01.08.2024

»Lieber Glück statt Reichtum«

 Pawo Choyning Dorji Druk Thuksey
Pawo Choyning Dorji Druk Thuksey
(Foto: Jigm Tenzing)

Der bhutanesische Filmemacher Pawo Choyning Dorji Druk Thuksey spricht im Interview über seinen neuen Oscar-shortgelisteten Film Was will der Lama mit dem Gewehr? und darüber was Bhutan war, ist und noch werden könnte...

Pawo Choyning Dorji Druk Thuksey (geboren am 23. Juni 1983) ist ein bhuta­ni­scher Filme­ma­cher und Fotograf. Sein Spiel­film­re­gie­debüt Lunana: Lunana – Das Glück liegt im Himalaya (2019) wurde bei den 94. Academy Awards für den besten inter­na­tio­nalen Spielfilm nominiert. Sein zweiter Film Was will der Lama mit dem Gewehr? (2023) stand auf der Shortlist für den Besten Inter­na­tio­nalen Spielfilm bei den 96. Academy Awards und kommt nun in unsere Kinos.
Der Film parodiert gelungen westliche Werte wie Kapi­ta­lismus und Demo­kratie, zeigt aber auch mit doku­men­ta­ri­schem Ernst die Umstände der ersten demo­kra­ti­schen »Test­wahlen« im Jahr 2007, nachdem der butha­ne­siche König mit seiner Revo­lu­tion »von oben« seine eigene Monarchie abge­schafft hatte, um das Land in die globale Moderne zu führen.
Pawo Choyning Dorji Druk Thuksey ist für das Interview aus einem Kloster in Bhutan zuge­schaltet, in das er sich für einige Wochen zurück­ge­zogen hat.

Das Gespräch führte Axel Timo Purr

artechock: Ich habe Ihren Film mit meiner 84-jährigen Schwie­ger­mutter an ihrem Geburtstag gesehen. Sie war begeis­tert über die sehr positive Grund­ein­stel­lung Ihres Films. Für mich war es aller­dings ein wenig anders, für mich stellt der Film auch sehr kritische, nicht nur positive Fragen, vor allem die, ob Demo­kratie wirklich für jede Kultur das richtige System ist. Da damit ja grund­sätz­lich westliche Werte in Frage gestellt werden, frage ich mich, ob es nicht schwierig war, westliche Geldgeber für Ihren Film zu gewinnen?

Pawo Choyning Dorji: Ich habe einen unglaub­li­chen Weg hinter mir und hatte unfassbar viel Glück. Ich wurde ja erst vor ein paar Jahren, 2019, Filme­ma­cher, als ich meinen ersten Film Lunana – Das Glück liegt im Himalaya fertig­stellte. Ein kleiner Film mit minimalem Budget, nur einer Kamera und ohne Licht und mit Solar­bat­te­rien, weil wir in so einem entle­genen Teil Bhutans gefilmt haben. Aber er wurde völlig über­ra­schend für die Oscars nominiert und allein deswegen hatte es mein zweiter Film nun viel leichter. Zwar haben einige Produ­zenten nach Sichtung des Drehbuchs genau das gesagt: du wischt der Demo­kratie eins aus, aber ich habe ihnen dann schnell klar gemacht, dass das nicht meine Intention ist und auch im Film nicht so zu sehen sein wird, sondern es viel mehr um den gesell­schaft­li­chen Wandel in Bhutan geht. Und vor allem, wie Bhutan ein modernes Land wurde. Und weder beim Telluride Film Festival, wo der Film seine Premiere feierte, noch später, als der Film von Michael Moore als Eröff­nungs­film seines eigenen Festivals ausge­wählt wurde, gab es irgend­welche Klagen, dass der Film »anti­de­mo­kra­tisch« sei. Mehr noch meinte Moore, dass jeder Ameri­kaner diesen Film sehen sollte, um zu verstehen, wie Demo­kratie funk­tio­niert.

artechock: Ihr Film endet im Jahr 2007 nach den Test­wahlen. Was passierte danach? Wurde die Demo­kratie trotz der offen­sicht­li­chen Imple­men­tie­rungs­schwie­rig­keiten in Bhutan »heimisch«?

Pawo Choyning Dorji: Wir sind als Land ziemlich einzig­artig, nicht nur wegen unsers Staats-Buddhismus, sondern auch weil im Lauf der Geschichte zwei ähnliche Länder von ihren großen Nachbarn geschluckt worden sind: Sikkim von Indien und Tibet von China. Deshalb haben wir uns lange isoliert, das Fernsehen und das Internet verboten und statt­dessen das Gross National Happiness (»Brut­to­na­tio­nal­glück«) imple­men­tiert. Also lieber Glück statt Reichtum. Mit einem König als Oberhaupt und dem Buddhismus als Verfas­sung. So ging das auch lange Zeit gut, bis sich unser König entschlossen hat, die Dinge zu ändern, das Fernsehen und das Internet zuzu­lassen und den Staat zu moder­ni­sieren und sich selbst abzu­schaffen, um nicht als letzter Staat der Welt ohne »Moderne« dazu­stehen. Davon handelt mein Film. Von dem Moment, in dem eine tradi­tio­nelle Gesell­schaft innerhalb weniger Tage zu einem modernen Staat wird. Ein Prozess, der, wie in den USA, sonst viel länger dauert. Deshalb ist es auch zu früh zu sagen, ob dieser Prozess in Bhutan erfolg­reich, ob er gut für das Land ist. Jeden­falls ist es heute auch noch so wie in meinem Film, der ja in der Vergan­gen­heit, 2007 spielt: die Leute wählen die Partei, die auch gut für den König ist, die »gelbe« Partei. Doch wir haben mit dieser Trans­for­ma­tion nicht nur gewonnen. Was wir sicher­lich ein klein wenig verloren haben, und das zeigt ja auch mein Was will der Lama mit dem Gewehr?, ist unsere »Unschuld«.

artechock: Meinen Sie das in Bezug auf die Religion, auf die Mönche, die ja in Ihrem Film eine wichtige Rolle spielen und denen von den Menschen ja in aller »Unschuld« Vertrauen entge­gen­ge­bracht wird?

