USA 2005 · 114 min. · FSK: ab 12 Regie: Bennett Miller Drehbuch: Dan Futterman Kamera: Adam Kimmel Darsteller: Philip Seymour Hoffman, Catherine Keener, Clifton Collins jr., Chris Cooper, Bob Balaban u.a. |
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Truman Capote – zwischen Genie und Monströsität |
Präzise schneidet die Schere durchs Papier. Eine altmodische Schere mit gerundeten Klingen. Exakt auf jener Linie entlang, die einen Zeitungsartikel vom nächsten trennt. Der da schneidet ist Truman Capote. Gefeierter Schriftsteller. Selbstverliebter und geistreicher Mittelpunkt der New Yorker Partyszene Ende der 50er. Ein Meister der Selbstinszenierung. Ein hässlicher Paradiesvogel mit näselnder Kastratenstimme und wedelnden Händen.
Die kurze Notiz, die er so sorgsam ausschneidet, berichtet von dem spektakulären und sinnlosen Mord an einer Farmerfamilie in Kansas. Die Mörder sind noch nicht gefasst. Und Capote beschließt spontan: Das soll seine nächster Story für den »New Yorker« werden. Doch statt einer Reportage schreibt er schließlich ein ganzen Buch »In Cold Blood« – »Kaltblütig« soll sein größter Erfolg werden – und das letzte Buch, dass er je beenden wird.
Regisseur Bennett Miller fokussiert für sein Portrait auf jene sechs Jahre, die Capote brauchen wird, um den Roman zu schreiben – einen Zeitraum, den schon die Biographie von Gerald Clarkes beschreibt, auf der der Film basiert. Capotes ehrgeiziges Projekt ist, eine neue literarische Form zu begründen, mit einem Roman, der detailgetreu auf Tatsachen basiert. Damit wird Capote der Vater des »New Journalism«.
Doch zunächst macht er sich auf in das Kaff, in dem der Mord geschah. Ihn interessiert weniger die Tat, sondern wie die Katastrophe das Leben der Menschen verändert hat – der Verlust des unschuldigen Glaubens an die eigene Sicherheit. Ihn begleitet seine Jugendfreundin, die Schriftstellerin Nelle Harper Lee. Zum Glück, denn anfangs zeigt ihm die Provinz die kalte Schulter und »Nelle« muss die Mittelsfrau spielen zwischen dem komischen Vogel aus Manhatten und den Leuten vom Land. Doch dann siegt doch die Neugier auf den berühmten Schriftsteller, und als die Täter gefasst sind, erhält Capote Zugang zu den zwei Mördern. Ein Wendepunkt: Denn für sein Buch braucht er dringend die Erinnerungen der Täter – den einzigen Augenzeugen.
Eine seltsame Szene ist dies, in der Capote sich Perry Smith, einen der Täter, nähert, der bizarrerweise in einem Käfig hockt, der in der Küche des Sheriffs aufgebaut ist. Tatsächlich gelingt dem Schriftsteller das Kunststück des Brückenschlags zwischen dem gefeierten literarischen Genie und dem Outlaw. Instinktsicher setzt er auf das, was sie verbindet: »Es ist, als hätten wir im selben Haus gelebt, nur dass er irgendwann durch die Hintertür hinausging und ich durch die Vordertür«, beschreibt Capote seine Beziehung zu Perry in einer späteren Szene. Zwei Außenseiter der Gesellschaft, zwei Menschen, die schon als Kind verlassen wurden, zwei Männer mit Talent – denn Perry ist ein begabter Zeichner. Vielleicht nur eine Laune des Schicksals, die sie in so unterschiedliche Leben katapultiert hat.
Grandios gelingt es Capote-Darsteller Philip Seymour Hoffman, die Figur in der Schwebe zu halten. Stets bleibt der Zuschauer im Ungewissen – ist es homoerotische Anziehung, die Capote an dem indianischstämmigen Mörder fasziniert? Oder doch nur bloßes Kalkül? »Wenn ich daran denke wie gut das Buch wir, stockt mir der Atem«, sagt er in einer Sequenz mit schockierender Offenheit – und doch will sich eine echte Aversion gegen den Schriftsteller nicht einstellen. Tatsächlich besorgt er den zweien einen guten Verteidiger – doch tut er das nur, um seine Geschichte zuende erzählen zu können? Dass er die Mörder ausbeutet und belügt, um an die Story zu kommen, ist klar. Dass nicht auch andere, weniger kaltherzige Motive eine Rolle gespielt haben könnten, schwingt dennoch immer mit.
