11.04.2002

»Schönheit ist meine Geheimwaffe«

Halle Berry und Billy Bob Thornton in MONSTER'S BALL
Halle Berry und Billy Bob Thornton in Monster’s Ball

Oscar-Siegerin Halle Berry über ihre Rolle in Monster’s Ball und das Dasein einer schwarzen Darstellerin in Hollywood

Mit der Schau­spie­lerin Halle Berry wurde die erste Schwarze überhaupt mit einem Preis für die beste Haupt­rolle belohnt. Für Monster’s Ball , der im Herbst in Deutsch­land anlaufen wird, hatte sie bereits bei der dies­jäh­rigen Berlinale einen Silbernen Bären erhalten.
Mit Halle Berry sprach Rüdiger Suchsland

artechock: So hervor­ra­gend Monster’s Ball gelungen ist – im Vorfeld war das nicht abzusehen. Im Gegenteil barg das Projekt Gefahren: Ein Regisseur, der bisher unbekannt war, eine Geschichte, die leicht ins Billig-Senti­men­tale hätte abgleiten können, eine Rolle, die so freizügig ist, dass sie Ihrem persön­li­chen Ruf leicht hätte schaden können...

Halle Berry: Jede Rolle kann eindi­men­sional oder senti­mental werden – wenn man nicht richtig an ihr arbeitet. Ich habe hier Regisseur Marc Forster viel zu verdanken: Er wollte kein Melodram, er wollte einen kühlen, intel­li­genten Film, und war sehr wachsam, um dies sicher zu stellen. Es war eine kompro­miss­lose Arbeit. Sie blieb genau am Script, das wunderbar geschrieben ist. Monster’s Ball war die Art von Film, bei der man das Drehbuch liest, und sofort weiß: Dies ist großartig. Wir alle wollten in jeder Szene das tun, was ange­messen ist – nicht in einem politisch-korrekten Sinn, sondern den Charak­teren.

artechock: Es scheint schwer zu sein, in Hollywood überhaupt an solche guten Rollen zu kommen? Wie wählen Sie Ihre Rollen, welche Probleme gibt es dabei?

Berry: Ja in Hollywood selbst ist es sehr schwer – für farbige Frauen, aber auch für weiße –, Rollen zu bekommen, die nicht eindi­men­sional sind, sondern komplex und human. Es ist eine männer­be­stimmte Industrie.
Meine persön­liche Rollen­aus­wahl leidet natürlich unter großen Einschrän­kungen durch meine Hautfarbe. Was ich darum zu tun versuche, ist, Rollen zu spielen, die in sich sehr verschieden sind, mir eine Möglich­keit geben, mein wirk­li­ches Können zu zeigen. Zugleich ist es aber wichtig für meine Karriere, auch in Big-Budget-Holly­wood­filmen mitzu­spielen, wenn ich die Möglich­keit habe. Denn dadurch kann ich auch etwas zu wirk­li­cher Gleich­be­rech­ti­gung beitragen, dazu, dass es selbst­ver­s­tänd­li­cher wird, Schwarze in Main­stream-Filmen zu zeigen. Darum sind solche »Großfilme« für meine Karriere genauso wichtig, wie der wunder­bare ernste Schau­spiel­auf­tritt in Monster’s Ball.

artechock: Sie sind nicht nur eine gute Schau­spie­lerin, sondern auch eine schöne Frau. Schönheit wird schnell zum Marken­ar­tikel, Sie können sie benutzen, aber es gibt für eine Schau­spie­lerin auch die Gefahr, hinter ihr zu verschwinden. Wie gehen Sie damit um?

Berry: Gut. Schönheit ist eine Hilfe. Ich kann mir mehr aussuchen, als andere. Wenn es darauf ankommt, gelang es mir immer, den Stereo­typen zu entkommen. Und für eine Farbige ist Schönheit eine Geheim­waffe gegen Vorur­teile. [Lacht]

artechock: Die arme Kellnerin Laetitia in Monster’s Ball hat den Ameri­ka­ni­schen Traum nicht so ausge­kostet, wie Sie selbst. Wie haben Sie sich dieser Rolle genährt?

