»Präsident Putin wird diesen Film lieben!« |
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Der Killer und seine Bilder |
Der Kanadier David Cronenberg, geboren 1943, gehört zu den wichtigsten Autorenfilmern der Gegenwart. Seine faszinierend-eigensinnigen Werke – u.a. Die Fliege, Crash, eXistenZ – kreisen vor allem um das Verhältnis des Menschen zu seinem Körper und zur modernen Technik und Wissenschaft. Seine letzten beiden Filme – A History of Violence (2005) und Eastern Promises, jetzt im Kino- konfrontieren Gangsterwelt und Zivilgesellschaft. Eastern Promises erhielt soeben drei Golden Globe-Nominierungen – unter anderem in der Kategorie „Bester Film“.
Mit dem Regisseur sprach Rüdiger Suchsland
artechock: Ihre Filme sind immer spannend, oft Thriller und haben einen hohen Unterhaltungswert, zugleich aber sind Sie anspruchsvolles Autorenkino. Wie würden Sie Ihren idealen Zuschauer charakterisieren?
David Cronenberg: Manche Menschen sind nur an seichter Unterhaltung interessiert, und andere interessieren sich für philosophische Fragen und mehr, als Unterhaltung – und genau die sind meine Zuschauer! Ich denke, eine der größten Faszinationen des Kinos ist, dass man für die Dauer eines Films ein anderes Leben leben kann. Dass man Urlaub von sich selber nehmen kann. Leider ist es eine Tendenz in der aktuellen Kinokultur,
dass immer mehr Menschen im Kino nur noch Zerstreuung suchen, und nicht verstehen, dass es auch Kunst sein kann, dass es uns in unserem Innersten herausfordert. Auch das leistet Kino. Und leider richten sich zu viele Produzenten zur Zeit nach dem Einfachen, suchen inhaltlich den kleinsten gemeinsamen Nenner und wollen es allen recht machen. Es gibt zwar genug Anzeichen dafür, dass dieses System gerade aufhört zu funktionieren – aber noch dominiert sein Denken das Kino.
In meinen
Filmen können die Zuschauer für eine Weile in ein anderes Leben eintauchen – das sie vielleicht niemals wirklich leben wollten, aber das sie neugierig macht.
artechock: Welches Leben ist Ihrer Ansicht nach in Eastern Promises das faszinierendste?
Cronenberg: Das von Nikolai, der Figur, die Viggo Mortensen spielt: Ein Fahrer der Mafia, der die Dreckarbeit macht, und nach oben kommt. Er ist tough, aber er hat auch eine bestimmte Form von Mitleid und Menschlichkeit, er ist nicht unnahbar. Im Laufe des Films enthüllt er uns und Anna, der Figur, die Naomi Watts spielt, diese andere Seite von sich selbst.
artechock: Die wohl spektakulärste Szene des Films ist ein Messerkampf in einem Badehaus, die Gewalt ist da sehr naturalistisch, der Angegriffene Nikolai ist nackt – was wollten Sie uns damit über Gewalt sagen?
Cronenberg: Es ging mir bei der Nacktheit ganz klar um Verletzlichkeit. Nicht um Sex. Obwohl Nacktheit im Kino fast immer einen sexuellen Aspekt hat. Wenn es das hier auch geben sollte, ist es höchst sublimiert. Neulich dachte ich mir: Eigentlich ist das ein bisschen wie die Duschszene in Hitchcocks Psycho. Man ist nackt und nass, und einer mit
dem Messer hat es auf einen abgesehen. Diese Verletzlichkeit leuchtet jedem ein. Die Bilder sollten nicht durch impressionistische Schnitttechnik geprägt sein, wie bei den Bourne-Filmen, die eigentlich eine Wegschneidetechnik ist.
