Der blutige Biss der Postmoderne |
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Johanna Kappauf in der Paraderolle des Stummfilmhorrors | ||
(Foto: Münchner Kammerspiele © Armin Smailovic) |
Vampire sind wieder in! Robert Eggers’ Neuinterpretation des Klassikers von Murnau und Bram Stoker ist mit knapp einer halben Million Zuschauer ein durchschlagender Erfolg an den Kinokassen. Über die Qualität herrschen gemischte Gefühle. Zu altbacken ist er vielen, andere stören sich an der (neuen) zombiehaften Darstellung des Grafen Orlok.
Jetzt kommt der Kino-Klassiker auch auf die Bühne: Jan-Christoph Gockel inszeniert an den Münchner Kammerspielen unter dem Titel »Oh Schreck« – und nimmt einen anderen Weg. Ganz im Sinne der Postdramatik und -moderne legt er seine Variation als Spiel im Spiel an, als Reise durch die Popkultur, als große Feier: als Spektakel.
Das beginnt bereits mit dem anfänglichen Gag, der Max Schreck, den Darsteller von F.W. Murnaus filmischem Ur-Nosferatu, höchstselbst erneut in seine Vampirrolle schlüpfen lässt. Der einstige Kammerspiele-Schauspieler ist noch immer am Haus tätig, so die auf das Theater gemünzte Legende, und ist, selbst ein Blutsauger, zur Verkörperung der Rolle geworden, die ihn bekannt gemacht hat. Viele, viele Ebenen also: Eine Schauspielerin (Johanna Kappauf), die einen Schauspieler spielt (Max Schreck), der zu seiner Rolle geworden ist (Nosferatu). Jener spielt dann auch gleich wieder doppelt, das Stück »Oh Schreck!« (das wir sehen) ist die Darstellung der Proben zum Meta-Stück »Nosferatu«, das vor unseren Augen inszeniert wird. Der (gespielte) Regisseur hat noch dazu die zweifelhafte Idee, den Stummfilmklassiker als stummes Theater zu inszenieren.
Die Story hält noch mehr Wendungen und Abstraktionen bereit, verliert sich in immer neuen Abschweifungen und Ablenkungen, vermeidet konsequent, die eine Geschichte zu erzählen (welche sie auch immer sei).
Es gibt gespielte wie echte Vampire, der eigentliche Kern (Nosferatu) rückt immer weiter in den Hintergrund, Einzelszenen dominieren den Abend. So wild und anarchisch das klingen mag, umso mehr verliert es sich im banalen Klamauk.
Dabei fängt es gar nicht verkehrt an. Für kurze Zeit sehen wir, wie es wirklich aussiehen könnte, den Stummfilm auf die Bühne zu holen: Das Ensemble hat handgefertigte, elastische, schwarze Puppen vor sich gespannt, die den eigenen Körper gewissermaßen verlängern und doppeln, ihn gleichermaßen schwerfälliger werden lassen. Wie in Trance bewegen sie sich über die Bühne, die ungelenken, langsamen Bewegungen bekommen schnell etwas Tänzerisches. Auf einer großen Leinwand, die nahezu die gesamte Bühne beherrscht (die gedreht werden kann, was einen Wechsel zwischen Projektions- und Spielfläche ermöglicht), werden die Dialoge und Handlungsbeschreibungen digital eingeschrieben. Immer wieder gesellen sich (ebenfalls computergenerierte) Hintergründe zu den Textfeldern, die an die verwinkelten Kulissen des expressionistischen Stummfilms erinnern. Das mag eine einfache Idee sein, aber sie funktioniert – gerade in Begleitung der Livemusik.
Doch das Glück ist nur von kurzer Dauer, bereits nach wenigen Minuten kommt der (fiktionale) Regisseur auf die Bühne, die Illusion wird zerrissen und der (fiktionale) Alltag der Proben drängt sich auf. Ab hier wird das Stück zu einem Spiel der (Selbst-)Referenzen. Die Leinwand wird nun für Einspieler genutzt, in denen der Besetzungsstab von sich und den anderen erzählt, stilistisch nähern sich die Statements den Kommentaren irgendwelcher Promis, wie man sie aus »Die ultimative Chartshow« oder ähnlichen B-Programmen kennt. Diese Kommentare sind bereits innerhalb jener Sendungen nicht besonders witzig, durch den schier unendlichen Zynismus des Internets haben es manche (oder besser noch: das allgemeine Konzept) dennoch zu zweifelhaftem Ruhm gebracht. Gockel übernimmt sie für seine Inszenierung, nutzt sie als Kommentar auf das Geschehen, doch von Beginn an ist klar: Es ist nur Pose, es ist ein ausgestellter Gag, über den man lediglich lacht, weil man schon so oft darüber gelacht hat, weil man den Aufbau kennt und bemerkt: Das ist ein Witz, das muss lustig sein, hier lache ich.
