16.02.2006

»Die Nachfrage nach Exorzisten ist da!«

Sandra Hüller in REQUIEM
Requiem

Hans Christian Schmid über Teufelsaustreiber, Rebellion, seine Arbeit und die Megaplattform Berlinale

Mit Nach 5 im Urwald wurde der 1965 in Altötting geborene Hans Christian Schmid 1996 bekannt. Zuvor hatte er in der Doku­men­tar­film­klasse der Münchner Film­hoch­schule studiert. Es folgten 23 (1997) und Crazy (2000). Mit dem Episo­den­film Lichter (2002) war Schmid erstmals im Berlinale-Wett­be­werb vertreten. Dort hat nun auch sein neuer Film Requiem Premiere: Die Geschichte eines jungen Mädchens aus streng katholischer Familie, das von religiösen Visionen heimgesucht wird: Mal meint sie „ein Dämon“ sei in sie gefahren, dann wieder identifiziert sie sich mit einer Heiligen – bis irgendwann ein Teufelsaustreiber geholt wird… Vorbild war der reale Fall eines Mädchens, das 1976 nach einem Exorzismus starb.

Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland

artechock: Requiem verbindet Leit­mo­tive aller Deiner früheren Filme: In Deinen frühen Doku­men­ta­tionen Himmel und Hölle und Die Mechanik des Wunders geht es um Religion. In Nach 5 im Urwald und Crazy in heiterer Form um Eltern-Kind-Bezie­hungen und ums Erwach­sen­werden, in 23 um einen Menschen, der zunehmend den Halt verliert, und in seiner eigenen Welt lebt. Welcher Aspekt ist aus Deiner Sicht zentral?

Hans Christian Schmid: Mir ist der Bezug zu Figuren früherer Filme wie Karl Koch aus 23 wichtiger, als der zum Thema Religion in den Dokus. Ich habe auch keine missio­na­ri­schen Gedanken. Schon vor langer Zeit, ca. 1998, kam mir eine Geschichte des realen Exor­zismus, der sich in den 70ern in Unter­franken ereignet hatte, in die Hände. Ich fand das sehr extrem, noch schwerer zu zeigen als 23, weil es da gar keine Feinde gab im Leben der Betrof­fenen – außer, was aus ihr selbst kam. Sie ging studieren, und irgend­wann sagt sie: Ich glaub' ich bin besessen. Wir haben das dann wieder zur Seite gelegt – aber es hat mich nicht mehr losge­lassen. Das Interesse für diese Frau blieb bestehen, für eine Mutter-Tochter-Geschichte, die schon etwas weniger versöhn­lich, deutlich härter ist, als die Fami­li­en­ge­schichte in Nach 5 im Urwald. Das ist viel­leicht auch eine persön­liche Entwick­lung.

artechock: Reli­gio­sität in der hier gezeigten Form – auch die der Familie – ist ja für einen heutigen Durch­schnitts­men­schen eher befremd­lich. Was hat Dich daran überhaupt faszi­niert?

Schmid: Das Haupt­in­ter­esse war das an der Kraft, die sich der Haupt­figur bemäch­tigt, und es niemandem ermög­licht, zu ihr durch­zu­dringen. Das war es, was mich faszi­niert hat.

artechock: Man könnte ja anders mit dem Thema umgehen. Der Film spielt ungefähr Anfang der 70er, da haben in West­deutsch­land viele Jugend­liche rebel­liert…

Schmid: Das ist ja ganz harmlos, was diese Michaela erlebt. Sie geht studieren und will überhaupt nichts, außer ein bisschen Liebe erfahren und ihr kleines privates Glück finden. Trotzdem gehört die Geschichte klar in die 70er: Weil es diese Eltern­ge­nera­tion war – ich kenne diese Härte und diese Freund­lo­sig­keit und diese Demut und den ganzen Quatsch von der Gene­ra­tion meiner Großel­tern – gegen die die 68er rebel­lierten. Michaela macht das auf ihre Art auch. Eine Rebellion kann man es wohl nicht nennen, eher ein Kämpfen um Abna­be­lung. Aber durch das Studium wird sie auf die beengten Fami­li­en­ver­hält­nisse zuhause erst recht zurück­ge­worfen.

artechock: Hattest Du eigent­lich zu der Familie Michel, in der sich der Exor­zißmus 1976 ereignete, Kontakt?