Denn Gewalt ist physisch. Es geht alles um Körper. Es geht alles um die Zerstörung von Körpern. Genau genommen gibt es in diesem Film wenig Gewalt, nur fünf
Minuten von 100. Aber diese Szenen haben eine große Wirkung. Im Kino muss man das auch erfahren können: Ich zeige das nicht jenseits der Kamera, das wäre frivol. Es ist harte Arbeit, jemanden zu töten, und wenn es das ist, was die Figur nun mal tun muss, möchte ich, dass Sie das spüren und sehen. Gewalt ist Zerstörung des menschlichen Körpers, nicht Statistik. Ich bestehe auf dieser Wirklichkeit. Und ich will alles sehen. Die Kampfszene muss physisch Sinn machen; sie muss mechanisch Sinn
machen; sie muss Körper-Sinn (body sense) machen.
artechock: Die Offenheit des menschlichen Leibes und seine Verschlossenheit, seine Abgrenzungen nach Außen haben sie immer interessiert. Die Haut als Oberfläche und Grenze des Fleisches ist in Ihren Filmen ein Zeichensystem…
Cronenberg: Wenn Sie die Praxis des Tätowierens in Eastern Promises ansprechen: Durch Recherchen kam ich auf ein fantastisches Buch mit dem Titel: »Russian Criminal Tatoo« – über die Kultur des Tätowierens in russischen Gefängnissen. Das war ein hervorragender visueller Schlüssel zu der Figur des Nikolai, seinem Charakter und seiner Herkunft – seiner Substanz. Es versinnbildlicht sein ganze Leben und die rituelle Struktur seiner Existenz: Tätowierungen dienen der Identifikation, sie sind eine Vergewisserung von Identität.
Diese Tätowierungen sind aber auch wie ein Kainsmal. Sie schließen den Einzelnen aus der Gesellschaft aus, berauben ihn seiner Individualität: Er wird ein Teil der Verbrecher-Gruppe. Ein dialektischer Prozess: Diese Tätowierungen erzählen seine persönliche Geschichte, schaffen sozusagen erst seine Identität, und zugleich des-individualisieren sie ihn, markieren ihn als Verbrecher und lassen sich nicht mehr – oder nur unter großen Schwierigkeiten – abstreifen. Jedenfalls gilt: Die Haut lügt nicht (zumindest scheinbar, denn ihr Film zeigt etwas anderes).
artechock: Man könnte also sagen: Analog zum Kainsmal zeigt sich die Schuld auf der Oberfläche der Haut…
Cronenberg: Ja. Tatsächlich ist das Mal, das Gott in der Bibel auf Kains Stirn legt, offenkundig das erste Tattoo. Im Fall von Nikolai sind die Tätowierungen eine große Ehre, etwas, wonach er sich lange gesehnt hat: Wenn Semyon (der von Armin Mueller-Stahl gespielt wird) sagt: »It’s time you joined us«, bedankt er sich (»Thank you, Papa.«) Er wird ein gemachter Mann in der Mafia. Er wird akzeptiert als »one of us«, einer, dem man trauen kann – und das alles bezeichnen diese Sterne auf Nacken und Knien. Das ist ein Zeichen der Akzeptanz und der Zugehörigkeit; er ist damit bezeichnet als einer, dem man zu trauen hat. Sollte er je im Gefängnis landen, würde er einen hohn Status in der Hierarchie haben. Wenn man allerdings ein Tattoo fälscht, und man das herausfindet, wird es nicht sehr nett. Man wird ermordet. Oder die old-school-Jungs kommen zu einem, und sagen: Hey, das Tattoo auf Deinem Finger sagt, Du wärst im St. Petersburg-Knast gewesen, aber wir wissen, dass Du nie da warst. Mach das Tattoo weg, Du hast 20 Minuten… Dann schneiden sie einem den Finger ab, oder gleich die ganze Hand. Also brennt man es weg, oder schneidet es weg – was gerade geht. Es ist ziemlich brutal.
artechock: In Eastern Promises gibt es auch einen Hinweis auf »erzwungene« Tattoos. Was hat es damit auf sich?
