Moment nicht gebraucht, erzählt das Leben von Pabst doch gerade die Antwort, auf die es nun mal die passende Frage nicht geben kann. Das ist bei Riefenstahl nicht anders als bei Pabst. Und für unsere Gegenwart, in der sich populistische Führer und ihre Anhänger schon fast so anfühlen wie eben diese Geschichte, ganz genauso wenig.