66. Festival de Cine de San Sebastián 2018
»Ich hatte Glück...« |
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Yuli von Icíar Bollaín | ||
(Foto: Icíar Bollaín) |
Das Gespräch führte Geri Krebs
Die 1967 in Madrid geborene spanische Filmemacherin Icíar Bollaín begann mit 15 als Film-Schauspielerin mit einem Auftritt in Víctor Erices El Sur. Seit 1995 ist sie vorwiegend als Regisseurin tätig und hat mit Filmen wie El Olivo – Der Olivenbaum oder Und dann der Regen – También la lluvia auch international große Erfolge gefeiert. In Yuli, der jetzt im Wettbewerb beim Filmfestival von San Sebastián Weltpremiere feierte, erzählt sie die Lebensgeschichte des kubanischen Tanz-Superstars Carlos Acosta (Jahrgang 1973). Acosta, der als Kind nicht Tänzer, sondern Fußballer werden wollte, von seinem Vater, einem LKW-Fahrer, aber zur Tanz-Ausbildung gezwungen wurde, war der erste schwarze Ballett-Tänzer in Kuba. Und er war 1991, nach Abschluss seiner Ausbildung, auch der erste Schwarze, der in London im Royal Ballett tanzte. In einem Mix aus dokumentarischen, von Acosta selbst verkörperten Szenen und fiktionalisierten Begebenheiten aus seiner Kindheit und Jugend (wo er von den Schauspielern Edison Manuel Olbera und Keyvin Martinez gespielt wird), ist Yuli eine mitreißende Hommage an tänzerische Kühnheit und artistische Risikobereitschaft und geht dabei weit über ein konventionelles Biopic hinaus. In San Sebastián wurde bisher kaum ein anderer Film des Wettbewerbs vom Publikum so stürmisch gefeiert wie der auch rhythmisch äußerst stimmige Yuli.
artechock: Yuli ist ein Film, der über seine cineastischen Qualitäten hinaus auch von einer Liebe zu Kuba durchdrungen scheint, zu seinen Menschen, seiner Kultur. Wie und wann fing diese Liebe bei Ihnen an?
Icíar Bollaín: Meine erste Reise nach Kuba unternahm ich 1987 zusammen mit meiner Schwester. Wir waren jung und neugierig, ich war damals bereits Schauspielerin, aber es war eine rein touristische, private Reise. Danach reiste ich 1991 erneut nach Kuba, dieses Mal, um einen Kurs an der Filmschule in San Antonio de los Baños in der Nähe von Havanna zu besuchen. Ich war begeistert und flog in den folgenden Jahren mehrmals an diese (von Fernando Birri und Gabriel García Márquez gegründete – Anm. G.K.) Schule für weitere Kurse. Nachdem ich dann 1995 in Spanien Hola, estás sola?, meinen ersten langen Spielfilm als Regisseurin, realisiert hatte und der im folgenden Jahr auch am Filmfestival von Havanna präsentiert wurde, wurde ich nach San Antonio als Gastdozentin für Kurse in Schauspiel und Regie eingeladen. Bei der Gelegenheit lernte ich die Schauspielerin Marilyn Torres kennen, die daraufhin 1999 in meinem nächsten Film, Blumen aus einer anderen Welt, eine der Protagonistinnen war. Sie sehen: meine Liebe zu Kuba hat eine längere Geschichte und verschiedene Facetten. Trotzdem habe ich nun meinen ersten Film in Kuba nicht selber gesucht, sondern der Film suchte mich.
artechock: Wie das?
Icíar Bollaín: Die britische Produzentin Andrea Calderwood nahm Kontakt auf mit meinem Mann, Paul Laverty, und fragte ihn, ob er ein Drehbuch über die Lebensgeschichte von Carlos Acosta schreiben könne, basierend auf seiner 2008 erschienenen Autobiografie „No Way Home: A Dancer’s Journey“. Es war dann Paul, der mich gleich fragte, ob ich bereit wäre, Regie zu führen – was ich natürlich gerne annahm.
artechock: Dann hatten Sie also Carlos Acosta und seine Autobiografie zuvor gar nicht gekannt?
