Cinema Moralia – Folge 341
Hohn, Schweine, Scherben oder: Die Zerstörung der deutschen Kultur durch den Pop |
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Anders als Berlin – Hamburg unter Kultursenator Carsten Brosda... | ||
(Foto: Hernandez für Behörde für Kultur und Medien, Hansestadt Hamburg) |
»Es ist immer zu wenig Geld da. Aber es hilft, beim Verhandeln eine innere Grenze zu haben, die man nicht überschreitet. Und es ist klug, diese Grenze für sich zu behalten.« – Carsten Brosda, Hamburger Kultursenator
»Even in the moment of love, I was like a police officer gathering evidence of a crime that hadn’t yet been commited.« – Graham Greene »The End of the Affair«
Kürzungen allerorten: In den Kulturetats, in den Medien und dort wieder vor allem in den über schwindende Kulturetats berichtenden Kulturredaktionen.
Dass es aber nicht so sein muss, beweist gerade die Freie und Hansestadt Hamburg. Dort wurde der Kulturetat für das Jahr 2025 überdurchschnittlich um satte zwölf Prozent erhöht. Die Filmförderung Hamburg-Schleswig-Holstein (»Moin«) allein wird aus dem Hamburger Stadtsäckel 10 Millionen Euro mehr bekommen, wurde letzte Woche gemeldet.
Verantwortlich dafür ist der sozialdemokratische Kultursenator Carsten Brosda, der schon 2021 als neuer Kulturstaatsminister gehandelt wurde und SPD-Verhandlungsführer bei den Koalitionsverhandlungen zur Kultur war. Nur ein blöder Lastenausgleich im Ampelgefüge verhinderte damals seine Berufung.
Im Spiegel wird er jetzt zum plötzlichen Sparfuror in der Kultur und insbesondere zu der Kahlschlag-Politik der Berliner Großen Koalition interviewt. Diese Berliner Sparpläne hatte er bereits kürzlich scharf kommentiert: »Mich hinterlässt das fassungslos›.‹«
Jetzt stellt Brosda fest: »So engen wir die Kunst ein und berauben sie ihrer Kraft«.
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Kulturpolitik und Wirtschaftlichkeit müssen sich nicht ausschließen, sondern ergänzen sich: »Wir bilanzieren wie ein Unternehmen. Wir berücksichtigen die Vermögenswerte und die Abschreibung, vor allem betrachten wir die Steuereinnahmen der vergangenen Jahre und die Steuerprognosen und errechnen daraus einen Trend, der die möglichen Ausgaben bestimmt. So können wir langfristig planen und müssen nicht, wie die Berliner offenbar, Hals über Kopf den Haushalt kürzen. Das ist im Kulturbereich ja auch kaum möglich. Ein Theater beispielsweise hat seinen Wirtschaftsplan für 2025 längst gemacht und auch die Verträge für die Aufführungen der kommenden Jahre geschlossen.«
Wichtig sei auch, »dass ein Kultursenator nicht allein dasteht. Sondern dass bei uns der gesamte Senat sagt: Kultur ist uns wichtig.«
Was ihn mehr beunruhige, als die konkreten Sparmaßnahmen in Berlin, sei »der Unterton, den die Debatte in den letzten Tagen und Wochen auch über Berlin hinaus bekommen hat.«
Brosda: »Wenn ich den Berliner Bürgermeister Kai Wegner höre, der davon redet, die Supermarktkassiererin könne doch nicht das Opernticket mitfinanzieren, dann hat das einen populistischen Ton, der mir auf einer grundsätzlichen Ebene Sorge macht. Davon abgesehen, dass dahinter auch eine
Geringschätzung der Kassiererin steht, die angeblich nicht in die Oper geht, stellt sich noch eine größere, gravierendere Frage: Hat man, wenn man als Politiker so redet wie der Regierende Bürgermeister von Berlin, überhaupt ein Bewusstsein für den Wert von Kunst?«
Kultur produziere durchaus etwas, aber nichts Materielles führt Brosda aus, »sondern Sinn.«
Und man könne Kultureinrichtungen auch nicht mit kreativwirtschaftlichen Entertainmenteinrichtungen vergleichen.
Auf kluge Weise kontert Brosda das billige und allzu schnelle, allzu funktionale Argument, dass Kultur die Demokratie stärke. Ihm sei in der Kulturpolitik und auch in der Kulturförderung »in den vergangenen Jahren zu oft gesagt worden: Geld kriegst du aber nur, wenn du Diversität förderst, wenn du Inklusion förderst, wenn du nachhaltig bist. Und wenn dann nebenbei noch Kunst rauskommt, ist auch schön.«
Aber: »Es geht darum, radikal zu sagen: Wir ermöglichen Kunst.« Radikal
Kunst, nicht Diversität und Inklusion seien der Ausgangspunkt. Diversität und Inklusion seien nicht Zweck der Kunst. »Problematisch wird es, wenn wir als Förderer sagen, Geld gibt es nur, wenn deine Kunst so oder so ist. Dann engen wir die Kunst ein und berauben sie ihrer eigenen Kraft.«
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Jenseits von Hamburg ist die Lage ansonsten grausig. Über Kahlschlag-Chialo und seine Rasenmäher-Kürzungen ist zuletzt viel berichtet worden. Zu wenig aber über die Lage der Medien. Naturgemäß, denn dann müsste man sich ja selbst kritisieren.
Zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung: Dort wurde die Filmseite, eine Institution seit den 1950er Jahren und den Zeiten von Gunther Groll bereits seit der ersten Dezemberwoche ersatzlos gestrichen. Bisher hat’s niemand öffentlich bemerkt. Leider! Jetzt regen sich auch überregional erste Proteste.
