»Bevor mein Vater starb, hätte ich nie daran gedacht,so einen Film zu machen« |
||
Ewan McGregor und Tim Burton beim Dreh zu Big Fish |
Mit dem Regisseur von Beetlejuice, Ed Wood und Sleepy Hollow, Tim Burton, sprach Rüdiger Suchsland.
artechock: Man weiß, dass Sie Horrorfilme mögen, Sie haben zweimal Batman gedreht. Sollte es diesmal etwas „Positiveres“ sein? Ohne Schrecken und Gewalt?
Tim Burton: Oh nein, damit hat das gar nichts zu tun. Ich glaube nicht an die angeblichen negativen Folgen von Gewalt im Film. Ich bin dafür das beste Beispiel: Ich habe Sachen im Fernsehen gesehen, die man dort heute gar nicht mehr zeigen würde. Es ist übrigens bekannt, dass die meisten Massenmörder sehr streng und repressiv erzogen wurden, übrigens auch sehr religiös... Je mehr man Kinder unterdrückt, um so mehr realer Horror ereignet sich. Ich sehe Gewaltfilme als ein sehr gesundes Ventil für Phantasien.
artechock: Ist Phantasie für Sie, wie für Ihre Hauptfigur Edward Bloom, eine Möglichkeit, einer öden Wirklichkeit zu entfliehen?
Burton: Phantasie kann vieles bewirken. Mythologien und Fabeln haben mich immer fasziniert. Mir selbst scheinen sie sehr wirklich. Manchmal sind Fantasie-Geschichten emotional wahr. Sie rühren an das Unterbewusste. Sie können einen natürlich auch umgekehrt von der Wirklichkeit fernhalten. Nehmen Sie den Zauberer von Oz – da steckt ein Stoff für Kinder drin, wie für Erwachsene.
artechock: Big Fish handelt von einer Vater-Sohn-Beziehung. Ihr eigener Vater ist kürzlich gestorben. War das der Auslöser für diesen Film?
Burton: Ja, tatsächlich ist dies für mich eine Auseinandersetzung mit meinem eigenen Vater. Sein Tod war ein Schock für mich – wie es das wahrscheinlich für jeden ist. Bevor mein Vater starb, hätte ich nie daran gedacht, so einen Film zu machen. Aber es gibt darin auch hier wieder die üblichen Themen aller meiner Filme: Was ist real, was nicht? Das Verhältnis von Phantasie und Wirklichkeit.
artechock: Big Fish erscheint im Vergleich zu den meisten Ihrer Filme als ein „helleres“ Werk. Eröffnet uns dies einen neuen Tim Burton, der das Dunkle meidet, oder ist dies nur ein Ausrutscher?
Burton: Definitiv ein Ausrutscher. Die Helligkeit lag im Material. Ich habe ein paar Dinge ausprobiert, die ich vorher noch nicht gemacht habe.
artechock: Was muss ein Stoff haben, um Sie zu faszinieren und Material für einen burtonesken Film zu bieten?
Burton: Ich versuche, gerade darüber nicht nachzudenken. Ich plane nicht sehr weit im voraus. Man arbeitet ein ganzes Jahr an einem Film – was weiß ich, wie ich mich in einem Jahr fühle? Letztlich suche ich in dem Moment nach einem neuen Stoff, in dem ich mit einem Film fertig bin. Ich will, dass der nächste Film emotional passt. Sehr wichtig ist auch, ob ein Film auf die kulturelle Situation passt.
artechock: Inwiefern passt Big Fish denn auf die gegenwärtige Lage in den USA?
Burton: Typisch amerikanisch ist der Film, indem er Figuren vorstellt, die einen merkwürdigen, naiven Idealismus besitzen, durch seinen verdrehten Optimismus. Der hängt offenbar eng mit einer Vorliebe für Legenden zusammen, für das Zurechtdichten von Wirklichkeit.
Phantasien und Legenden spielen auch in der Politik eine große Rolle. Die Grenzen Wahrheit und Realität verwischen sich dort heute völlig. Wenn man manchen Politikern
zuhört, sind sie durch und durch verlogen. Umgekehrt sind manche Märchen – von denen wir wissen, dass sie erfunden sind – sehr wahrhaftig.
Und es wird immer schlimmer. Sehen Sie sich die Nachrichten im Fernsehen an: Sie haben „Themenmusik“, werden präsentiert wie Soap-Operas oder Dramen – für mich ist das überaus erschreckend.
artechock: Sind Sie darum selbst aus Amerika weggezogen und nach England übergesiedelt?
Burton: Es spielte eine Rolle. Ich fühle mich dort wohler. Aus ganz banalen Gründen: Wenn Sie in Los Angeles zu Fuß gehen, werden Sie an jeder Ecke von der Polizei angehalten. Sie wirken verdächtig. In England können Sie spazieren gehen. Ich liebe das. Außerdem ging mir die Wärme auf die Nerven. Das Wetter in Los Angeles war einfach zu gut.
Und Amerika ist zu konformistisch. Individualismus wird in England mehr geschätzt. Ich bin in den
Vorstädten aufgewachsen. Man fühlt sich dort immer beobachtet. In England ist das alles anders und besser.
artechock: Sie mache Filme für das große Publikum. Wenn Sie völlig unabhängig entscheiden könnten: Möchten Sie manchmal gerne inhaltlich und formal weiter gehen, radikalere Filme machen?
Burton: Ich weiß es nicht. Ich fühle mich als Person ziemlich normal, nicht irgendwie 'schräg'. Natürlich fühlt man sich manchmal beschränkt durch den Druck des Budgets, durch die Studios, die mitreden wollen.
artechock: Würden Sie sagen, Sie sind frei in Ihren Entscheidungen?
Burton: Ja. Hier ganz besonders. Big Fish war die erste positive Studioerfahrung, die ich gemacht habe. Dabei ist das kein einfacher Film: Die Geschichte lässt sich nicht in drei Sätzen erklären, es gibt keinen großen Star. Das gibt mir Hoffnung, dass man gelegentlich etwas machen kann, was kein sicherer Hit ist.