Pawo Choyning Dorji: Die Religion hier in Bhutan ist alles, sie ist sehr tief im Alltag verankert. Die Politik und dann natürlich auch das vorhin ange­spro­chene »Brut­to­na­tio­nal­glück«, das sind alles Dinge, die mit dem Buddhismus hier zu tun haben. Wenn der Lama wie in meinem Film ein Gewehr in seinen Händen hält, wird das nicht hinter­fragt, weil man ihm völlig vertraut. Das ist die Unschuld, die ich meine. Und das ist auch der Grund, warum wir auf dem welt­weiten Glück­s­index nicht ganz oben stehen, sondern meist die skan­di­na­vi­schen Länder. Unser Glücks­ver­s­tändnis ist anders. Es wird durch gegen­sei­tige Abhän­gig­keiten, aber im positiven Sinn, definiert. Dem wiederum eine selbst­ver­s­tänd­liche »Unschuld« zu Grunde liegt. Das bedeutet in aller Kürze: nur wenn alles um uns herum glücklich ist, sind auch wir glücklich. Das führt zu ganz beson­deren Gesetzen – etwa dem, dass der Anteil des Waldes in unserem Land nicht unter 60 Prozent fallen darf, auch wenn wir als sehr armes Land das Geld aus diesen Rodungen sehr gut gebrau­chen könnten. Genauso wenig erlauben wir Berg­steigen, weil wir glauben, dass dadurch unsere Berge verun­rei­nigt werden. Das meine ich mit »Unschuld«. Reichtum spielt nicht die Rolle wie in der übrigen Welt.

artechock: Haben Sie gerade deshalb nicht Angst, dass durch die Öffnung Ihres Landes und die Demo­kra­ti­sie­rung negative Struk­turen entstehen können, so wie etwa in Myanmar, das ja ebenfalls buddhis­tisch ist, wo der Buddhismus aber auch für die gewalt­same Vertrei­bung von Muslimen, den Rohingya, instru­men­ta­li­siert wird?

Pawo Choyning Dorji: Sicher­lich, die Gefahr besteht. Aller­dings haben wir in unserer Verfas­sung einen Passus, der es verbietet, dass Buddhismus mit Politik vermischt wird. Lamas dürfen etwa nicht in der Politik tätig werden.

artechock: Dennoch sieht man in Ihrem Film sehr gut, dass die »Unschuld« durch die Moderne bereits gelitten hat, etwa bei dem Taxi­fahrer des ameri­ka­ni­schen Waffen­händ­lers, der in durchaus prekären Verhält­nissen lebt. Oder den Krimi­nellen, die bei Nacht und Nebel Waffen aus Indien schmug­geln...

Pawo Choyning Dorji: Oh ja, natürlich, es gibt extreme Armut. Es gibt Migration mit den üblichen Problemen, es gibt Arbeits­lo­sig­keit...

artechock: Auch die Darstel­lung der rigide agie­renden Polizei in ihrem Film wirkt durchaus kritisch. Wird das in Ihrem Land, wenn Sie den Film zeigen, ebenso gesehen? Als Kritik an bestehenden Verhält­nissen oder als Darstel­lung ganz normalen Alltags...

Pawo Choyning Dorji: Als letzteres, es ist Alltag, wie ihn jeder kennt. Und es räumt auch mit diesem verträumten Bild von Bhutan im Ausland auf: wir haben all das und wir haben auch Nacht­clubs und sogar Krimi­nelle. Wir stehen mit einem Bein in unseren Tradi­tionen und mit dem anderen in der Moderne, das macht es komplex, das führt zu inter­es­santen Geschichten, so wie die meines Films.

artechock: Gerade das mag ich auch an Ihrem Film, er kümmert sich auch um die Grauzonen, nicht nur um das Schwarz und das Weiss. Haben Sie denn bei all den Geschichten, die solche Trans­for­ma­tionen erzeugen, bereits den nächsten Film in Planung?

Pawo Choyning Dorji: Nach der Oscar-Nomi­nie­rung für meinen ersten Film und der Oscar-Shortlist für diesen Film muss ich natürlich weiter­ma­chen, auch wenn ich mehr oder weniger ins Filme­ma­chen gestol­pert bin und mir jeder abgeraten hat, damit weiter­zu­ma­chen. Jetzt ist es aller­dings an der Zeit für einen weiteren Schritt, der zumindest thema­tisch in eine andere Richtung geht, weil ich nicht als der Filme­ma­cher dastehen möchte, der nur bhuta­ne­si­sche Filme macht. Ich bin ja auf der ganzen Welt groß geworden, habe in Indien, im Mittleren Osten, in den USA und Europa gelebt und möchte meinen »bhuta­ne­si­schen Blick« nun auf eine andere Region richten und dort einen Film machen.

artechock: Vielen Dank für dieses Gespräch.

Pawo Choyning Dorji: Sehr gerne. Und grüßen Sie bitte Ihre Schwie­ger­mutter von mir – es freut mich wirklich, dass ihr der Film gefallen hat.