»Viele interessieren sich für die deutlich härtere Wirklichkeit...« |
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Nico Hofmann als Ehrenpreisträger zusammen mit Festivalleiterin Gabriella Bandel | ||
(Foto: © Oliver Dietze 2016) |
Das Gespräch führte Simon Hauck
Serien seien für ihn inzwischen beim gebildeten Publikum angekommen. Nico Hofmann, der beim 37. Filmpreis Max Ophüls Festival den Ehrenpreis für seine Verdienste um den deutschen Filmnachwuchs erhält, ist einerseits ein Macher, zweifelsohne. Und andererseits kein Branchenliebling. Hofmann ist einer, der als UFA Fiction-Chef gleichzeitig ein Millionenpublikum mit Eventfernsehformaten wie Die Flucht oder Der Tunnel unterhält – und parallel beständig die deutsche Kritik spaltet (z.B. mit Unsere Väter, unsere Mütter). Der Mann, der nach Bernd Eichingers Tod und zusammen mit Jan Mojto inzwischen das halbe deutschsprachige Fernseh- und Seriengeschäft kontrolliert, steht zudem selbst gerne im Scheinwerferlicht, trägt Jeans und Lederjacke: Er gibt sich im Gespräch betont lässig, führt aber auch einen Apparat von Pressemitarbeitern mit sich, die jedes Gespräch gegenlesen. So scheint hinter dem Image des erfolgreichen Lebemanns schnell auch der Blick des kühlen Kaufmanns hervor. Obwohl sich beispielsweise Hofmanns letztes großes Serienprojekt Deutschland 83 mühelos ins anglophile Ausland verkaufen ließ, konnte das serielle Fernsehexperiment des gebürtigen Heidelberger Großproduzenten bei den heimischen RTL-Zuschauern überhaupt nicht punkten: Ebenso rasch wie rapide brach die Quote bereits nach den ersten Folgen ein.
artechock: Herr Hofmann, erst einmal herzlichen Glückwünsch. Das ist ja heute ein besonders Abend für Sie: Ein Ehrenpreis mit Mitte 50 beim Max Ophüls Festival in Saarbrücken. Spornt Sie das an? Klingt eigentlich nach Frühverrentung.
Nico Hofmann: Ja, offen gestanden, klingt es erst einmal nach Frühverrentung, denn wenn man davon zum ersten Mal hört, denkt man automatisch, man sei gut zwanzig Jahre älter, also dann Mitte siebzig. Aber es hat mich trotzdem sehr gefreut, weil es hier ein Festival gibt, das mir persönlich sehr am Herzen liegt, auch wegen meiner eigenen Studenten, die jedes Jahr kommen. Für sie ist es zugleich auch das wichtigste Nachwuchsfestival im deutschsprachigen Raum. Daher war mir das Umfeld sehr lieb und ich fühle mich geehrt.
artechock: Nachwuchsarbeit ist Ihnen ja nicht fremd: Sie unterrichten bereits seit vielen Jahren als Professor an der Filmakademie in Ludwigsburg
Hofmann: Absolut, weil die Nachwuchsarbeit ein zentrales Thema meiner Arbeit seit vielen Jahren ist, auch im Produzentenbereich – und nicht nur im Unterricht bei meinen Regisseuren, sondern auch bei den Studenten, die ihr Produktionsdiplom bei uns machen.
Von daher war das ein sehr schöner und gleichzeitig mich ehrender Abend, den ich genieße.
artechock: Apropos Lehre und Regienachwuchs: Jetzt haben Sie gestern erst in einem anderen Interview betont, dass es in Deutschland durchaus auch junge Filmemacher gibt, die deutlich politischer mit ihrem Handwerk umgehen. Woran machen Sie das konkret fest? Welchen neuen Trend sehen Sie da in Deutschland kommen, gerade im jungen deutschen Film?
Hofmann: Man merkt diese Trends eigentlich alle drei Jahre, weil dann wieder eine andere Generation kommt. Es gab da zum Beispiel viele Jahrgänge, in denen eine beliebige, clippige und MTV-artige Oberflächenkultur drinsteckte: Alles war hip und jung und frisch, aber ohne Relevanz. Das hat sich in den letzten Jahren massiv verändert. Viele Studenten interessieren sich für die deutlich härtere Wirklichkeit, mit der sich nun intensiver auseinandergesetzt wird. Das hat natürlich zum einen zwangsläufig mit unserer aller Wirklichkeit etwas zu tun, zum anderen auch damit, dass viele meiner Studenten einen Migrationshintergrund haben. Viele kommen aus Flüchtlingsfamilien: Burhan Qurbani (Anmerkung der Red.: Regisseur von Wir sind jung. Wir sind stark.) ist mit seiner afghanischen Familie geflohen. Eine andere Studentin ist irakische Kurdin und macht die eigene Familiengeschichte gerade zum Thema ihres Diplomfilms – und so entsteht eine völlig eigene Wirklichkeit. Denn gerade in Ludwigsburg wird sich unter den Studenten sehr viel ausgetauscht über die eigenen familiären Geschichten: das erzeugt von sich aus Relevanz, die ich begrüße.
