Abgründe einer Welt, in der immer die Sonne scheint |
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Ernst neben Komik: Finsterworld |
Nach einigen Dokumentarfilmen ist Finsterworld Frauke Finsterwalders erster Spielfilm. Das Drehbuch hat sie mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Christian Kracht, geschrieben. Der Film zeigt ein Deutschland, in dem immer die Sonne scheint, Abgründe und Perversitäten jedoch hinter jeder Ecke lauern. Irgendwo zwischen alptraumhafter Wirklichkeit und modernem Märchen bewegen sich die teilweise skurrilen und doch immer liebenswürdigen Figuren: Ein Fußfetischist, der Herzkekse aus Fußstaub bäckt, ein Polizist, der gerne Tierkostüme trägt, eine unzufriedene Dokumentarfilmerin und ein im Wald lebender Aussteiger, der einen Raben dressiert. All diese Figuren verbindet die Sehnsucht nach Wärme und die Suche nach Gemeinschaft in einer grotesk überzeichneten Welt, die traurig und komisch zugleich ist.
Das Gespräch führte Anna Steinbauer.
artechock: Was ist das für eine Welt, die in dem Film Finsterworld beschrieben wird?
Frauke Finsterwalder: Es ist eine Welt, in der immer die Sonne scheint und alles wunderschön aussieht, eine Welt, die hinter der schönen Oberfläche manchmal traurig, manchmal aber auch sehr lustig ist. Insgesamt ist es wirklich ein sehr lustiger Film, das möchte ich doch ausdrücklich betonten, obwohl er gleichzeitig auch horrorartige Momente hat.
artechock: Wie viel hat diese Welt mit unserer Realität zu tun?
Finsterwalder: Dadurch, dass er durch seine Bildsprache ein hochstilisierter Film ist und ja auch durch den Titel Finsterworld schon klar wird, dass er eine eigene, fast comichafte Welt beschreibt, kann jeder selbst entscheiden, ob er glauben will, was er da sieht. Das ist auch die Idee des Films, dass man nicht mit dem Zeigefinger auf die Welt zeigt und sagt, so ist die Welt, sondern dass es eine gewisse Offenheit gibt.
artechock: Wie ist denn der Film entstanden, das Drehbuch hast du ja zusammen mit deinem Mann Christian Kracht geschrieben?
Finsterwalder: Meine Dokumentarfilme davor handelten alle von Deutschland und ich lebte zu der Zeit schon im Ausland und wollte eigentlich auf gar keinen Fall einen Film machen, der in Deutschland spielt. Die Idee zu dem Film ist letztendlich auf der deutschen Autobahn geboren worden. Wir waren nach längerer Zeit wieder einmal zu Besuch in Deutschland und in einem nagelneuen, deutschen Mietauto unterwegs auf der Autobahn. Wir saßen also in diesem schallisolierten Auto, sahen aus dem Fenster und erblickten um uns herum eigentlich nur Straßen, Beton, andere Autos und Menschen, die sich in diesem Todesrasen bewegten. Ausgehend von dieser Autobahnfahrt entwickelten sich die einzelnen Erzählstränge, es gab aber keinen klaren Plan. Die Figuren sind aus dem Bauch heraus entstanden und haben sich dann auch verselbstständigt oder entstanden im Gespräch. Oder wir sprachen in den Figuren zueinander und so ergaben sich dann die Dialoge.
artechock: Du kommst vom Dokumentarfilm, wie kam es zu der Entscheidung, einen Spielfilm zu machen?
Finsterwalder: Ich wollte immer schon ausprobieren, einen Spielfilm zu machen. Es ist schon so, dass ich den Dokumentarfilm immer als einschränkend empfunden habe, obwohl man durchaus auch viele Vorteile wie z. B. ein kleines Team oder günstigere Produktionsbedingungen, hat. Aber man hat mit Menschen zu tun, keinen Schauspielern und ist immer darauf bedacht, die jetzt nicht komplett bloßzustellen. Beim Spielfilm kann ich, angefangen bei der Wandfarbe bis über die Kleidung der Schauspieler, alles selbst entscheiden, so dass man auch wirklich eine eigene Welt kreieren kann. Das hat mich sehr gereizt.
artechock: Eine der Figuren, Franziska, ist eine Dokumentarfilmemacherin, die durch eine Schaffenskrise geht. Wie viel steckt da von deinen eigenen Erfahrungen drin, ist der Film eine Absage an den Dokumentarfilm?