Berry: Glauben Sie es oder nicht: Aber ich habe den Ameri­ka­ni­schen Traum nicht immer bemerkt. Es gab in meinem Leben viele Höhen, aber auch Tiefen, es war bestimmt nicht ohne Mühe und Kampf und auch Schmerz. Einiges davon ist sehr privat. Was mich auch mit Laetitia verbindet, ist dass ich von einer allein­ste­henden Mutter aufge­zogen wurde. Mein Vater verließ die Familie, als ich sehr klein war, er war Alko­ho­liker und hatte sich nicht unter Kontrolle. Diese Erfahrung wirft ihren Schatten auf Laetitia, die auch ein Alko­hol­pro­blem hat. Für die Rolle musste ich einen Teil Laetitias in mir selbst suchen, heraus­finden. Ich habe aller­dings mit ein paar Frauen gespro­chen, deren Männer im Todes­trakt sitzen.

artechock: Wie ist Ihre persön­liche Haltung zur Frage der Todes­strafe?

Berry: Ich bin gegen sie. Ande­rer­seits habe ich durchaus Mitgefühl und Vers­tändnis für die Wut und den Schmerz von Menschen, deren liebste Menschen Opfer von Verbre­chen wurden. Aber ich würde nie selbst einen Menschen töten. Oder bei einer Hinrich­tung zugucken.

artechock: Diese Laetitia, fällt durch Ihren unsi­cheren Gang auf. War das ein Mittel, innere Unsi­cher­heit zu zeigen?

Berry: Für mich ist die Art, wie eine Figur geht, tatsäch­lich immer das erste, um mich einem Charakter zu nähern. Wie sie läuft bestimmt, wer sie ist. Vor dem Dreh hatten Marc Forster und ich viele Gespräche über äußer­liche Merkmale der Figur. So zum Beispiel ist sie auch Ketten­rau­cherin. Solche habi­tu­ellen Dinge – ohne dass man sie zu dick aufträgt – sind im Film sehr wichtig. Man muss der Figur anmerken, was sich hinter der gefassten Erschei­nung verbirgt: Ein hartes Leben, viel Schmerz und Angst.
Es war besonders schwer, mit dem Kind zu arbeiten, das meinen zehn­jäh­rigen, über­ge­wich­tigen Sohn spielt. Man musste einfühlsam sein, weil er – wie die Figur im Film – unter Über­ge­wicht leidet, und verspottet wird.

artechock: Was hat Sie an der Rolle am meisten gereizt?

Berry: Es ging um das, was ich den „Kuss des Lebens“ nennen möchte: Die Chance von zwei verlo­renen Seelen, ihr Leben radikal zu verändern, noch einmal neu in den Griff zu bekommen. Sie kamen zusammen und haben sich selbst gegen­seitig Hoffnung gegeben.

artechock: Es war das erste Mal für Sie, dass Sie mit einem europäi­schen Filme­ma­cher zusam­men­ge­ar­beitet haben. Gibt es Unter­schiede?

Berry: Ja, es ist sehr unter­schied­lich. Ich möchte meine andere Arbeit nicht verraten, aber Marc Forster war perfekt für diese so äußerst ameri­ka­ni­sche Geschichte Der Grund dafür war, dass er sich alldem von Außen nähert. Einfach als Mensch. Er erzählt eine Liebes­ge­schichte, ohne sich in der poli­ti­schen Debatte für und wider die Todes­strafe klar zu posi­tio­nieren, ohne sich an die unaus­ge­spro­chenen Regeln für diese Debatte zu halten. Das gleiche gilt für das Thema Rassismus. Marc Forster ist das alles mit sehr leichter Hand ange­gangen. Beides – Todes­strafe und Rassismus – sind unter­schwellig immer präsent, aber nie wirkt es dick aufge­tragen. Ich fürchte in den Händen eines US-Regisseur wäre daraus etwas Platteres geworden. Aber Monster’s Ball handelt von soviel mehr, hat so viele Ebenen.

artechock: Die hat in anderem Sinne auch ihr nächster Film, der neue James-Bond Die Another Day.

Berry: Das ist ja gerade das Schöne am Schau­spieler-Dasein: Man kann von einem so realis­ti­schen Film wie Monster’s Ball zu einer puren Phantasie wie James-Bond wechseln. Ich würde nicht jedes Mal so etwas wie Monster’s Ball drehen wollen, sondern alle Extreme ausreizen. Hoffent­lich gibt es immer wieder etwas Neues.