»Der Historikerstreit bricht im Kino aus« |
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Die letzten Momente der Unschuld: Der rote Kakadu von Dominik Graf |
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(Foto: X-Verleih) |
Seit über 20 Jahren gilt der 1952 geborene Dominik Graf als einer der besten deutschen Regisseure. Filmisch war er seiner Zeit oft voraus. Schauspieler, die einmal mit ihm zusammengearbeitet haben, berichten nur Gutes, manchen Produzenten hingegen gilt Graf, der akribisch, auch in den scheinbar unwesentlichsten Dingen kompromisslos um Qualität bemüht ist, als zu teuer. Graf hat viele Preise gewonnen und dreht jährlich mindestens einen Film, zumeist fürs Fernsehen. Doch auch noch das scheinbar konventionellste Format, Folgen von Krimi-Reihen wie „Tatort“, „Sperling“ oder „Polizeiruf“ führt er zu ungeahnten Höhen – und macht aus ihnen immer typische Dominik-Graf-Filme. Jetzt läuft sein neuer Kinofilm Der rote Kakadu im Berlinale-Panorama.
Mit Dominik Graf sparch Rüdiger Suchsland
artechock: Es ist ja bekannt, dass Michael Klier hatte ein Drehbuch geschrieben hatte und das jetzt selber verfilmenwollte. Wie kommt es jetzt dazu, dass Du Der rote Kakadu verfilmst? Was interessiert Dich an dem Thema?
Dominik Graf: Ich habe das Drehbuch in einer Phase angeboten bekommen, als ich gerade ein anderes Projekt vorbereitete. Ich hatte vom ersten Moment an das Gefühl: Dies ist eine Chance, die man in Deutschland nicht oft bekommt.
Alle historischen Filme, die mir zuvor angeboten wurden – keinen von ihnen habe ich gemacht – hatten alle das gleiche Problem: Ein Leiden an einer Übergewalt von Historie, und an Dramatik. Die Macher
denken sich, die Zuschauer wollten das, um „dranzubleiben“.
Hier aber war nun ein Historienfilm, der erzählte in diesem Sinn – nichts! Der erzählte eine Dreiecksgeschichte, eine Liebesgeschichte, die nicht einmal eine richtige Liebesgeschichte ist, sondern eher eine Bewunderungsgeschichte; der erzählt Atmosphären und Stimmungen und am Ende kommt die große Weltgeschichte und walzt alles platt. Aber erst am Ende, in den letzten 20 Minuten – da kommt
das System als das DDR-System, als das wir es heute so kennen. Bis dahin wirkt alles fast wie ein Internat, in dem die Schüler sich über die Lehrer lustig machen. Und selbst, wenn die mit Gummiknüppeln schlagen, wirkt es lächerlich – eigentlich hat man eher so seine privaten Sorgen. Und dann irgendwann wird es plötzlich ernst. Das fand ich von Klier extrem gewagt. Das hatte ich so über die DDR noch nie gelesen, auch mit den ganzen Details: Von den Meissner-Porzellanfiguren, die da
über die Grenze geschmuggelt und verkauft wurden, bis zu… Lauter so liebevolle kleine Dinge; es war wie ein Museum der Gegenstände, das der Klier da aufgebaut hatte. Man musste sich eigentlich nur dadurchhangeln – War das wirklich so? Waren die Figuren so beliebt? Wurden sie so hoch gehandelt? Es war tatsächlich so – um sich ein ganz eigenes und völlig anderes Bild der DDR aufzubauen. Wenn man dann versucht, das abzubilden, dann ist das gar nicht so weit weg von der
eigenen Jugend.
