Der europäische Film ist ein Elitenprojekt geworden |
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Einer der großen Verlierer des Europäischen Filmpreises 2024: Andrea Arnolds Bird... | ||
(Foto: MFA+) |
Viermal war er nominiert und alle vier Preise konnte er am Samstag gewinnen: Jacques Audiard und sein facettenreicher, ziemlich breit geschätzter Film Emilia Pérez waren die großen Gewinner der 37. Verleihung der Europäischen Filmpreise: Bester Film, beste Regie, bestes Drehbuch und beste Hauptdarstellerin, mehr geht kaum. Dazu kam noch ein Preis für die beste Montage unter den technischen
Kategorien, die leider anders vergeben werden und aus dem Preis eine Zweiklassengesellschaft machen, bei denen Kamera und Montage, also die Urgrammatik des Kinos, zu »ferner liefen« degradiert werden.
Aber das nur nebenbei – es ist wirklich nicht das größte unter den vielen Problemen der Europäischen Filmpreise.
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Man kann nicht sagen, dass das eine wirkliche Überraschung war – allenfalls die Eindeutigkeit des Sieges von Emilia Pérez überrascht.
Zu jedem großen Sieger gehört auch ein großer Verlierer. Der ist in diesem Fall der spanische Regisseur Pedro Almodóvar. Ebenfalls viermal nominiert, konnte er mit seinem Film The Room Next Door keinen einzigen Preis gewinnen.
Neben Emilia Pérez blieb auch sonst nicht mehr viel Platz. So gewannen auch
Filme wie Das Mädchen mit der Nadel, Die Saat des heiligen Feigenbaums und Andrea Arnolds Bird trotz mehrfacher Nominierungen keinen einzigen Preis.
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Das Verfahren, das zu diesen Preisen führte, ist hyperdemokratisch: Über 5000 Mitglieder, die Mitglieder der Europäischen Filmakademie EFA mit Sitz in Berlin, können gleichberechtigt abstimmen bei der Verleihung der Europäischen Filmpreise, egal, ob sie alle Filme gesehen haben, und egal, ob sie sie im Kino gesehen haben.
Die Verleihung findet jedes Jahr in einer anderen europäischen Stadt statt, am Samstag bereits zum 37. Mal und diesmal im Schweizer Ferienort Luzern.
Dort konnte das europäische Kino am letzten Wochenende sich einmal mehr selbst feiern.
Die Feier selbst wurde allerdings durch den Ablauf getrübt: Über fünf Stunden mussten die Gäste des Abends im Saal zubringen. Zunächst etwa zwei Stunden Wartezeit bis zum Beginn der eigentlichen Veranstaltung. Die dauerte dann nochmal gute drei Stunden, die mit entbehrlichen Intermezzi und vor allem mit überlangen Dankesreden gefüllt waren, bei denen alle dreimal das Gleiche sagten und in jedem Fall nichts irgendwie Originelles. Hinzu kam, dass alle seit spätestens 18 Uhr nichts gegessen hatten, also bis nach 23 Uhr hungrig im Saal zubringen mussten.
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Besonders emotional sind bei solchen Anlässen und auch diesmal die Ehrenpreise: Ein Preis für sein Lebenswerk ging an den deutschen Filmemacher Wim Wenders, den Mitbegründer der Europäischen Filmakademie und über 24 Jahre ihr Präsident – bei Wenders hatte man gedacht, er habe diesen Preis schon mehr als einmal bekommen. Oder gefühlt jedes Jahr aufs Neue einen anderen Preis.
Die Auszeichnung für ihre Leistungen fürs Weltkino bekam die Schauspielerin Isabella Rossellini – hochverdient und zugleich eine Erinnerung an die echten Glanzzeiten des europäischen Kinos. Denn Rossellini ist zwar längst eine Künstlerin aus eigenem Recht, aber sie trägt auch den großen Namen ihres Vaters Roberto Rossellini, eines der bedeutendsten Regisseure der Filmgeschichte. Und wer sie sieht, wird immer auch an ihre Mutter denken: Die Schwedin Ingrid Bergman, eine der großen Ikonen des klassischen Kinos.
Darüber, dass diese Glanzzeiten vorerst vorbei sind, kann aber nun auch die gemütlichste Preisverleihung nicht hinweg täuschen.
