05.09.2024

»Wir konnten spüren, wie wichtig uns allen das Fantasy Filmfest ist«

THE ANDROMEDA STRAIN
Leider schon ausverkauft: The Andromeda Strain von Robert Wise
(Foto: Fantasy Filmfest | Robert Wise)

Die Co-Leiterin Frederike Dellert zur 38. Ausgabe des städteübergreifenden Festivals

Von seinen Hamburger Anfängen 1987 als eher retro­spek­tive Feier des phan­tas­ti­schen Films über die Zeiten mit München als Basis im Grenz­ge­biet zwischen Splat­ter­film-Boom und Zensur­eifer deutscher Behörden, hat sich das Fantasy Filmfest heute etabliert als Marke für eine deutsch­land­weit tourende Leinwand-Leis­tungs­schau des Genre-Kinos.

Hier­zu­lande bietet es oft die einzige Gele­gen­heit, Filme im Kino zu erleben, die kaum noch Platz finden im auf Block­buster und Wellness-Arthouse fixierten Verleih­be­trieb einer­seits, bei den Genrefilm-phoben »großen« deutschen Festivals ande­rer­seits.

Wir sprachen mit Frederike Dellert, die seit 2019 gemeinsam mit Gründer Rainer Stefan und Artur Brzo­zowski zum aktuellen Leitungs-Trio gehört.

Das Gespräch führte Thomas Willmann

artechock: Das Fantasy Filmfest arbeitet seit jeher ohne öffent­liche Subven­tionen. Was sind die Heraus­for­de­rungen dabei – was viel­leicht auch Vorteile?

Frederike Dellert: Ohne Förder­gelder zu arbeiten heißt, stets wirt­schaft­lich denken zu müssen und finan­zi­elle Risiken zu mini­mieren. Auf der anderen Seite spart es Büro­kratie, man arbeitet flexibler, ist anpas­sungs­fähiger an äußere Umstände. In der Corona-Krise war das z.B. sehr von Vorteil.

artechock: Die Pandemie war für alle Kultur­ver­an­stal­tenden ein herber Einschnitt. Wie seid Ihr durch­ge­kommen?

Frederike Dellert: Die Pandemie durch­zu­halten war sehr heraus­for­dernd, aber die Treue des Publikums über­wäl­ti­gend. Wir konnten spüren, wie wichtig uns allen das Fantasy Filmfest ist. Das war moti­vie­rend, nach kreativen Lösungen und Opti­mie­rungen zu suchen, und mit Abklingen der Pandemie neue Ideen umzu­setzen.
Für uns war wichtig, nicht »unsichtbar« zu werden, sondern auch, wenn es wirt­schaft­li­cher »Unfug« war, als Festival das Machbare zu versuchen und auch inmitten der Pandemie ein Fantasy Filmfest zu stemmen.
Mitt­ler­weile gibt es wieder große Resonanz. In manchen Festi­vals­tädten waren einige Filme nach wenigen Stunden Vorver­kauf bereits ausver­kauft.

artechock: Stichwort Publikum: Ihr habt sehr treue Fans, die teils seit Beginn an mit Dauer­karte dabei sind. Die aber auch nicht jünger werden. Wie seht Ihr da die Entwick­lung?

Frederike Dellert: Natürlich fällt jedes Jahr ein Teil der lang­jäh­rigen Zuschauer weg, aber der Zugewinn an jungem Publikum ist zahlen­mäßig größer. Wir haben unser ganzes Design moderner, zugäng­li­cher gemacht und inves­tieren viel Herzblut in unsere Social-Media-Kampagnen. Das alles zeigt Wirkung. Es ist toll, dass sich Jahr für Jahr eine Community zusam­men­findet, die sich verschworen hat, sämtliche Filme des Programms zu entdecken und zu disku­tieren. Der Anteil der verkauften Festi­val­pässe ist tatsäch­lich höher als vor Corona.

artechock: Jüngeres Publikum heißt auch: Das Online-Urteil per Sternchen wird oft schon mit Beginn des Abspanns gefällt. Ist das für Euch ein Faktor?

Frederike Dellert: Wir wählen nur Filme aus, von denen wir sehr überzeugt sind. Wenn ein Film pola­ri­siert, gehört das auch zu einem Festival dazu. Natürlich ist es schade, wenn heut­zu­tage viel­leicht vorschnell geurteilt wird, aber die Mehrheit unseres Publikums sind klare Cineast:innen, die unser Angebot schätzen.

artechock: Ihr setzt auch bei den Filme­ma­chenden viel auf Nachwuchs...

Frederike Dellert: Der Anteil an Debüt­filmen beim Fantasy Filmfest ist immer wieder erstaun­lich groß, manchmal bis zu 50 Prozent. Wir sind stolz darauf, den ersten Film von heute namhaften Filme­ma­cher:innen mitent­deckt zu haben, wie z.B Revenge von Coralie Fargeat, die in dieser Ausgabe mit ihrem großen Cannes Erfolg The Substance zurück­kehrt. Andere Beispiele sind James Gunn, Gareth Edwards, Gaspar Noé, Peter Jackson, Park Chan-wook, Takashi Miike, die wir früh­zeitig begleitet haben.

artechock: Im regulären Kino­ver­leih sind heut­zu­tage vier­stel­lige Besu­cher­zahlen keine Selten­heit, DVD/Blu-ray immer mehr Nischen­pro­dukt. Macht das Verleiher und Labels zöger­li­cher, ihren Filmen bei Euch schon Publikum zu geben?