Trotzdem hatte ich irgendwann das Gefühl: Es ist ein fremdes Land, über das ich erzähle – für mich wirklich auch Ausland… Aber es ist auch ein Stück so, wie man sich eigentlich die DDR immer gewünscht hat; man macht als Wessi dann den Film auch mit einem gewissen Schimmer – der jetzt kein Schimmer der Nostalgie ist. Sondern das Gefühl: Es hätte eine andere Chance gehabt. Der liegt natürlich vor allem über der Frau.
artechock: Ich habe im Kino auch an die DDR-Schriftstellerin Brigitte Reimann gedacht. Natürlich: Das ist eine DDR, die damals noch existiert hat, das glaubt man, und die dann untergründig vermutlich noch viel länger existiert hat. War es für Dich als Regisseur sehr schwierig und eine Umstellung, überhaupt einen Kostümfilm, Historienfilm zu drehen – das ja ist tatsächlich für Dich der erste Film, der in der Vergangenheit spielt.
Graf: Jaja, ich hab noch nie alte Autos durch einen Film fahren lassen – das alleine ist schon ein Problem. [Lacht] Das ganze Angebot kam in dem Fall relativ kurzfristig: Anfang 2004, und ab Juni musste gedreht werden. Das heißt, ich hatte gar nicht so viel Zeit, mich in die DDR 1961 einzuarbeiten. Sondern es reichte, an dem, was Michael Klier da vorgegeben hatte, sich in die DDR-Geschichte einzuarbeiten, und dann mit meinem Drehbuchautor Günter Schütter noch eine Schicht darüber zu legen.
artechock: Was habt Ihr da gemacht?
Graf: Wir haben uns eine Liste mit Dingen gemacht, die wir als Wessis gerne in einem DDR-Film sehen würden. Ich sag jetzt nicht alles, was da drauf stand, [Lacht], das meiste davon ist auch im Film. Also durchaus mit einem Blick von außen: Als würde ein Franzose mit einem gewissen utopischen Blick auf die Kolonialzeit zurückgucken. Es ist wahrscheinlich an bestimmten Stellen auch sehr ignorant – aber ich hoffe, dass es im
Endergebnis nicht so rüberkommt.
Ich glaube, dass es aber jedenfalls sehr wichtig war, mit dem Grundgefühl da ran zu gehen, dass es in den Sechziger Jahren in der DDR nicht so verklemmt zuging wie bei uns. Da fühle ich mich dann schon als Zeitgenosse – das habe ich selbst erlebt und weiß, was hier los war: Was für eine dumpfe Republik das war. Und nach allem was man über die DDR hört, scheint sich dies, vor allem was das Selbstbewusstsein der Frauen anbetraf, doch stark von
unseren Zuständen zu unterscheiden.
Darum war es möglich, eine Figur wie die Louise, wie sie von Michael vorgegeben war, und wie wir sie dann weiterentwickelt haben, zum emotionalen Zentrum des Films zu machen. Dass man sie auch als Westler nicht als Figur aus der Vergangenheit empfindet, sondern sich vollkommen mit ihr identifizieren kann und in die man sich auch heute noch verknallen würde.
artechock:
Genau! Der rote Kakadu ist ja ein Film über Jugend. Da trifft er schon viel von dem, was Du in anderen Filmen auch gemacht hast. Da sehe ich auch die Nähe zu Deinen anderen Filmen.
Würdest Du sagen, dass die DDR – jedenfalls die etwas unschuldigere, privatere DDR – für das heutige Deutschland jetzt zu einer Sehnsuchtslandschaft geworden ist? Mit Good Bye, Lenin! fing das an, aber auch Sommer vorm Balkon, der zwar in der Gegenwart spielt, aber so einen DDR-Ton, defa-Ton bewahrt hat.
Graf: Ja, ich glaube schon. Einerseits ist dieser Sommer 1961 genau der Zeitraum, in dem die DDR ihren Garten der Unschuld verlässt. Und es ist dabei überhaupt eine ganz andere Frage, ob die DDR als Staatsmacht diesen Garten freiwillig oder unfreiwillig verlassen hat. Der Druck von Außen, von Ost wie West, war jedenfalls gewaltig – auch was das angeht, muss man wahrscheinlich irgendwann historisch noch mal etwas präziser werden,
als immer nur Leidensgeschichten aus West und Ost zu sammeln… Das stimmt alles so nicht .