Schmid: Ich habe sogar weiterhin zu der Schwester von Anneliese Michel Kontakt. Die knabbert immer noch an den Ereig­nissen – eigent­lich klar... Die war mir gegenüber sehr entge­gen­kom­mend. Die sind sich bewusst, dass dieses Geschehen nicht mehr aus dem öffent­li­chen Bewusst­sein heraus­zu­lö­schen ist.

artechock: Man könnte den Film auch als Kommentar zum Gebrauch von Religion verstehen. Hat der Stoff aus Deiner Sicht auch eine solche allge­mei­nere aktuelle Bedeutung? Inter­es­siert Dich dies überhaupt?

Schmid: Doch. Weil ich natürlich auch überlege: Was soll das jetzt heute sein? Aber ich mache den Film, weil mich die Geschichte inter­es­siert. Die Geschichte der Michaela verweist auf viele verschie­dene Ebenen. Welche Werte gab es damals, gegen die man sich auflehnen wollte? ... Mir ist jemand wie Holger Meins einge­fallen. Man kann Zusam­men­hänge herstellen zu Mager­süch­tigen.
Ich finde dagegen nicht, dass man sagen muss: Auch heute wird noch exorziert. Manche glauben, das sei ein Phänomen de Mittel­al­ters. Aber die Kirche hat sich davon nie distan­ziert – im Gegenteil: Exor­zisten werden verstärkt ausge­bildet; die Nachfrage ist da.
Spannend ist der Bezug zum Funda­men­ta­lismus. Man kann darüber nach­denken: Warum sind heute Menschen bereit, für einen Glauben zu sterben? Das finde ich tragisch und völlig verkehrt. Wie hat sich das mögli­cher­weise bei Michaela mani­fes­tiert? Sie deutet sich selbst als Märty­rerin, es kommt von ihr. Aber sie war krank. Wenn man auf heutige Märtyrer blickt, dann sind das gesunde Menschen, die so geblendet sind von ihren Glau­bens­grund­sätzen, dass sie rationale Wert­maßs­täbe aufgeben und sich opfern. Was macht Menschen zu Funda­men­ta­listen?

artechock: Wie ist Dein persön­li­ches Verhältnis zu Religion?

Schmid: Ich glaube, dass es eine sehr feste Stütze sein kann, wenn man religiös ist. Ich bin das nicht. Ich bin vor 15 Jahren aus der Kirche ausge­treten und kaum religiös. Ich habe so einen Privat­glauben, wie ihn viele haben.

artechock: Lichter war aus meiner Sicht für Dich als Regisseur eine deutliche Weiter­ent­wick­lung. Requiem ist das auch wieder. Erkennst Du selber eine Entwick­lung, willst Du als Regisseur irgend­wohin? Oder denkst Du von Film zu Film?

Schmid: Ich merke eher verstärkt, was ich nicht machen möchte. Ich versuche, eine bestimmte Neugier nicht zu verlieren und mich nicht mit einfachen Lösungen zufrieden zu geben. Man macht es immer so gut, wie man kann. Es ist für mich gut, mit den gleichen Leuten wieder zusammen zu arbeiten. Wir vers­tän­digen uns darüber, wie wir glauben, dass Filme erzählen sollten. Aber es ist nicht so, dass man sich gezielt weiter­ent­wi­ckeln würde. Man versucht eigent­lich, zu jedem Stoff die adäquate Umsetzung zu finden. Vieles ist da auch intuitiv.
Ich sehe eine Gefahr: Man hat einmal seine Nische gefunden, und macht immer das Gleiche – weil es geht. Zum Beispiel Ken Loach. Ich gucke mir jeden Film an. Aber Soder­bergh ist span­nender. Da weiß man nie, was als nächstes kommt. Aber es wird wahr­schein­lich­ganz gut sein.

artechock: Bist Du mit Deinen Möglich­keiten als Regisseur hier in Deutsch­land zufrieden?

Schmid: Darüber denke ich viel nach. Ich schätze die Möglich­keiten gut ein, auch wenn die Budgets limitiert bleiben werden. Weil die Freiheit, mir Stoffe suchen und verfilmen zu können, für mich im Moment groß ist.

artechock: Du bist jetzt ja auch erstmals Dein eigener Produzent geworden. Warum? Gibt einem das mehr Möglich­keiten? Verdient man mehr Geld?

Schmid: [Lacht] Geld­ver­dienen ist die ganz falsche Idee. Weil man als Produzent erstmal die Gage zurück­stellt. Ich wollte mehr Verant­wor­tung, die Rechte meiner Filme behalten und noch mehr Iden­ti­fi­ka­tion mit dem Produkt. Ganz stark ist auch der emotio­nale Beweg­grund: Ohne Produk­ti­ons­firma hat mir die Veran­ke­rung gefehlt. Ich habe versucht, mir diese Situation wieder­her­zu­stellen: Ein Büro, in das man fahren kann, wo ein paar Leute sitzen, mit denen man etwas gemeinsam machen kann. Und ich wolle auch, das was ich gelernt habe, weiter­geben, mich für jemanden einsetzen, der am Anfang steht.

artechock: Eine Gefahr zumindest liegt ja nahe: Du kannst Dich weniger auf Regie konzen­trieren...

