»Die erste Idee ist immer die richtige Idee« |
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Bill Bennett während seiner Pilgerreise auf dem Camino... | ||
(Foto: Bill Bennett) |
Das Gespräch führte Axel Timo Purr
Bill Bennett ist Autor, Produzent und Regisseur von Spiel- und Dokumentarfilmen. In seiner mehr als dreißigjährigen Karriere hat er sechzehn Spielfilme und zahlreiche Dokumentarfilme gedreht. Er hat die Australian Film Institute Awards für den besten Film und die beste Regie gewonnen und wurde 12 weitere Male nominiert. Zwei seiner Filme waren in der offiziellen Auswahl des Filmfestivals von Cannes.
Bennetts Bestseller-Memoiren über seine Pilgertage auf dem Camino,
The Way, My Way, hat er als Spielfilm mit Chris Haywood in der Hauptrolle selbst verfilmt. In Australien ist Bennetts Film ein ähnlich großer Erfolg gewesen wie der von Julia von Heinz verfilmte Bestseller von Hape Kerkeling und dessen Camino-Erfahrungen Ich bin dann mal weg (2015).
Axel Timo Purr hat Bill Bennett vor der Deutschland-Premiere seines Films im
Münchner Riopalast getroffen.
artechock: Ihr Film ist in gewisser Hinsicht ein eigenartiger Hybrid. Sie haben sowohl mit professionellen Darstellern – Ihr Alter Ego ist der bekannte australische Darsteller Chris Haywood – als auch mit Laiendarstellern gearbeitet, eben jenen Pilgern, mit denen Sie vor mehr als zehn Jahren den Camino gewandert sind und lange nach ihrem Erfolg mit dem Buch The Way, My Way: A camino Memoir (2014)...
Bill Bennett: Ja, das ist schon ziemlich einzigartig und es ist sicherlich auch dem geschuldet, was diese Reise für mich war, etwas Neues, eine neue Art Filme zu machen. Diese verschiedenen Darstellertypen zusammenzubringen war beinahe so schwer wie meine beiden Leben zusammenzubringen, mein Leben vor und mein Leben nach der Wanderung des Camino.
artechock: Warum haben Sie denn eigentlich keinen Dokumentarfilm draus gemacht? Gleich zu Anfang, das wäre ja fast schon ein Standard in den heutigen, so selbstreferenziellen Zeiten und sie hätten es einfacher mit ihren Schauspielern gehabt?
Bill Bennett: Na ja, zum einen hatte ich wirklich nie vor, darüber einen Film zu machen. Ich wollte einfach nur den Camino gehen. Und das ist alles. Schon einen Fotoapparat mitzunehmen war eine Überwindung, obwohl ich, seit ich 15 Jahre alt bin, leidenschaftlich fotografiere. Und selbst wenn ich einen Film gemacht hätte, gleich am Anfang, dann wäre meine Wanderung nicht die gleiche gewesen, ich wäre immer »draußen« gewesen. Ich wollte ein »unbeflecktes« Erlebnis. Das mag idiotisch klingen, da ich doch seit 1982 Filmemacher bin. Aber der Blog, den ich stattdessen geschrieben habe, war dann die bessere Idee. Ich habe dafür Fotos gemacht und war dann doch auch Beobachter, und habe die Ungereimtheiten, die natürlich auch Teil des Camino sind, besser wahrnehmen können. So etwas wie kaputte Stühle oder das Licht am Ende eines Tages, oder die vielen Formen von Heuhaufen, das war schon fast eine Obsession von mir. Und dabei hatte ich diese brutalen Schmerzen in meinem Bein. Und als ich dann in Santiago ankam, habe ich natürlich irgendwas ganz Großes erwartet. Aber da war nichts. Deshalb habe ich das Buch geschrieben, und Blog und Fotos darin verwertet. Das wurde dann ein ganz und gar überraschender Erfolg mit mehr als 100.000 verkauften Exemplaren. Jahre später hat mich dann ein befreundeter Filmverleiher angesprochen, der mein Buch gelesen hatte und beeindruckt davon war, und nun einen Film daraus machen wollte. Ich habe nur gesagt: Bloß nicht, auf keinen Fall! Er hat nur gesagt, warte einfach mal ab und hat drei Drehbuchautoren um Treatments gebeten. Aber das war alles Mist, denn keiner der Autoren ist den Camino gegangen, sie wussten alle nicht, worum es eigentlich geht. Vor allem ist es keinem gelungen, meine Art von Bill-Bryson-Humor zu entwickeln, der ja Teil meines Buches und auch jetzt Teil meines Films ist. Einer ließ mich etwa von einem Bär verfolgen. Völlig bescheuert. Niemand in diesen Treatments war ich.
artechock: Sie meinen diesen »Alten-Weißen-Mann-Charakter«, der jedem sagt, wie es besser geht, in diesem Fall natürlich sehr selbstironisch und ein wenig böse...