Die Sperenzchen nehmen dann ihren Lauf. In zugegebenermaßen schicken Kostümen rasen die (allesamt talentierten, das muss gesagt sein) Schauspieler*innen von Gag zu Gag, von Referenz zu Referenz. Die Videoprojektion wird immer dominanter, zum Teil ersetzt sie gar das eigentliche Schauspiel, fegt die Akteure von der Bühne. Es werden alle Register gezogen: Gesangseinlagen, Strobolicht, Nebel, Hebebühne und – natürlich – Zuschauerinteraktionen, die größte Unart des modernen Theaters. Natürlich können sich die Vampire nicht den ganzen Abend lang gegenseitig zerfleischen, jemand aus dem Publikum muss herhalten. Nach einer kurzen Fragerunde, was es denn zum Abendessen gegeben hat, entscheidet man sich. Ich hatte Glück: Es trifft die junge Dame links von mir (eine Mitarbeiterin des Stücks), die in der Folge genüsslich auf der Bühne zerlegt wird. Für sie sicherlich nicht der spaßigste Moment, konnte ich immerhin mit einem größeren Komfort vorlieb nehmen.
Man könnte nun noch mehr Beispiele aufführen. Viel passiert nämlich schon in diesem Stück, und man kann es durchaus kreativ nennen. Nur greifen diese Momente nie ineinander, begnügen sich mit sich selbst. Es finden sich keine Brüche, keine entgegengesetzten Stile, auch die ruhigen bis emotionalen Momente gegen Ende verblassen völlig. (Ein Baustrahler wird aufs Publikum gerichtet, wir erkennen: So müssen sich die Vampire fühlen, sind sie dem Sonnenlicht ausgesetzt…)
Ein
Lichtblick ist die wie immer herausragende Katharina Bach, die als laszive wie verwirrte Van-Helsing-Variation die besten Szenen hat. Es gibt einen sehr komischen Monolog, der sich stetig selbst wiederholt, in Assoziationsketten verliert. Zweifelsohne der beste Moment – zudem noch von Bach selbst geschrieben.
»Oh Schreck!« ist Theater als reines Event, ein Konglomerat aus bereits Bekanntem und Gesehenem, das all dies noch einmal ausbreitet, sich noch einmal darüber lustig macht, es noch einmal abstrakter werden lässt, bis es eben gar nichts mehr ist außer dem Event. Ein Ausruhen auf sich selbst, auf den Strömungen, denen man im popkulturellen Leben und Alltag erliegt, und die man nun unter dem Thema »Vampir« einmal zusammenfügt. Darin liegt nichts Ernsthaftes, nichts Schönes, nichts Romantisches und nichts Erhellendes, gleichermaßen aber ebenso wenig Anarchisches oder Parodistisches. Es ist ein Erliegen vor sich selbst, vor dem Theater und dem Erzählen, das traurige Eingeständnis, dass ja wirklich schon alles gesagt wurde, wir nur in der Wiederholung der Wiederholung leben. Doch selbst, wenn das stimmen sollte (wovon keineswegs auszugehen ist), dann wird hier nichts daraus gelernt.
Die vielleicht treffendste Beschreibung der Postmoderne (diesem vagen Unwort, das doch irgendwo alles bedeuten kann) stammt von David Foster Wallace: »Vielleicht ist es ja wirklich so, wie die Avant-Avantgardisten vor, ups!, erst 70 oder 80 Jahren argumentiert haben, dass 'Selbstbezogenheit' genauso wie alles andere etwas ist, das ein Genre, eine Szene, einen Ort und eine Zeit definiert – nur ein weiteres Fenster, dick und schmutzig, kugelsicher und parallaktisch, wo deine Position dir vorgibt, was du gerade siehst, wo Sound und Gesten zersplittern, im Außen alles still ist und jeder allein und frei.«
Freies Theater, ja, doch in erster Linie eins der Isolation, des Alleinseins. Die große Party findet auf der Bühne statt, doch sie ist keine Befreiung, sie nimmt keinen Abstand, sie feiert nur sich selbst; ist kein Eskapismus, ist keine Lupe, kein Brennglas, sondern reine Selbstbezogenheit.
Natürlich darf jeder mitmachen, aber auch wirklich nur jeder für sich selbst. »Stell dir vor, es gibt eine Demo und jeder geht hin!« (Mark Fisher)
Zumindest vom Vorwurf des intellektuellen
Elitarismus ist dieses Theater weit entfernt.