Cinema Moralia – 345. Folge
»Es gibt keine Neutralität, wenn die Grundwerte unserer Gesellschaft angegriffen werden.« |
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Ein Film wie Annalena Baerbocks »feministische Außenpolitik«: Wunderschöner | ||
(Foto: Warner) |
»Es macht den Deutschen nicht viel Ehre, daß 'einen anführen' so viel heißt, wie 'einen betrügen'.«
- Lichtenberg»Im Grunde ist alles Leben ein Prozess des Niedergangs, aber die Schläge, die das eigentlich Dramatische dabei ausmachen ... zeigen ihre Wirkung nicht mit einem Mal. Es gibt noch eine andere Art von Schlägen, die von Innen kommen und die man nicht spürt, bis es zu spät ist, etwas dagegen zu tun...«
- F. Scott Fitzgerald »Der Knacks«»Man muss SPÜREN was man gemacht hat, um das Weitermachen in der Produktion richtig bestimmen zu können, denn WISSEN kann man es nicht. Man kann mit Wissen das Bisherige nicht in seiner Unterschiedlichkeit und Komplexität erfassen und schon gar nicht in Bezug setzen zum total Diffusen des Geplanten. Was heißt das für die Produktion, wenn die Gespürkräfte schwächer werden?«
- Rainald Goetz, »wrong«
Eigentlich stören nur die Männer – das ist irgendwie die Quintessenz von Karoline Herfurths Film Wunderschöner , aber auch von Annalena Baerbocks »feministischer Außenpolitik«, die in zehn Tagen an ihr natürliches Ende kommen wird. Insofern passte es gut, dass Baerbock letzte Woche im Berliner Zoopalast Station machte, wo sogar die BILD-Zeitung sehr feministisch die Kleidung der
Außenministerin lobte, »das raffinierte Wickel-Top mit tiefem V-Ausschnitt und markanter Frontschleife«.
Wir dürfen gespannt sein, wer morgen mit Heckschleife und Wickelfront zum Berlinale-Empfang kommt – offenbar gehört derlei zur spätdemokratischen Gesellschaft dazu.
Auch unter Filmkritikern finden es manche schick, »alte weiße Männer« als solche zu bashen, und bei Festivaljurys sind sie auch unerwünscht – natürlich eine Frechheit, die wir aber durch Email-Zitate sogar beweisen könnten.
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Was ist nur mit der Filmkritik los? Ein absoluter Verfall, ein Verlieren von Maßstäben und von Haltungen ist zu beobachten. Dass ein Film wie »Wunderschöner« in manchen Medien kritiklos abgefeiert wird, ist nicht mehr zu verstehen.
»Dahinter steckt immer ein kluger Kopf« war früher, heute muss man sagen »Dahinter steckt immer mehr ein affirmativer Kopf.«
Immerhin in der FAZ lesen wir subtilste Kritik: »Karoline Herfurth ... hat eine neue Form von ›women’s pictures‹ im Sinn, die sich von der Gefahr ästhetischer Nähe zur Kolportage, zum Kitsch, auch zum politischen Flugblatt nicht abschrecken lassen. Es gibt Momente in ›Wunderschöner‹, in denen nur noch der skeptische Blick von Nora Tschirner in der Rolle der Vicky das Gran Schärfe aufbringt, das über erzählende Pädagogik hinausgeht – und die Radikalität von Kunst erahnen lässt.«
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Ein Regisseur, der für Kino wie Fernsehen arbeitet, berichtet von gesteigerter Einflussnahme der Sender: »Jetzt versuchen die Redakteure sogar in die Bildgestaltung reinzureden.«
Wir sprechen über die traurige Entwicklung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und Rundfunk: Die Mediatheken könnten eine Chance sein zum Beispiel vom Diktat der 90-Minuten-Länge wegzukommen. Tatsächlich verstärken die Mediatheken diese Art von Normierungsdruck aber noch zusätzlich.
Zur Berlinale gehe er nicht: »Ich muss mich ja nicht mehr in irgendeiner Form in dieser Branche im Gespräch halten.«
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Vor der Berlinale wechseln die Pöstchen: Daniel Sponsel folgt zur Überraschung vieler Bettina Reitz auf den Präsidentensessel der HFF München.
Und bei Salzgeber muss Jakob Kijas nach kurzer Zeit schon wieder zur Mitte des Jahres die Firma verlassen. Neue Geschäftsleitung wird Christos Acrivoulis, auch das für viele überraschend.
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»Das Ende der liberalen Weltordnung« sehen Alexander Cooley und Daniel H. Nexon in einem sehr lesenswerten Essay in den Bättern für deutsche und internationale Politik gekommen. Nur mal probeweise angenommen, an der These ist etwas dran, ebenso wie an den verständliche Ängsten jener, die – wie die sehr geschätzte Pressekollegin Claudia – ´»Weimarer Verhältnisse« mit dem bekannten Ende auch für unser Jahrhundert für sicher halten – was bedeutet das für das Kino?
