»Wir fallen hinter Warhol zurück!« |
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Noch so ein talentierter Fälscher, diesmal von Identitäten: Mr. Ripley |
Immer wieder untersucht Elisabeth Bronfen in ihren Büchern die Abgründe moderner Kultur. Ihre Werke kreisen um Weiblichkeit, Hysterie, Diven, den Tod und immer wieder das Kino. Im letzten Jahr erschien der voluminöse Band „Hollywoods Kriege. Geschichte einer Heimsuchung“ (S.Fischer Verlag, 22,99 Euro). Darin untersucht sie den Zusammenhang zwischen Krieg und moderner Kultur. Jetzt kann die in Zürich lehrende Wissenschaftlerin wieder einfach ins Kino gehen – und wundert sich: über den Rummel um Arne Birkenstocks Die Kunst der Fälschung, einen Dokumentarfilm über den Maler und Fälscher Wolfgang Beltracchi und die Kunstwelt.
Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland.
artechock: Sie haben über Patricia Highsmiths „Ripley“ geforscht – vier Romane hat Highsmith dieser Figur gewidmet. Was fasziniert eigentlich die Künstler, ihr Publikum und die Gesellschaft an Hochstaplern? Sind wir alle Hochstapler?
Elisabeth Bronfen: Ich glaube, wir würden gerne alle Hochstapler sein – im Englischen ist der Hochstapler auch ein Confidence-Man oder -Woman – das heißt: Jemand, der mit dem Vertrauen von anderen spielt. Ich glaube, eine entscheidende Sache ist die: Wir wollen eigentlich gern alle getäuscht werden. Wir wollen verführt werden und der Hochstapler zeigt uns genau dieses Verlangen, verführt zu werden. Wir dürfen dann auch enttäuscht sein, aber wir kriegen dann sozusagen beide Positionen – unser Begehren danach, verführt zu werden, das haben wir genießen dürfen – aber gleichzeitig durften wir im Anschluß auch sagen: Aha – jetzt habe ich doch begriffen wie es ist. Jetzt gibt es keine Täuschung mehr – wir sind dem Täuschenden auf die Schliche gekommen
artechock: Also: Der Hochstapler verweist uns am Ende auf die Wahrheit?
Bronfen: Der Hochstapler – wenn er enttarnt wird – verweist uns am Ende auf die Wahrheit. Es kommt natürlich darauf an, was für Hochstapelei es ist: Es gibt ja wirtschaftliche Hochstapelei – da kauft man etwas, was man nicht will und merkt meistens erst, wenn man gar nichts mehr hat, was man da verloren hat.
Es gibt natürlich die ganze Geschichte des Fälschens in Literatur und Malerei. Da kann man sich am Ende sagen:
So, jetzt wissen wir, was ein wahres Bild und was einfach nur eine Täuschung oder eine Kopie von etwas ist.
artechock: Ist der Hochstapler in dem Sinn eine moralische Figur, weil er auf verquere Art diese Idee der Wahrheit stärker macht?
Bronfen: Scheint so. Man könnte ja sogar sagen: Judas ist ein Hochstapler. Er ist ein Hochstapler, weil er etwas tut, etwas vortäuscht, Christus belügt, weil er etwas deutlich machen will.
Der Hochstapler muss ja, um Hochstapler zu sein, die Differenz zwischen „wahr“ und „nicht wahr“ kennen – sonst wäre er einfach ein Idiot oder ein Glücksspieler oder was weiß ich. Er ist sich aber dessen bewusst, dass er
ein Hochstapler ist. Das heißt: Er ist auch eine Figur der Wahrheit, denn er bringt dadurch, dass er irgendwann mal enttarnt wird, die Wahrheit zutage.
Ich würde den Hochstapler auch in die Nähe eines Psychoanalytikers, potentiell auch eines Priesters rücken – insofern, dass der Hochstapler uns unsere eigenen Phantasien zurückspiegelt, und uns dadurch deutlich macht, auf welchem trügerischen Hauch unser Begehren basiert. Weil der Hochstapler die Situation so aufbaut, dass wir sozusagen den Boden unter den Füßen verlieren oder dann auch in der Realität wieder ankommen.
Es ist beim Phänomen
Hochstapelei immer ein Tick Erkenntnis dabei. Also nicht nur: Wir sollen uns betrügen lassen, sondern wir sollen auch erkennen, dass wir betrogen worden sind.
artechock: Zur Zeit ist der Fall des Fälschers Wolfgang Beltracchi in aller Munde. Könnten Sie mir sagen, was Sie über den Fall denken?
