Ein Alptraum |
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Funny Games |
Die Welt wird immer brutaler. Egal ob im Kino oder in den Nachrichten. Der österreichische Regisseur Michael Haneke zeigt in Funny Games, wie zwei Jugendliche eine Ferienhaussiedlung heimsuchen und grundlos eine Familie quälen – bis zum Tode.
Zur Zeit des Münchner Filmfests: Michael Jackson gastiert gerade ebenfalls im Bayerischen Hof und scheint den
Kunstfilmer zu verfolgen:Schon in Cannes weilte er nebenan. Haneke bezeichnet sich als großen Musikliebhaber und aktiven Dilettanten am Klavier. Draußen kreischen die Fans. Schon sind wir beim Thema Popkultur
Das Gespräch führte Stefan Gimpel
artechock: Sehen Sie sich MTV an? Die beiden Sadisten nennen sich „Beavis & Butthead“.
Michael Haneke: Ich schau mir Videoclips an. Die sind technisch gut gemacht. Ich will nicht gegen die Jugend polemisieren. Die Jugend ist die Zukunft und sie hat immer recht.
Aber die Kultur sagt natürlich etwas aus über das Selbstverständnis dieser Generation.
artechock: Wie waren die Reaktionen bisher?
Haneke: In Cannes waren nur interessierte Fachleute. Ich bin neugierig, wie das Actionpublikum ihn aufnimmt.
Im Film als Ware geht es nicht um das Leiden der Opfer, sondern um das Vergnügen der Täter, als wäre Gewalt eine geile Sache. Diese schuldlose Mittäterschaft wird von uns auch gut bezahlt, ist aber eine Gefahr für die Gesellschaft. Dagegen will ich ein Bewußtsein schüren, was man sich da eigentlich täglich reinzieht. Der Film
will provozieren. Die Leute beschweren sich wie bei meinem älteren Film Benny’s Video, daß sie vergewaltigt würden.
artechock: Werden dadurch die Grenzen des Brutalo-Kinos nicht erweitert, da die Darstellung extrem nahe geht?
Haneke: Ich glaube, daß das Leiden der Opfer bei mir mehr abschreckt. Und was wäre die Alternative? Man muß das Risiko eingehen, von irgendwelchen Geisteskranken mißverstanden zu werden, ein Sadist, der Schneewittchen kennt und jemanden umbringen will, spritzt das Gift in den Apfel und gibt ihn seiner Oma. Aber das Problem wird hier umgedreht, kein Mensch regt sich über normale Action auf, versuche ich das zu thematisieren, kommt der Vorwurf »Darf man das so zeigen?«
artechock: Der Voyeur wird nicht befriedigt.
Haneke: Ich kann auch nicht mit faschistischen Mitteln einen antifaschistischen Film machen. Bei mir läuft das Spiel mit dem Zuseher: »Du bist der, der das sehen will und sogar die Bilder produziert«
artechock: Ist Ihr Ziel erreicht, wenn die Leute fluchtartig die Vorstellung verlassen ?
Haneke: Überspitzt formuliert: Wenn jemand rausgeht, hat er den Film nicht nötig. Ich schau mir selten Actionfilme an, weil sie mich tödlich langweilen, wenn, dann nur aus professionellen Gründen. Das Normalpublikum wird drinbleiben, sonst würden sie nicht reingehen.
artechock: Spüren sie keine Faszination ?
Haneke: Nein. Ich sah mir gern Pulp Fiction an, weil es ein brillianter Film ist, von einem hochintelligenten Mann, der sein Fach beherrscht.
artechock: An den reinigenden Effekt von Gewalt glauben Sie nicht? Sie lassen dem Zuschauer keine Chance. Die Bestrafung der Täter bleibt ja aus.
Haneke: Nach Auschwitz kann man nicht mehr so tun, als wäre die Welt in Ordnung zu renken. Heute ist der einzige Weg, einem das Problem so stark auf die Brust zu drücken, daß er gezwungen ist, den Sprung zu tun.
Im Kino werden nur Beruhigungspillen verabreicht, die 90-Minuten-Lösung als fromme Lüge, nur um Geld zu verdienen.
artechock: Glauben Sie an gezeigte Gewalt zum Abreagieren ?
Haneke: Höchstens unmittelbar. Aber die Verharmlosung ist viel schädlicher.
Das alte »Brot und Spiele« funktioniert nicht mehr, daß man dem Volk seinen Adrenalinorgasmus schenkt, halte ich für eine sehr kurzschlüssige Legitimierung.
artechock: Wollen Sie die Thematik weiterführen ?
Haneke: Der nächste Film handelt von etwas ganz anderem. Im Moment habe
ich keine Idee, nachdem ich den weiteren Schritt, die Rolle des Zusehers in Vordergrund zu rücken, hier vollzogen habe.
artechock: Letzte Frage: Was würden Sie auf die einsame Insel mitnehmen.?
Überspitzt formuliert: (Lacht) – Weiß ich nicht – ich denke, das ist sehr überheblich. Das muß jeder für sich entscheiden. Doch, ich weiß es, aber ich sage es nicht.