Und muss man sich als Filmkünstler dazu verhalten? Wie?
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Nach der Abstimmung im Bundestag und dem Fall der CDU-»Brandmauer« gegenüber der AfD haben hunderte deutsche Filmstars einen offenen Brief unterzeichnet. Darin heißt es:
»Wir, die Unterzeichnenden dieses offenen Briefes aus Kunst, Kultur, Medien und öffentlichem Leben, fordern die Abgeordneten von Union, FDP und BSW auf, von ihren verfassungswidrigen Plänen und jeglicher Art der gemeinsamen Sache mit der AfD umgehend Abstand zu nehmen. Stimmen Sie gegen den Entwurf oder bleiben Sie der Abstimmung fern.«
Zu den Unterzeichnern gehören Jella Haase und Daniel Brühl, Minh-Khai Phan-Thi und Pheline Roggan, Lea van Acken und Maren Kroymann, Benno Führmann und Jürgen Vogel.
Die Unterzeichner stellen sich darin gegen eine Verschärfung der Migrationspolitik nach Wunsch von Union und AfD. Im Brief prangern sie einen »historischen Tabubruch« an.
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Eine Regie-Kollegin erinnert an den nach wie vor von arabischen Terroristen entführten David Cunio, der vor Jahren auf der Berlinale ausgezeichnet wurde, bei der Antisemitismus-Skandal-Berlinale aber dem Festival keine Erwähnung wert war. Morgen wird auf der Berlinale seiner gedacht.
Hier kann man einen offenen Brief unterzeichnen und sich informieren.
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Es gibt noch einen Offenen Brief: »Filmschaffende für Demokratie und Rechtsstaat«.
Wir zitieren:
»Unsere Branche ist eine vielfältige Gemeinschaft. Wir arbeiten grenzübergreifend in Deutschland, Europa und darüber hinaus. Unsere Kreativität lebt von Reisefreiheit, kulturellem Austausch und gegenseitigem Respekt.
Wir haben mehr als 770 Filmproduktionen, die einen Gesamtumsatz von mehr als 10 Milliarden Euro erwirtschaften – mit ca. 120.000 Arbeitsplätzen.
Unsere Arbeit ist nur in einem freien, offenen und demokratischen Land möglich.
Unser Ziel:
Wir fordern die Abgeordneten des deutschen Bundestages und Bundesrats – insbesondere der CDU/CSU, FDP und dem BSW – dazu auf, ›die Zusammenarbeit mit einer (in Teilen) rechtsextremen, demokratiefeindlichen Partei sofort zu unterbinden.‹«
Die nächsten Wochen sind entscheidend für den weiteren politischen Werdegang unserer Demokratie und unseres Rechtsstaats. Wir alle sind als Zivilgesellschaft gefordert.
Es gibt keine Neutralität, wenn die Grundwerte unserer Gesellschaft angegriffen werden. Wir stellen uns entschlossen und schützend vor diese Werte.
Daher rufen wir auf: Unterstützt diese Aktion, setzt ein Zeichen für Demokratie und gegen Extremismus.
Unterschreibt und teilt den Brief in eurem Umfeld und auf öffentlichen Kanälen. Anbei findet Ihr zwei Vorlagen, mit denen Ihr auf Social Media Stories und Beiträge erstellen und verlinken könnt.
LINK ZUM BRIEF & FÜR DEINE UNTERSCHRIFT
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»Man kann wohl lange diskutieren, wie sehr man einer Partei wie der AfD nützt, wenn man ihr eine Bühne bietet. Man kann es aber auch lassen – dazu jedenfalls hat sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen mittlerweile entschieden. In den Talkshows der angeblich so linksgrün dominierten Sender sah das in dieser Woche so aus: Am Sonntag saß Alice Weidel bei Caren Miosga, am Dienstag Beatrix von Storch bei ›hart aber fair‹, am Mittwoch Tino Chrupalla bei Markus Lanz – und dass niemand von der AfD bei Sandra Maischberger zu Gast war, lag nur daran, dass ihre Sendung vergangene Woche wegen des DFB-Pokals ausfiel. Auf der Internetplattform Bluesky drückte es ein Nutzer so aus: 'Die kommen mit dem Entzaubern kaum hinterher.'«
Ob es theoretisch möglich wäre, das leicht durchschaubare und doch so schwer zu konternde Lügenspiel gegen die AfD zu gewinnen, all ihre Provokationen und Opfergesten zu entkräften, lässt sich schon deshalb nicht sagen, weil es in der Praxis regelmäßig so aussieht, als spielten es die Moderatoren zum ersten Mal. Miosga beispielsweise setzte auf eine besonders naive Mischung aus Rechthaberei und Stilkritik und offenbar auf das kritische Potential der investigativen Frage 'Was für ein Deutschland wollen Sie, Frau Weidel?'. (FAS, 09.02.2025)