Bill Bennett: Genau, aber auch als Drehbuchautor war ich überhaupt nicht überzeugt, waren all die Verfehlungen, die hier erzählt werden sollten, einfach nicht interessant genug. Doch all das brachte mich immerhin dazu, mich selbst von mir zu lösen, mich auf »meinem« Camino zu beobachten und daraus ein eigenes Drehbuch zu entwickeln, das nah an dem war, was damals wirklich passierte. Ich musste auch daran denken, warum mein Blog so erfolgreich war: eben weil ich meine Schwächen gnadenlos aufzeigte. Und was dann auch der Kern meines Buches war. Warum sollte ich die Geschichte umschreiben? Und so ging es mir dann auch bei dem Film: Warum sollte ich das Buch, dessen Warheit, neu definieren? Warum nicht der Wahrheit folgen?
artechock: Sind in diesem Sinne dann auch die Laiendarsteller, Ihre damaligen Mitläufer zu verstehen? Die in meinen Augen übrigens mit den Profis am Set völlig überzeugend harmonieren. War es schwer, sie zu überzeugen, mitzumachen?
Bill Bennett: Vielen Dank für das Lob, das bedeutet mir wirklich viel. Ich habe natürlich auch vorher schon mit Laiendarstellern gearbeitet. In diesem Fall war es dann auch eine persönliche Geschichte. Ich blieb ja mit fast allen, die ich traf, in Kontakt, nach unserer Wanderung. Wir hatten Zooms und dann habe ich sie besucht. Ich war mit Jennifer in Ungarn und Norditalien, wo ich meine neuen Freunde besuchte. Deshalb konnte ich ihnen auch später erklären, was den Unterschied zwischen einem Laien- und einem Profidarsteller ausmacht. Der Laie will dir gefallen, es dir recht machen, der Profi will seine Sache, seinen Job einfach nur richtig machen. Das konnte ich durch unsere Freundschaft natürlich viel besser kommunizieren.
artechock: Das erinnert mich alles sehr an klassische Gruppentherapie, weil man natürlich auf dieser Wanderung das macht, was man im Alltag nur selten macht: offen mit jedem über sich reden...
Bill Bennett: Absolut. Es ist wie ein ständiger Beichtprozess, wie das Beichten in einer Kirche. Keiner kennt den anderen, keiner wusste, wer ich bin, und ich nicht, wer sie waren. Das macht es einfacher, offen zu sein, und das ist sicherlich einer der Zauber, die den Camino ausmachen. Man überrascht sich selbst. An einem der ersten Abende, als alle erzählten, warum sie den Camino gingen, war ich richtig nervös, was ich sagen sollte, denn ich bin ja alles andere als religiös. Ich sprach dann von der Natur, was auch stimmte, was ich aber nicht wusste. Jeder der anderen kann also gewissermaßen ein Engel sein, der etwas in dir auslöst, von dem du vorher nichts wusstest. Und so geht das die ganze Zeit, ein ständiges, zufälliges Geben und Nehmen...
artechock: Nach all den Jahren, die inzwischen vergangen sind: würden Sie sagen, dass dieser Prozess nachhaltig war oder wie so viele gruppentherapeutische Prozesse eher von kurzer Dauer?
Bill Bennett: Für mich auf jeden Fall nachhaltig. Mein ganzes Leben hat sich verändert. Nicht über Nacht, aber ich sehe jetzt, wie vorhin schon gesagt, mein Leben zweigeteilt, in das vor und das nach dem Camino. Es ist allerdings nicht so, wie ich das ebenfalls vorhin schon angedeutet habe, als ich nach Santiago kam, dass du plötzlich wer anders bist, dass sich plötzlich etwas geändert hat. Nein, es kommt langsam, rollt sich langsam aus. Wie dieser Film: ich wollte immer schon mal einen »intuitiven« Film machen. Und das ist mir jetzt endlich gelungen. Diese ganzen Blockaden haben sich aufgelöst, so dass ich frei für ein derartiges Projekt wurde. Ein anderes war ein Projekt über Angst, für das ich zehn Monate Experten auf der ganzen Welt befragt habe...
artechock: Die Veränderungen fanden also sowohl auf privater als auch beruflicher Ebene statt...