Mit dieser ganzen „Zeitzeugenhistorie“ kommt man letzten Endes nicht weit. Womit man aber schon weit kommt, ist Alltagsgeschichte. Und da ist dann so eine Erinnerung interessant, die sich an solchen Winzigkeiten, auch an ungewöhnlichen Winzigkeiten festhält: Ich wusste nicht, dass in der DDR ältere Damen Seancen veranstaltet haben. War aber trotzdem so.
Und
plötzlich wird der Blick immer größer. Da weitet sich dieses kleine Land, dieses defa-Land. Und mir ging es darum, dass man das aufnimmt, diese Direktheit der Sprache, die Direktheit der Temperamente aus den defa-Filmen, die wir so bewundert haben – wo war denn das eigentlich hier in unseren Filmen bitteschön? Wo sind denn solche Figuren wie Maria Morzek DAS KANINCHEN BIN ICH in unserem Kino? – dass man das nimmt, und auch versucht auch die geheime DDR, die untergründige DDR
mit hinein zu bringen: Was war denn los im „Roten Kakadu“, was passierte denn, wenn die dann nachts in die Hotelzimmer verschwunden sind? Wie hat sich denn die Stasi amüsiert und war der Laden denn wirklich so widerständlerisch, oder war er eigentlich nur ein Tummelbecken von lauter Staatssicherheitsleuten, die sich gegenseitig beobachtet haben? All das kann man in so einem Film unterbringen. Weil der Film einem von der Struktur her nicht ständig unter
Plotpunktdruck setzt. Und das war es eigentlich, was ich mit den historischen Projekten, die ich mal begonnen hatte, immer versucht habe, aber immer auch auf Widerstand gestoßen bin – weil man das halt mit historischen Filmen identifiziert: Die Leute reden darin dauernd über das politische Tagesgeschäft. So als würden wir beide jetzt auch sofort darüber reden: Wie ist denn jetzt Merkel, was ist den mit dem BND im Irak? Das macht diese Filme so unwirklich. Und hier war die
Chance, plötzlich einen Film zu machen, der einem ganz nahe sein kann. Der einem gleichzeitig zeigt, wie fern das alles ist. Um diese Spannung zwischen beidem geht es.
artechock: Bevor Du diesen Film gemacht hast: Was hat da Dein DDR-Bild geprägt, von den TV-Nachrichten mal abgesehen? Oder hattest Du kaum eines?
Graf: Doch, doch. Ich war ja schon den 70er Jahren lange Zeit in Berlin, und war auch oft dort drüben. Dann habe ich schon zwei TV-Filme gemacht, die in der DDR spielen. Das eine war ein Morlock mit Götz George der in Leipzig spielte, als dort die ganzen Kombinate abgeräumt wurden – das kam auch in dem Film vor. Und dann der in Weimar gedrehte Reise nach Weimar. Also die DDR hat mich grundsätzlich immer interessiert. Aber ich hatte auch immer das Gefühl: Das Bild ist nicht komplett. Sowohl in den 90ern, als immer nur Stasi-Dramen im Vordergrund standen, als auch jetzt, wo man die DDR als Operettenstaat entdeckt. Aber ich wäre nicht auf den Gedanken gekommen, mich der Sache so zu nähern.
Alltagsgeschichte eben. Möglichst präzise, mit einem Schimmer Wessi-Idealismus. Außer Jessica
Schwarz kommen auch alle Darsteller aus dem Osten. Das war mir wichtig, weil ich das Gefühl hatte, die nehmen das noch mit in den Film, auch wenn sie selber die DDR kaum erlebt haben.
artechock: Und sprechen Sächsisch…
Graf: Mit Dialekten tarnen sich auch Gemütslagen. Wir haben uns um so ein Hoch-Sächsisch bemüht. Es gab ja auch zu DDR-Zeiten schon sehr viele Witze über das Sächsische. Und man hatte von außen immer den Eindruck: Das ist so eine Art geheime Hochsprache der DDR.
Diese Sprache hat so eine Heimtücke. Die ist wie so eine Wurzelzwergsprache, klein und alles verkleinernd. Dahinter kann sich aber eine Bösartigkeit verbergen – gerade
weil sie sich hinter so einem Verkleinerungsvorgang tarnt, wird sie um so unangenehmer.
artechock: Könntest Du beschreiben, was das Spezielle an Dresden ist? Das ist ja etwas anderes als München.
