19.12.2024
Cinema Moralia – Folge 341

Hohn, Schweine, Scherben oder: Die Zerstörung der deutschen Kultur durch den Pop

Dr. Carsten Brosda
Anders als Berlin – Hamburg unter Kultursenator Carsten Brosda...
(Foto: Hernandez für Behörde für Kultur und Medien, Hansestadt Hamburg)

»Es geht doch, Leute!«: Easy Listening, Nachrichten aus dem alltäglichen Wahnsinn und das Gegenbeispiel Hamburg – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 341. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Es ist immer zu wenig Geld da. Aber es hilft, beim Verhan­deln eine innere Grenze zu haben, die man nicht über­schreitet. Und es ist klug, diese Grenze für sich zu behalten.« – Carsten Brosda, Hamburger Kultur­se­nator

»Even in the moment of love, I was like a police officer gathering evidence of a crime that hadn’t yet been commited.« – Graham Greene »The End of the Affair«

Kürzungen aller­orten: In den Kultur­etats, in den Medien und dort wieder vor allem in den über schwin­dende Kultur­etats berich­tenden Kultur­re­dak­tionen.

Dass es aber nicht so sein muss, beweist gerade die Freie und Hanse­stadt Hamburg. Dort wurde der Kultur­etat für das Jahr 2025 über­durch­schnitt­lich um satte zwölf Prozent erhöht. Die Film­för­de­rung Hamburg-Schleswig-Holstein (»Moin«) allein wird aus dem Hamburger Stadt­sä­ckel 10 Millionen Euro mehr bekommen, wurde letzte Woche gemeldet.

Verant­wort­lich dafür ist der sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Kultur­se­nator Carsten Brosda, der schon 2021 als neuer Kultur­staats­mi­nister gehandelt wurde und SPD-Verhand­lungs­führer bei den Koali­ti­ons­ver­hand­lungen zur Kultur war. Nur ein blöder Lasten­aus­gleich im Ampel­ge­füge verhin­derte damals seine Berufung.

Im Spiegel wird er jetzt zum plötz­li­chen Sparfuror in der Kultur und insbe­son­dere zu der Kahl­schlag-Politik der Berliner Großen Koalition inter­viewt. Diese Berliner Sparpläne hatte er bereits kürzlich scharf kommen­tiert: »Mich hinter­lässt das fassungslos›.‹«

Jetzt stellt Brosda fest: »So engen wir die Kunst ein und berauben sie ihrer Kraft«.

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Kultur­po­litik und Wirt­schaft­lich­keit müssen sich nicht ausschließen, sondern ergänzen sich: »Wir bilan­zieren wie ein Unter­nehmen. Wir berück­sich­tigen die Vermö­gens­werte und die Abschrei­bung, vor allem betrachten wir die Steu­er­ein­nahmen der vergan­genen Jahre und die Steu­er­pro­gnosen und errechnen daraus einen Trend, der die möglichen Ausgaben bestimmt. So können wir lang­fristig planen und müssen nicht, wie die Berliner offenbar, Hals über Kopf den Haushalt kürzen. Das ist im Kultur­be­reich ja auch kaum möglich. Ein Theater beispiels­weise hat seinen Wirt­schafts­plan für 2025 längst gemacht und auch die Verträge für die Auffüh­rungen der kommenden Jahre geschlossen.«

Wichtig sei auch, »dass ein Kultur­se­nator nicht allein dasteht. Sondern dass bei uns der gesamte Senat sagt: Kultur ist uns wichtig.«

Was ihn mehr beun­ru­hige, als die konkreten Spar­maß­nahmen in Berlin, sei »der Unterton, den die Debatte in den letzten Tagen und Wochen auch über Berlin hinaus bekommen hat.«
Brosda: »Wenn ich den Berliner Bürger­meister Kai Wegner höre, der davon redet, die Super­markt­kas­sie­rerin könne doch nicht das Opern­ti­cket mitfi­nan­zieren, dann hat das einen popu­lis­ti­schen Ton, der mir auf einer grund­sätz­li­chen Ebene Sorge macht. Davon abgesehen, dass dahinter auch eine Gering­s­chät­zung der Kassie­rerin steht, die angeblich nicht in die Oper geht, stellt sich noch eine größere, gravie­ren­dere Frage: Hat man, wenn man als Politiker so redet wie der Regie­rende Bürger­meister von Berlin, überhaupt ein Bewusst­sein für den Wert von Kunst?«

Kultur produ­ziere durchaus etwas, aber nichts Mate­ri­elles führt Brosda aus, »sondern Sinn.«

Und man könne Kultur­ein­rich­tungen auch nicht mit krea­tiv­wirt­schaft­li­chen Enter­tain­ment­ein­rich­tungen verglei­chen.