Schmid: In den letzten Monaten, ja. Weil man die Firma posi­tio­nieren muss. Während des Drehs hatte ich für alles gute Leute. Ich habe mich gut aufge­hoben gefühlt.

artechock: Vor zehn Jahren kam Nach 5 im Urwald heraus. Seitdem hast Du fünf Filme gemacht. Das ist einer­seits viel, ande­rer­seits liegt trotzdem sehr viel Gewicht auf dem einzelnen Film – wenn ich es mal mit meinem Beruf vergleiche, wo man quasi jeden Tag etwas schreibt: Schätzt Du das, oder empfin­dest Du dieses Belastung?

Schmid: Ich hätte gern mehr Filme gemacht. Die Energie war da, aber die Stoffe nicht. Viel­leicht kann ich das mit der Firma ändern. Weil ich leichter auf Autoren zugehen kann. Aber durch diese Dauer entsteht auch das Gewicht. Das war ein Teil der Moti­va­tion, Crazy zu machen. Weil da auf einmal da und möglich war. Ich würde mir mehr Abwechs­lung wünschen, mal eine kleine schnelle unauf­wen­dige Geschichte, dann wieder was Größeres.

artechock: Wenn Du jetzt „nur“ als Produzent einen Film machst – ist dann die Iden­ti­fi­ka­tion gleiche?

Schmid: Nein. So wie ich die Rolle des Produ­zenten verstehe, ist es immer der Film des Regis­seurs, und man hilft, ihn möglichst optimal entstehen zu lassen. Der Produzent ist nur dann von mehr Bedeutung, wenn er das Paket zusam­men­stellt.

artechock: Hast Du manchmal das Gefühl, viel mehr Geschichten erzählen zu wollen, als Du kannst?

Schmid: Das hatte ich nicht, weil die Geschichten nicht da waren. Man hat ständig Ideen, aber legt sie auch wieder weg. Wenn ich aber wirklich an dem Punkt war, daraus einen Film machen zu wollen, habe ich den auch gemacht. Das war dann halt nicht so oft.

artechock: Tut das den Stoffen gut, dass es so lange dauert?

Schmid: Das ist von Person zu Person verschieden. Mich belastet das Gewicht nicht. Als Regisseur muss man sich immer mit jedem Film beweisen. Es kann mit jedem Film passieren, dass er nicht gelingt, oder nicht verstanden wird.

artechock: Was ist für Dich eigent­lich der Reiz daran, Regisseur zu sein, worin liegt der Thrill?

Schmid: Jetzt möchte ich dann gerne auch mal wissen, worin der Thrill an Deinem Beruf ist? [Lacht] Was mir an der prak­ti­schen Arbeit gefällt, ist der Wechsel von alleine sitzen und schreiben und dann im großen Team sitzen und reden. Jede Phase dieser Arbeit bedeutet für mich viel, ich sehne mich dann jeweils danach, wenn es soweit ist. Das ist für mich schon ein großer Vorteil gegenüber anderen Berufen: Es ist nicht jeden Tag das Gleiche. Jeder, der schreibt oder malt oder kompo­niert, findet wahr­schein­lich seine Bestä­ti­gung in der Aner­ken­nung. Er möchte, dass Menschen von dem, was da ist, bewegt werden. Und ich finde es ein großes Privileg, das machen zu können. Faszi­nie­rend finde ich, dass man so ein starkes Grup­pen­er­lebnis hat. Ich weiß nicht, wo es das in der Kunst sonst noch so gibt. Ansonsten ist es ja höchst albern, einem Filmtram bei der Arbeit zuzu­gu­cken.

artechock: Deine Haupt­dar­stel­lerin Sandra Hüller hat noch nie zuvor in einem Film gespielt. Ist das Dich ein doppeltes Risiko? Wie bist Du auf sie gekommen? Sie selbst erzählt, es sei ein Vorschlag von der Casterin gewesen…

