03.03.2006
56. Berlinale 2006

Zwischen Biederkeit und Dämonie

Philip Seymour Hoffman als Truman Capote
Philip Seymour Hoffman als doppelbödiger Truman Capote

Philip Seymour Hoffman spielt hervorragend unerotische, schmierige, manchmal richtig perverse Typen und möchte endlich mal einfach „cute“ sein – eine etwas ungewöhnliche Berlinale-Begegnung mit dem oscarnominierten Capote-Star.

Von Rüdiger Suchsland

Auf den ersten Blick sieht Philip Seymour Hoffman aus, wie das kleine Dicker­chen mit der etwas zu weißen, ziemlich schlechten Haut, den etwas zu roten und zu fettigen Haaren, der in der Schule im Sport ganz schlecht war, beim Fußball als letzter gewählt und immer gehänselt wurde. Ein Nerd, dessen Lieb­lings­speise Erdnuss­flips sind, weswegen er immer ein bisschen nach Erdnüssen riecht, der keine Freundin hat, und erst mit 25 bei Mami auszieht. Der, an dem noch die kleinsten Klein­bürger- und Spieße­ridioten ihre Allmachts­phan­ta­sien und Sadismen ausleben. Man möchte Weißgott nicht in dieser Haut stecken. »Dass ihr mich alle immer als pummelig und hell­häutig beschreiben müsst, verstehe ich noch«, erklärt er resi­gniert beim Gespräch auf der letzten Berlinale, »aber kann nicht mal einer schreiben, dass ich auch „cute“ bin? Das hat noch nie einer.« Wirklich nicht? O.K. Also schreiben wir es hier einmal hin: Philip Seymour Hoffman ist wahn­sinnig „cute“. Er spielt zwar Trieb­täter und Kontakt­ge­störte, Schurken und Wichser, unge­wa­schene, verklemmte, pickelige, schmie­rige, miese Typen, Perverse und Außen­seiter, Süchtige und Gangster, aber wie er das tut, ist „cute“. Wirklich! Zufrieden Mr. Hoffman?
Aber hinzu­fügen muss man der Ehrlich­keit halber schon: Bis dieser Mann in Hollywood oder sonst wo auf dieser Erde einmal den schönen Lover oder den drahtigen Action­helden spielt, wird es noch lange, sehr lange dauern.

Auf der Berlinale, wo er mit Fistel­stimme und ständig hoch­ge­zo­genen Augen­brauen als die aus dem Ei gepellte, hoch­ma­nie­rierte Edel-Schwuchtel Truman Capote (sprich: Kapo­tiiiiiihhhh) zu sehen ist, erscheint er – bewusst – under­dressed und als Anti-Capote. In Jeans und karierten Amihemd, vor allem aber mit 8-Tage-Bart­stop­peln. Zudem gähnt er beim Interview, fläzt sich auf dem Sofa in der Hotel­suite, und die netten Mädels des Verleihs haben schon vorher gewarnt: »Er« war gestern »etwas länger« weg (will sagen: er kam erst zum Frühstück nach Haus), hat »etwas zu viel« getrunken (will sagen: er hatte einen Voll­rausch). Am nächsten Tag liest man dann alles in der Zeitung: es war eine Art öffent­li­ches Besäufnis mit Heath Ledger, dem Brokeback Mountain-Star, ein Film der ebenfalls Oscar-nominiert ist und somit Hoffmans direkter Konkur­rent. Mensch Meier, zwei Rivalen betrinken sich auf der Berlinale gemeinsam in einer Bar, total kumpel­mäßig, ey. Eijent­lich is et och egal, wer den Preis gewinnt, dabeisein ist alles, oder? Super PR-Story, für beide, und die Kollegen drucken’s eifrig nach. Dabei sollte man besser kein Wort solcher Geschichten glauben, passt einfach zu gut ins glatte Bild der fröh­li­chen Hollywood-Familie.

