»Wir konnten spüren, wie wichtig uns allen das Fantasy Filmfest ist« |
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Leider schon ausverkauft: The Andromeda Strain von Robert Wise | ||
(Foto: Fantasy Filmfest | Robert Wise) |
Von seinen Hamburger Anfängen 1987 als eher retrospektive Feier des phantastischen Films über die Zeiten mit München als Basis im Grenzgebiet zwischen Splatterfilm-Boom und Zensureifer deutscher Behörden, hat sich das Fantasy Filmfest heute etabliert als Marke für eine deutschlandweit tourende Leinwand-Leistungsschau des Genre-Kinos.
Hierzulande bietet es oft die einzige Gelegenheit, Filme im Kino zu erleben, die kaum noch Platz finden im auf Blockbuster und Wellness-Arthouse fixierten Verleihbetrieb einerseits, bei den Genrefilm-phoben »großen« deutschen Festivals andererseits.
Wir sprachen mit Frederike Dellert, die seit 2019 gemeinsam mit Gründer Rainer Stefan und Artur Brzozowski zum aktuellen Leitungs-Trio gehört.
Das Gespräch führte Thomas Willmann
artechock: Das Fantasy Filmfest arbeitet seit jeher ohne öffentliche Subventionen. Was sind die Herausforderungen dabei – was vielleicht auch Vorteile?
Frederike Dellert: Ohne Fördergelder zu arbeiten heißt, stets wirtschaftlich denken zu müssen und finanzielle Risiken zu minimieren. Auf der anderen Seite spart es Bürokratie, man arbeitet flexibler, ist anpassungsfähiger an äußere Umstände. In der Corona-Krise war das z.B. sehr von Vorteil.
artechock: Die Pandemie war für alle Kulturveranstaltenden ein herber Einschnitt. Wie seid Ihr durchgekommen?
Frederike Dellert: Die Pandemie durchzuhalten war sehr herausfordernd, aber die Treue des Publikums überwältigend. Wir konnten spüren, wie wichtig uns allen das Fantasy Filmfest ist. Das war motivierend, nach kreativen Lösungen und Optimierungen zu suchen, und mit Abklingen der Pandemie neue Ideen umzusetzen.
Für uns war wichtig, nicht »unsichtbar« zu werden, sondern auch, wenn es wirtschaftlicher »Unfug« war, als Festival das
Machbare zu versuchen und auch inmitten der Pandemie ein Fantasy Filmfest zu stemmen.
Mittlerweile gibt es wieder große Resonanz. In manchen Festivalstädten waren einige Filme nach wenigen Stunden Vorverkauf bereits ausverkauft.
artechock: Stichwort Publikum: Ihr habt sehr treue Fans, die teils seit Beginn an mit Dauerkarte dabei sind. Die aber auch nicht jünger werden. Wie seht Ihr da die Entwicklung?
Frederike Dellert: Natürlich fällt jedes Jahr ein Teil der langjährigen Zuschauer weg, aber der Zugewinn an jungem Publikum ist zahlenmäßig größer. Wir haben unser ganzes Design moderner, zugänglicher gemacht und investieren viel Herzblut in unsere Social-Media-Kampagnen. Das alles zeigt Wirkung. Es ist toll, dass sich Jahr für Jahr eine Community zusammenfindet, die sich verschworen hat, sämtliche Filme des Programms zu entdecken und zu diskutieren. Der Anteil der verkauften Festivalpässe ist tatsächlich höher als vor Corona.
artechock: Jüngeres Publikum heißt auch: Das Online-Urteil per Sternchen wird oft schon mit Beginn des Abspanns gefällt. Ist das für Euch ein Faktor?
Frederike Dellert: Wir wählen nur Filme aus, von denen wir sehr überzeugt sind. Wenn ein Film polarisiert, gehört das auch zu einem Festival dazu. Natürlich ist es schade, wenn heutzutage vielleicht vorschnell geurteilt wird, aber die Mehrheit unseres Publikums sind klare Cineast:innen, die unser Angebot schätzen.
artechock: Ihr setzt auch bei den Filmemachenden viel auf Nachwuchs...
Frederike Dellert: Der Anteil an Debütfilmen beim Fantasy Filmfest ist immer wieder erstaunlich groß, manchmal bis zu 50 Prozent. Wir sind stolz darauf, den ersten Film von heute namhaften Filmemacher:innen mitentdeckt zu haben, wie z.B Revenge von Coralie Fargeat, die in dieser Ausgabe mit ihrem großen Cannes Erfolg The Substance zurückkehrt. Andere Beispiele sind James Gunn, Gareth Edwards, Gaspar Noé, Peter Jackson, Park Chan-wook, Takashi Miike, die wir frühzeitig begleitet haben.
artechock: Im regulären Kinoverleih sind heutzutage vierstellige Besucherzahlen keine Seltenheit, DVD/Blu-ray immer mehr Nischenprodukt. Macht das Verleiher und Labels zögerlicher, ihren Filmen bei Euch schon Publikum zu geben?
