»Lieber Glück statt Reichtum« |
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Pawo Choyning Dorji Druk Thuksey | ||
(Foto: Jigm Tenzing) |
Pawo Choyning Dorji Druk Thuksey (geboren am 23. Juni 1983) ist ein bhutanischer Filmemacher und Fotograf. Sein Spielfilmregiedebüt Lunana: Lunana – Das Glück liegt im Himalaya (2019) wurde bei den 94. Academy Awards für den besten internationalen Spielfilm nominiert. Sein zweiter Film Was will der Lama mit dem Gewehr? (2023) stand auf der Shortlist für den Besten Internationalen Spielfilm bei den 96. Academy Awards und kommt nun in unsere Kinos.
Der Film parodiert gelungen westliche Werte wie Kapitalismus und Demokratie, zeigt aber auch mit dokumentarischem Ernst die Umstände der ersten demokratischen »Testwahlen« im Jahr 2007, nachdem der
buthanesiche König mit seiner Revolution »von oben« seine eigene Monarchie abgeschafft hatte, um das Land in die globale Moderne zu führen.
Pawo Choyning Dorji Druk Thuksey ist für das Interview aus einem Kloster in Bhutan zugeschaltet, in das er sich für einige Wochen zurückgezogen hat.
Das Gespräch führte Axel Timo Purr
artechock: Ich habe Ihren Film mit meiner 84-jährigen Schwiegermutter an ihrem Geburtstag gesehen. Sie war begeistert über die sehr positive Grundeinstellung Ihres Films. Für mich war es allerdings ein wenig anders, für mich stellt der Film auch sehr kritische, nicht nur positive Fragen, vor allem die, ob Demokratie wirklich für jede Kultur das richtige System ist. Da damit ja grundsätzlich westliche Werte in Frage gestellt werden, frage ich mich, ob es nicht schwierig war, westliche Geldgeber für Ihren Film zu gewinnen?
Pawo Choyning Dorji: Ich habe einen unglaublichen Weg hinter mir und hatte unfassbar viel Glück. Ich wurde ja erst vor ein paar Jahren, 2019, Filmemacher, als ich meinen ersten Film Lunana – Das Glück liegt im Himalaya fertigstellte. Ein kleiner Film mit minimalem Budget, nur einer Kamera und ohne Licht und mit Solarbatterien, weil wir in so einem entlegenen Teil Bhutans gefilmt haben. Aber er wurde völlig überraschend für die Oscars nominiert und allein deswegen hatte es mein zweiter Film nun viel leichter. Zwar haben einige Produzenten nach Sichtung des Drehbuchs genau das gesagt: du wischt der Demokratie eins aus, aber ich habe ihnen dann schnell klar gemacht, dass das nicht meine Intention ist und auch im Film nicht so zu sehen sein wird, sondern es viel mehr um den gesellschaftlichen Wandel in Bhutan geht. Und vor allem, wie Bhutan ein modernes Land wurde. Und weder beim Telluride Film Festival, wo der Film seine Premiere feierte, noch später, als der Film von Michael Moore als Eröffnungsfilm seines eigenen Festivals ausgewählt wurde, gab es irgendwelche Klagen, dass der Film »antidemokratisch« sei. Mehr noch meinte Moore, dass jeder Amerikaner diesen Film sehen sollte, um zu verstehen, wie Demokratie funktioniert.
artechock: Ihr Film endet im Jahr 2007 nach den Testwahlen. Was passierte danach? Wurde die Demokratie trotz der offensichtlichen Implementierungsschwierigkeiten in Bhutan »heimisch«?
Pawo Choyning Dorji: Wir sind als Land ziemlich einzigartig, nicht nur wegen unsers Staats-Buddhismus, sondern auch weil im Lauf der Geschichte zwei ähnliche Länder von ihren großen Nachbarn geschluckt worden sind: Sikkim von Indien und Tibet von China. Deshalb haben wir uns lange isoliert, das Fernsehen und das Internet verboten und stattdessen das Gross National Happiness (»Bruttonationalglück«) implementiert. Also lieber Glück statt Reichtum. Mit einem König als Oberhaupt und dem Buddhismus als Verfassung. So ging das auch lange Zeit gut, bis sich unser König entschlossen hat, die Dinge zu ändern, das Fernsehen und das Internet zuzulassen und den Staat zu modernisieren und sich selbst abzuschaffen, um nicht als letzter Staat der Welt ohne »Moderne« dazustehen. Davon handelt mein Film. Von dem Moment, in dem eine traditionelle Gesellschaft innerhalb weniger Tage zu einem modernen Staat wird. Ein Prozess, der, wie in den USA, sonst viel länger dauert. Deshalb ist es auch zu früh zu sagen, ob dieser Prozess in Bhutan erfolgreich, ob er gut für das Land ist. Jedenfalls ist es heute auch noch so wie in meinem Film, der ja in der Vergangenheit, 2007 spielt: die Leute wählen die Partei, die auch gut für den König ist, die »gelbe« Partei. Doch wir haben mit dieser Transformation nicht nur gewonnen. Was wir sicherlich ein klein wenig verloren haben, und das zeigt ja auch mein Was will der Lama mit dem Gewehr?, ist unsere »Unschuld«.
artechock: Meinen Sie das in Bezug auf die Religion, auf die Mönche, die ja in Ihrem Film eine wichtige Rolle spielen und denen von den Menschen ja in aller »Unschuld« Vertrauen entgegengebracht wird?