Bollaín: Nein, ich wusste zwar, wer er ist, wusste, dass es sich um Kubas wohl legendärsten Tänzer handelt, aber mehr nicht. Und auch die Autobiografie las ich erst, als Paul mich angefragt hatte.
artechock: Nun ist Carlos Acosta ein Superstar – wie schwierig war es, ihn für das Filmprojekt zu gewinnen?
Bollaín: Es war in keiner Weise schwierig – im Gegenteil: Er war es, der schon lange wollte, dass man einen Film über ihn macht, wollte seine Lebensgeschichte in einem Film erzählen. Carlos hatte schon einige Filmerfahrung, so hatte er 2008 im Compilationsfilm New York, I Love You an der Seite von Natalie Portman gespielt und 2016 spielte er in der John-Le-Carre-Verfilmung Verräter wie wir einen kubanischen Tänzer. Und außerdem war bereits ein Projekt über Carlos' Leben gestartet worden, das dann aber scheiterte. Sie sehen also, ich hatte Glück, kam genau im richtigen Moment, um diesen Film zu realisieren.
artechock: Und wer hatte dann die Idee, dass Carlos sich im Film – in jenen Szenen, die in der Gegenwart spielen – auch noch gleich selber verkörpert?
Bollaín: Diese Idee kam von Paul und mir gemeinsam. Wir wussten zwar, dass das ein riskantes Unterfangen werden würde, aber risikobereit, wie Carlos ist, ließ er sich sofort von der Idee begeistern.
artechock: Worin lag für Sie das größte künstlerische und erzählerische Risiko in diesem Mix aus dem realen Carlos Acosta und dem vom Schauspieler Keyvin Martinez verkörperten Carlos Acosta?
Bollaín: Da muss ich zuerst noch präzisieren: Keyvin Martinez ist Tänzer, er hatte keinerlei Schauspielerfahrung. Wir hatten also einen Tänzer, der das Schauspielen erlernen musste, und einen Tänzer mit Schauspielerfahrung, der aber sich selber als Tänzer verkörpern musste. Der Film ist von seiner Struktur her so aufgebaut, dass er von der Gegenwart aus erzählt und dabei weitgehend fiktional ist. Dabei kommt es immer wieder zu Szenen, in denen das, was der von Keyvin Acosta gespielte Carlos erzählt, seine Entsprechung in Tanzszenen findet, die vom realen Carlos Acosta getanzt werden. Oder es gibt Archivaufnahmen von Carlos Acosta in der Royal Opera – doch wer dann in der Anschlussszene aus der Royal Opera herausgeht, ist Keyvin Martinez. Und umgekehrt gibt es Szenen des realen Carlos Acosta in Begegnungen mit Personen aus seinem Leben, etwa mit Cherry, seiner früheren Ballettlehrerin, die von einer Schauspielerin (Laura de la Uz) gespielt werden. Das sind Dinge, die auf dem Papier reizvoll erscheinen, aber ob sie dann auch wirklich funktionieren würden, da hatten wir lange große Zweifel.
artechock: Sie mussten einen kubanischen Ko-Produktionspartner haben, wählten dabei aber nicht das traditionsreiche und allmächtige kubanische Filminstitut ICAIC, sondern eine unabhängige Produktionsgesellschaft, „Quinta Avenida“. Hatte diese Wahl etwas damit zu tun, dass Ihr Film die kubanische Realität doch recht kritisch beleuchtet?
Bollaín: Nein, überhaupt nicht, unsere Wahl fiel deshalb auf „Quinta Avenida“, weil diese Firma sehr dynamisch, international hervorragend vernetzt ist und ich die Leute dort gut kenne. Wir hatten in Kuba natürlich auch Kontakt mit dem ICAIC, denn ohne das Filminstitut ist ein größerer Dreh wie in unserem Fall fast nicht möglich, aber als Ko-Produktionspartner sind sie doch schon etwas schwerfällig.