56. Berlinale 2006
Zwischen Biederkeit und Dämonie |
||
Philip Seymour Hoffman als doppelbödiger Truman Capote |
Auf den ersten Blick sieht Philip Seymour Hoffman aus, wie das kleine Dickerchen mit der etwas zu weißen, ziemlich schlechten Haut, den etwas zu roten und zu fettigen Haaren, der in der Schule im Sport ganz schlecht war, beim Fußball als letzter gewählt und immer gehänselt wurde. Ein Nerd, dessen Lieblingsspeise Erdnussflips sind, weswegen er immer ein bisschen nach Erdnüssen riecht, der keine Freundin hat, und erst mit 25 bei Mami auszieht. Der, an dem noch die kleinsten Kleinbürger-
und Spießeridioten ihre Allmachtsphantasien und Sadismen ausleben. Man möchte Weißgott nicht in dieser Haut stecken. »Dass ihr mich alle immer als pummelig und hellhäutig beschreiben müsst, verstehe ich noch«, erklärt er resigniert beim Gespräch auf der letzten Berlinale, »aber kann nicht mal einer schreiben, dass ich auch „cute“ bin? Das hat noch nie einer.« Wirklich nicht? O.K. Also schreiben wir es hier einmal hin: Philip Seymour Hoffman ist wahnsinnig „cute“.
Er spielt zwar Triebtäter und Kontaktgestörte, Schurken und Wichser, ungewaschene, verklemmte, pickelige, schmierige, miese Typen, Perverse und Außenseiter, Süchtige und Gangster, aber wie er das tut, ist „cute“. Wirklich! Zufrieden Mr. Hoffman?
Aber hinzufügen muss man der Ehrlichkeit halber schon: Bis dieser Mann in Hollywood oder sonst wo auf dieser Erde einmal den schönen Lover oder den drahtigen Actionhelden spielt, wird es noch lange, sehr lange dauern.
Auf der Berlinale, wo er mit Fistelstimme und ständig hochgezogenen Augenbrauen als die aus dem Ei gepellte, hochmanierierte Edel-Schwuchtel Truman Capote (sprich: Kapotiiiiiihhhh) zu sehen ist, erscheint er – bewusst – underdressed und als Anti-Capote. In Jeans und karierten Amihemd, vor allem aber mit 8-Tage-Bartstoppeln. Zudem gähnt er beim Interview, fläzt sich auf dem Sofa in der Hotelsuite, und die netten Mädels des Verleihs haben schon vorher gewarnt: »Er« war gestern »etwas länger« weg (will sagen: er kam erst zum Frühstück nach Haus), hat »etwas zu viel« getrunken (will sagen: er hatte einen Vollrausch). Am nächsten Tag liest man dann alles in der Zeitung: es war eine Art öffentliches Besäufnis mit Heath Ledger, dem Brokeback Mountain-Star, ein Film der ebenfalls Oscar-nominiert ist und somit Hoffmans direkter Konkurrent. Mensch Meier, zwei Rivalen betrinken sich auf der Berlinale gemeinsam in einer Bar, total kumpelmäßig, ey. Eijentlich is et och egal, wer den Preis gewinnt, dabeisein ist alles, oder? Super PR-Story, für beide, und die Kollegen drucken’s eifrig nach. Dabei sollte man besser kein Wort solcher Geschichten glauben, passt einfach zu gut ins glatte Bild der fröhlichen Hollywood-Familie.