artechock: Trotzdem sieht man ja gerade diese Stoffe über Migration und Integration – also die Themen des letzten Jahres und sicherlich auch der nächsten – so wenig in der deutschen Film- und Fernsehlandschaft. Erst recht nicht in der Prime Time. Woran liegt das? Gerade Sie als Großproduzent mit den nötigen Kapazitäten könnten daran etwas ändern.
Hofmann: Ich glaube, dass diese Stoffe kommen werden. Erst recht auch in der ARD. Für das ZDF haben wir zum Beispiel gerade erst einen Themenschwerpunkt zum NSU-Prozess produziert, online gab es bereits 2015 eine Produktion, zusammen mit der Süddeutschen Zeitung und dem Bayerischen Rundfunk. Diese Themen werden also auf jeden Fall kommen. Es ist eben auch eine neue Generation von Filmemachern am Kommen, die jetzt erst ihre Diplome macht und deren Stoffe sich in zwei bis drei Jahren auch am Markt durchsetzen werden. Das geht sicherlich gut zusammen mit einer Gesamtveränderung in unserer Gesellschaft, die ich übrigens sehr begrüße
artechock: Sie haben heute, um auf den Anlass des Abends zurückzukommen, einen Ehrenpreis erhalten. Bernd Eichinger hat beispielsweise Ehrenpreise aus der Branche erst sehr spät bekommen – und sich sehr darüber gefreut. Wann haben Sie eigentlich das letzte Mal an ihn gedacht? Sie selbst gelten ja auch nicht immer unbedingt als Branchenliebling.
Hofmann: Ich denke oft an den Bernd Eichinger. Nicht nur, weil ich für ihn gearbeitet habe: Bernd Eichinger war auch ein langer Wegbegleiter– und Mentor. Jemand, der mich persönlich stark geprägt hat. Und ich kann dazu nur sagen, dass er extrem fehlt. Jemand wie Bernd (Anmerkung der Red.: Eichinger) ist unersetzlich. So einen gibt es nicht noch mal. Gerade wenn man auch sieht, wie jung er begonnen hat und mit welcher Radikalität er gelebt hat. Wenn Sie mich so fragen: Ich denke oft an ihn, weil es auch immer wieder Gelegenheiten dazu gibt. Ich bin zum Beispiel mit seiner Frau Katja Eichinger gut befreundet. Ich denke natürlich jedes Jahr auch bei „First Steps“ (Anmerkung der Red.: ein 2000 von Eichinger und Hofmann initiierter Nachwuchspreis in Deutschland) besonders an ihn. Er ist eine Kraft, die fehlt! Das gilt im selben Maße auch für Frank Schirrmacher, der ebenfalls viel zu früh gestorben ist und mit dem wir viele gemeinsame Abende verbracht haben. Das war einfach ein Club von Besessenen mit starker Geschichtsbezogenheit: Deshalb fehlt Bernd Eichinger und ich hatte mich über seinen Ehrenpreis beim Deutschen Filmpreis auch besonders gefreut, gerade weil er sich selbst auch immer als eine sehr kontroverse Figur empfunden hat. Sein Erfolg war unbestritten groß – und so fehlt er uns auch als Sparringspartner der gesamten Branche.
artechock: Von Bernd Eichinger aus kann man auch gut auf das Wort Erfolg überleiten: Woran machen Sie den bei Ihren eigenen Produktionen fest? Pro Jahr entstehen alleine bei der UFA Fiction mehr als 50 Einzelprojekte. Müssen Sie sich da nicht zwangsläufig auch ein Stück weit auf andere Mentoren verlassen können? Entscheidet bei Ihnen über neue Projekte mehr der Kopf oder der Bauch?