In einem offenen Brief nimmt der »Bundesverband kommunale Filmarbeit« zur Streichung der Filmseite Stellung.
Darin heißt es:
»Über Jahrzehnte hat die SZ am Donnerstag nicht nur die Kinostarts informiert, sondern auch bedeutenden Filmen eine Öffentlichkeit gegeben, die diese durch Werbekampagnen nicht hätten erreichen können. Hier wurde spannenden Filmen der Weg auf die Leinwände erleichtert und jene Filme, die sich dort schon fanden, kritisch und inspirierend hinterfragt. Damit setzte die SZ einen hohen Standard für Filmrezensionen im ganzen Land.
Gerade aufgrund der
bundesweiten Bedeutung Ihrer Zeitung beunruhigt uns Ihre Entscheidung zur Einstellung der Kinoseite besonders. Veränderungen und Sparmaßnahmen betreffen in der nahen Zukunft fast alle deutschen Tageszeitungen oder sind bereits geschehen. Aber: Die Kinokritik darf man sich nicht sparen! Denn das Kino ist einer der wichtigsten und niederschwelligsten Kulturorte, auf dem Land häufig sogar der einzig verbliebene.
Der besondere kulturelle Wert des Kinos hängt von einer
kritischen Auseinandersetzung mit dem aktuellen Filmangebot ab: durch die Kinomacher:innen, das Publikum und häufig zuvor noch durch die Publizistik. Für die kommunalen Kinos, die Räume schaffen, in denen mehr als ein passives Zuschauen möglich ist, hat die Filmkritik im Allgemeinen und Ihre Zeitung im Besonderen eine wichtige Bedeutung.«
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Die Gründe dafür sind Digitalisierung und Sparpolitik. Die Folgen sind weniger Kurzkritiken und Essays, und viel weniger Planungssicherheit für die Kollegen. Da Filme ad hoc vergeben werden, wird von den freien Autoren erwartet, viel auf Verdacht zu sehen, wenig mit der Sicherheit, es auch zu besprechen.
Das alles ist nur ein Symptom für den allgemeinen Niedergang traditioneller Medien und Formate. Natürlich gibt es weiterhin SZ-Filmkritiken und zudem war die SZ die einzige Tageszeitung, die noch eine feste Filmseite hatte. Die der FAZ wurde bereits 2012 eingestellt – ebenfalls weitgehend unbemerkt und ohne Protest seitens eines Verbandes.
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Ähnliches bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern.
Wegfallende Sendeplätze sowie Kürzungen, und die idiotische Idee einer Zusammenlegung von 3sat und arte stehen für die kulturferne Haltung und »Kulturverachtung« (Ulrich Matthes).
Auch das trifft Journalisten und zum Beispiel Filmkritiker: Was hat das für Folgen für die freien Autoren, wenn den einzelnen Freien die Arbeitsmöglichkeiten weggenommen werden?
Weniger Vielfalt schafft weniger Vielfalt. Die Vielfaltsfetischisten und Diversitätsverteidiger erkennen nicht, dass ihre ganzen Diversitätsideen längst keine Existenzgrundlage mehr haben, denn wenn erstmal die Sendeplätze wegfallen und die Kulturberichterstattung, gibt es auch weniger
Vielfalt.
Es wäre eigentlich im Interesse aller Beteiligten, auch der kommerziellsten unter den Kommerziellen Verleihern und Produzenten, für die Filmkritik zu kämpfen, auch für eine öffentlich-rechtliche.
Im Koalitionsvertrag der inzwischen Geschichte gewordenen Ampel gab es einen Passus über die Grundlagensicherung der Medien. Der steht da auch weiterhin drin, ist aber niemals auch nur insoweit umgesetzt worden, als ein Ministerium dafür zuständig wäre, weil die »Grünen« dann aber weder im Wirtschaftsministerium noch am Kulturministerium scharf drauf waren, das mit den ganzen offenkundigen Schwierigkeiten – Vorwürfe der Lügenpresse, des Staatsfunks etc.– auch in die Tat umzusetzen.
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Es gibt keinerlei Grund, die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender unterstützen. Radiosender sind etwas anderes, denn Radiosender machen genau das, was die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender nicht mehr machen.
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Nachricht aus dem alltäglichen Wahnsinn, ganz wörtlich: »Aus Sicherheitsgründen muss der Empfänger dieses Pakets dem Fahrenden persönlich dieses Einmalpasswort, um das Paket entgegennehmen zu können. Teilen Sie dem Fahrenden dieses Passwort nicht per Telefon oder Gegensprechanlage mit. Weitere Informationen...«
Finde den Fehler (gemeint ist nicht das fehlende Verb:) Der Fahrer wird zum »Fahrenden«, der Empfänger aber keineswegs zum »Empfangenden«. Was, wenn sich jetzt
tausende von Amazon-Kund*_Innen »nicht mehr gemeint fühlen«?
Und kann der Nikolaus eigentlich auch eine Nikolausin sein? Oder eine Nikoleta? Oder ein Nikolaussender?
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Oder dies hier. Bei T-Online übertreibt man die Beflissenheit der Transparenz bei Quellenangaben ins Groteske:
»Verwendete Quellen:
Beobachtungen vor Ort«
»Verwendete Quellen:
Eigene Überlegungen«
Beide Phänomene, die nur beispielhaft für viele mehr stehen, belegen vor allem eine tief verunsicherte Gesellschaft, die von Angst – German Angst? – durchzogen ist und derart verkrampf alles richtig machen will, dass alles falsch wird.