Cronenberg: Man erzwingt Tätowierungen gewaltsam, um den Träger identifizierbar zu machen. Es ist wie ein Stempel im Pass, der die Einreise verbietet. Wie ein Judenstern – aber am Körper. Diese Tätowierungen strukturieren ein regelrechtes internes Kastensystem – so etwas gibt es nicht nur in Russland, sondern auch in den USA. Bestimmte Verbrechen und Eigenschaften begrenzen die Möglichkeiten der Täter – z.B. wer homosexuell ist, ein Päderast oder ein Kinderschänder – zählen gegen einen und brandmarken die Verantwortlichen – egal wie loyal einer ist, wie tough, wie überlebensfähig, was für ein guter Kämpfer, guter Dieb, was auch immer... Es gibt einen Dokumentarfilm, der phantastisch ist: Gedreht in russischen Gefängnissen, wo Gefangene ihre Tätowierungen vorzeigen, und deren Bedeutungen erklären – er heißt »The Mark of Cain«.
artechock: Diese Verträge mit der Mafia sind eine Art Teufelspakt. Eastern Promises ist auch ein Film über ein moralisches Dilemma…
Cronenberg: Alle Charaktere des Films sind – wie in A History of Violence und den meisten meiner Filme – nicht, was sie anfangs scheinen. Und man kennt sie nie völlig. Man fragt sich, was noch alles herauskommen könnte. Und wie es weitergeht? Der nächste Morgen wird kompliziert. was passiert mit diesen Typen? Das letzte Bild ist beunruhigend und rätselhaft: Bei aller Ehre erschreckend. Er hat eine Linie überschritten. Es gibt kein Zurück.
artechock: Das Bild des neuen Russland, das sie zeigen, ist wenig schmeichelhaft… Wie haben Sie recherchiert?
Cronenberg: Ich habe Dostojewski gelesen, einiges andere über das alte Russland mit seiner tausendjährigen Kultur. Russland ist etwas einmaliges, weder Asien, noch Europa. Und wir wollten in dem Film die dunklen Seiten der klassischen »russischen Seele« erkunden: Sehr fatalistisch, sehr depressiv, sehr dunkel. Es stimmt, dass der Film das Aufkommen eines neuen Russland behandelt. Aber das ist dem alten präsowjetischen Russland leider sehr ähnlich. Aus diesem neuen Russland kommt derzeit eine Form des Kapitalismus, die sehr roh ist, sehr »basic«, sehr brutal. Es erinnert uns daran, wie der Kapitalismus wirklich aussah, vor seiner Verfeinerung während der letzten hundert Jahre.
artechock: Fürchten Sie nicht die Rache der Mafia, oder des Geheimdienstes? Sie zeigen Ex-KGB bzw. FSB in keinem guten Licht…
Cronenberg: Jedes Land hat ein Äquivalent dafür. Und genau genommen ist mein FSB-Agent ja der Held meines Films. Er ist sehr heroisch – ich bin sicher: Präsident Putin wird diesen Film lieben! [Lacht]
artechock: Wie arbeiten Sie eigentlich, wenn Sie ein Projekt angehen?
Cronenberg: Wenn ich einen Film beginne, dann denke ich zu Beginn nicht thematisch. Ich versuche, so konkret wie möglich zu denken – physisch und emotional und natürlich pragmatisch: Was für Möglichkeiten habe ich überhaupt. Was ich unbedingt zu vermeiden versuche, ist, in irgendeiner Hinsicht zu abstrakt zu werden. Ich habe das schon öfter erklärt: Man kann Abstraktionen und Konzepte nicht mit der Kamera aufnehmen, und ein Schauspieler kann sie nicht filmen. Das gibt es höchstens in allegorischen Theaterstücken, da tritt dann einer auf und ist »der Stolz«, oder »die Demut«, oder »die Scham« oder so was. Man muss zunächst sehr konkret werden, außerdem kann man nur über solche Verdeutlichung universal werden. Also: Jede Figur des Films muss eine konkrete Herkunft haben, jede Figur braucht einen Namen.
artechock: Am Ende des Films scheint das Leben symbolisch über den Tod zu siegen…
Cronenberg: Nun, wir sind beide hier – und das ist es, was am Ende zählt. Ich denke, das gibt Anlass zur Hoffnung. Aber die Figur, die Naomi Watts spielt, sagt einmal: »Life and death go together«. Und ich denke, jeder Künstler ringt auf die eine oder andere Weis mit der Frage, was die Natur des Lebens ist und was die Natur des Todes. Für mich ist das in jedem meiner Filme ein entscheidendes Thema