Auf kluge Weise kontert Brosda das billige und allzu schnelle, allzu funk­tio­nale Argument, dass Kultur die Demo­kratie stärke. Ihm sei in der Kultur­po­litik und auch in der Kultur­för­de­rung »in den vergan­genen Jahren zu oft gesagt worden: Geld kriegst du aber nur, wenn du Diver­sität förderst, wenn du Inklusion förderst, wenn du nach­haltig bist. Und wenn dann nebenbei noch Kunst rauskommt, ist auch schön.«
Aber: »Es geht darum, radikal zu sagen: Wir ermög­li­chen Kunst.« Radikal Kunst, nicht Diver­sität und Inklusion seien der Ausgangs­punkt. Diver­sität und Inklusion seien nicht Zweck der Kunst. »Proble­ma­tisch wird es, wenn wir als Förderer sagen, Geld gibt es nur, wenn deine Kunst so oder so ist. Dann engen wir die Kunst ein und berauben sie ihrer eigenen Kraft.«

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Jenseits von Hamburg ist die Lage ansonsten grausig. Über Kahl­schlag-Chialo und seine Rasen­mäher-Kürzungen ist zuletzt viel berichtet worden. Zu wenig aber über die Lage der Medien. Natur­gemäß, denn dann müsste man sich ja selbst kriti­sieren.

Zum Beispiel die Süddeut­sche Zeitung: Dort wurde die Filmseite, eine Insti­tu­tion seit den 1950er Jahren und den Zeiten von Gunther Groll bereits seit der ersten Dezem­ber­woche ersatzlos gestri­chen. Bisher hat’s niemand öffent­lich bemerkt. Leider! Jetzt regen sich auch über­re­gional erste Proteste.

In einem offenen Brief nimmt der »Bundes­ver­band kommunale Film­ar­beit« zur Strei­chung der Filmseite Stellung.

Darin heißt es:
»Über Jahr­zehnte hat die SZ am Donnerstag nicht nur die Kinostarts infor­miert, sondern auch bedeu­tenden Filmen eine Öffent­lich­keit gegeben, die diese durch Werbe­kam­pa­gnen nicht hätten erreichen können. Hier wurde span­nenden Filmen der Weg auf die Leinwände erleich­tert und jene Filme, die sich dort schon fanden, kritisch und inspi­rie­rend hinter­fragt. Damit setzte die SZ einen hohen Standard für Film­re­zen­sionen im ganzen Land.
Gerade aufgrund der bundes­weiten Bedeutung Ihrer Zeitung beun­ru­higt uns Ihre Entschei­dung zur Einstel­lung der Kinoseite besonders. Verän­de­rungen und Spar­maß­nahmen betreffen in der nahen Zukunft fast alle deutschen Tages­zei­tungen oder sind bereits geschehen. Aber: Die Kino­kritik darf man sich nicht sparen! Denn das Kino ist einer der wich­tigsten und nieder­schwel­ligsten Kultur­orte, auf dem Land häufig sogar der einzig verblie­bene.
Der besondere kultu­relle Wert des Kinos hängt von einer kriti­schen Ausein­an­der­set­zung mit dem aktuellen Film­an­gebot ab: durch die Kino­ma­cher:innen, das Publikum und häufig zuvor noch durch die Publi­zistik. Für die kommu­nalen Kinos, die Räume schaffen, in denen mehr als ein passives Zuschauen möglich ist, hat die Film­kritik im Allge­meinen und Ihre Zeitung im Beson­deren eine wichtige Bedeutung.«

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Die Gründe dafür sind Digi­ta­li­sie­rung und Spar­po­litik. Die Folgen sind weniger Kurz­kri­tiken und Essays, und viel weniger Planungs­si­cher­heit für die Kollegen. Da Filme ad hoc vergeben werden, wird von den freien Autoren erwartet, viel auf Verdacht zu sehen, wenig mit der Sicher­heit, es auch zu bespre­chen.

