13.02.2025
Cinema Moralia – 345. Folge

»Es gibt keine Neutralität, wenn die Grundwerte unserer Gesellschaft angegriffen werden.«

Wunderschöner
Ein Film wie Annalena Baerbocks »feministische Außenpolitik«: Wunderschöner
(Foto: Warner)

Auf der Suche nach der Brandmauer: Wenn die Unkenrufe stimmen, was macht dann das Kino? – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 345. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Es macht den Deutschen nicht viel Ehre, daß 'einen anführen' so viel heißt, wie 'einen betrügen'.«
- Lich­ten­berg

»Im Grunde ist alles Leben ein Prozess des Nieder­gangs, aber die Schläge, die das eigent­lich Drama­ti­sche dabei ausmachen ... zeigen ihre Wirkung nicht mit einem Mal. Es gibt noch eine andere Art von Schlägen, die von Innen kommen und die man nicht spürt, bis es zu spät ist, etwas dagegen zu tun...«
- F. Scott Fitz­ge­rald »Der Knacks«

»Man muss SPÜREN was man gemacht hat, um das Weiter­ma­chen in der Produk­tion richtig bestimmen zu können, denn WISSEN kann man es nicht. Man kann mit Wissen das Bisherige nicht in seiner Unter­schied­lich­keit und Komple­xität erfassen und schon gar nicht in Bezug setzen zum total Diffusen des Geplanten. Was heißt das für die Produk­tion, wenn die Gespür­kräfte schwächer werden?«
- Rainald Goetz, »wrong«

Eigent­lich stören nur die Männer – das ist irgendwie die Quint­essenz von Karoline Herfurths Film Wunder­schöner , aber auch von Annalena Baerbocks »femi­nis­ti­scher Außen­po­litik«, die in zehn Tagen an ihr natür­li­ches Ende kommen wird. Insofern passte es gut, dass Baerbock letzte Woche im Berliner Zoopalast Station machte, wo sogar die BILD-Zeitung sehr femi­nis­tisch die Kleidung der Außen­mi­nis­terin lobte, »das raffi­nierte Wickel-Top mit tiefem V-Ausschnitt und markanter Front­schleife«.
Wir dürfen gespannt sein, wer morgen mit Heck­schleife und Wickel­front zum Berlinale-Empfang kommt – offenbar gehört derlei zur spät­de­mo­kra­ti­schen Gesell­schaft dazu.

Auch unter Film­kri­ti­kern finden es manche schick, »alte weiße Männer« als solche zu bashen, und bei Festi­val­jurys sind sie auch uner­wünscht – natürlich eine Frechheit, die wir aber durch Email-Zitate sogar beweisen könnten.

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Was ist nur mit der Film­kritik los? Ein absoluter Verfall, ein Verlieren von Maßstäben und von Haltungen ist zu beob­achten. Dass ein Film wie »Wunder­schöner« in manchen Medien kritiklos abge­feiert wird, ist nicht mehr zu verstehen.
»Dahinter steckt immer ein kluger Kopf« war früher, heute muss man sagen »Dahinter steckt immer mehr ein affir­ma­tiver Kopf.«

Immerhin in der FAZ lesen wir subtilste Kritik: »Karoline Herfurth ... hat eine neue Form von ›women’s pictures‹ im Sinn, die sich von der Gefahr ästhe­ti­scher Nähe zur Kolpor­tage, zum Kitsch, auch zum poli­ti­schen Flugblatt nicht abschre­cken lassen. Es gibt Momente in ›Wunder­schöner‹, in denen nur noch der skep­ti­sche Blick von Nora Tschirner in der Rolle der Vicky das Gran Schärfe aufbringt, das über erzäh­lende Pädagogik hinaus­geht – und die Radi­ka­lität von Kunst erahnen lässt.«

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Ein Regisseur, der für Kino wie Fernsehen arbeitet, berichtet von gestei­gerter Einfluss­nahme der Sender: »Jetzt versuchen die Redak­teure sogar in die Bild­ge­stal­tung rein­zu­reden.«

Wir sprechen über die traurige Entwick­lung im öffent­lich-recht­li­chen Fernsehen und Rundfunk: Die Media­theken könnten eine Chance sein zum Beispiel vom Diktat der 90-Minuten-Länge wegzu­kommen. Tatsäch­lich vers­tärken die Media­theken diese Art von Normie­rungs­druck aber noch zusätz­lich.

Zur Berlinale gehe er nicht: »Ich muss mich ja nicht mehr in irgend­einer Form in dieser Branche im Gespräch halten.«

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Vor der Berlinale wechseln die Pöstchen: Daniel Sponsel folgt zur Über­ra­schung vieler Bettina Reitz auf den Präsi­den­ten­sessel der HFF München.
Und bei Salzgeber muss Jakob Kijas nach kurzer Zeit schon wieder zur Mitte des Jahres die Firma verlassen. Neue Geschäfts­lei­tung wird Christos Acri­voulis, auch das für viele über­ra­schend.

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»Das Ende der liberalen Welt­ord­nung« sehen Alexander Cooley und Daniel H. Nexon in einem sehr lesens­werten Essay in den Bättern für deutsche und inter­na­tio­nale Politik gekommen. Nur mal probe­weise ange­nommen, an der These ist etwas dran, ebenso wie an den vers­tänd­liche Ängsten jener, die – wie die sehr geschätzte Pres­se­kol­legin Claudia – ´»Weimarer Verhält­nisse« mit dem bekannten Ende auch für unser Jahr­hun­dert für sicher halten – was bedeutet das für das Kino?