Im Interview ist Hoffman dann überaus maulfaul, und wenn es sich hier nicht um den heißesten Star des dies­jäh­rigen Oscar­ren­nens handelte, würde man ihn anfahren: »Mann, ich bin auch nicht zum Vergnügen da, tu Deinen Job, sag endlich mal einen ganzen Satz und möglichst auch noch einen, der sich zitieren lässt.« So hört man statt­dessen nur kleine Wort­brö­ckel zwischen seinen Zähnen aufs Mikro fallen, Sachen wie: »Ist ne lange Zeit her … weiß gar nicht mehr« auf die Frage, warum ihn die Capote-Rolle inter­es­siert habe. Naja. Immerhin ist ausführ­lich Zeit, ihn zwischen den einzelnen Bröckeln in Ruhe anzu­gu­cken. Und sieht man ihn genauer an, ist noch etwas anderes zu entdecken. Man spürt, dass mehr da ist, kann es aber nicht greifen. Ein Abgrund viel­leicht? Ein Geheimnis? Sein Leib ist kräftig. Man sieht, dass es nicht nur Fett ist, das seine Arme dick macht, auch Muskeln. Und man stellt sich vor, dass er, wenn er will, ziemlich kräftig zuschlagen könnte.

Diese zwei Seiten seines Äußeren bestimmten bis jetzt über seine Rollen. Mit einem kleinen Part in Der Duft der Frauen fing es 1992 an, seitdem hat der heute 38jährige Hoffman in rund 40 Filmen vor allem drei Arten von Figuren gespielt: den biederen, harmlosen Spießer, den neuro­ti­schen, verkorksten Loser, oder den brutalen, unter unschein­barer Ober­fläche bedroh­li­chen Bösewicht. Sie spielte er mit einigen der besten und berühm­testen US-Regis­seure: Mit den Coen-Brüdern in The Big Lebowski, mit Anthony Minghella in The Talented Mr. Ripley, mit Cameron Crowe in Almost Famous, und immer wieder mit Paul T. Anderson in Boogie Nights, Magnolia – »der beste Film, in dem ich je gespielt habe« – und Punch-Drunk Love. Es waren oft bessere Neben­rollen und schräge, latent unan­ge­nehme Figuren auf einem schmalen Grat zwischen Sympathie und Abscheu: In Happiness, dem super­ge­nialen Film von Todd Solondz war Hoffman ein einsamer Kontakt­ge­störter, der fort­wäh­rend an die Wand wichst und die Frauen seiner Nach­bar­schaft mit obszönen Anrufen belästigt. In Owning Mahowny war er ein Spielsüch­tiger, der seine Umgebung nur hemmungslos ausnutzt. In Makellos spielte er einen, der gern Frau­en­kleider trägt, und auf seine Geschlechts­um­wand­lung wartet. Und in Spike Lees 25th Hour verei­nigte er fast alle diese Aspekte im Part eines bemit­lei­dens­werten Lehrers, der sich von einer Minder­jäh­rigen verführen lässt. Aber immer sind es hervor­ra­gende Filme, in denen er sein kaum minder eindrucks­volles Können zeigt. Warum er gerade diese Rollen wähle, erklärt er beim Gespräch, könne er übrigens selbst nicht sagen: »Man wird von etwas angezogen.«

Ob sich seine Rollen­an­ge­bote jetzt mit Capote ändern? Schwer zu sagen. In Mission: Impos­sible 3 piekt er immerhin mal einen richtigen Schurken. A-Klasse-Level. Viel­leicht hat Philip Seymour Hoffman immerhin in einer Woche seinen ersten Oscar gewonnen. Die Rolle des berühmten Schrift­stel­lers und Stars der New Yorker Avant­garde-Szene, Truman Capote, der Ende der 50er Jahre im konser­va­tiven Farmer­mi­lieu der US-Südstaaten für „Kalt­blütig“ recher­chiert, jenen Tatsa­chen­roman, der sein berühm­testes Buch werden sollte, ist eine phäno­me­nale Leistung: »Capote war eitel, er konnte gar nicht genug Aufmerk­sam­keit bekommen«, charak­te­ri­siert Hoffman. »Er hatte eine unver­fro­rene Art, sagte allen Leuten ins Gesicht, was er dachte. Eine einschüch­ternde Person.« Hoffman betont, er versuche einer solchen Rolle gerecht zu werden, ohne sich vom realen Vorbild zu sehr beein­flussen zu lassen: »Es ist keine Doku­men­ta­tion, sondern eine Inter­pre­ta­tion.« Mitt­ler­weile, und das war schon vor der Oscar­no­mi­nie­rung – der ersten seiner Karriere – so, wird Hoffman von seinen Kollegen hoch­ge­achtet. Edward Norton nannte ihn »einen der besten Schau­spieler seiner Gene­ra­tion.«