Frederike Dellert: Wir führen intensive Gespräche mit den Verleih-Firmen und suchen gemeinsam nach der besten Lösung für ihre Filme. Glücklicherweise wird die Wirkung des Festivals bezüglich Promotion und Mundpropaganda nach wie vor als sehr positiv wahrgenommen.
artechock: Wie teilt sich die Finanzierung in etwa auf zwischen Ticketverkauf, Sponsoren und Einnahmen des Festivals als »Werbefläche«?
Frederike Dellert: Die Finanzierung ist natürlich eine Mischkalkulation, die sich über Jahre spannt. Die Gewichtung verändert sich immer wieder und wir kalkulieren nicht für 12 Monate, sondern versuchen die Finanzierbarkeit langfristig zu sichern.
artechock: Im Gegensatz zu anderen Festivals konzentriert sich das FFF sehr auf die Filme. Gibt es auch Pläne, mehr »Fest« drumrum zu etablieren?
Frederike Dellert: Natürlich ist es für ein lokales Filmfestival relativ einfach, ein umfangreiches Rahmenprogramm anzubieten. Da das Fantasy Filmfest aber in sieben Städten stattfindet, müssen wir, um uns nicht zu verzetteln, uns vor allem auf das Kinoerlebnis an sich konzentrieren. Wir konnten jedoch in den letzten Jahren viele neue Ideen in Richtung Rahmenprogramm und Kooperationen umsetzen: Die Interviews mit den
Regisseur:innen der Wettbewerbsreihe »Fresh Blood«, die direkt in den Kinos nach dem Vorspann laufen, kommen sehr gut an. Auch die vielen Video-Greetings, die wir seit Corona verstärkt als Intro anfordern und die auch teils erstaunlich persönlich und witzig gestaltet sind.
Wir bemühen uns aktuell um eine bundesweite Kooperation mit Planetarien und zeigen dies Jahr erstmalig einen Klassiker mit anschließendem Expertengespräch in der Volkssternwarte München. [Am 10.9., der großartige The Andromeda Strain (1971) von Robert Wise, Anm. d. Red.]
Und es gibt auch einen neuen Filmpreis: Nach dem Motto »Sieben Festivalstädte – sieben Jury-Mitglieder – sieben Filme« wird erstmalig der »Fear Good Award« vergeben. Jede Stadt hostet
ein eigenes Jury-Mitglied, für München geht Regisseur Sebastian Niemann an den Start.
artechock: In Stuttgart kooperiert Ihr diesmal für eine Matinee mit der Filmakademie Baden-Württemberg. Aber generell sind deutsche Genrefilme (nicht nur bei Euch) eine Seltenheit. Worin siehst du die Ursachen?
Frederike Dellert: Gute Leute mit Ideen und Expertise sind da, aber es fehlt unserer Meinung nach an Selbstbewusstsein in Sachen deutsches Genre. Es müsste sich mehr getraut und ausprobiert werden, um eine eigene Identität zu entwickeln, die letztendlich auch kommerzielle Früchte tragen würde. Unsere österreichischen Nachbarn sind da schon weiter.
artechock: Wird man irgendwann auch mal ein bisserl Genrefilm-müde und hat das Gefühl, schon alles gesehen zu haben?
Frederike Dellert: Wir sichten ca. 300 Filme pro Jahr, aber glücklicherweise gibt es auch nach 38 Jahren Fantasy Filmfest Überraschungen, Provokationen, Filme, die erstaunen, erschrecken oder einen nicht schlafen lassen.
In dieser Ausgabe Skunk von Koen Mortier etwa oder unser Centerpiece Maldoror von Fabrice du Welz. Ein Film, der lange nachwirkt, ist auch A Different
Man, produziert von A24.
artechock: Welche Trends, Themen siehst du in diesem Festivaljahrgang? Und was sind deine persönlichen Lieblingsfilme?
Frederike Dellert: Bodyhorror, Schlafanomalien und Zeitreisen. Ich persönlich habe mein Herz an die bitterböse Satire Plastic Guns von Jean-Christophe Meurisse verloren und an Humanist Vampire Seeking Consenting Suicidal Person, Ariane Louis-Seize' wunderbare Komödie über eine junge Vampirin, die sich nicht traut, Menschen etwas zu Leide zu tun.
artechock: Wie seht Ihr die Zukunft des Genrekinos – und die des Festivals?
Frederike Dellert: Wir freuen uns schon auf die 40. Jubiläumsausgabe in zwei Jahren, und dann auf die goldene 50 und sind gespannt auf all die gruseligen und spannenden Filme bis dahin.
Wenn eins niemals totzukriegen ist, dann ist es garantiert das Genrekino.
38. Fantasy Filmfest
04. – 18.09.2024
Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln, München, Nürnberg, Stuttgart