Graf: Dresden war aber wie München auch immer eine Stadt, die den jeweiligen Systemen nicht abgeneigt war. Natürlich keine „Hauptstadt der Bewegung“, aber ein reicher Ort der Herrscher, eine Residenz, vor dem 2. Weltkrieg noch strahlend schön, kein Widerstandsnest. Und sie war 1961 noch fast völlig zerstört. Hätte man damals von der „Blauen Wunder“-Brücke einmal mit der Kamera nach links geschwenkt, hätte man immer noch nur Trümmer gesehen. Das habe ich mir gespart, nicht nur aus Geldgründen. Ich wollte keinerlei Digitalisierung in diesem Film, das hätte ihm die Direktheit der Bilder genommen. Mir gefiel die Vorstellung, dass einem die Ruinen nicht dauernd vorgeführt werden, und dass dieser Club im edlen Stadtteil „Weißer Hirsch“ eigentlich von außen so aussieht, als stünde er in Wiesbaden. Der Bombenangriff kommt nur indirekt vor: In den Brandwunden in der Haut von Frau Männchen, in zwei, drei Spuren im Hintergrund…
artechock: …in der Karte „Wir bauen das neue Dresden“. Die ist historisch, nehme ich an?
Graf: Nein – das haben wir uns ausgedacht. Das sind die Erfahrungen aus meinen Film München. Wie bildet man Topographien ab? Ansonsten ist es schwer, in Dresden überhaupt noch Original-DDR-Räume zu finden. Die Stadt wird ja in einer Weise herausgeputzt, und die DDR wird als historischer Ort plattgemacht, dass es einen wirklich graust. Das ist diese typische Form deutschen Verdrängertums – jetzt wollen alle wieder ihre kleinen schnuckeligen Knusperhäuschen.
artechock: Gut – jetzt könnte ich mir vorstellen, dass manche auf diese Argumentation antworten: Jetzt kommt da dieser Wessi, und romantisiert mit seinem Sehnsuchtsblick die DDR; dabei war das alles ganz furchtbar, und die Stasi war ganz böse – und gerade jetzt gibt es auch wieder Filme, die die schlimme Stasi in den Mittelpunkt stellen – die es ja auch tatsächlich gab. Wie würdest Du dieser Kritik antworten? Ist es eine Romantisierung diesen letzten schönen Sommer der DDR darzustellen, den letzten Moment der Unschuld?
Graf: Ich glaube, ich habe versucht, dass so zu schildern, wie junge Menschen das damals empfunden haben. Man weiß, dass es auch die schlimmen Seiten gibt, man akzeptiert sie, man denkt so, wie Louise das am Anfang einmal sagt: »Du, ich glaube an den Staat, ich glaube, das ist das bessere Deutschland. Ich finde nur, dass die Alten, die oben dran sind, alle weg müssen. Da müssen wir ran, und dann wird das alles anders.« Und solange man nur daran
interessiert ist, wann man mit wem ins Bett geht und welche Schuhe man anhat und wie hip man aussieht, nimmt man den Rest nicht so war. Die echte Drohung, die über dem Film liegt, ist die Zeitangabe. [Da schaltet sich unser retrospektives Wissen ein, wir wissen: Es dauert noch vier Monate bis zum Mauerbau, die Zeit wird knapp; wir wissen, was danach kam. Aber für die Zeitgenossen ist die Zukunft offen.]
