Non, je ne regrette rien |
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Claus Hadenfeldt in seinem Bildwerferraum | ||
(Foto: Axel Timo Purr) |
Das Gespräch führte Axel Timo Purr
Das Bali Kino in der rheinhessischen Stadt Alzey wurde 1954 als Bahnhofslichtspiele in der Nähe vom Bahnhof Alzey eröffnet und ist eines der letzten vier verbliebenen Bahnhofs(BA-) Lichtspielhäuser(LI) in Deutschland. Unter den Bahnhofskinos nimmt das Alzeyer Kino eine Sonderrolle ein, da es eines der wenigen ist, welches sich in einer Kleinstadt befand. Das Programm unterschied sich dadurch deutlich von den Bahnhofskinos in Großstädten wie München, Frankfurt, Stuttgart,
Düsseldorf oder Köln, wo nicht zuletzt die Anonymität dafür sorgte, dass man dort Filme zeigte, die es anderswo nicht zu sehen gab. Der Filmemacher und arte-Redakteur Oliver Schwenn hat in seiner Dokumentation Cinema Perverso – die kaputte Welt des Bahnhofskinos auch das Bali in Alzey porträtiert, in der auch die mit 83 Jahren und 54 Dienstjahren wohl älteste
Kino-Ticketverkäuferin Deutschlands einen Aufritt hat.
Nach dem Kauf des traditionsreichen, vor der Aufgabe stehenden Lichtspielhauses im Herbst 2012 hat der neue Inhaber Claus Hadenfeldt eine sechsstellige Summe in moderne Bild- mit 3D-Technik (HFR-3-D-Format, heute die selbst unter Greentainment vertriebene White Laser Technologie), Tontechnik (Dolby 7.1 Surround Sound, heute VPT Intense), einen neuen Boden und eine neue Bestuhlung für den 200-Sitze-Saal investiert. Neben dem Digitalprojektor steht im Bildwerferraum auch noch ein alter, weiterhin einsatzbereiter 35mm-Filmprojektor.
artechock: Die letzten zwei Jahre waren keine einfachen Jahre und neueste Zahlen belegen, dass wohl eher Pessimismus angebracht ist – um etwas mehr als 38 Prozent schrumpften die Besucherzahlen im Vergleich zu 2019, dem letzten Jahr vor Corona. Weder Top Gun: Maverick noch Phantastische Tierwesen – Dumbledores Geheimnisse konnten die Bilanz entscheidend aufbessern. Was haben Sie während der Schließzeiten und danach gemacht, um über die Runden zu kommen und das Kinopublikum wieder ins Kino-Boot zu holen?
Hadenfeldt: Wir haben schon immer Specials gemacht. Also immer das Erlebnis Kino ins Zentrum gestellt und sind auf unser Zielpublikum zugegangen. Und wir uns während der Schließzeiten auch Gags erlaubt haben. Wir haben das beste Popcorn und sagen das auch explizit und haben statt Filmen dann einfach nur noch Popcorn verkauft. Weil das aber eine nicht erlaubte Nebenleistung ist, durften wir es nicht mehr im Kino verkaufen. Aber wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Und da ich hier gut vernetzt bin, kam eine Tankstelle auf mich zu und hat gesagt, ihr könnt Euer hier Popcorn hinstellen. Ich weiß nicht, wie viel tausend Packungen wir da verkauft haben. Man kann da zwar nicht von leben. Aber das Bali-Kino blieb im Gespräch, wir waren nicht tot.
artechock: Und nach der Wiedereröffnung?
Hadenfeldt: Wir haben die Zielgruppenarbeit weiter verstärkt. Zum Beispiel vor kurzem der neue Eberhofer-Krimi, das Guglhupfgeschwader. Da gab es lokales Bier von einem lokalen Bierbrauer ohne Konservierungsstoffe. Ganz fein. Und dann haben wir uns hier Fleisch geholt und haben gegrillt. Die Leute waren begeistert. Und haben den Film gesehen. Die Bude war voll. Viermal, fünfmal ausverkauft.
artechock: Haben Sie es denn wieder auf den Stand von 2019 geschafft?
Hadenfeldt: Ja, haben wir. Man muss einfach besser sein, am und mit dem Publikum arbeiten. Und das spricht sich rum. Wir kriegen hier Besuch von anderen Kinos, die vier oder fünf Säle haben. Aber die sind leer. Und bei uns, unser einer große Saal. der ist immer gut gefüllt. Wenn der Film gut ist.
artechock: Wie funktioniert denn im kleinstädtischen Umfeld die Zielgruppenarbeit, denn auf Würstchen und Bier allein kann man sich ja nicht immer verlassen?
Hadenfeldt: Alzey hat viele Schulen. 8000 Schüler pendeln jeden Tag rein und raus..
artechock: Das habe ich gesehen, das fängt ja hier gleich um die Ecke an...
Hadenfeldt: Da ist richtig der Bär los. Deshalb habe ich enge Verbindungen zu den Schulen aufgebaut. Und wenn dort ein Buch gelesen wird, treibe ich den Film dazu auf und arrangiere Schulvorstellungen, und das sehr regelmäßig. Denn was ein Regisseur aus einem Buch macht, ist in der Regel etwas anderes und ein wichtiger Bildungsbeitrag, an dem die Schulen und ihre Lehrer, aber auch die Schüler sehr interessiert sind.
artechock: Das heißt, bei klassischer Schullektüre, sei es Manns Zauberberg oder Herrndorfs Tschick erhalten Sie einen Anruf?