Letztlich siegt der literarische Ehrgeiz: Capote ist – ganz der Egoman – verzweifelt, weil der Termin der Hinrichtung so lange auf sich warten lässt – und vorher, soviel ist klar, wird er sein Buch nicht beenden können. Doch mit der Hinrichtung scheint auch Capotes Schicksal besiegelt: »Kaltblütig« wird sein letzter und zugleich sein größter Wurf. Was der Film nicht mehr erzählt: Capote entzweit sich mit Nelle, die sich mit »Wer die Nachtigal stört« literarischen und cineastischen Ruhm als Gegnerin der Todesstrafe erwirbt. Mit seinem autobiografischen Roman verprellt Capote Fans und Freunde aus der High Society. Schließlich stirbt er an den Folgen von Tabletten und Alkoholmissbruch. Ob dies die Folge eines überstrapzierten Gewissens war, wie der Film es nahe legt, oder Konsequentz eines künstlerischen Selbstausbeutung, wird sich nicht mehr klären lassen.
Offensichtlich ist jedoch: Mönströs sind nicht nur die Killer. Ein Monster ist auch Capote selbst. Berechnend. Skrupellos. Falsch. Kurzum: kaltblütig. Und dann doch wieder in all seiner Eitelkeit charismatisch, verletzlich, allzu menschlich – und letztlich uns selbst ganz unbehaglich nah.
Ein Mann steht im Raum. Seine hohe Stimme fällt als erstes auf, die manierierten Formulierungen gleich darauf. Man erkennt, dass er gut gekleidet ist, so gut, dass er selbst aus dieser vornehmen New Yorker Cocktailpartygesellschaft noch heraussticht. Um ihn herum hat sich eine Traube aus Zuhörern gebildet. Sie lauschen jedem seiner Worte, hängen, wie man sagt, an seinen Lippen. Er sagt böse Dinge über andere Menschen, sein Ton ist lästernd, gnadenlos. Er kann Menschen öffentlich fertig machen, kein Zweifel, und er tut das auch. Eine Szene voller Hybris, und man muss keine antiken Tragödien kennen, um zu ahnen, dass dieser Mann eines Tages für seine Sünden bezahlen muss.
Etwas später wird er sagen: »Diese Leute denken, sie hätten mich durchschaut, und sie wüssten, wie ich bin.« Aber wer und was ist er? Was ist ein Autor? »Man will«, schrieb Friedrich Nietzsche einmal, »nicht nur verstanden werden, wenn man schreibt, sondern ebenso gewiss auch nicht verstanden werden.« Wer schreibt, muss gnadenlos sein, mit sich und anderen. Er muss sich selbst ausbeuten. Man muss dies nicht kultivieren, nicht verklären, muss es vielleicht sogar vor sich verbergen, wenn man schreibt. Aber von Außen bei anderen, ist es erkennbar.
Der Mann auf der Cocktailparty ist, das erfahren wir bald, der Schriftsteller Truman Capote. Von Anfang an umgibt ihn der Schleier des Besonderen, der auch ein Schleier der Einsamkeit ist. Capote ist ein Außenseiter, das ist klar. Nicht nur, weil er schwul ist, was im Amerika der 50er immer noch ein Problem war. Nicht nur, weil er sein Schwulsein gewissermaßen offensiv zur Schau trägt, seine hohe, näselnde Stimme, seinen überkandidelten Bewegungen, seine gesamte Tuntenhaftigkeit ebenso kultiviert, wie seine Einsamkeit. Er ist auch ein Außenseiter, weil er diese Einsamkeit nicht selbst gewählt hat, weil sie über ihn gekommen ist wie eine Naturgewalt, von Kindheitstagen an, wie sein Schwulsein, wie seine immense Bildung, wie sein Künstlertum. Man sieht das alles, in den ersten Minuten: Truman Capote in Gesellschaft. Truman Capote allein, Zeitung lesend.
Es gibt eine Figur in To Kill A Mockingbird (dt. Wer die Nachtigall stört). Ein Junge aus der Nachbarschaft namens Dill Harris. Der ist etwas zu klein, trägt kurze Hosen, ein Bücherwurm, irgendwie sonderbar, aber ungemein originell. Das reale Vorbild dieser Figur Dill Harris ist Truman Capote. Mit ihm war Nelle Harper Lee seit Kindheitstagen befreundet. »Mr. Truman Capote and Miss Harper Lee« – so kommen sie an, als der Film wenige Minuten alt ist, in Kansas. Beide stammen aus den Südstaaten, und was sie hier wollen, wissen sie selbst noch nicht. Es ist von allem anderen abgesehen, am Anfang auch ein Film über Städter auf dem Land, in der Provinz, über zwei Amerikas, die aufeinandertreffen.
