01.11.2012

»Ich krieg den ›Tatort‹ einfach nicht!«

Szenenbild ALLES WIRD GUT
Casten gegen den Mainstream:
Alles wird gut
(Foto: NFP)

Filmregisseur Niko von Glasow über seinen neuesten Film Alles wird gut, die Arbeit mit behinderten und nichtbehinderten Schauspielern und warum nicht nur alles gut wird, sondern schon alles gut ist.

Niko von Glasow (geborener Brücher), Jahrgang 1960, hat eine Bilder­buch­lauf­bahn im Film hingelegt. Gelernt hat er an der Film­aka­demie in Lódz/Polen und der New York Univer­sity, er hat bei den unter­schied­lichsten Regis­seuren assis­tiert und mehrere Kinofilme reali­siert. Aufgrund einer Contergan-Schä­di­gung hat er kurze Arme und sich in seinen Filmen auch mit dem Thema Behin­de­rung ausein­an­der­ge­setzt. In seinem Film Alles wird gut vermi­schen sich Doku­men­ta­tion und Fiktion zu einer span­nenden Einheit.

Das Gespräch führte Magali Thomas.

artechock: Was erwartet die Kino­zu­schauer beim Film Alles wird gut?

Niko von Glasow: Alles wird gut ist ein Film, für Menschen, die gerne im Kino lachen und die gerne im Kino weinen und die Schau­spieler lieben und die Kino mögen. Und man sollte in den Film reingehen, weil man einfach Spaß hat an guten Geschichten.

artechock: Siehst du dich selber als Künstler?

von Glasow: Ich bin ja sozusagen in den 60er, 70er Jahren groß­ge­worden und ich wollte immer Hand­werker werden. Ich wollte immer Regisseur im ameri­ka­ni­schen Sinn werden. So als Gegen­re­ak­tion gegen die jungen deutschen Filmer.

artechock: Regisseur im Sinne von Main­stream?

von Glasow: Filme­ma­cher ist der Autoren­filmer, der seine Dreh­bücher selber schreibt sich selber produ­ziert und dann alle paar Jahre Schau­spieler führt. Und dann gibt es den Regisseur, der vom Produ­zenten ange­stellt, ein Drehbuch kriegt und einen Film durch­führt. Und das war mein Traum eigent­lich. Aber das ist dann doch nicht Wirk­lich­keit geworden. Viel­leicht auch, weil man als behin­derter Regisseur keine Jobs kriegt. Also ich krieg einfach den „Tatort“ nicht.
Und somit musste ich aus der Not eine Tugend machen und jetzt habe ich halt eine Firma mit einem Büro in London, in Berlin und in Köln. Bin mein eigener Chef und bin halt doch ein Produzent, Regisseur und Dreh­buch­autor geworden.

artechock: Den „Tatort“ nicht angeboten zu bekommen. Glaubst du wirklich, das hat was mit deiner Behin­de­rung zu tun?

von Glasow: Glaubst du, dass Frauen benach­tei­ligt werden in Vorstands­vor­sit­zen­den­jobs? Warum glaubst du dann nicht, dass es schwierig für Behin­derte ist?

artechock: Weil ich mir vorstellen könnte, dass du schon sehr gute Verbin­dungen zu den ganzen Leuten hast, die in den Redak­tionen sitzen.

von Glasow: Mein Vater war ein großer Verleger und er hat immer gesagt, er findet Frauen ganz toll. Findet die sowieso viel intel­li­genter als Männer. Aber Chef­re­dak­teurin wurde bei ihm keine Frau. Alle meine macht­vollen Freunde in der Film­in­dus­trie würden natürlich niemals sagen, ich stelle keine Behin­derten ein. Niemand würde sagen, er ist behin­der­ten­feind­lich. Gibt’s ja gar nicht. Gibt es jemanden, der behin­der­ten­feind­lich ist? Nein! Aber die Wahrheit ist, sie tun es trotzdem nicht. Das ist so ein archai­scher Moment, glaube ich, dass man sich doch davor scheut ein schwaches Glied der Gesell­schaft zum Chef zu machen.

artechock: Du sagst die Präsenz der behin­derten Menschen auf der Bühne ist stärker als die der nicht­be­hin­derten Menschen.

von Glasow: Die Frage bei Alles wird gut, die wir uns sehr früh stellen mussten, war eine Ener­gie­frage. Ein Mensch, der im Rollstuhl sitzt ist jemand, der sehr viel Lebens­er­fah­rung hat. Jemand, der auch sehr viel Leid erlebt hat, auch viel Glück in einer extre­meren Form als die soge­nannten normalen Menschen. Und wenn du einen Profi­sch­au­spieler mit Down Syndrom auf die Bühne setzt und daneben setzt du einen soge­nannten normalen Schau­spieler, dann ist da so ein Ener­gie­ab­fall. Erst wenn der soge­nannte normale Schau­spieler zu einer eigenen Wirk­lich­keit und Verletz­lich­keit findet, kann er sozusagen konkur­rieren mit dem Schau­spieler mit Down Syndrom.