Pawo Choyning Dorji: Die Religion hier in Bhutan ist alles, sie ist sehr tief im Alltag verankert. Die Politik und dann natürlich auch das vorhin angesprochene »Bruttonationalglück«, das sind alles Dinge, die mit dem Buddhismus hier zu tun haben. Wenn der Lama wie in meinem Film ein Gewehr in seinen Händen hält, wird das nicht hinterfragt, weil man ihm völlig vertraut. Das ist die Unschuld, die ich meine. Und das ist auch der Grund, warum wir auf dem weltweiten Glücksindex nicht ganz oben stehen, sondern meist die skandinavischen Länder. Unser Glücksverständnis ist anders. Es wird durch gegenseitige Abhängigkeiten, aber im positiven Sinn, definiert. Dem wiederum eine selbstverständliche »Unschuld« zu Grunde liegt. Das bedeutet in aller Kürze: nur wenn alles um uns herum glücklich ist, sind auch wir glücklich. Das führt zu ganz besonderen Gesetzen – etwa dem, dass der Anteil des Waldes in unserem Land nicht unter 60 Prozent fallen darf, auch wenn wir als sehr armes Land das Geld aus diesen Rodungen sehr gut gebrauchen könnten. Genauso wenig erlauben wir Bergsteigen, weil wir glauben, dass dadurch unsere Berge verunreinigt werden. Das meine ich mit »Unschuld«. Reichtum spielt nicht die Rolle wie in der übrigen Welt.
artechock: Haben Sie gerade deshalb nicht Angst, dass durch die Öffnung Ihres Landes und die Demokratisierung negative Strukturen entstehen können, so wie etwa in Myanmar, das ja ebenfalls buddhistisch ist, wo der Buddhismus aber auch für die gewaltsame Vertreibung von Muslimen, den Rohingya, instrumentalisiert wird?
Pawo Choyning Dorji: Sicherlich, die Gefahr besteht. Allerdings haben wir in unserer Verfassung einen Passus, der es verbietet, dass Buddhismus mit Politik vermischt wird. Lamas dürfen etwa nicht in der Politik tätig werden.
artechock: Dennoch sieht man in Ihrem Film sehr gut, dass die »Unschuld« durch die Moderne bereits gelitten hat, etwa bei dem Taxifahrer des amerikanischen Waffenhändlers, der in durchaus prekären Verhältnissen lebt. Oder den Kriminellen, die bei Nacht und Nebel Waffen aus Indien schmuggeln...
Pawo Choyning Dorji: Oh ja, natürlich, es gibt extreme Armut. Es gibt Migration mit den üblichen Problemen, es gibt Arbeitslosigkeit...
artechock: Auch die Darstellung der rigide agierenden Polizei in ihrem Film wirkt durchaus kritisch. Wird das in Ihrem Land, wenn Sie den Film zeigen, ebenso gesehen? Als Kritik an bestehenden Verhältnissen oder als Darstellung ganz normalen Alltags...
Pawo Choyning Dorji: Als letzteres, es ist Alltag, wie ihn jeder kennt. Und es räumt auch mit diesem verträumten Bild von Bhutan im Ausland auf: wir haben all das und wir haben auch Nachtclubs und sogar Kriminelle. Wir stehen mit einem Bein in unseren Traditionen und mit dem anderen in der Moderne, das macht es komplex, das führt zu interessanten Geschichten, so wie die meines Films.
artechock: Gerade das mag ich auch an Ihrem Film, er kümmert sich auch um die Grauzonen, nicht nur um das Schwarz und das Weiss. Haben Sie denn bei all den Geschichten, die solche Transformationen erzeugen, bereits den nächsten Film in Planung?
Pawo Choyning Dorji: Nach der Oscar-Nominierung für meinen ersten Film und der Oscar-Shortlist für diesen Film muss ich natürlich weitermachen, auch wenn ich mehr oder weniger ins Filmemachen gestolpert bin und mir jeder abgeraten hat, damit weiterzumachen. Jetzt ist es allerdings an der Zeit für einen weiteren Schritt, der zumindest thematisch in eine andere Richtung geht, weil ich nicht als der Filmemacher dastehen möchte, der nur bhutanesische Filme macht. Ich bin ja auf der ganzen Welt groß geworden, habe in Indien, im Mittleren Osten, in den USA und Europa gelebt und möchte meinen »bhutanesischen Blick« nun auf eine andere Region richten und dort einen Film machen.
artechock: Vielen Dank für dieses Gespräch.
Pawo Choyning Dorji: Sehr gerne. Und grüßen Sie bitte Ihre Schwiegermutter von mir – es freut mich wirklich, dass ihr der Film gefallen hat.