Im Interview ist Hoffman dann überaus maulfaul, und wenn es sich hier nicht um den heißesten Star des diesjährigen Oscarrennens handelte, würde man ihn anfahren: »Mann, ich bin auch nicht zum Vergnügen da, tu Deinen Job, sag endlich mal einen ganzen Satz und möglichst auch noch einen, der sich zitieren lässt.« So hört man stattdessen nur kleine Wortbröckel zwischen seinen Zähnen aufs Mikro fallen, Sachen wie: »Ist ne lange Zeit her … weiß gar nicht mehr« auf die Frage, warum ihn die Capote-Rolle interessiert habe. Naja. Immerhin ist ausführlich Zeit, ihn zwischen den einzelnen Bröckeln in Ruhe anzugucken. Und sieht man ihn genauer an, ist noch etwas anderes zu entdecken. Man spürt, dass mehr da ist, kann es aber nicht greifen. Ein Abgrund vielleicht? Ein Geheimnis? Sein Leib ist kräftig. Man sieht, dass es nicht nur Fett ist, das seine Arme dick macht, auch Muskeln. Und man stellt sich vor, dass er, wenn er will, ziemlich kräftig zuschlagen könnte.
Diese zwei Seiten seines Äußeren bestimmten bis jetzt über seine Rollen. Mit einem kleinen Part in Der Duft der Frauen fing es 1992 an, seitdem hat der heute 38jährige Hoffman in rund 40 Filmen vor allem drei Arten von Figuren gespielt: den biederen, harmlosen Spießer, den neurotischen, verkorksten Loser, oder den brutalen, unter unscheinbarer Oberfläche bedrohlichen Bösewicht. Sie spielte er mit einigen der besten und berühmtesten US-Regisseure: Mit den Coen-Brüdern in The Big Lebowski, mit Anthony Minghella in The Talented Mr. Ripley, mit Cameron Crowe in Almost Famous, und immer wieder mit Paul T. Anderson in Boogie Nights, Magnolia – »der beste Film, in dem ich je gespielt habe« – und Punch-Drunk Love. Es waren oft bessere Nebenrollen und schräge, latent unangenehme Figuren auf einem schmalen Grat zwischen Sympathie und Abscheu: In Happiness, dem supergenialen Film von Todd Solondz war Hoffman ein einsamer Kontaktgestörter, der fortwährend an die Wand wichst und die Frauen seiner Nachbarschaft mit obszönen Anrufen belästigt. In Owning Mahowny war er ein Spielsüchtiger, der seine Umgebung nur hemmungslos ausnutzt. In Makellos spielte er einen, der gern Frauenkleider trägt, und auf seine Geschlechtsumwandlung wartet. Und in Spike Lees 25th Hour vereinigte er fast alle diese Aspekte im Part eines bemitleidenswerten Lehrers, der sich von einer Minderjährigen verführen lässt. Aber immer sind es hervorragende Filme, in denen er sein kaum minder eindrucksvolles Können zeigt. Warum er gerade diese Rollen wähle, erklärt er beim Gespräch, könne er übrigens selbst nicht sagen: »Man wird von etwas angezogen.«
Ob sich seine Rollenangebote jetzt mit Capote ändern? Schwer zu sagen. In Mission: Impossible 3 piekt er immerhin mal einen richtigen Schurken. A-Klasse-Level. Vielleicht hat Philip Seymour Hoffman immerhin in einer Woche seinen ersten Oscar gewonnen. Die Rolle des berühmten Schriftstellers und Stars der New Yorker Avantgarde-Szene, Truman Capote, der Ende der 50er Jahre im konservativen Farmermilieu der US-Südstaaten für „Kaltblütig“ recherchiert, jenen Tatsachenroman, der sein berühmtestes Buch werden sollte, ist eine phänomenale Leistung: »Capote war eitel, er konnte gar nicht genug Aufmerksamkeit bekommen«, charakterisiert Hoffman. »Er hatte eine unverfrorene Art, sagte allen Leuten ins Gesicht, was er dachte. Eine einschüchternde Person.« Hoffman betont, er versuche einer solchen Rolle gerecht zu werden, ohne sich vom realen Vorbild zu sehr beeinflussen zu lassen: »Es ist keine Dokumentation, sondern eine Interpretation.« Mittlerweile, und das war schon vor der Oscarnominierung – der ersten seiner Karriere – so, wird Hoffman von seinen Kollegen hochgeachtet. Edward Norton nannte ihn »einen der besten Schauspieler seiner Generation.«