27.10.2022

Non, je ne regrette rien

Claus Hadenfeldt
Claus Hadenfeldt in seinem Bildwerferraum
(Foto: Axel Timo Purr)

Wie bei Asterix und den Galliern trotzt auch im kleinstädtischen Alzey ein Kino den Angriffen einer (kinofeindlichen) Übermacht. Besitzer Claus Hadenfeldt erklärt im Interview, wie er überlebt

Das Gespräch führte Axel Timo Purr

Das Bali Kino in der rhein­hes­si­schen Stadt Alzey wurde 1954 als Bahn­hofs­licht­spiele in der Nähe vom Bahnhof Alzey eröffnet und ist eines der letzten vier verblie­benen Bahnhofs(BA-) Licht­spiel­häuser(LI) in Deutsch­land. Unter den Bahn­hofs­kinos nimmt das Alzeyer Kino eine Sonder­rolle ein, da es eines der wenigen ist, welches sich in einer Klein­stadt befand. Das Programm unter­schied sich dadurch deutlich von den Bahn­hofs­kinos in Großs­tädten wie München, Frankfurt, Stuttgart, Düssel­dorf oder Köln, wo nicht zuletzt die Anony­mität dafür sorgte, dass man dort Filme zeigte, die es anderswo nicht zu sehen gab. Der Filme­ma­cher und arte-Redakteur Oliver Schwenn hat in seiner Doku­men­ta­tion Cinema Perverso – die kaputte Welt des Bahn­hofs­kinos auch das Bali in Alzey porträ­tiert, in der auch die mit 83 Jahren und 54 Dienst­jahren wohl älteste Kino-Ticket­ver­käu­ferin Deutsch­lands einen Aufritt hat.
Nach dem Kauf des tradi­ti­ons­rei­chen, vor der Aufgabe stehenden Licht­spiel­hauses im Herbst 2012 hat der neue Inhaber Claus Haden­feldt eine sechs­stel­lige Summe in moderne Bild- mit 3D-Technik (HFR-3-D-Format, heute die selbst unter Green­tain­ment vertrie­bene White Laser Tech­no­logie), Tontechnik (Dolby 7.1 Surround Sound, heute VPT Intense), einen neuen Boden und eine neue Bestuh­lung für den 200-Sitze-Saal inves­tiert. Neben dem Digi­tal­pro­jektor steht im Bild­wer­fer­raum auch noch ein alter, weiterhin einsatz­be­reiter 35mm-Film­pro­jektor.

artechock: Die letzten zwei Jahre waren keine einfachen Jahre und neueste Zahlen belegen, dass wohl eher Pessi­mismus ange­bracht ist – um etwas mehr als 38 Prozent schrumpften die Besu­cher­zahlen im Vergleich zu 2019, dem letzten Jahr vor Corona. Weder Top Gun: Maverick noch Phan­tas­ti­sche Tierwesen – Dumble­dores Geheim­nisse konnten die Bilanz entschei­dend aufbes­sern. Was haben Sie während der Schließ­zeiten und danach gemacht, um über die Runden zu kommen und das Kino­pu­blikum wieder ins Kino-Boot zu holen?

Haden­feldt: Wir haben schon immer Specials gemacht. Also immer das Erlebnis Kino ins Zentrum gestellt und sind auf unser Ziel­pu­blikum zuge­gangen. Und wir uns während der Schließ­zeiten auch Gags erlaubt haben. Wir haben das beste Popcorn und sagen das auch explizit und haben statt Filmen dann einfach nur noch Popcorn verkauft. Weil das aber eine nicht erlaubte Neben­leis­tung ist, durften wir es nicht mehr im Kino verkaufen. Aber wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Und da ich hier gut vernetzt bin, kam eine Tank­stelle auf mich zu und hat gesagt, ihr könnt Euer hier Popcorn hinstellen. Ich weiß nicht, wie viel tausend Packungen wir da verkauft haben. Man kann da zwar nicht von leben. Aber das Bali-Kino blieb im Gespräch, wir waren nicht tot.

artechock: Und nach der Wiede­r­eröff­nung?

