24.04.2025

»Die erste Idee ist immer die richtige Idee«

Bill Bennett
Bill Bennett während seiner Pilgerreise auf dem Camino...
(Foto: Bill Bennett)

Bill Bennett im Interview über seinen autofiktionalen Camino-Film »Mein Weg« und wie das Pilgern nicht nur sein Privatleben, sondern auch seine Rolle als Filmemacher verändert hat

Das Gespräch führte Axel Timo Purr

Bill Bennett ist Autor, Produzent und Regisseur von Spiel- und Doku­men­tar­filmen. In seiner mehr als dreißig­jäh­rigen Karriere hat er sechzehn Spiel­filme und zahl­reiche Doku­men­tar­filme gedreht. Er hat die Austra­lian Film Institute Awards für den besten Film und die beste Regie gewonnen und wurde 12 weitere Male nominiert. Zwei seiner Filme waren in der offi­zi­ellen Auswahl des Film­fes­ti­vals von Cannes.
Bennetts Best­seller-Memoiren über seine Pilger­tage auf dem Camino, The Way, My Way, hat er als Spielfilm mit Chris Haywood in der Haupt­rolle selbst verfilmt. In Austra­lien ist Bennetts Film ein ähnlich großer Erfolg gewesen wie der von Julia von Heinz verfilmte Best­seller von Hape Kerkeling und dessen Camino-Erfah­rungen Ich bin dann mal weg (2015).
Axel Timo Purr hat Bill Bennett vor der Deutsch­land-Premiere seines Films im Münchner Riopalast getroffen.

artechock: Ihr Film ist in gewisser Hinsicht ein eigen­ar­tiger Hybrid. Sie haben sowohl mit profes­sio­nellen Darstel­lern – Ihr Alter Ego ist der bekannte austra­li­sche Darsteller Chris Haywood – als auch mit Laien­dar­stel­lern gear­beitet, eben jenen Pilgern, mit denen Sie vor mehr als zehn Jahren den Camino gewandert sind und lange nach ihrem Erfolg mit dem Buch The Way, My Way: A camino Memoir (2014)...

Bill Bennett: Ja, das ist schon ziemlich einzig­artig und es ist sicher­lich auch dem geschuldet, was diese Reise für mich war, etwas Neues, eine neue Art Filme zu machen. Diese verschie­denen Darstel­ler­typen zusam­men­zu­bringen war beinahe so schwer wie meine beiden Leben zusam­men­zu­bringen, mein Leben vor und mein Leben nach der Wanderung des Camino.

artechock: Warum haben Sie denn eigent­lich keinen Doku­men­tar­film draus gemacht? Gleich zu Anfang, das wäre ja fast schon ein Standard in den heutigen, so selbst­re­fe­ren­zi­ellen Zeiten und sie hätten es einfacher mit ihren Schau­spie­lern gehabt?

Bill Bennett: Na ja, zum einen hatte ich wirklich nie vor, darüber einen Film zu machen. Ich wollte einfach nur den Camino gehen. Und das ist alles. Schon einen Foto­ap­parat mitzu­nehmen war eine Über­win­dung, obwohl ich, seit ich 15 Jahre alt bin, leiden­schaft­lich foto­gra­fiere. Und selbst wenn ich einen Film gemacht hätte, gleich am Anfang, dann wäre meine Wanderung nicht die gleiche gewesen, ich wäre immer »draußen« gewesen. Ich wollte ein »unbe­flecktes« Erlebnis. Das mag idiotisch klingen, da ich doch seit 1982 Filme­ma­cher bin. Aber der Blog, den ich statt­dessen geschrieben habe, war dann die bessere Idee. Ich habe dafür Fotos gemacht und war dann doch auch Beob­achter, und habe die Unge­reimt­heiten, die natürlich auch Teil des Camino sind, besser wahr­nehmen können. So etwas wie kaputte Stühle oder das Licht am Ende eines Tages, oder die vielen Formen von Heuhaufen, das war schon fast eine Obsession von mir. Und dabei hatte ich diese brutalen Schmerzen in meinem Bein. Und als ich dann in Santiago ankam, habe ich natürlich irgendwas ganz Großes erwartet. Aber da war nichts. Deshalb habe ich das Buch geschrieben, und Blog und Fotos darin verwertet. Das wurde dann ein ganz und gar über­ra­schender Erfolg mit mehr als 100.000 verkauften Exem­plaren. Jahre später hat mich dann ein befreun­deter Film­ver­leiher ange­spro­chen, der mein Buch gelesen hatte und beein­druckt davon war, und nun einen Film daraus machen wollte. Ich habe nur gesagt: Bloß nicht, auf keinen Fall! Er hat nur gesagt, warte einfach mal ab und hat drei Dreh­buch­au­toren um Treat­ments gebeten. Aber das war alles Mist, denn keiner der Autoren ist den Camino gegangen, sie wussten alle nicht, worum es eigent­lich geht. Vor allem ist es keinem gelungen, meine Art von Bill-Bryson-Humor zu entwi­ckeln, der ja Teil meines Buches und auch jetzt Teil meines Films ist. Einer ließ mich etwa von einem Bär verfolgen. Völlig bescheuert. Niemand in diesen Treat­ments war ich.

