Bennett Miller (39) begann als Dokumentarfilmer. Mit CAPOTE,
seinem ersten Spielfilm, der diese Woche in Deutschland startet,
wurde er über Nacht berühmt und mehrfach für den Oscar
nominiert, die am kommenden Sonntag verliehen werden.
artechock: Truman Capote war schwul, der meistnominierte
Film bei der Oscar-Verleihung erzählt eine schwule
Liebesgeschichte. Ist Homosexualität der neue Trend
in Hollywood?
Miller: Ich weiß nicht. Der homosexuelle Subtext
meines Film ist für mich nur insofern interessant, als
es um einen Outsider geht. Capote war der ultimative Insider
und zugleich immer ein Outsider. Er war eine ganz öffentliche
Person, sehr charismatisch, berühmt, erfolgreich als
Autor. Er war das Epizentrum der sozialen Elite Amerikas.
Er kannte alle. Aber innerlich war er wirklich allein. Von
allen isoliert. Darum dreht sich der ganze Film.
Die Anatomie eines Autors
Miller: Ja. Seine Selbstzerstörung. Es ist ein
dramatischer und ein unter der Oberfläche unglaublich
dynamischer Film. Eigentlich zwei Filme: Einer handelt darüber,
wie Capote sein Buch "In Cold Blood" schreibt, es
ist ein Making-Off dieses berühmten Buches und unter
der Oberfläche gibt es den anderen Film, der von der
privaten Tragöde eines Autors handelt, der sich selbst
zerstört. Capote bekam alles, wirklich alles, was er
sich vom Leben gewünscht hatte - und in dem Moment, wo
er es hatte, war er am Ende. Für mich ist dies die entscheidende
Szene: Als Capote am Schluß im Flugzeug sitzt, und die
Schlagzeilen über sich liest. In diesem Moment kristallisiert
sich der Film.
Was glauben Sie, was zog Truman Capote an diesem Mordfall
in Kansas an?
Miller: Ich vermute, es war sein Interesse am Thema
des Verlusts der Unschuld. Als er nach Kansas fuhr, interessierten
ihn nicht die Mörder, sondern die Stadt und die Menschen
dort. Sie lebten in einem Stadium der Unschuld: In der Mitte
des Landes, in der Mitte des Jahrhunderts. Diese Leute haben
nachts ihre Türen nicht verschlossen, sie waren nie vom
Bösen berührt worden. Capote hat es fasziniert,
dass sie in einer Welt aufwachten, die ihnen vertraut war,
dann entdeckten sie die toten Körper, und dann, als sie
abends einschliefen, lebten sie in einer anderen Welt. Es
war wie der 11. September 2001. Es gab kein Zurück. Um
diesen Verlust der Unschuld geht es in vielen seiner Geschichten.
Als Capote dann den Mörder Perry Smith näher kennen
lernte, war dies eine neue Geschichte, aber auch irgendwie
die gleiche. Er sah Perry ohne Furcht und Hass, als Mensch.
Er wusste, wie man seine Unschuld verliert, und spürte
das in Perry.
Capote hat nach "In Cold Blood" nie mehr ein
Buch schreiben können
Miller: Ja, es ist ein universales Problem für
Künstler, auch Journalisten: Man kann unsensibel werden
für die Konsequenzen dessen, was man schreibt. Aber das
kann einen unmerklich selbst zerstören.
Der Oscar war in den letzten Jahren oft eine Feier des
Mainstream. Bei der kommenden Oscarverleihung sind viele
"kleine" Filme nominiert, mit sperrigen Themen,
unkonventionellen Figuren - wie CAPOTE. Hat Sie das überrascht?
Miller: Es hat mich oft mehr überrascht, wenn
ein großer schlechter Film nominiert wurde [Lacht].
Ich habe schon im Sommer gelesen KING KONG werde "die
Oscars überschwemmen", er werde zwölfmal nominiert
werden
Alle jetzt nominierten Filme zusammengenommen,
haben noch nicht einmal das halbe Budget von KING KONG. Das
ist etwas überraschend, aber es ist schön, zu sehen,
dass kleine, gute, ungewöhnliche Filme nominiert werden.
Wie erklären Sie sich Ihren Erfolg mit CAPOTE?
Miller: Hollywood ist eine Industrie. Sie reagiert
auf ökonomischen Erfolg. Viele der Nominierten sind kleine
unabhängige Filme mit überraschendem Erfolg beim
Publikum. Demgegenüber haben diese gigantischen Filme
keinen Erfolg, sie waren Geldverbrennungs-Filme. Ich bemerke,
dass es neuerdings sehr viel Interesse daran gibt, Filme mit
einer ernsthaften Bedeutung zu drehen.
Ihr Darsteller Philip Seymour Hoffman wurde durch den
Film zum Star. War immer klar, dass er die Rolle spielt,
oder dachten Sie auch an andere Darsteller?
Miller: Ich kannte ihn bereits seit 20 Jahren als
einen Freund. Philip war der einzige, der mir in den Sinn
kam. Er war der einzige, den ich mir hierfür vorstellen
könnte. Wenn er "Nein" gesagt hätte, hätte
ich wohl den Film nicht gemacht. Aber er war sehr schnell
dabei. Es hat einige Zeit gebraucht, fast sechs Monate Vorbereitung,
bis wir endlich den richtigen Weg gefunden hatten, um Capote
angemessen darzustellen. Erst kurz vor Drehbeginn hat es wirklich
funktioniert.
Woran denken Sie, wenn Sie einen Film planen: Denken sie
an den Erfolg, denken Sie "das Publikum braucht so
einen Film"?
Miller: Nein. Ich denke daran, dass ich mich drei Jahre lang
mit diesem Thema auseinandersetzen muss. Will ich das? Interessiert
es mich genug? Reicht meine Energie? Das ist wie eine Heirat.
Man denkt nicht nur an die Flitterwochen, sondern auch daran,
was danach kommt.
Mit Bennett Miller sprach Rüdiger
Suchsland.
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