Haden­feldt: Wir haben die Ziel­grup­pen­ar­beit weiter verstärkt. Zum Beispiel vor kurzem der neue Eberhofer-Krimi, das Gugl­hupf­ge­schwader. Da gab es lokales Bier von einem lokalen Bier­brauer ohne Konser­vie­rungs­stoffe. Ganz fein. Und dann haben wir uns hier Fleisch geholt und haben gegrillt. Die Leute waren begeis­tert. Und haben den Film gesehen. Die Bude war voll. Viermal, fünfmal ausver­kauft.

artechock: Haben Sie es denn wieder auf den Stand von 2019 geschafft?

Haden­feldt: Ja, haben wir. Man muss einfach besser sein, am und mit dem Publikum arbeiten. Und das spricht sich rum. Wir kriegen hier Besuch von anderen Kinos, die vier oder fünf Säle haben. Aber die sind leer. Und bei uns, unser einer große Saal. der ist immer gut gefüllt. Wenn der Film gut ist.

artechock: Wie funk­tio­niert denn im klein­s­täd­ti­schen Umfeld die Ziel­grup­pen­ar­beit, denn auf Würstchen und Bier allein kann man sich ja nicht immer verlassen?

Haden­feldt: Alzey hat viele Schulen. 8000 Schüler pendeln jeden Tag rein und raus..

artechock: Das habe ich gesehen, das fängt ja hier gleich um die Ecke an...

Haden­feldt: Da ist richtig der Bär los. Deshalb habe ich enge Verbin­dungen zu den Schulen aufgebaut. Und wenn dort ein Buch gelesen wird, treibe ich den Film dazu auf und arran­giere Schul­vor­stel­lungen, und das sehr regel­mäßig. Denn was ein Regisseur aus einem Buch macht, ist in der Regel etwas anderes und ein wichtiger Bildungs­bei­trag, an dem die Schulen und ihre Lehrer, aber auch die Schüler sehr inter­es­siert sind.

artechock: Das heißt, bei klas­si­scher Schul­lek­türe, sei es Manns Zauber­berg oder Herrn­dorfs Tschick erhalten Sie einen Anruf?

Haden­feldt: Ja, aber nicht nur Schul­lek­türe. Heute rief z.B. eines der Gymnasien an. Die haben einen Spanisch­kurs. Und ob wir nicht zu Weih­nachten einen spani­schen Film hätten? Haben wir. Mit den Volks­hoch­schulen arbeiten wir ebenfalls zusammen. Die haben ihr Jahres­pro­gramm und fragen schon sehr früh für den und den Film an. Origi­nal­fas­sungen in Fran­zö­sisch und Englisch. Durch die Digi­ta­li­sie­rung können wir das ja alles sehr zügig umsetzen.

artechock: Mit OFs ist es bei Neustarts ja sonst eher ein Problem, da spielen die Verleiher ja nicht mit...

Haden­feldt: Da möchte ich gar nicht drüber reden. Aber zumindest haben wir als kleines Kino mit über­durch­schnitt­li­chen Umsätzen inzwi­schen auch das Privileg, einen Film zum offi­zi­ellen Start­termin zu kriegen, so wie jetzt Die Schule der magischen Tiere 2. Das bedeutet zwar, dass wir drei Wochen lang diesen Film spielen müssen, aber der Film hat auch die Zeit sich zu entwi­ckeln, sich rumzu­spre­chen, empfohlen zu werden.

artechock: Er hat im Grunde also den Vorlauf, den früher fast jeder Film hatte. Denn weil es vor 20 Jahren nur ein Drittel der Neustarts von heute gab, blieben die Filme länger in den Kinos, da gab es dieses klas­si­sche „Radio Trottoir“, konnten Filme erst durch die Weiter­emp­feh­lung groß werden. Aber funk­tio­niert das auch in einem so kleinen Ort?