artechock: Sie meinen diesen »Alten-Weißen-Mann-Charakter«, der jedem sagt, wie es besser geht, in diesem Fall natürlich sehr selbst­iro­nisch und ein wenig böse...

Bill Bennett: Genau, aber auch als Dreh­buch­autor war ich überhaupt nicht überzeugt, waren all die Verfeh­lungen, die hier erzählt werden sollten, einfach nicht inter­es­sant genug. Doch all das brachte mich immerhin dazu, mich selbst von mir zu lösen, mich auf »meinem« Camino zu beob­achten und daraus ein eigenes Drehbuch zu entwi­ckeln, das nah an dem war, was damals wirklich passierte. Ich musste auch daran denken, warum mein Blog so erfolg­reich war: eben weil ich meine Schwächen gnadenlos aufzeigte. Und was dann auch der Kern meines Buches war. Warum sollte ich die Geschichte umschreiben? Und so ging es mir dann auch bei dem Film: Warum sollte ich das Buch, dessen Warheit, neu defi­nieren? Warum nicht der Wahrheit folgen?

artechock: Sind in diesem Sinne dann auch die Laien­dar­steller, Ihre damaligen Mitläufer zu verstehen? Die in meinen Augen übrigens mit den Profis am Set völlig über­zeu­gend harmo­nieren. War es schwer, sie zu über­zeugen, mitzu­ma­chen?

Bill Bennett: Vielen Dank für das Lob, das bedeutet mir wirklich viel. Ich habe natürlich auch vorher schon mit Laien­dar­stel­lern gear­beitet. In diesem Fall war es dann auch eine persön­liche Geschichte. Ich blieb ja mit fast allen, die ich traf, in Kontakt, nach unserer Wanderung. Wir hatten Zooms und dann habe ich sie besucht. Ich war mit Jennifer in Ungarn und Nord­ita­lien, wo ich meine neuen Freunde besuchte. Deshalb konnte ich ihnen auch später erklären, was den Unter­schied zwischen einem Laien- und einem Profi­dar­steller ausmacht. Der Laie will dir gefallen, es dir recht machen, der Profi will seine Sache, seinen Job einfach nur richtig machen. Das konnte ich durch unsere Freund­schaft natürlich viel besser kommu­ni­zieren.

artechock: Das erinnert mich alles sehr an klas­si­sche Grup­pen­the­rapie, weil man natürlich auf dieser Wanderung das macht, was man im Alltag nur selten macht: offen mit jedem über sich reden...

Bill Bennett: Absolut. Es ist wie ein ständiger Beicht­pro­zess, wie das Beichten in einer Kirche. Keiner kennt den anderen, keiner wusste, wer ich bin, und ich nicht, wer sie waren. Das macht es einfacher, offen zu sein, und das ist sicher­lich einer der Zauber, die den Camino ausmachen. Man über­rascht sich selbst. An einem der ersten Abende, als alle erzählten, warum sie den Camino gingen, war ich richtig nervös, was ich sagen sollte, denn ich bin ja alles andere als religiös. Ich sprach dann von der Natur, was auch stimmte, was ich aber nicht wusste. Jeder der anderen kann also gewis­ser­maßen ein Engel sein, der etwas in dir auslöst, von dem du vorher nichts wusstest. Und so geht das die ganze Zeit, ein ständiges, zufäl­liges Geben und Nehmen...

artechock: Nach all den Jahren, die inzwi­schen vergangen sind: würden Sie sagen, dass dieser Prozess nach­haltig war oder wie so viele grup­pen­the­ra­peu­ti­sche Prozesse eher von kurzer Dauer?