Und die Stasi wird zunehmend gefährlich, das ist besser, als sie von Anfang an
so aussehen zu lassen. Am Anfang wirken die Stasileute wie Polizisten im Stummfilm, denen die Jungen auf dem Kopf herum tanzen, und sie bringen der Jugend Staatssicherheitstänze bei – aber dann ist plötzlich Schluss mit lustig. Das war die dramaturgische Idee dahinter.
artechock: Hast Du Lust, jetzt mehr Geschichten aus der Vergangenheit zu erzählen? Als nächstes drehst Du in Leipzig…
Graf: Das spielt in der Gegenwart, ist ein Thriller, der allerdings mit den Altlasten zu tun hat. Vergangenheit an sich hat mich jetzt schon sehr gepackt. Das ist nochmal ein anderer Spiegel der Wirklichkeit: Verkleinernd einerseits, als würde man das Fernrohr umdrehen, und schärfer, genauer sehen, aber eben kleiner – aber man kann mit der richtigen Geschichte ja auch vieles mit der Vergangenheit machen, was dann zugleich ganz gegenwärtig und modern wirkt.
artechock: Ähnliches sagt Ang Lee. Dass Brokeback Mountain in der Vergangenheit spielt, begründet er damit, dass sich die Leute auf Vergangenheit eher einlassen, weil sie sich sicherer fühlen.
Graf: Ja, es fällt einem ja auch erst im zweiten Moment ein, dass Ice Storm ein Kostümfilm war. Hier ist das ein bisschen offensichtlicher. Ein weiteres Projekt von mir – fürs kommende Jahr wahrscheinlich – spielt aber tatsächlich auch in der Vergangenheit: Ein TV-Zweiteiler, aus dem aber vielleicht auch ein Kinofilm werden kann: über Lotte Lenya. Wie wir uns die 20er Jahre vorstellen.
artechock: Noch eine Frage in Bezug auf historische Filme: Es ist ja gerade Mode, die Vergangenheit auf die Leinwand und ins Fernsehen zu bringen: Es gibt schon länger die Welle mit Filmen über die NS-Zeit, dann neuerdings die Filme über die DDR, zu denen auch Der rote Kakadu gehört, daneben auch verstärkt Filme, die sich mit den 50er-Jahren befassen.
Eine schlichte Erklärung für diese Mode lautet: Das ist Exkapismus; Macher und Zuschauer fliehen vor der Gegenwart, die kompliziert und nicht so schön ist, von Krisen gezeichnet, in der man unbequeme Positionen beziehen muss, in eine Vergangenheit, in der die Positionen klar sind, die ein bisschen idyllisch ist, selbst dort, wo sie auch noch einen Schrecken hat, in der man es sich gemütlich einrichten kann.
Graf: Ich habe versucht, das alles nicht zu machen. Andererseits lag so etwas wie Good Bye, Lenin! schon sehr nahe, denn die DDR hatte eine fast tragische unfreiwillige Komik. Was man alles noch mit einer Spreewaldgurke machen kann, das kann man ja noch erzählen. Aber man muss versuchen, mit der gewohnten Einheitsform, wie man Geschichte sehen und
zeigen kann, zu brechen, wieder zu forschen, hinzugucken; man muss – wie die französischen Annales-Historiker in den 50er, 60er Jahren – neue Quellen entdecken und ansehen.
Wir haben zur Zeit einen imperial-kapitalistischen Verwertungsblick auf die Geschichte: Emotion, Drama und massentaugliche Spannung zählen, sonst nichts. Die `History`-Kultur schlachtet unsere Geschichte aus wie einen alten Luxusliner. Nicht ein Funken Dialektik findet sich mehr darin. Das wird
sich rächen, weil wir als Gesellschaft daran verblöden. Und wenn man die `Wirklichkeit` der Vergangenheit erzählen will, dann darf man nicht immer nur Rentner vor die Kamera zerren und deren lückenhafte Erinnerungen stets für bare Münze nehmen. Man muss auch im Kino Erinnerungswissenschaft betreiben, und zwar detailliert und psychologisch. Sonst hinterlassen wir unseren Kindern verfälschte, heroisierte Geschichtsbilder. Ganz so, wie es die deutschen Polit-Systeme des 2o.
Jahrhunderts vor uns getan haben.
Man muss von dieser „imperialen“ Sicht, die wir heute in Geschichtsfilmen pflegen, wieder deutlich runter kommen. Meine Position ist da: Es gibt nicht nur Geschichte von oben gesehen. Fast kommt es mir so vor, als würde der Historikerstreit neu im Kino ausbrechen.