»Die Aufgabe eines Regisseurs ist es, die Zeit in der er lebt, zu reflektieren« |
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Bong Joon-ho bei der Japan-Premiere von Okja (2017) (Foto: Dick Thomas Johnson) |
Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland
Er ist nicht nur Filmemacher, sondern auch Soziologe. Seinen Filmen merkt man an, dass er sich für Design interessiert, und bei unserem Gespräch im Bayerischen Hof in München photographierte er mit seinem Handy unser Aufnahmegerät, das zwar von einem Japaner designed wurde, aber nach zehn Jahren schon Old-School wirkt – weil es so cool aussieht.
Artechock: Woher kommt die Inspiration für Parasite?
Bong Joon-ho: Als ich den Titel bekannt gab, haben viele erwartet, dass es sich um einen Film über eine Kreatur handeln würde, wie The Host, oder um einen Science-Fiction-Film.
Aber die Protagonisten meines Films sind Familien aus der echten Welt. Es sind Leute, die miteinander und mit den anderen in einer symbiotischen Koexistenz leben wollen. Aber als
das nicht aufgeht, sind sie gezwungen, in parasitären Beziehungen zu leben. Ich halte meinen Film für eine Tragikomödie, die Humor und Horror verbindet, und die von der Traurigkeit handelt, die aufkommt, wenn man ein Leben in Wohlstand zusammen führen möchte, aber begreift, dass die Wirklichkeit gegen einen steht, und versteht, wie schwierig das sein kann. Der Titel ist ein ironischer Titel. Ähnlich wie der koreanische Original-Titel meines Films Memories of Murder der auf Koreanisch die Konnotation warmer angenehmer Erinnerungen hat. Wie kann man aber warme nostalgische angenehme Erinnerungen an einen Mord haben? Und ist es falsch, das zu haben? Auf die gleiche Weise hat auch Parasite eine ironische Bedeutung
im Titel.
Sie haben eben von »reich und arm« gesprochen. Die wachsende Ungleichheit des Einkommens ist eines der größten Probleme unserer Zeit. Wollten Sie dies ansprechen?
Bong: Ja auf alle Fälle. Die Aufgabe eines Regisseurs ist es schließlich, die Zeit in der er lebt, zu reflektieren. Der Klassenkonflikt und die Polarisierung zwischen Reich und Arm sind ein weltweites Problem. Was mich an der Einkommensdifferenz am meisten beängstigt, ist, dass keine Hoffnung für die Zukunft besteht. Ich finde es erschreckend, dass dieses Problem auch in der Generation meiner Kinder nicht gelöst werden wird. Insofern kann einen die Lage
wirklich traurig machen. Der junge Mann aus der armen Familie in meinem Film rechnet aus, wie viel Zeit er brauchen würde, um das Haus, in dem er arbeitet, das Haus der Reichen, selber zu kaufen. Er rechnet aus, dass er, wenn er kein Geld ausgeben würde, 547 Jahre dafür brauchen würde.
Mein Film beginnt damit, dass der Sohn der armen Familie einen Job als Privatlehrer der Reichen bekommt. In Wirklichkeit gibt es sehr wenig Gelegenheiten für die Reichen und die Armen, sich zu
vermischen. Sie bewegen sich auf verschiedenen Ebenen, sie mischen sich nicht – aber diese Vermischung war für den Film ein großartiger Anfang.
Die reiche Familie ist die ideale vierköpfige gut gebildete neureiche Familie der modernen urbanen Elite: Der Vater ist CEO in einer IT Firma, und ein richtiger Workaholic, er hat eine schöne junge Frau, eine süße High-School-Tochter und einen jungen Sohn.
Der Film handelt von solchen Einkommensunterschieden, klar. Aber er ist auch
ein Kriminalthriller und er ist eine schwarze Komödie. Ich würde sagen, er ist ein Genre-Film, in dem man viel Spaß haben kann, aber auch etwas mitnimmt.
Können sie ihr Verhältnis zum Genrekino näher beschreiben?
Bong: Ich bin mit dem amerikanischen 70er-Jahre-Kino aufgewachsen, das ich fortwährend im Fernsehen gesehen habe. Genre-Filme sind daher so etwas, wie Luft zum Atmen für mich, ich habe immer die Luft der Genre-Filme eingeatmet und sie in mich aufgenommen, insofern fließen sie in meinen Adern.
Manchmal folge ich als Filmemacher den Konventionen und manchmal breche ich sie, aber ich glaube nicht, dass ich jemals besonders weit weg von den Konventionen des Genres
liege. Ich fühle mich wohl und erleichtert, wenn ich mich innerhalb der Genregrenzen bewege.
Wie würden Sie das Genre dieses Films beschreiben?
Bong: Es ist ein humanes Drama, aber eines, das sehr stark in der Gegenwart verwurzelt ist. Auch wenn der Plot einzigartige und besondere Situationen aufgreift, ist dies gleichwohl eine Geschichte, die im Prinzip an allen möglichen Orten der realen Welt stattfinden könnte.
In diesem Sinn ist es ein sehr realistisches Drama, aber ich hätte nichts dagegen, wenn Sie es ein Kriminal-Drama nennen würden, oder eine Komödie oder einen Thriller. Ich habe immer mein Bestes
getan, um die Erwartungen der Zuschauer zu irritieren, und ich hoffe, dass Parasite in dieser Hinsicht Erfolg hat.
Wie wichtig sind Ihnen Horror- und Thrillerelemente?
Bong: In meinem eigenen Leben habe ich sehr viel Angst vor der Gesellschaft und dem System. Man hat auch mehr Angst um seine eigene Familie, wenn man begreift, wie inkompetent das System ist, in dem man lebt.
Meine Filme handeln fast immer von Menschen, die nicht richtig hineinpassen in das System und die sich nicht glücklich fühlen in der Umgebung, die ihnen der Staat überlässt.
Zugleich versuche ich, meine Firmen nicht so blutig zu machen. Wenn man sich zum
Beispiel die Filme von Alfred Hitchcock wieder anschaut, sieht man, dass sie nicht sehr viel Blut zeigen. Ich respektiere seinen Stil sehr stark. Was wirklich wichtig ist bei Gewalt, ist nicht das Blut, sondern das Timing. Wenn die Gewalt ausbricht, muss das Publikum von ihr überrascht werden.
Ihre beiden letzten Filme Snowpiercer und Okja schienen Sie mehr in Richtung Hollywood zu tragen; es gab englische Dialoge, westliche Stars und ein höheres Budget. Gab es einen Grund, warum Sie mit einem kleineren Budget wieder in Korea gedreht haben?
Bong: Tatsächlich war es andersherum: Diese Geschichte hatte ich schon im Jahr 2013 im Kopf, bevor ich Snowpiercer gemacht habe. Ich glaube, dass ich sehr viel Glück gehabt habe, als ausländischer Regisseur diese zwei Blockbuster machen zu können. Normalerweise bekommen Ausländer, die nach Hollywood gehen, alle möglichen Beschränkungen. Man hat etwa nicht das Recht, den Endschnitt zu machen, und das Studio kontrolliert alle möglichen Dinge. Aber mir hatte man die volle Kontrolle überlassen, daher hatte ich niemals das Gefühl: »Oh ich habe keine Lust mehr, englischsprachige Filme zu drehen, es ist Zeit, nach Korea zurück zu kommen, wo ich mehr Freiheit habe.« Tatsächlich bin ich eher ein Filmregisseur, der die Filme machen möchte, die er auch gerne sieht, egal wo das möglich ist.