artechock: Wie hast du die Schau­spieler ausge­sucht: behin­derte wie nicht­be­hin­derte?

von Glasow: Bei Alles wird gut haben wir ein ganz normales Casting gemacht. Ich hab mir sehr viele Menschen angeguckt, getroffen und mit ihnen Probe­auf­nahmen gemacht. Und dann hatte ich so ein Gefühl, was für eine Truppe ich brauchte. Was für unter­schied­liche Energien und Charak­tere ich brauchte. Dann hab ich nach Qualität, nach künst­le­ri­scher Kraft ausge­sucht. Das ist ja das inter­es­sante.Wenn man mit Behin­derten zusammen ist, vergißt man das nach einer halben Stunde. Also hab ich gar nicht mehr gesehen, dass der eine im Rollstuhl war. Ich hab’s einfach vergessen. Die Schau­spieler, die ihre Schwäche zugegeben haben, die haben mich natürlich mehr inter­es­siert, als die Schau­spieler, die versucht haben mit Schau­spie­lerei irgendwas darzu­stellen.

artechock: Ist Behin­de­rung dann eine Qualität?

von Glasow: Natürlich ist Behin­de­rung eine Qualität. Wenn etwas hindert, entsteht dadurch Kraft, Energie. Sagen wir mal du lässt deinen Fluss einfach fließen, dann ensteht keine Energie, erst wenn du so eine Turbine dazwi­schen schaltest, dann entsteht Energie. Und natürlich entsteht Kraft durch Schwie­rig­keiten und auch Humor. Du kannst keine Komödie machen ohne schwarzen Hinter­grund. Nur dadurch entsteht Lachen. Wenn einer über einen Stein stolpert, ist das lustig. Wenn ein Liebes­paar auf einer grünen Wiese sitzt, dann ist das nicht lustig. Außer es regnet.

artechock: Wie weit darf man als Regisseur gehen?

von Glasow: Ich arbeite als Regisseur mit psycho­lo­gi­schen Mitteln. Ich hab im Actors Studio in New York Schau­spiel­füh­rung gelernt. Das ist eine Tradition, wo man sehr nah an die Lebens­welten der Schau­spieler geht. Man muss nur aufpassen, dass der Schau­spieler niemals in das schwarze Loch fällt. Das heißt, ich kann sehr nah an die Grenze gehen, besonders bei behin­derten Schau­spie­lern. Aber ich darf natürlich auch die Grenze nicht über­schreiten. Und da wird’s dann spannend. Ich würde nie unter die Gürtel­linie hauen, aber ich kann durchaus mal in den Magen boxen. Das ist eine Instinkt­frage und natürlich kann ich als behin­derter Regisseur da durchaus weiter gehen, als ein soge­nannter nicht­be­hin­derter Regisseur.

artechock: Ist der Titel Alles wird gut so etwas wie ein Mantra?

von Glasow: Mit fünf Jahren wollte ich Regisseur werden und mit fünf Jahren bin ich auch Buddhist geworden. Und ich habe viel über die buddhis­ti­schen Ideen nach­ge­dacht. Daher glaube ich zutiefst, nicht nur dass alles gut wird, sondern alles gut ist. Oder es ist halt so wie es ist und die Frage ist, wie betrachten wir die Situation. Ist eine Situation so wie sie ist, können wir ja nichts dran ändern, aber wir können sie anders betrachten. Und so können wir aus einer scheinbar schwie­rigen Situation eine schöne Situation machen. Wir können aber auch aus einer sehr schönen Situation eine Scheiß­si­tua­tion machen.

artechock: Welche Projekte stehen jetzt an?

von Glasow: Ich drehe gerade einen Kino­do­ku­men­tar­film über die Para­lym­pics, das wird aber wahr­schein­lich dann erst mal mein letzter Film über Behin­derte. Und dann drehe ich einen Film mit Teenagern, der jetzt mal im Arbeits­titel Shoot me, fuck you heißt. Dann drehe ich einen Film der in Tibet spielt. Eine Geschichte über ein Mädchen, das aus Versehen in einer Kiste zu einer neuro­ti­schen Familie in New York geschickt wird. Und diese Familie aus ihrem Wahnsinn führt. Und dann drehe ich noch ein Musical. Ja, ich hab ziemlich viel zu tun.