Frederike Dellert: Wir führen intensive Gespräche mit den Verleih-Firmen und suchen gemeinsam nach der besten Lösung für ihre Filme. Glück­li­cher­weise wird die Wirkung des Festivals bezüglich Promotion und Mund­pro­pa­ganda nach wie vor als sehr positiv wahr­ge­nommen.

artechock: Wie teilt sich die Finan­zie­rung in etwa auf zwischen Ticket­ver­kauf, Sponsoren und Einnahmen des Festivals als »Werbe­fläche«?

Frederike Dellert: Die Finan­zie­rung ist natürlich eine Misch­kal­ku­la­tion, die sich über Jahre spannt. Die Gewich­tung verändert sich immer wieder und wir kalku­lieren nicht für 12 Monate, sondern versuchen die Finan­zier­bar­keit lang­fristig zu sichern.

artechock: Im Gegensatz zu anderen Festivals konzen­triert sich das FFF sehr auf die Filme. Gibt es auch Pläne, mehr »Fest« drumrum zu etablieren?

Frederike Dellert: Natürlich ist es für ein lokales Film­fes­tival relativ einfach, ein umfang­rei­ches Rahmen­pro­gramm anzu­bieten. Da das Fantasy Filmfest aber in sieben Städten statt­findet, müssen wir, um uns nicht zu verzet­teln, uns vor allem auf das Kino­er­lebnis an sich konzen­trieren. Wir konnten jedoch in den letzten Jahren viele neue Ideen in Richtung Rahmen­pro­gramm und Koope­ra­tionen umsetzen: Die Inter­views mit den Regisseur:innen der Wett­be­werbs­reihe »Fresh Blood«, die direkt in den Kinos nach dem Vorspann laufen, kommen sehr gut an. Auch die vielen Video-Greetings, die wir seit Corona verstärkt als Intro anfordern und die auch teils erstaun­lich persön­lich und witzig gestaltet sind.
Wir bemühen uns aktuell um eine bundes­weite Koope­ra­tion mit Plane­ta­rien und zeigen dies Jahr erstmalig einen Klassiker mit anschließendem Exper­ten­ge­spräch in der Volks­stern­warte München. [Am 10.9., der groß­ar­tige The Andromeda Strain (1971) von Robert Wise, Anm. d. Red.]
Und es gibt auch einen neuen Filmpreis: Nach dem Motto »Sieben Festi­vals­tädte – sieben Jury-Mitglieder – sieben Filme« wird erstmalig der »Fear Good Award« vergeben. Jede Stadt hostet ein eigenes Jury-Mitglied, für München geht Regisseur Sebastian Niemann an den Start.

artechock: In Stuttgart koope­riert Ihr diesmal für eine Matinee mit der Film­aka­demie Baden-Würt­tem­berg. Aber generell sind deutsche Genre­filme (nicht nur bei Euch) eine Selten­heit. Worin siehst du die Ursachen?

Frederike Dellert: Gute Leute mit Ideen und Expertise sind da, aber es fehlt unserer Meinung nach an Selbst­be­wusst­sein in Sachen deutsches Genre. Es müsste sich mehr getraut und auspro­biert werden, um eine eigene Identität zu entwi­ckeln, die letzt­end­lich auch kommer­zi­elle Früchte tragen würde. Unsere öster­rei­chi­schen Nachbarn sind da schon weiter.

artechock: Wird man irgend­wann auch mal ein bisserl Genrefilm-müde und hat das Gefühl, schon alles gesehen zu haben?

Frederike Dellert: Wir sichten ca. 300 Filme pro Jahr, aber glück­li­cher­weise gibt es auch nach 38 Jahren Fantasy Filmfest Über­ra­schungen, Provo­ka­tionen, Filme, die erstaunen, erschre­cken oder einen nicht schlafen lassen.
In dieser Ausgabe Skunk von Koen Mortier etwa oder unser Center­piece Maldoror von Fabrice du Welz. Ein Film, der lange nachwirkt, ist auch A Different Man, produ­ziert von A24.

artechock: Welche Trends, Themen siehst du in diesem Festi­val­jahr­gang? Und was sind deine persön­li­chen Lieb­lings­filme?

Frederike Dellert: Body­horror, Schlaf­an­oma­lien und Zeitreisen. Ich persön­lich habe mein Herz an die bitter­böse Satire Plastic Guns von Jean-Chris­tophe Meurisse verloren und an Humanist Vampire Seeking Consen­ting Suicidal Person, Ariane Louis-Seize' wunder­bare Komödie über eine junge Vampirin, die sich nicht traut, Menschen etwas zu Leide zu tun.

artechock: Wie seht Ihr die Zukunft des Genre­kinos – und die des Festivals?

Frederike Dellert: Wir freuen uns schon auf die 40. Jubiläums­aus­gabe in zwei Jahren, und dann auf die goldene 50 und sind gespannt auf all die gruse­ligen und span­nenden Filme bis dahin.
Wenn eins niemals totzu­kriegen ist, dann ist es garan­tiert das Genrekino.

38. Fantasy Filmfest
04. – 18.09.2024

Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln, München, Nürnberg, Stuttgart