Finsterwalder: Nein auf gar keinen Fall, das habe ich studiert und ich mag Dokumentarfilme sehr gerne. Es ist eher so, dass da zum Teil meine eigenen Erfahrungen eingeflossen sind, Krisen durch die man geht, wenn man z. B. feststellt, dass der Film, den man machen möchte gar nicht zu machen ist. Es passiert ja nicht immer das, was man sich gerade wünscht, was passieren sollte, da das ja alles echte Menschen sind, mit denen man arbeitet.
artechock: Wie sympathisch ist dir die Figur der Franziska?
Finsterwalder: Ich finde sie in ihrer Verzweiflung sehr sympathisch und das ist auch das tolle daran, wie Sandra Hüller sie spielt, dass man ihr abnimmt, dass es ihr mit ihrem Problem wirklich ernst ist. Leider vergisst sie dabei ihren Freund. Das ist etwas, was sehr vielen Figuren in dem Film passiert. Mit dem, was sie tun und machen sind sie zufrieden, aber die Menschen um sie herum haben darunter zu leiden.
artechock: Gibt es eine deutsche Seele in dem Film und was war dir wichtig an der Darstellung Deutschlands?
Finsterwalder: Es geht um Themen, die mich schon seit meiner Kindheit beschäftigen, es geht um die deutsche Geschichte, das gestörte Verhältnis das man als Deutscher zu seinem Land hat, besonders wenn man im Ausland ist. Dort wird man stärker mit Kritik an Deutschland konfrontiert als in Deutschland selber.
artechock: Also konntest du den Film nur mit einem bestimmten Au ßenblick machen?
Finsterwalder: Ich glaube es ist weniger ein Außenblick als ein Blick in das tiefe Innere, das ist so wie im Film das Abhobeln der Hornhaut in der Szene, als Claude Frau Sandberg die Füße behandelt. So funktioniert eben auch der Film, man kuckt darunter. Vielleicht traut man sich das eher, wenn man nicht ständig umgeben ist von Leuten, die kommentieren, was man denkt oder wenn man weniger über Deutschland spricht und auch nicht an der aktuellen Tagesdiskussion beteiligt ist. Vielleicht ist es auch ein Vorteil, weil man sich eher traut, Dinge zu formulieren, als wenn man unmittelbar drinsteckt.
artechock: Da fällt mir die Figur des Aussteigers, der nur mit seiner Krähe im Wald lebt, ein..
Finsterwalder: Im deutschen Märchenwald mit diesem Mann beginnt ja alles. Er hat sich von dem Rest der Welt freigemacht und lebt in einer Art paradiesischem Zustand. Letztlich ist er eine der wenigen Figuren, die damit glücklich ist, wie sie lebt – außerhalb der Zivilisation. Er gewinnt ja dann den Vogel als Freund und baut eine sehr liebevolle Beziehung zu dem Tier auf.
artechock: Am Schluss sagt Franziska: »Wäre es nicht besser, wenn es keine Menschen auf der Welt gäbe?« Gilt das auch für den Einsiedler, in dessen Welt plötzlich das Außen dringt?
Finsterwalder: Das Motiv des Verletztseins zieht sich durch den ganzen Film, z. B. spricht auch die Figur Dominik darüber, wie es ist, wenn man erwachsen wird und dass man sich mit den zunehmenden Verletzungen immer mehr verschließt. Der Einsiedler ist in meiner Phantasie jemand, der sehr viele Verletzungen in der Welt da draußen erlebt hat und der sich dazu entschlossen hat, dass sein Leben für ihn besser ist ohne Menschen. Er möchte sich dieses Kindliche, den Urzustand bewahren. Allerdings bricht dann das Außen doch in sein Leben ein und das endet dann schrecklich für ihn. Es ist ja auch interessant, dass er dann mit seinem Schuss denjenigen trifft, der ihm am ähnlichsten ist.
artechock: Mir persönlich sind ja die meisten Figuren des Films sehr sympathisch, da alle ihre Abgründe und Perversitäten haben...
Finsterwalder: Das ist leider etwas, was es im deutschen Film momentan nicht so gibt, das Nebeneinander von Ernst und Komik. Ich glaube das ändert sich jetzt ein bisschen, aber es gab lange Zeit nur die absolute Komik oder den absoluten Ernst. Dass Komik und Ernst aber eigentlich sehr nahe beieinander liegen, darum geht es in dem Film auch.