Bronfen: Für mich ist auch Beltracchi ein Hochstapler – nicht nur, weil er einfach etwas fälscht, sondern weil er Teil dessen, was er fälscht, auch wird. Das ist nicht nur Kalkül: Ich kopiere etwas möglichst gut, sondern ich kopiere etwas und gebe es als etwas Eigenes aus – viele Hochstapler wissen zwar, dass sie es mit Fälschung oder Betrug zu tun haben. Aber sie glauben aber auch an die Fälschung und sind dann oft erstaunt, dass man ihnen das dann vorwirft. Weil sie sich solange mit dem, was sie später nachahmen, identifiziert haben, dass in ihrem Kopf die Differenz zwischen dem Original oder der Kopie gar nicht mehr so das Entscheidende ist
artechock: Ich fand es interessant, dass Beltracchi wie ein Doppelgänger ist: Er wird zum Doppelgänger vieler Künstler. Er behauptet, er könne auch noch sechs Jahre später wie Cézanne malen – wenn er den einmal richtig verinnerlicht hat. Man könnte sagen: Er ist wie eine multiple Persönlichkeit – also er ist wie ein fleischgewordenes Museum. Was ist dann aber die Identität des Fälschers?
Er sieht: Im Museum hängt ein Bild von mir – aber da steht Max Ernst drauf oder Paul Cézanne. Also ist es auch kein Bild von ihm. Dieser Stolz ist daher gleichzeitig einer, den er nur ganz für sich haben kann. Einher mit dem Stolz geht die narzisstische Kränkung, dass man das der Welt nicht sagen kann, dass sie nichts davon weiß – außer man wird enttarnt.
Bronfen: Ich glaube, den Hochstapler muss man zwischen dem reinen Kopisten oder auch Epigonen und dem originären Künstler ansiedeln.
Viele Leute kopieren einfach – das ist der Anfang des Kunststudiums. Das ist ja nicht das, was der Hochstapler macht.
Der Hochstapler kopiert, gibt das dann aber als sein Eigenes aus – und es ist auch sein Eigenes – weil er sich den Stil, die Ausdrucksform eines anderen so zu eigen
gemacht hat, dass er sozusagen ihm gehört.
Also: Ja, er ist ein Doppelgänger des Anderen, und insofern er sich nicht nur auf eine Art der Malerei konzentriert, könnte man sagen: Es ist auch ein ganz sensibler Kunstkenner und Imitator, weil er sich in die verschiedensten Künstlerpersönlichkeiten die er dann auch imitiert, hineinversetzen kann – und das wäre dann der Gegensatz zu dem wirklich originären Künstler, der einfach nur so seinen Stil macht.
Bei dem Hochstapler
ist es aber das Entscheidende, dass er sowohl weiß, dass es nicht seine Kunst ist und gleichzeitig doch glaubt, dass es seine Kunst ist – man könnte das auch mit der Rhetorik des Fetisch zusammendenken: »Ich weiß, aber trotzdem glaube ich.«
artechock: Kunst hat historisch lange Zeit sehr viel mit Nachahmung zu tun gehabt. Gehört nicht die Lüge und das Kopieren ganz unmittelbar zur Kunst hinzu? Woher diese Wut?
Ist das nicht ein falsch verstandener Begriff von Authentizität und Original in einer Zeit, in der Duchamps eine Weile zurückliegt, und Warhol lange tot – dass man da immer noch so beharrt auf dem Original und dann auch die Öffentlichkeit so gekränkt und böse ist, so polemisch. Man darf über den gar keinen Film machen, wird gesagt...
Bronfen: Ich glaube die ganze Idee der Hochstaplelei im Feld der Kunst setzt zweierlei voraus: Man kann sich das in der fernöstlichen oder orientalischen Kultur gar nicht vorstellen, weil die chinesische Kunst gar keine Originale kennt. Da gibt es mehrere hunderte von Jahren lange immer wieder neue Imitationen, die dann genau den gleichen Stellenwert wie die ursprünglichen Gemälde oder Vasen haben.
Also nur eine Kultur und
Kunst wie die europäische, die eine genaue Differenz zwischen Autentizität und Kopie und Nachahmung und Imitation und Umschrift kennt, kann sich darüber entrüsten.
