»1969 drehte Orson Welles, der schon immer von der Figur des Shylock fasziniert war, eine eigenwillige Version des Stücks The Merchant of Venice (Der Kaufmann von Venedig). Er konzentrierte sich vor allem auf den Shylock und entfernte die Rolle der Portia. Das Stück endet nicht bei Gericht, sondern mit einer Rede Shylocks an die venezianischen Bürger.
Der Film blieb aus finanziellen Gründen unvollendet, von der Arbeitskopie wurden Welles angeblich eine Rolle und das Negativ zur Gänze gestohlen. Nach dem Tod von Welles tauchte eine Rolle des Films auf, die ihn im Kostüm des Shylock an Originalschauplätzen in Venedig zeigt. Auf der Tonspur konnte man eine passende, abgemischte Musik von Francesco Lavagnino hören. Wie der komplette Film ausgesehen hätte, blieb jedoch Spekulation.
Nachdem in Italien und Michigan kürzlich Materialien des Films gefunden wurden, konnte [das Filmmuseum München 2015] seine ursprüngliche Form [rekonstruieren]. Das größte Problem dabei war die dritte Rolle des Films, deren Ton fehlt, sowie das Ende, das Orson Welles nicht gefilmt hatte. In den 1970er Jahren hatte er zweimal versucht, den abschließenden Shylock-Monolog nachzudrehen – allerdings ohne Kostüm und Maske. Da Welles Shakespeares Dramen mehrfach bearbeitet hatte, war es möglich, die Stimmen von einer Tonaufnahme aus den 1930er Jahren zu verwenden. Das erhaltene Filmmaterial war extrem rotstichig und musste aufwändig digital farbkorrigiert werden. Nun konnte der Film erstmals der Öffentlichkeit in bestmöglicher Form präsentiert werden. Zu genießen ist ein brillanter Orson Welles als Shylock und eine der besten Filmmusiken von Angelo Francesco Lavagnino, der bereits die Musik für Orson Welles’ Othello und Falstaff komponiert hatte.« (Filmmuseum München)
Die rekonstruierte Fassung erlebte ihre Premiere beim Filmfestival in Venedig 2015.