Das alles ist nur ein Symptom für den allge­meinen Nieder­gang tradi­tio­neller Medien und Formate. Natürlich gibt es weiterhin SZ-Film­kri­tiken und zudem war die SZ die einzige Tages­zei­tung, die noch eine feste Filmseite hatte. Die der FAZ wurde bereits 2012 einge­stellt – ebenfalls weit­ge­hend unbemerkt und ohne Protest seitens eines Verbandes.

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Ähnliches bei den öffent­lich-recht­li­chen Fern­seh­sen­dern.

Wegfal­lende Sende­plätze sowie Kürzungen, und die idio­ti­sche Idee einer Zusam­men­le­gung von 3sat und arte stehen für die kultur­ferne Haltung und »Kultur­ver­ach­tung« (Ulrich Matthes).

Auch das trifft Jour­na­listen und zum Beispiel Film­kri­tiker: Was hat das für Folgen für die freien Autoren, wenn den einzelnen Freien die Arbeits­mög­lich­keiten wegge­nommen werden?
Weniger Vielfalt schafft weniger Vielfalt. Die Viel­falts­fe­ti­schisten und Diver­si­täts­ver­tei­diger erkennen nicht, dass ihre ganzen Diver­si­täts­ideen längst keine Exis­tenz­grund­lage mehr haben, denn wenn erstmal die Sende­plätze wegfallen und die Kultur­be­richt­erstat­tung, gibt es auch weniger Vielfalt.

Es wäre eigent­lich im Interesse aller Betei­ligten, auch der kommer­zi­ellsten unter den Kommer­zi­ellen Verlei­hern und Produ­zenten, für die Film­kritik zu kämpfen, auch für eine öffent­lich-recht­liche.

Im Koali­ti­ons­ver­trag der inzwi­schen Geschichte gewor­denen Ampel gab es einen Passus über die Grund­la­gen­si­che­rung der Medien. Der steht da auch weiterhin drin, ist aber niemals auch nur insoweit umgesetzt worden, als ein Minis­te­rium dafür zuständig wäre, weil die »Grünen« dann aber weder im Wirt­schafts­mi­nis­te­rium noch am Kultur­mi­nis­te­rium scharf drauf waren, das mit den ganzen offen­kun­digen Schwie­rig­keiten – Vorwürfe der Lügen­presse, des Staats­funks etc.– auch in die Tat umzu­setzen.

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Es gibt keinerlei Grund, die öffent­lich-recht­li­chen Fern­seh­sender unter­s­tützen. Radio­sender sind etwas anderes, denn Radio­sender machen genau das, was die öffent­lich-recht­li­chen Fern­seh­sender nicht mehr machen.

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Nachricht aus dem alltäg­li­chen Wahnsinn, ganz wörtlich: »Aus Sicher­heits­gründen muss der Empfänger dieses Pakets dem Fahrenden persön­lich dieses Einmal­pass­wort, um das Paket entge­gen­nehmen zu können. Teilen Sie dem Fahrenden dieses Passwort nicht per Telefon oder Gegen­sprech­an­lage mit. Weitere Infor­ma­tionen...«
Finde den Fehler (gemeint ist nicht das fehlende Verb:) Der Fahrer wird zum »Fahrenden«, der Empfänger aber keines­wegs zum »Empfan­genden«. Was, wenn sich jetzt tausende von Amazon-Kund*_Innen »nicht mehr gemeint fühlen«?

Und kann der Nikolaus eigent­lich auch eine Niko­lausin sein? Oder eine Nikoleta? Oder ein Niko­laus­sender?

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Oder dies hier. Bei T-Online über­treibt man die Beflis­sen­heit der Trans­pa­renz bei Quel­len­an­gaben ins Groteske:

»Verwen­dete Quellen:
Beob­ach­tungen vor Ort«

»Verwen­dete Quellen:
Eigene Über­le­gungen«

Beide Phänomene, die nur beispiel­haft für viele mehr stehen, belegen vor allem eine tief verun­si­cherte Gesell­schaft, die von Angst – German Angst? – durch­zogen ist und derart verkrampf alles richtig machen will, dass alles falsch wird.