Die 50er Jahre, gemeinhin nur als Zeit sozialer Repression charakterisiert, waren im Rückblick auch eine große Zeit der Kunst. Was würde eine Figur wie Truman Capote (1924-1984) heute tun? Wäre sie überhaupt möglich? Es gibt sie oder irgendeinen zeitgemäßen Nachfolger weit und breit nicht, und keine Bücher von auch nur annährender Wirkungskraft wie »Andere Räume, andere Stimmen«, »Die Grasharfe« oder »Frühstück bei Tiffany’s«. Es gibt nur ein paar Überlebende jener großen amerikanischen Literatur-Avantgarde der 50er, wie Gore Vidal oder eben Nell Harper Lee, die aber seit Jahrzehnten nichts mehr schreibt. Sie waren einerseits radikal und mutig, doch handelten ihre Bücher in bemerkenswert direktem, realistischen Ton vom Leben, das alle Menschen kannten, sie wollten ins Herz der Zeit zielen, und wo sie experimentierten, war dies kein Selbstzweck.
Truman Capotes brillanter Roman »In Cold Blood« (»Kaltblütig«) belegt dies exemplarisch: Fast eine journalistische Reportage über die Genese eines Mordes, faktensatt und detailliert recherchiert, ist dies doch ein Roman, der sich ins Innere seiner Hauptfiguren, zweier Mörder, Perry Smith und Dick Hickock, die bei einem Raub im November 1959 eine vierköpfige Familie brutal niedergemetzelten, hineinfrisst. Ein Buch, das die Tat, das, was zu ihr führte, was auf sie folgte, die Leben der Opfer und Täter rekonstruiert. Darüber hinaus ist »Kaltblütig« auch die scharfe Anatomie der US-Südstaaten-Provinz jener Tage, in der Capote selbst aufwuchs, in der »gute Christen«, Verlogenheit und Doppelmoral den Ton angaben, und auch 1959/60 Schwarze in Bussen hinten sitzen mussten und in manchen Restaurants nicht essen durften, jener USA vor Kennedy, Bürgerrechtsbewegung und Vietnamprotest – der absoluten Gegenwelt zur liberalen New Yorker Gesellschaft, in der Capote lebte.
Was Capote an alldem interessierte, war das Erhaschen jenes Moments, an dem das Provinzamerika seine Unschuld verlor. Es lohnt sich, in diesem Zusammenhang auch die wunderbare Verfilmung To Kill A Mockingbird von Robert Mulligan mit Gregory Peck wiederzusehen. Sie stammt aus dem Jahr 1962, in dem Bennet Millers Capote unter anderem spielt. Und sie zeigt die gleiche Welt, die Capotes »Kaltblütig« und jetzt Millers Capote schildern: Die hässliche Fratze der USA, eine bigotte, reaktionäre Provinz, in der Rassismus und Fanatismus weiterhin eine große Rolle spielen. Alle drei Werke verkörpern demgegenüber das Beste an Amerika: Den Geist der Freiheit und der Toleranz. Und sie zeigen das Schlimmste: Den Geist der Rache, der Bigotterie, der Dummheit. Trotzdem entsteht auch beim Ansehen von Capote so etwas wie nostalgische Sehnsucht, Sehnsucht nach vergangenen Kämpfen und Konflikten, nach einer Klarheit, die heute verschwunden scheint. Millers Film zeichnet auch ein Bild einer vergangenen Ära der US-amerikanischen Moderne. Manchmal sieht alles aus wie auf alten Photographien, und dann merkt man am besten, dass Miller bisher ein Dokumentarfilmer war. Aber die Schönheit dieser Bilder ist auch die Schwäche, die einzige, dieses Films. Denn sie dämpft die Schärfe seiner Fragen, packt in Watte, was uns wehtun sollte.
Millers faszinierend-beklemmendes Portrait Capote, am kommenden Wochenende mehrfach für den Oscar nominiert, macht genau das mit dem Autor Capote und seinem berühmtesten Buch, was dieser mit dem Fall und den beiden Mördern tat: Er zeigt den Augenblick des Verlusts der Unschuld und die private Tragöde eines Autors, der sich selbst zerstört. Wie ein Dokumentarist breitet er detailliert Fakten aus, und ist doch immer Interpretation. Kein »Biopic«, der Film versucht nicht, die Geschichte eines Lebens zu erzählen, sondern er will bestimmte Aspekte der Figur vermitteln. Er deutet seine Hauptfigur, versucht sie psychologisch und soziologisch in ihrer Zeit zu verankern, und uns damit eine Vorstellung von ihr zu geben – wie ein Anatom, der einen Kadaver so zu lesen versteht, dass er seine Geschichte erzählen kann.