Bill Bennett: Ich habe auf dem Camino etwas über Verwundbarkeit gelernt, Dankbarkeit und Vergebung. Verwundbarkeit wegen meiner Schmerzen, Dankbarkeit, weil ich viel zu viel in meinem Leben als selbstverständlich hingenommen habe, was es nicht war. Ich habe dann plötzlich angefangen, meine E-Mails mit einem Danke zu beenden. Das kam alles unbewusst. Das war nicht aufgesetzt. Beim Filmemachen muss man natürlich auch planen, mit purer Intuition geht es natürlich nicht, weil es ja ein Budget und einen Drehplan geben muss. Aber ich entscheide jetzt, aus einem Bauchgefühl heraus, was mein nächstes Projekt sein wird. Ich glaube dabei mehr an mich, glaube an meine Ideen. Die erste Idee ist immer die richtige Idee. So einfach ist das. ich möchte einfach nur noch Filme machen, die auch »Mitleid« und »Barmherzigkeit« zeigen, die eine »Bedeutung« haben.
artechock: Eine rein technische Frage: warum sind die Wege bei Ihnen alle so leer. Heutzutage geht es doch auf dem Camino eher wie auf einer Autobahn zu? Und laut neuesten Statistiken sind die Australier zahlenmäßig ganz vorne mit dabei.
Bill Bennett: Da gibt es einen ganz einfachen Grund. In der Zeit während der wir gedreht haben, im April und Mai, sind die besten Lichtverhältnisse zwischen sieben und halb acht am Abend zu finden, eine Zeit, in der die meisten Pilger nicht mehr unterwegs, sondern in ihren Unterkünften beim Essen sind, oder schon geschlafen haben, wenn wir gegen neun mit dem Dreh fertig waren.
artechock: Sie sagen selbst, dass Sie kein Katholik bzw. ein gläubiger Mensch seien, aber Sie folgen einem Ritual, das zutiefst religiös ist. Ich frage mich, ob das kein Widerspruch ist, ob hier Religion nicht zu einem Lifestyle-Event transformiert, ja vielleicht sogar pervertiert wurde...
Bill Bennett: Eine wirklich interessante Frage. Ich kann hier natürlich nur für mich sprechen. Ich bin kein Katholik und wohl auch kein Christ, wie ich in meinem Buch betont habe. Aber ich hatte Respekt und habe Respekt vor der Tradition. Und ich hatte gleich am Anfang beim Besuch der Kathedrale in Burgos, in der ich für einen erfolgreichen Camino bat, dieses einschneidende Erlebnis. Ich stand auf einer Art Stern und sah nach oben und entdeckte einen ähnlichen Stern und im gleichen Moment durchfuhr mich eine schier unglaubliche Energie, die ich noch nie zuvor gespürt hatte. Sie ging durch meinen ganzen Köper hindurch, auf den Boden, in den Stern dort und dann wieder zurück. Ich kann das mit meinen eigenen Worten nur als ekstatisch beschreiben. Als ich später ein paar Leuten davon erzählte, sagten sie mir, dass das nichts anderes als der Heilige Geist gewesen sei. Als ich Leuten in Indien davon erzählt, meinten sie, dass sie es mit Kundalini umschreiben würden. Aber wie dem auch sei. Das Interessante am Camino ist, dass verschiedene Leute aus den unterschiedlichsten Gründen loslaufen, dass sich während des Wanderns die Gründe aber ändern, die Dinge ändern sich. Einfach so. Sie werden plötzlich zu Pilgern. Einfach so. Manchmal erst Jahre später, wenn sie sich plötzlich erinnern und realisieren, dass sie sich verändert haben. Ich hätte vorher nie gedacht, dass diese Wanderung für mich irgendwann einen spirituellen Charakter annehmen würde. Doch das hat sie. Und das gilt auch für viele andere, die ich getroffen habe. Der Mensch, der sie am Anfang waren, ist am Ende ein anderer.