Bill Bennett: Für mich auf jeden Fall nach­haltig. Mein ganzes Leben hat sich verändert. Nicht über Nacht, aber ich sehe jetzt, wie vorhin schon gesagt, mein Leben zwei­ge­teilt, in das vor und das nach dem Camino. Es ist aller­dings nicht so, wie ich das ebenfalls vorhin schon ange­deutet habe, als ich nach Santiago kam, dass du plötzlich wer anders bist, dass sich plötzlich etwas geändert hat. Nein, es kommt langsam, rollt sich langsam aus. Wie dieser Film: ich wollte immer schon mal einen »intui­tiven« Film machen. Und das ist mir jetzt endlich gelungen. Diese ganzen Blockaden haben sich aufgelöst, so dass ich frei für ein derar­tiges Projekt wurde. Ein anderes war ein Projekt über Angst, für das ich zehn Monate Experten auf der ganzen Welt befragt habe...

artechock: Die Verän­de­rungen fanden also sowohl auf privater als auch beruf­li­cher Ebene statt...

Bill Bennett: Ich habe auf dem Camino etwas über Verwund­bar­keit gelernt, Dank­bar­keit und Vergebung. Verwund­bar­keit wegen meiner Schmerzen, Dank­bar­keit, weil ich viel zu viel in meinem Leben als selbst­ver­s­tänd­lich hinge­nommen habe, was es nicht war. Ich habe dann plötzlich ange­fangen, meine E-Mails mit einem Danke zu beenden. Das kam alles unbewusst. Das war nicht aufge­setzt. Beim Filme­ma­chen muss man natürlich auch planen, mit purer Intuition geht es natürlich nicht, weil es ja ein Budget und einen Drehplan geben muss. Aber ich entscheide jetzt, aus einem Bauch­ge­fühl heraus, was mein nächstes Projekt sein wird. Ich glaube dabei mehr an mich, glaube an meine Ideen. Die erste Idee ist immer die richtige Idee. So einfach ist das. ich möchte einfach nur noch Filme machen, die auch »Mitleid« und »Barm­her­zig­keit« zeigen, die eine »Bedeutung« haben.

artechock: Eine rein tech­ni­sche Frage: warum sind die Wege bei Ihnen alle so leer. Heut­zu­tage geht es doch auf dem Camino eher wie auf einer Autobahn zu? Und laut neuesten Statis­tiken sind die Austra­lier zahlen­mäßig ganz vorne mit dabei.

Bill Bennett: Da gibt es einen ganz einfachen Grund. In der Zeit während der wir gedreht haben, im April und Mai, sind die besten Licht­ver­hält­nisse zwischen sieben und halb acht am Abend zu finden, eine Zeit, in der die meisten Pilger nicht mehr unterwegs, sondern in ihren Unter­künften beim Essen sind, oder schon geschlafen haben, wenn wir gegen neun mit dem Dreh fertig waren.

artechock: Sie sagen selbst, dass Sie kein Katholik bzw. ein gläubiger Mensch seien, aber Sie folgen einem Ritual, das zutiefst religiös ist. Ich frage mich, ob das kein Wider­spruch ist, ob hier Religion nicht zu einem Lifestyle-Event trans­for­miert, ja viel­leicht sogar perver­tiert wurde...

Bill Bennett: Eine wirklich inter­es­sante Frage. Ich kann hier natürlich nur für mich sprechen. Ich bin kein Katholik und wohl auch kein Christ, wie ich in meinem Buch betont habe. Aber ich hatte Respekt und habe Respekt vor der Tradition. Und ich hatte gleich am Anfang beim Besuch der Kathe­drale in Burgos, in der ich für einen erfolg­rei­chen Camino bat, dieses einschnei­dende Erlebnis. Ich stand auf einer Art Stern und sah nach oben und entdeckte einen ähnlichen Stern und im gleichen Moment durchfuhr mich eine schier unglaub­liche Energie, die ich noch nie zuvor gespürt hatte. Sie ging durch meinen ganzen Köper hindurch, auf den Boden, in den Stern dort und dann wieder zurück. Ich kann das mit meinen eigenen Worten nur als eksta­tisch beschreiben. Als ich später ein paar Leuten davon erzählte, sagten sie mir, dass das nichts anderes als der Heilige Geist gewesen sei. Als ich Leuten in Indien davon erzählt, meinten sie, dass sie es mit Kundalini umschreiben würden. Aber wie dem auch sei. Das Inter­es­sante am Camino ist, dass verschie­dene Leute aus den unter­schied­lichsten Gründen loslaufen, dass sich während des Wanderns die Gründe aber ändern, die Dinge ändern sich. Einfach so. Sie werden plötzlich zu Pilgern. Einfach so. Manchmal erst Jahre später, wenn sie sich plötzlich erinnern und reali­sieren, dass sie sich verändert haben. Ich hätte vorher nie gedacht, dass diese Wanderung für mich irgend­wann einen spiri­tu­ellen Charakter annehmen würde. Doch das hat sie. Und das gilt auch für viele andere, die ich getroffen habe. Der Mensch, der sie am Anfang waren, ist am Ende ein anderer.