Hadenfeldt: Ja, aber nicht nur Schullektüre. Heute rief z.B. eines der Gymnasien an. Die haben einen Spanischkurs. Und ob wir nicht zu Weihnachten einen spanischen Film hätten? Haben wir. Mit den Volkshochschulen arbeiten wir ebenfalls zusammen. Die haben ihr Jahresprogramm und fragen schon sehr früh für den und den Film an. Originalfassungen in Französisch und Englisch. Durch die Digitalisierung können wir das ja alles sehr zügig umsetzen.
artechock: Mit OFs ist es bei Neustarts ja sonst eher ein Problem, da spielen die Verleiher ja nicht mit...
Hadenfeldt: Da möchte ich gar nicht drüber reden. Aber zumindest haben wir als kleines Kino mit überdurchschnittlichen Umsätzen inzwischen auch das Privileg, einen Film zum offiziellen Starttermin zu kriegen, so wie jetzt Die Schule der magischen Tiere 2. Das bedeutet zwar, dass wir drei Wochen lang diesen Film spielen müssen, aber der Film hat auch die Zeit sich zu entwickeln, sich rumzusprechen, empfohlen zu werden.
artechock: Er hat im Grunde also den Vorlauf, den früher fast jeder Film hatte. Denn weil es vor 20 Jahren nur ein Drittel der Neustarts von heute gab, blieben die Filme länger in den Kinos, da gab es dieses klassische „Radio Trottoir“, konnten Filme erst durch die Weiterempfehlung groß werden. Aber funktioniert das auch in einem so kleinen Ort?
Hadenfeldt: Ich bin nicht nur Volkswirt, sondern auch Regionalwissenschaftler. In der normalen Ökonomie findet der wirtschaftliche Vorgang als Punkt statt. Aber die Ökonomie der Fläche ist etwas anderes. Bevor ich das Kino hier vor zehn Jahren gekauft und renoviert habe, habe ich geguckt, wie groß der Einzugsbereich ist. Koblenz ist nah, Mainz ist nah. Und da bin ich bei 150 bis 160 Zielgruppen hängengeblieben und habe mir gesagt, das packen wir, denn die Leute wollen nicht nach Mainz oder Koblenz fahren. Weil es dann doch zu weit ist. Außerdem kostet Parken dort etwas. Hier gibt es Parkplätze bis zum Abwinken. Und dann sind da z.B. noch die Opern, die wir live übertragen und damit unsere Opern-Fans ins Haus holen, die nicht mehr nach Bregenz fahren müssen. Und bei den Übertragungen aus Sydney lege ich Wert darauf, dass wir deutsche Untertitel haben. Die Leute lieben das. Endlich verstehe ich, was die Alte da singt. Das ist ein fester Stamm von Leuten. Und die kommen dann auch zu anderen Filmen.
artechock: Das heißt, die Auslastung ihres Kinos reicht für die Finanzierung des laufenden Betriebs, sie müssen von ihrem Vermögen nichts hinzuschießen?
Hadenfeldt: Ja, es reicht, und ich kann meine Mitarbeiter gut bezahlen. Und anders als die meisten Kinos der Region sind wir nicht subventioniert, sondern überleben rein privatwirtschaftlich. Independent!
Aber im Normalbetrieb bedeutet das auch viel Arbeit, denn es geht ja um die Bedeutung des Kinos. Dieses gemeinschaftliche Gefühl, das gemeinschaftliche Tagträumen, dass man sich austauscht. Ich rede da relativ viel drüber mit
den Eltern, die ihre Kinder hier einfach nur abgeben wollen, damit Sie mal Zeit für sich haben. Tun Sie sich das nicht an! Verbringen Sie die Zeit gemeinsam mit den Kindern und sprechen Sie über die Filme. Das ist ein wertvolles Gut.
artechock: Hatten Sie denn selbst eine so positive Kinoerfahrung als Kind?
Hadenfeldt: Mit meinem Vater, aber ganz und gar nicht so erfolgreich, so positiv, er war Maurer. Ich habe ihn überredet ins Kino zu fahren. Ich habe mir den Film selbst auswählen dürfen, aber er hat danach geschimpft wie ein Rohrspatz. 2001 – Odyssee im Weltraum war das. Warum nur diesen Film!? hat er gefragt Was soll das? Kein echter Anfang und kein Happy End. Aber in mich hat sich dieser Film hineingefressen. Herrlich. Und das war dann gewissermaßen auch der Start meiner Kinobegeisterung.
artechock: Die sie beruflich aber erst viele Jahre später umsetzen konnten, nach Jahren in der freien Wirtschaft als Versicherungsmakler. Bereuen Sie nach zehn Jahren diesen Schritt getan zu haben?
Hadenfeldt: Nein, ich bereue nichts. Im Gegenteil. Es gibt keine höhere Entlohnung, als die, wenn der Film vorbei ist und es kommen Leute aus meinem Kino, auf der einen Seite eine Träne des Trauerns, auf der anderen Seite eine Träne der Freude. Und die Leute dann sagen: »Herr Hadenfeldt, schön, dass Sie unser Kino hier gerettet haben. Und was haben Sie nur daraus gemacht?!«