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Denn zunehmend sind die Kriterien des »Europäischen« fragwürdiger, ist es schwerer zu sagen, was eigentlich überhaupt »europäischer Film« heißt. Das europäische Kino ist längst zu einer Art Welt-Kino und Schau der Weltkulturen geworden – wie die diesjährigen Filme perfekt illustrierten: Sieger Emilia Pérez ist ein französischer Film in spanischer Sprache, der in Mexiko spielt, und
zu einem Großteil US-amerikanische Hauptdarsteller hat; der ein bisschen Musical ist, ein bisschen Drogen-Gangster-Film und ein bisschen Transgender-Empowerment.
Sein größter Konkurrent war das Melodram eines spanischen Regisseurs, der mit einer US-amerikanischen und einer britischen Schauspielerin in New York gedreht hat.
Der Dokumentarfilm-Sieger No Other Land ist ein israelisch-arabischer Film, der europäisch nur durch die beteiligten Produktionsfirmen wird, nicht aber durch sein Thema oder seine Protagonisten.
Europäisches Kino – das heißt also hier nicht künstlerische Identität, sondern es heißt Wirtschaftsstandort. Genau dies ist aber die größte Belastung für die Zukunft des europäischen Films und seiner Europäischen Filmakademie. Denn im 37. Jahr ist das europäische Kino und nicht nur die europäischen Filmpreise gesichtsloser denn je geworden.
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Wo ist denn all das, was es einst gab: Europäisches Genre-Kino, also Science-Fiction-Filme, Gangstermovies und Horror aus Europa – Anlass dazu gäbe es schließlich genug?
Wo sind denn die Stars, die dem europäischen Kino jenseits der geschickten Kombination von zehn europäischen Fördertöpfen aus acht Ländern auch eine Seele einhauchen? Die das Potenzial haben, ganz Europa zu vereinen durch ihre Schönheit und ihr Charisma – so wie das einst ein Marcello Mastroianni,
eine Romy Schneider oder eine Jeanne Moreau vermochten?
Das europäische Kino hat auch zu den aktuellen Problemen und Sorgen von Europa recht wenig zu sagen. Ebenso wenig zu der Stellung Europas in der Welt. Zu einem Krieg wie in der Ukraine fällt ihm vor allem ein, dass dieser Krieg schrecklich ist und die Menschenrechte wichtiger denn je – fair enough, aber das genügt nicht.
Zur Causa der israelisch-arabischen Beziehungen, die wir uns angewöhnt haben »Nahost-Konflikt« zu nennen, schweigt man am besten, denn sonst würde man sich
auch mit Freunden heftig streiten.
Zum breiten Antisemitismus in der Kultur- und Wissenschaftsszene Europas schweigt man erst recht aus ähnlichen Gründen. Filme, die beides ernsthaft ansprechen, also jenseits der Selbstverständlichkeiten (Menschenrechte und so) und der Wohlfühlnarrative der Gebildeten gibt es kaum.
Beim Rechtsextremismus ist man klar dagegen – das ist dem europäischen Kino dann plötzlich ganz selbstverständlich. Aber es übersieht dabei, dass
ein Zehntel, ein Viertel oder gar ein Drittel seines Publikums genau diese Rechtsextremisten wählt. Es müsste also Filme geben, die diese potentiellen Wähler und Wutbürger adressieren, nicht nur die Gutmenschen. Und die Wege finden, dass dieses Publikum nicht ins Streamer-Nirvana oder gleich an Querdenkerportale verloren geht.
Die Sonntagsreden der europäischen Filmakademie helfen da nicht, sondern verstärken eher noch die Probleme.
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So droht die Europäische Film-Akademie dem gleichen Schicksal zu verfallen, wie die Europäische Union und so manches andere gut gemeinte Projekt: Man hebt ab, und richtet es sich gemütlich ein in seiner eigenen Blase.
Hart gesagt: Der europäische Film ist gegenwärtig ein Elitenprojekt für eine kleine kunstaffine Schicht und für die Kulturkaufleute, bei dem es vor allem um Optimierung wirtschaftlicher Abläufe geht, aber nicht um das, worum es tatsächlich gehen müsste – um Kultur. Also um Irritation, Risiko, Mut und Neugier.