Haden­feldt: Ich bin nicht nur Volkswirt, sondern auch Regio­nal­wis­sen­schaftler. In der normalen Ökonomie findet der wirt­schaft­liche Vorgang als Punkt statt. Aber die Ökonomie der Fläche ist etwas anderes. Bevor ich das Kino hier vor zehn Jahren gekauft und renoviert habe, habe ich geguckt, wie groß der Einzugs­be­reich ist. Koblenz ist nah, Mainz ist nah. Und da bin ich bei 150 bis 160 Ziel­gruppen hängen­ge­blieben und habe mir gesagt, das packen wir, denn die Leute wollen nicht nach Mainz oder Koblenz fahren. Weil es dann doch zu weit ist. Außerdem kostet Parken dort etwas. Hier gibt es Park­plätze bis zum Abwinken. Und dann sind da z.B. noch die Opern, die wir live über­tragen und damit unsere Opern-Fans ins Haus holen, die nicht mehr nach Bregenz fahren müssen. Und bei den Über­tra­gungen aus Sydney lege ich Wert darauf, dass wir deutsche Unter­titel haben. Die Leute lieben das. Endlich verstehe ich, was die Alte da singt. Das ist ein fester Stamm von Leuten. Und die kommen dann auch zu anderen Filmen.

artechock: Das heißt, die Auslas­tung ihres Kinos reicht für die Finan­zie­rung des laufenden Betriebs, sie müssen von ihrem Vermögen nichts hinzu­schießen?

Haden­feldt: Ja, es reicht, und ich kann meine Mitar­beiter gut bezahlen. Und anders als die meisten Kinos der Region sind wir nicht subven­tio­niert, sondern überleben rein privat­wirt­schaft­lich. Inde­pen­dent!
Aber im Normal­be­trieb bedeutet das auch viel Arbeit, denn es geht ja um die Bedeutung des Kinos. Dieses gemein­schaft­liche Gefühl, das gemein­schaft­liche Tagträumen, dass man sich austauscht. Ich rede da relativ viel drüber mit den Eltern, die ihre Kinder hier einfach nur abgeben wollen, damit Sie mal Zeit für sich haben. Tun Sie sich das nicht an! Verbringen Sie die Zeit gemeinsam mit den Kindern und sprechen Sie über die Filme. Das ist ein wert­volles Gut.

artechock: Hatten Sie denn selbst eine so positive Kino­er­fah­rung als Kind?

Haden­feldt: Mit meinem Vater, aber ganz und gar nicht so erfolg­reich, so positiv, er war Maurer. Ich habe ihn überredet ins Kino zu fahren. Ich habe mir den Film selbst auswählen dürfen, aber er hat danach geschimpft wie ein Rohrspatz. 2001 – Odyssee im Weltraum war das. Warum nur diesen Film!? hat er gefragt Was soll das? Kein echter Anfang und kein Happy End. Aber in mich hat sich dieser Film hinein­ge­fressen. Herrlich. Und das war dann gewis­ser­maßen auch der Start meiner Kino­be­geis­te­rung.

artechock: Die sie beruflich aber erst viele Jahre später umsetzen konnten, nach Jahren in der freien Wirt­schaft als Versi­che­rungs­makler. Bereuen Sie nach zehn Jahren diesen Schritt getan zu haben?

Haden­feldt: Nein, ich bereue nichts. Im Gegenteil. Es gibt keine höhere Entloh­nung, als die, wenn der Film vorbei ist und es kommen Leute aus meinem Kino, auf der einen Seite eine Träne des Trauerns, auf der anderen Seite eine Träne der Freude. Und die Leute dann sagen: »Herr Haden­feldt, schön, dass Sie unser Kino hier gerettet haben. Und was haben Sie nur daraus gemacht?!«