14.10.2019

»Die Aufgabe eines Regisseurs ist es, die Zeit in der er lebt, zu reflektieren«

Dick Thomas Johnson from Tokyo, Japan [CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)]
Bong Joon-ho bei der
Japan-Premiere von Okja (2017)
(Foto: Dick Thomas Johnson)

Der korea­ni­sche Regisseur Bong Joon-ho über Klas­se­kon­flikte, Pola­ri­sie­rungen, Genrekino und seinen Film »Parasite«

Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland

Er ist nicht nur Filme­ma­cher, sondern auch Soziologe. Seinen Filmen merkt man an, dass er sich für Design inter­es­siert, und bei unserem Gespräch im Baye­ri­schen Hof in München photo­gra­phierte er mit seinem Handy unser Aufnah­me­gerät, das zwar von einem Japaner designed wurde, aber nach zehn Jahren schon Old-School wirkt – weil es so cool aussieht.

Artechock: Woher kommt die Inspi­ra­tion für Parasite?

Bong Joon-ho: Als ich den Titel bekannt gab, haben viele erwartet, dass es sich um einen Film über eine Kreatur handeln würde, wie The Host, oder um einen Science-Fiction-Film.
Aber die Prot­ago­nisten meines Films sind Familien aus der echten Welt. Es sind Leute, die mitein­ander und mit den anderen in einer symbio­ti­schen Koexis­tenz leben wollen. Aber als das nicht aufgeht, sind sie gezwungen, in para­sitären Bezie­hungen zu leben. Ich halte meinen Film für eine Tragi­komödie, die Humor und Horror verbindet, und die von der Trau­rig­keit handelt, die aufkommt, wenn man ein Leben in Wohlstand zusammen führen möchte, aber begreift, dass die Wirk­lich­keit gegen einen steht, und versteht, wie schwierig das sein kann. Der Titel ist ein ironi­scher Titel. Ähnlich wie der korea­ni­sche Original-Titel meines Films Memories of Murder der auf Korea­nisch die Konno­ta­tion warmer ange­nehmer Erin­ne­rungen hat. Wie kann man aber warme nost­al­gi­sche angenehme Erin­ne­rungen an einen Mord haben? Und ist es falsch, das zu haben? Auf die gleiche Weise hat auch Parasite eine ironische Bedeutung im Titel.

Sie haben eben von »reich und arm« gespro­chen. Die wachsende Ungleich­heit des Einkom­mens ist eines der größten Probleme unserer Zeit. Wollten Sie dies anspre­chen?

Bong: Ja auf alle Fälle. Die Aufgabe eines Regis­seurs ist es schließ­lich, die Zeit in der er lebt, zu reflek­tieren. Der Klas­sen­kon­flikt und die Pola­ri­sie­rung zwischen Reich und Arm sind ein welt­weites Problem. Was mich an der Einkom­mens­dif­fe­renz am meisten beängs­tigt, ist, dass keine Hoffnung für die Zukunft besteht. Ich finde es erschre­ckend, dass dieses Problem auch in der Gene­ra­tion meiner Kinder nicht gelöst werden wird. Insofern kann einen die Lage wirklich traurig machen. Der junge Mann aus der armen Familie in meinem Film rechnet aus, wie viel Zeit er brauchen würde, um das Haus, in dem er arbeitet, das Haus der Reichen, selber zu kaufen. Er rechnet aus, dass er, wenn er kein Geld ausgeben würde, 547 Jahre dafür brauchen würde.
Mein Film beginnt damit, dass der Sohn der armen Familie einen Job als Privat­lehrer der Reichen bekommt. In Wirk­lich­keit gibt es sehr wenig Gele­gen­heiten für die Reichen und die Armen, sich zu vermi­schen. Sie bewegen sich auf verschie­denen Ebenen, sie mischen sich nicht – aber diese Vermi­schung war für den Film ein großar­tiger Anfang.
Die reiche Familie ist die ideale vier­köp­fige gut gebildete neureiche Familie der modernen urbanen Elite: Der Vater ist CEO in einer IT Firma, und ein richtiger Workaholic, er hat eine schöne junge Frau, eine süße High-School-Tochter und einen jungen Sohn.
Der Film handelt von solchen Einkom­mens­un­ter­schieden, klar. Aber er ist auch ein Krimi­nal­thriller und er ist eine schwarze Komödie. Ich würde sagen, er ist ein Genre-Film, in dem man viel Spaß haben kann, aber auch etwas mitnimmt.