Hofmann: Wenn ich die gesamte UFA anschaue, sind es in Tat sogar noch weit mehr als 50 Projekte. Von denen sind mir dann pro Jahr immer zwei bis drei besonders nahe, weil man sie auch selbst entwickelt hat. So ging es mir beispielweise besonders bei Unsere Mütter, unsere Väter, zumal ich Frank Schirrmacher sehr früh schon die DVDs gegeben hatte. Und so war es im letzten Jahr zum Beispiel bei Nackt unter Wölfen, einem Film über Buchenwald, bei dem ich nicht wusste, ob ihm ein Prime-Time-Publikum überhaupt folgen würde. Am Ende waren es über fünf Millionen Zuschauer, vor allem auch junge, und für dieses Programm haben wir letzte Woche den Deutschen Fernsehpreis bekommen. Bei der Ausstrahlung bin ich vorher schon immer sehr nervös, weil ich nicht weiß, ob diese Stoffe überhaupt funktionieren, obwohl ich persönlich sehr an ihnen hänge. Ähnlich war es auch bei Unsere Mütter, unsere Väter und so wird es auch bei Ku’damm 56 sein, einem Dreiteiler, den wir für das ZDF produzieren. Wieder mit einem jungen Regisseur, Sven Bohse, der bei mir studiert hat. Klar steckt da viel Herzblut drin, weil ich nie weiß – ob es läuft oder nicht – und ich Bücher wie diese von Annette Hess über viereinhalb Jahre begleitet habe.
artechock: Müssen Sie sich als Film- und Fernsehmacher nicht noch viel mehr den neuen Produktionsstrukturen anpassen, weil aktuell so viel im Umbruch ist? Werner Herzog hat beispielweise vor kurzem im New Yorker erklärt, dass „virtual reality meets new storytelling“ eine völlig neue Option sein könnte. In Deutschland sieht man dazu bisher nichts. Wie weit ist diese Methode bei Ihnen im Haus fortgeschritten?
Hofmann: Wir haben dazu Projekte in der Entwicklung, zum Beispiel im UFA LAB, aber auch im Werbebereich haben wir mit VR (Anmerkung der Red.: d.h. Virtual Reality) gerade unglaublich viel gemacht. Es ist ein Markt, der kommt. Wir hatten dazu erst vor kurzem zwei Mitarbeiter auf eine Fachmesse in Las Vegas geschickt, um die neuesten Techniken kennenzulernen. Ich denke, dass wir VR zuerst und am schnellsten im Show-Bereich einsetzen werden. Denn der Show-Bereich in Amerika geht gerade ganz klar in diese Richtung. In Deutschland wird es dann ähnlich sein. Wir überlegen jetzt schon bei den großen Shows, inwiefern wir diesen neuen Bereich miteinbeziehen. Trotzdem bin ich im Erzählerischen dabei immer besonders skeptisch,es muss eine Sinnhaftigkeit haben. Sonst läuft es wie bei 3-D, denn die wirklich großen und wichtigen Filme sind nicht unbedingt in oder wegen 3-D entstanden.
artechock: Gerade 3-D hat das Medium selbst nicht wirklich verändert – und hat sich am Ende auch nie durchgesetzt.
Hofmann: Weder im Film noch am Fernsehbildschirm: 3-D-Bildschirme haben sich auch nicht durchgesetzt, nicht einmal ansatzweise. Umso ernster nehme ich aber die Plattformentwicklungen wie Netflix und Sender wie Sky. Denn diese Plattformen spielen – das steht jetzt schon fest – in den nächsten zehn Jahren die entscheidende Rolle. Und deshalb produziert man auch für die neuen Plattformen.
artechock: Stichwort Netflix: Deren Gründer Reed Hastings hatte im letzten Jahr frech formuliert, dass »ARD und ZDF«, und damit meinte er auch zusätzlich die deutschen Privatsender in ihrer bestehenden Form, »in Zukunft sowieso überflüssig sein werden«. Werden Sie dann arbeitslos? Und wofür wird man dann diese Sender bald überhaupt noch gebrauchen?
Hofmann: Ja, da stehe ich natürlich völlig im Widerspruch zu ihm, das habe ich öffentlich auch schon mehrfach gesagt. Denn Reed Hastings muss so argumentieren, wenn er weiterhin seine Plattform verkaufen will. Das Gegenteil stimmt ja! Wir können dafür die Fernsehnutzung der vergangenen zehn Jahre heranziehen. In diesem Jahr haben wir zum Beispiel wieder eine erhöhte Fernsehnutzung: Die liegt bei etwas über drei Stunden, sechs Minuten wurden sogar wieder hinzu gewonnen. Wenn ich das beispielsweise mit der Nutzung der Print-Medien vergleiche, dann bleibt die Fernsehnutzung doch konstant hoch. Plus die additive Onlinenutzung, die jetzt immer mehr wird. Wir sind gerade in einem Eldorado! Die Deutschen gucken zusätzlich mehr denn je online ihre Inhalte. Ich behaupte auch, dass sich klassische Fernsehnutzung in den nächsten zehn Jahren wenig verändern wird, wenn, sind es die Formate, Inhalte und Plattformen, die einer Dynamik unterliegen.