Und muss man sich als Film­künstler dazu verhalten? Wie?

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Nach der Abstim­mung im Bundestag und dem Fall der CDU-»Brand­mauer« gegenüber der AfD haben hunderte deutsche Filmstars einen offenen Brief unter­zeichnet. Darin heißt es:

»Wir, die Unter­zeich­nenden dieses offenen Briefes aus Kunst, Kultur, Medien und öffent­li­chem Leben, fordern die Abge­ord­neten von Union, FDP und BSW auf, von ihren verfas­sungs­wid­rigen Plänen und jeglicher Art der gemein­samen Sache mit der AfD umgehend Abstand zu nehmen. Stimmen Sie gegen den Entwurf oder bleiben Sie der Abstim­mung fern.«

Zu den Unter­zeich­nern gehören Jella Haase und Daniel Brühl, Minh-Khai Phan-Thi und Pheline Roggan, Lea van Acken und Maren Kroymann, Benno Führmann und Jürgen Vogel.

Die Unter­zeichner stellen sich darin gegen eine Verschär­fung der Migra­ti­ons­po­litik nach Wunsch von Union und AfD. Im Brief prangern sie einen »histo­ri­schen Tabubruch« an.

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Eine Regie-Kollegin erinnert an den nach wie vor von arabi­schen Terro­risten entführten David Cunio, der vor Jahren auf der Berlinale ausge­zeichnet wurde, bei der Anti­se­mi­tismus-Skandal-Berlinale aber dem Festival keine Erwähnung wert war. Morgen wird auf der Berlinale seiner gedacht.

Hier kann man einen offenen Brief unter­zeichnen und sich infor­mieren.

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Es gibt noch einen Offenen Brief: »Film­schaf­fende für Demo­kratie und Rechts­staat«.

Wir zitieren:

»Unsere Branche ist eine viel­fäl­tige Gemein­schaft. Wir arbeiten gren­zü­ber­grei­fend in Deutsch­land, Europa und darüber hinaus. Unsere Krea­ti­vität lebt von Reise­frei­heit, kultu­rellem Austausch und gegen­sei­tigem Respekt.
Wir haben mehr als 770 Film­pro­duk­tionen, die einen Gesamt­um­satz von mehr als 10 Milli­arden Euro erwirt­schaften – mit ca. 120.000 Arbeits­plätzen.
Unsere Arbeit ist nur in einem freien, offenen und demo­kra­ti­schen Land möglich.
Unser Ziel: Wir fordern die Abge­ord­neten des deutschen Bundes­tages und Bundes­rats – insbe­son­dere der CDU/CSU, FDP und dem BSW – dazu auf, ›die Zusam­men­ar­beit mit einer (in Teilen) rechts­extremen, demo­kra­tie­feind­li­chen Partei sofort zu unter­binden.‹«

Die nächsten Wochen sind entschei­dend für den weiteren poli­ti­schen Werdegang unserer Demo­kratie und unseres Rechts­staats. Wir alle sind als Zivil­ge­sell­schaft gefordert.

Es gibt keine Neutra­lität, wenn die Grund­werte unserer Gesell­schaft ange­griffen werden. Wir stellen uns entschlossen und schützend vor diese Werte.

Daher rufen wir auf: Unter­s­tützt diese Aktion, setzt ein Zeichen für Demo­kratie und gegen Extre­mismus.

Unter­schreibt und teilt den Brief in eurem Umfeld und auf öffent­li­chen Kanälen. Anbei findet Ihr zwei Vorlagen, mit denen Ihr auf Social Media Stories und Beiträge erstellen und verlinken könnt.

LINK ZUM BRIEF & FÜR DEINE UNTERSCHRIFT

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»Man kann wohl lange disku­tieren, wie sehr man einer Partei wie der AfD nützt, wenn man ihr eine Bühne bietet. Man kann es aber auch lassen – dazu jeden­falls hat sich das öffent­lich-recht­liche Fernsehen mitt­ler­weile entschieden. In den Talkshows der angeblich so linksgrün domi­nierten Sender sah das in dieser Woche so aus: Am Sonntag saß Alice Weidel bei Caren Miosga, am Dienstag Beatrix von Storch bei ›hart aber fair‹, am Mittwoch Tino Chrupalla bei Markus Lanz – und dass niemand von der AfD bei Sandra Maisch­berger zu Gast war, lag nur daran, dass ihre Sendung vergan­gene Woche wegen des DFB-Pokals ausfiel. Auf der Inter­net­platt­form Bluesky drückte es ein Nutzer so aus: 'Die kommen mit dem Entzau­bern kaum hinterher.'«

Ob es theo­re­tisch möglich wäre, das leicht durch­schau­bare und doch so schwer zu konternde Lügen­spiel gegen die AfD zu gewinnen, all ihre Provo­ka­tionen und Opfer­gesten zu entkräften, lässt sich schon deshalb nicht sagen, weil es in der Praxis regel­mäßig so aussieht, als spielten es die Mode­ra­toren zum ersten Mal. Miosga beispiels­weise setzte auf eine besonders naive Mischung aus Recht­ha­berei und Stil­kritik und offenbar auf das kritische Potential der inves­ti­ga­tiven Frage 'Was für ein Deutsch­land wollen Sie, Frau Weidel?'. (FAS, 09.02.2025)