Der zweite Punkt ist natürlich der: Wenn man etwas malt, und es sieht so genau aus, oder ist im Stil von – sagen wir mal – Cézanne, und man die einfach nur bei sich zu Hause im Zimmer hat, ist das gar kein Problem. Das wird ein Problem, wenn man es der Öffentlichkeit gegenüber als etwas ausgibt, was sie nicht
sind.
artechock: Wird Beltracchi hier nun auch zum Sündenbock gemacht? Weil er natürlich viel Geld verdient hat, weil er ein großer Kenner und unglaublich begabt ist. Er hat natürlich auch dem Kunstmarkt eine lange Nase gedreht. Da haben andere Leute viel mehr Geld verdient – die haben nicht nur das praktische Interesse daran, dass das nicht raus kommt, dass ihre eigene Rolle klein gefahren wird, dass der ganze Kunstmarkt mit seinen arkanen Räumen, den Koffern voller Bargeld, all den Sammlern, die nicht genannt werden wollen, all dem Geheimnis, dass das nicht an die Öffentlichkeit kommt.
Bronfen: Ich denke, dass auch entscheidend ist bei dieser Figur Beltracchi, dass er in einem bestimmten Moment etwas tut, an einem Moment, wo der Kunstmarkt selber zur Spekulation geworden ist, wo man eigentlich den Wert von Kunst gar nicht mehr festmachen kann – der wird eigentlich wie an einer Börse völlig imaginär, ohne dass da irgendetwas Konkretes dahinterstünde, festgelegt.
Und wenn dann jemand kommt, und Kunst
produziert, sie für etwas anderes ausgibt, dann trügt er nicht nur etwas vor, was gar nicht da ist, sondern indem er das tut, zeigt er, wie dünn der Boden eigentlich ist, auf dem der ganze Kunstmarkt mit den irrsinnigen Preisen, die da jetzt gewonnen werden können, ist.
Er hält wirklich dem ganzen Kunstmarkt eine Art Spiegel vor, um zu zeigen, wie spekulant die ganze Geschichte geworden ist.
artechock: Muss man nicht in einer Gesellschaft, in der alles Geld wird, auch auf diese Weise damit umgehen?
Bronfen: Ja, ich würde sagen: Bis zu einem gewissen Grad finde ich es natürlich schon problematisch, wenn mit Kunst extrem viel Geld verdient wird. Weil ich natürlich noch ein Verständnis von Kunst habe, wo Kunst sich gegen die Gesellschaft stellt.
Es war zwar immer so: Man hatte einen Patron, der hat einem das Geld gegeben, damit man arbeiten konnte. Aber irgendwie, finde ich, sollte der Künstler oder die Künstlerin auch abseits stehen
um entweder die Welt zu reflektieren oder kritisch in der Welt zu intervenieren.
In dem Moment, in dem alles davon abhängt, wieviel Geld man für seine Kunst bekommt – dass man viel Geld für die Kunst bekommt, ist nicht mein Problem, aber der Wert eines Kunstwerks wird daran gemessen, wieviel Geld man für es bekommt. Das scheint mir dahin zu führen, dass die Kunst viel näher im Bereich anderer Kommodifikationen gerückt ist.
Und das war ja witzigerweise genau das, was
Warhol kritisch mit seiner ganzen Pop-Art aufgeworfen hat. Wir fallen hinter Warhol zurück!
artechock: „Der Kritiker“ hat Susan Sontag formuliert, müsse „Anti-Establishment“ sein. Jetzt gibt es ein richtiges Beltracchi-Bashing. Was ist denn davon zu halten?
Bronfen: Man kann sagen: Die Kritiker wollen die Deutungshoheit über den Bereich der Kunst haben und behalten. Wenn dann plötzlich eine Kunst produziert wird, die die Kritiker vors Licht führt, dann wird auch nicht nur die Rolle der Käufer entlarvt, sondern auch der Kunstkritiker kommt dann ins Schwanken.
artechock: Also: Wird Beltracchi zum Sündenbock gemacht?
Bronfen: Beltracchi wird wahrscheinlich schon zu einem Sündenbock gemacht, weil er nicht nur den Kunsthändlern, sondern auch den Kunstkritikern zeigt, worauf das ganze Geschäft, mit dem sie ihr Geld verdienen, basiert – nämlich, dass sie ja selber Hochstapler sind.