artechock: Beziehen Sie diese Strukturen nur auf die deutschen Zuschauer, die nun mal non-lineare Erzählweisen offensichtlich weniger schätzen. Wenn ich dabei gerade an die Diskussion um Ihre Serie Deutschland 83 denke, die hier ein totaler Quotenflop war. Macht Sie das nicht stutzig? Müssen Sie da intern nicht umdenken? Und warum wollen die deutschen Zuschauer anscheinend immer nur ihre gewohnten Tatort-Erzähltechniken sehen?
Hofmann: Das Learning aus Deutschland 83 ist klar, dass das Format inhaltlich gemacht war wie für eine Plattform. Und wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, dann wollten wir das auch genauso. Es war ein Riesenglück, dass RTL dieses Programm gemacht und finanziert hat. Aber ich muss auch sagen, dass es weltweit dort, wo es auf Plattformen läuft, erfolgreich ist, dort, wo es linear läuft, weniger erfolgreich ist. Das ist die ganz klare Erkenntnis. Und wo Sie recht haben: Ich unterscheide seitdem mehr denn je, was ich mir in meinem Kopf wirklich als lineare Prime Time vorstelle, und was ich mir nur als non-lineares Plattform-Programm vorstellen kann. Das hat sich in der Tat radikal verändert: Der Transfer von non-linearen Inhalten in ein lineares Fernsehprogramm funktioniert oftmals nicht. Aber das ändert gar nichts an der Qualität des Programms, da Deutschland 83 im letzten Jahr das weltweit meist gesehene deutsche Programm war.
artechock: Die Times hatte Ihre Serie beispielweise als die »wichtigste internationale Serie des Jahres« geadelt. Mich würde daher gerade auch Ihre persönliche Programm-Zusammenstellung sehr interessieren: Wie nutzen Sie selbst als großer Produzent die vorhandenen Medien? Haben Sie überhaupt noch klassische Nutzungsgewohnheiten in punkto Programm?
Hofmann: Ich nutze sie wirklich klassisch. Und ich nutze dazu auch wirklich jede Gelegenheit, weil ich andauernd in Hotels bin. Ich gucke permanent: auf dem Laufband, wenn ich in Fitnessräumen bin. Ich gucke mir nachts Wiederholungen an. Ich muss es letzten Endes auch tun, weil mich viele Programme interessieren. Ich gucke vieles auch auf Mediatheken, wenn ich es live nicht schaffe. Zusätzlich nutze ich mittlerweile aber auch schon alle andere Plattformen und habe mir dort zu Beispiel Man in the High Castle am letzten Wochenende acht Stunden am Stück angeschaut. Ich bin selbst also prototypisch für diese Doppelnutzung zwischen klassisch-linearem und eben Plattform-Fernsehen.
artechock: Nun wird von Deutschland aus gerne zu den Serien in Amerika geschaut, oder nach auch nach Skandinavien, England und Israel. Dabei gebe es doch auch in der eigenen Kultur genügend gute Stoffe. Bernd Eichinger hatte es zum Beispiel nicht mehr gepackt, die Nibelungen – eine urdeutsche Vorlage – umzusetzen. Wäre das etwas für Sie als Intendant der Nibelungen-Festspiele in Worms? Dort arbeiten Sie ja beispielsweise mit dem Dramatiker Albert Ostermaier zusammen. Ist das ein Stoff, der Sie reizt?
Hofmann: Das ist ein Stoff! Absolut. Im Grunde genommen ist es das deutsche Games of Thrones. Das lockt mich in der Tat. Aber Die Nibelungen sind auch als Stoff komplex und schwierig. Ich sitze im Moment mit Albert Ostermeier zusammen an einer Theaterinszenierung, die sehr filmisch wird. Das war lange der geheime Traum von ihm und mir. Gerade auch, weil Albert sich durchaus auch zum Film hingezogen fühlt . Deswegen werden Teile seiner Arbeit auch auf Leinwand spielen. Nuran David Calis macht die Regie. Und das ist natürlich guter ein Anlass, um gemeinsam noch einmal an diesen Stoff weiter heranzugehen.
artechock: Herr Hofmann, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.