02.03.2006

»Die Tragöde einer Selbstzerstörung«

Capote neben seinem Auto im in einsamer Landschaft
In the middle of nowhere: Truman Capote bei seinen Recherchen zu »Kaltblütig«

Capote-Regisseur Bennett Miller über Truman Capote, seinen Film und die Oscar-Nominierung

Bennett Miller (39) begann als Doku­men­tar­filmer. Mit Capote, seinem ersten Spielfilm, der diese Woche in Deutsch­land startet, wurde er über Nacht berühmt und mehrfach für den Oscar nominiert, die am kommenden Sonntag verliehen werden.

Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland auf der Berlinale 2006

artechock: Truman Capote war schwul, der meist­no­mi­nierte Film bei der Oscar-Verlei­hung erzählt eine schwule Liebes­ge­schichte. Ist Homo­se­xua­lität der neue Trend in Hollywood?

Miller: Ich weiß nicht. Der homo­se­xu­elle Subtext meines Film ist für mich nur insofern inter­es­sant, als es um einen Outsider geht. Capote war der ulti­ma­tive Insider und zugleich immer ein Outsider. Er war eine ganz öffent­liche Person, sehr charis­ma­tisch, berühmt, erfolg­reich als Autor. Er war das Epizen­trum der sozialen Elite Amerikas. Er kannte alle. Aber innerlich war er wirklich allein. Von allen isoliert. Darum dreht sich der ganze Film.

artechock: Die Anatomie eines Autors...

Miller: Ja. Seine Selbst­zer­störung. Es ist ein drama­ti­scher und ein unter der Ober­fläche unglaub­lich dyna­mi­scher Film. Eigent­lich zwei Filme: Einer handelt darüber, wie Capote sein Buch »In Cold Blood« schreibt, es ist ein Making-Off dieses berühmten Buches und unter der Ober­fläche gibt es den anderen Film, der von der privaten Tragöde eines Autors handelt, der sich selbst zerstört. Capote bekam alles, wirklich alles, was er sich vom Leben gewünscht hatte – und in dem Moment, wo er es hatte, war er am Ende. Für mich ist dies die entschei­dende Szene: Als Capote am Schluß im Flugzeug sitzt, und die Schlag­zeilen über sich liest. In diesem Moment kris­tal­li­siert sich der Film.

artechock: Was glauben Sie, was zog Truman Capote an diesem Mordfall in Kansas an?

Miller: Ich vermute, es war sein Interesse am Thema des Verlusts der Unschuld. Als er nach Kansas fuhr, inter­es­sierten ihn nicht die Mörder, sondern die Stadt und die Menschen dort. Sie lebten in einem Stadium der Unschuld: In der Mitte des Landes, in der Mitte des Jahr­hun­derts. Diese Leute haben nachts ihre Türen nicht verschlossen, sie waren nie vom Bösen berührt worden. Capote hat es faszi­niert, dass sie in einer Welt aufwachten, die ihnen vertraut war, dann entdeckten sie die toten Körper, und dann, als sie abends einschliefen, lebten sie in einer anderen Welt. Es war wie der 11. September 2001. Es gab kein Zurück. Um diesen Verlust der Unschuld geht es in vielen seiner Geschichten. Als Capote dann den Mörder Perry Smith näher kennen lernte, war dies eine neue Geschichte, aber auch irgendwie die gleiche. Er sah Perry ohne Furcht und Hass, als Mensch. Er wusste, wie man seine Unschuld verliert, und spürte das in Perry.

artechock: Capote hat nach „In Cold Blood“ nie mehr ein Buch schreiben können...

Miller: Ja, es ist ein univer­sales Problem für Künstler, auch Jour­na­listen: Man kann unsen­sibel werden für die Konse­quenzen dessen, was man schreibt. Aber das kann einen unmerk­lich selbst zerstören.

artechock: Der Oscar war in den letzten Jahren oft eine Feier des Main­stream. Bei der kommenden Oscar­ver­lei­hung sind viele »kleine« Filme nominiert, mit sperrigen Themen, unkon­ven­tio­nellen Figuren – wie Capote. Hat Sie das über­rascht?

Miller: Es hat mich oft mehr über­rascht, wenn ein großer schlechter Film nominiert wurde [Lacht]. Ich habe schon im Sommer gelesen King Kong werde »die Oscars über­schwemmen«, er werde zwölfmal nominiert werden… Alle jetzt nomi­nierten Filme zusam­men­ge­nommen, haben noch nicht einmal das halbe Budget von King Kong. Das ist etwas über­ra­schend, aber es ist schön, zu sehen, dass kleine, gute, unge­wöhn­liche Filme nominiert werden.

artechock: Wie erklären Sie sich Ihren Erfolg mit Capote?

Miller: Hollywood ist eine Industrie. Sie reagiert auf ökono­mi­schen Erfolg. Viele der Nomi­nierten sind kleine unab­hän­gige Filme mit über­ra­schendem Erfolg beim Publikum. Demge­genüber haben diese gigan­ti­schen Filme keinen Erfolg, sie waren Geld­ver­bren­nungs-Filme. Ich bemerke, dass es neuer­dings sehr viel Interesse daran gibt, Filme mit einer ernst­haften Bedeutung zu drehen.

artechock: Ihr Darsteller Philip Seymour Hoffman wurde durch den Film zum Star. War immer klar, dass er die Rolle spielt, oder dachten Sie auch an andere Darsteller?

Miller: Ich kannte ihn bereits seit 20 Jahren als einen Freund. Philip war der einzige, der mir in den Sinn kam. Er war der einzige, den ich mir hierfür vorstellen könnte. Wenn er »Nein« gesagt hätte, hätte ich wohl den Film nicht gemacht. Aber er war sehr schnell dabei. Es hat einige Zeit gebraucht, fast sechs Monate Vorbe­rei­tung, bis wir endlich den richtigen Weg gefunden hatten, um Capote ange­messen darzu­stellen. Erst kurz vor Dreh­be­ginn hat es wirklich funk­tio­niert.

artechock: Woran denken Sie, wenn Sie einen Film planen: Denken sie an den Erfolg, denken Sie »das Publikum braucht so einen Film«?

Miller: Nein. Ich denke daran, dass ich mich drei Jahre lang mit diesem Thema ausein­an­der­setzen muss. Will ich das? Inter­es­siert es mich genug? Reicht meine Energie? Das ist wie eine Heirat. Man denkt nicht nur an die Flit­ter­wo­chen, sondern auch daran, was danach kommt.