Können sie ihr Verhältnis zum Genrekino näher beschreiben?

Bong: Ich bin mit dem ameri­ka­ni­schen 70er-Jahre-Kino aufge­wachsen, das ich fort­wäh­rend im Fernsehen gesehen habe. Genre-Filme sind daher so etwas, wie Luft zum Atmen für mich, ich habe immer die Luft der Genre-Filme einge­atmet und sie in mich aufge­nommen, insofern fließen sie in meinen Adern.
Manchmal folge ich als Filme­ma­cher den Konven­tionen und manchmal breche ich sie, aber ich glaube nicht, dass ich jemals besonders weit weg von den Konven­tionen des Genres liege. Ich fühle mich wohl und erleich­tert, wenn ich mich innerhalb der Genre­grenzen bewege.

Wie würden Sie das Genre dieses Films beschreiben?

Bong: Es ist ein humanes Drama, aber eines, das sehr stark in der Gegenwart verwur­zelt ist. Auch wenn der Plot einzig­ar­tige und besondere Situa­tionen aufgreift, ist dies gleich­wohl eine Geschichte, die im Prinzip an allen möglichen Orten der realen Welt statt­finden könnte.
In diesem Sinn ist es ein sehr realis­ti­sches Drama, aber ich hätte nichts dagegen, wenn Sie es ein Kriminal-Drama nennen würden, oder eine Komödie oder einen Thriller. Ich habe immer mein Bestes getan, um die Erwar­tungen der Zuschauer zu irri­tieren, und ich hoffe, dass Parasite in dieser Hinsicht Erfolg hat.

Wie wichtig sind Ihnen Horror- und Thril­le­r­ele­mente?

Bong: In meinem eigenen Leben habe ich sehr viel Angst vor der Gesell­schaft und dem System. Man hat auch mehr Angst um seine eigene Familie, wenn man begreift, wie inkom­pe­tent das System ist, in dem man lebt.
Meine Filme handeln fast immer von Menschen, die nicht richtig hinein­passen in das System und die sich nicht glücklich fühlen in der Umgebung, die ihnen der Staat überlässt.
Zugleich versuche ich, meine Firmen nicht so blutig zu machen. Wenn man sich zum Beispiel die Filme von Alfred Hitchcock wieder anschaut, sieht man, dass sie nicht sehr viel Blut zeigen. Ich respek­tiere seinen Stil sehr stark. Was wirklich wichtig ist bei Gewalt, ist nicht das Blut, sondern das Timing. Wenn die Gewalt ausbricht, muss das Publikum von ihr über­rascht werden.

Ihre beiden letzten Filme Snow­piercer und Okja schienen Sie mehr in Richtung Hollywood zu tragen; es gab englische Dialoge, westliche Stars und ein höheres Budget. Gab es einen Grund, warum Sie mit einem kleineren Budget wieder in Korea gedreht haben?

Bong: Tatsäch­lich war es anders­herum: Diese Geschichte hatte ich schon im Jahr 2013 im Kopf, bevor ich Snow­piercer gemacht habe. Ich glaube, dass ich sehr viel Glück gehabt habe, als auslän­di­scher Regisseur diese zwei Block­buster machen zu können. Norma­ler­weise bekommen Ausländer, die nach Hollywood gehen, alle möglichen Beschrän­kungen. Man hat etwa nicht das Recht, den Endschnitt zu machen, und das Studio kontrol­liert alle möglichen Dinge. Aber mir hatte man die volle Kontrolle über­lassen, daher hatte ich niemals das Gefühl: »Oh ich habe keine Lust mehr, englisch­spra­chige Filme zu drehen, es ist Zeit, nach Korea zurück zu kommen, wo ich mehr Freiheit habe.« Tatsäch­lich bin ich eher ein Film­re­gis­seur, der die Filme machen möchte, die er auch gerne sieht, egal wo das möglich ist.

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