Schmid: So einfach ist das manchmal. Inter­es­sant ist, dass man denkt, das sei ein doppeltes Risiko. Das denke ich seit Franka Potente oder August Diehl nicht mehr. Man wird nicht besser, wenn man einmal so einen Film gedreht hat. Das glaube ich nicht. Ich glaube, es gibt Leute, die sind begabt und passen für die Rolle, und es gibt Leute, die sind nicht so begabt, oder passen nicht.
Die Angst müsste ja sein: Trägt die das? Hält die das durch? Da kannst Du aber davon ausgehen, dass jemand, der die Ernst-Busch-Schule absol­viert hat, einiges erträgt. [Lacht] Dass es keine Frage ist, ob die das durchhält.
Ob sie es trägt, das musst Du vorher entscheiden. Und das siehst Du hoffent­lich, wenn Du das Casting machst: Ist es inter­es­sant genug, der so lange zuzu­schauen? Wieder­holen sich die Gesten oder die Mimik? Hat die Ideen zu einer Szene? Gibt es immer wieder Momente, wo man der nicht glaubt?
Das Finden ist dann wirklich ziemlich unspek­ta­kulär: Meine Casterin Simone Bär macht einen Vorschlag; und sie war der erste Vorschlag. Und ich sagte dann »Jetzt machen wir es uns mal nicht so einfach, wir haben ja noch vier Wochen Zeit. Dann gucken wir dann noch.« Ich bin da vorsichtig.
Aber wenn man dann in den ersten Szenen zwei, drei Leute gesehen hat, und dann merkt: Das ist nicht mehr so gut, dann kommt man schon zu dem Punkt, wo man es einschätzen kann.
Es gab auch bei ihr so ein erstes Mal: Da sollte sie das Lied hören, zu dem sie im Film tanzt, und dazu tanzen – und da stand sie dann zwei Minuten, stakste so im Studio rum, und hat sich dann gleich so rein­ge­stei­gert, dass ihr die Tränen über die Wangen gekullert sind. Irgendwie merkt man dann, dass das sehr intensiv ist. Das konnte sie einfach so.

artechock: Was ist das Besondere an ihr, das sie unter­scheidet von anderen, sie auch gut sind?

Schmid: Sie hat überhaupt keine Angst, dass es hässlich ist, oder unbequem, was sie tut, hat keine Angst, sich auf etwas einzu­lassen. Ich komm' da sehr schnell an einen Punkt, wo ich ein Talent nicht erklären kann. Wo ich nur sagen kann: Die Wörter, die da im Drehbuch stehen, kommen so aus ihrem Mund und sie bewegt sich so dazu, dass ich alles über­zeu­gend finde. Das muss wahr­schein­lich eine sehr besondere Phan­ta­sie­be­ga­bung sein. Oder ein Ausscheiden einer Kontroll­ebene, und das ist über­zeu­gend. Wenn ein Schau­spieler das nicht kann, kann ich es auch nur ganz selten noch herstellen. Je länger man dann redet, um so verkopfter wird es.

artechock: Wie wird Requiem starten?

Schmid: Ange­messen, mit ca. 90 Kopien.

artechock: Ist der Zuschau­er­zu­spruch für Dich ein Kriterium für Erfolg

Schmid: Ja. Aber 160.000 Zuschauer für Lichter genau so ein Erfolg wie die einein­halb Millionen für Crazy. Jeder Film hat ein zu erwar­tendes Publikum.

artechock: Wie wird es für Dich weiter­gehen als Produzent, als Regisseur?

Schmid: Ich werde den neuen Film von Robert Thalheim, dem Regisseur von Netto produ­zieren. Ich habe auch etwas Eigenes in Vorbe­rei­tung, ganz grob gesagt eine Art Polit­thriller, aber mehr ist dazu noch nicht zu sagen. Und ich versuche, noch mehr für meine Firma zu tun, sie in Schwung zu bringen. Das ist doch viel, oder?

artechock: Jetzt bist Du bereits zum zweiten Mal im Berlinale-Wett­be­werb vertreten. Im Gegensatz zu anderen Kollegen weißt Du bereits, wie das ist. Freust Du sich drauf?

Schmid: Erstmal guckt man selber die Filme. Und denkt: Oh, wie vergleiche ich die jetzt mitein­ander? Was ich mir ein bisschen abgewöhnt habe, ist, Jury­ent­schei­dungen ergründen zu wollen. Das ist eine Auszeich­nung für den Film, dass er in diesem Umfeld sein darf. Alles, was dann kommt, muss sich zeigen. Das ist das, was daran faszi­niert und was auch beängs­ti­gend ist: Das ist so eine Mega­platt­form. Der Film läuft morgens in der Pres­se­vor­füh­rung und danach ist er posi­tio­niert. Das ist der beste Moment glaube ich, dass man da nach einem Prozeß, der zwei Jahre dauert, sitzt im Saal, und dass das Licht ausgeht: So! [Lacht]