Dabei ist Capote in zutiefst humaner Film, voller Empathie für den Schriftsteller, der als Person zu seinem Recht kommt, und doch zum exemplarischen Fall wird: Für die Kunst und ihren mitunter hohen Preis, dafür wie etwas wunderschön sein kann, und doch zugleich sehr hässlich – in diesem Fall so hässlich, dass man fast vergisst, wer hier eigentlich das Verbrechen begangen hat. Denn Capote war auch ein Vampir der Fakten, der den Mord und die Mörder für
seine Kunst und den eigenen Ruhm instrumentalisierte.
Zuerst verhalf er den Angeklagten, deren Schuld unzweifelhaft ist, auf eigene Kosten zu besseren Anwälten, die die ebenso sichere Hinrichtung weiter und weiter hinauszögern. Doch dann erkennt der Schriftsteller, dass er sein Buch erst beenden kann, wenn die beiden tot sein werden. Jetzt bricht der den Kontakt brutal ab, gibt kein eigenes Geld mehr für die Berufungsverfahren aus, leidet zugleich darunter, trinkt immer mehr.
Doch die Kunst ist (ihm) wichtiger, als das Leben zweier Mörder. Nicht, dass Capote keine Schuldgefühle empfinden würde. Aber man weiß nicht, ob es sich bei ihnen nicht nur um Selbstmitleid handelt: »Ich hab sie nicht retten können«, sagt er einmal über die beiden Angeklagten, als deren Todesstrafe sicher ist. »May be not. The fact is, that you didn’t want to.«
Sein inneres Lavieren zwischen Wahrheit und Lüge, Ausbeutung und Mitgefühl ist das Thema des Films. Ab wann ist der Voyeur im Unrecht und nicht mehr durch das Recht auf Neugier geschützt? Wie weit darf man gehen, um ein gutes Buch zu schreiben? Wie kaltblütig muss ein Autor sein, der über das Kaltblütige schreiben will? Kunst fordert Opfer, aber sie gibt auch etwas zurück; alle Kunst ist amoralisch, jeder Künstler – und nicht nur er – ein Egoman. Vielleicht ist dies das
letzte Wort, dass hierzu zu sagen ist, man könnte sich jedenfalls gut trösten mit dieser Erkenntnis.
Nicht trösten kann man sich – und konnte nicht einmal Capote – mit dem Preis, der dafür zu zahlen ist: Denn nicht nur der Künstler selbst, sondern auch seine Freunde bleiben dabei auf der Strecke. Dies illustriert der Fall von Harper Lee (oscarreif von Catherine Keener gespielt). Die Jugendfreundin wurde durch zur gleichen Zeit mit »To Kill a Mockingbird« berühmt, und gewann
den Pulitzerpreis. Im Zuge der Recherchen an »Kaltblütig« entfremdete sie sich von Capote, brach mittelfristig ganz mit ihm – sie ist das moralische Gewissen des Films gegenüber der Hauptfigur. Der war reiner Ästhet, ein Vampir der Fakten, der alles für seine Kunst und den eigenen Ruhm instrumentalisierte. Aber Vorsicht vor voreiligen moralischen Schlüssen: Capote habe seit »Kaltblütig« nie mehr ein Buch vollendet, heißt es am Ende, im Nachspann. Das, so ist anzunehmen,
soll die moralische Lehre des Films sein. »Wer mit Drachen kämpft, wird selbst zum Drachen«, auch das noch mal Nietzsche. Die Schuld holt einen ein. Wirklich? Wenn es doch so wäre im Leben, so einfach. Tatsächlich hat auch Nelle Harper Lee seit »To Kill A Mockingbird« kein Buch mehr veröffentlicht. Sie ist nicht gestorben, hat sich nicht zu Tode gesoffen und gekokst und gespritzt wie Capote. Aber auch die Moral schützt offenbar nicht vor dem writer’s block.
Capote ist die Geschichte einer moralischen Niederlage. Es ist aber auch die Geschichte eines künstlerischen Erfolges. So ist der Capote dieses Films, und das ist seine eigentliche Leistung, beides zugleich: ein Wrack und ein Erfolgsmensch, ein Genie, und eine lächerliche, traurige Figur. Eine offene Frage bleibt, wie beides zusammenhängt. Eine offene Frage bleibt auch, ob und wie sich das Folgende, Capotes Nicht-Schreiben, aus den Erlebnissen in Kansas ableiten lassen. Miller erzählt von einem Menschen, der alles erreicht, was er sich je gewünscht hat. Das ist Capotes wahre Katastrophe.
Was ist ein Autor? Einer der schreibt, könnte man sagen. Wie lange ist einer, der nicht schreibt, noch ein Autor? Und wann hat Capote aufgehört, ein Autor zu sein?