21.12.2006

»Was wir teilen, ist der Schmerz«

Autorücklichter im Stau
Babel

Regisseur Alejandro González Iñárritu über seinen neuen Film Babel

Ob Amores perros (2001), 21 Gramm (2004) oder jetzt Babel – immer steht in den Filmen von Alejandro González Iñárritu ein schwerer Unfall im Zentrum, der in das Leben einiger Menschen einschlägt, wie ein gött­li­cher Blitz. Oder der Zufall mögli­cher­weise. 1963 in Mexico-City geboren, aufge­wachsen in den gesi­cherten Verhält­nissen der oberen Mittel­klasse, studierte Iñárritu Film und Theater, gehörte zur großen gegen­kul­tu­rellen Szene, begann mit Werbe­clips. Mit Babel gewann er den Regie­preis in Cannes, unser Interview entstand in San Sebastian.
Mit Alejandro González Iñárritu sprach Rüdiger Suchsland.

artechock: Ihre Filme wirken wie katho­li­sche Heili­gen­bilder: Blut­be­su­delt, bunt, wild und ein bisschen hyste­risch. Es fließt viel Blut, immer ist alles unglaub­lich drama­tisch, es gibt Unglück und Schmerz in ihnen…

Alejandro Iñárritu: Was uns allen als Menschen gemeinsam ist, ist der Schmerz. Tolstoi hat sich getäuscht. Er hat gesagt, alle Familien teilten ein gemein­sames Glück, ihr Schmerz dagegen sei verschieden. Ich denke, es ist genau umgekehrt: Was wir wirklich teilen, ist das Unglück.

artechock: Sie erzählen auch von dras­ti­schen Schick­sals­schlägen…

Iñárritu: Ich bin von der Idee des freien Willens besessen. Bis wohin ist der Mensch frei? Bis wohin ist alles vom Schicksal vorbe­stimmt? Oder liegt es in den Händen Gottes?

artechock: Was war Ihr Ziel als Filme­ma­cher bei Babel?

Iñárritu: IErst einmal geht es um Mitleid; ich habe eine tiefe Anteil­nahme und Empathie für meine Figuren empfunden, egal ob sie in Marokko oder Mexiko oder Japan oder Amerika leben. Wir haben diese Fähigkeit zur Empathie verloren, wir haben immer Vorur­teile, aber nie Mitleid.
Vom Stand­punkt der Regie her ging es natürlich wiederum um einen Bruch mit den klas­si­schen Struk­turen der Narration und des Diskurses. Ich fühle mich besser und bequemer mit solchen Crossover-Geschichten.

artechock: Der Film ist der dritte Teil einer Trilogie, die mit Amores perros begonnen hat?

Iñárritu: Ja. Guillermo Arriaga, mein ständiger Dreh­buch­autor und ich wollten ursprüng­lich eine Reihe von Kurz­filmen machen, die thema­tisch verbunden waren, ein Portrait von Mexico-City. Daraus wurden dann die drei Erzähl­stränge in Amores perros. Schon zu Beginn war das ganze als Trilogie über den Tod geplant, ein Tripty­chon, das ich jetzt abschließe.
Es ging darin immer um formal parallele Geschichten, die sich an bestimmten Momenten über­kreuzen. In Amores perros war dies der Auto­un­fall, es war eine ganz lokale Perspek­tive.
In 21 Gramm habe ich eine einzige Geschichte aus drei Perspek­tiven erzählt. Das war körper­lich besser verbunden, zugleich für mich als Regisseur erzählt aus einer klaren Outsider-Perspek­tive: Auf den reli­giösen Fana­tismus in den USA.
Babel ist die linearste Geschichte, die am wenigsten kompli­zierte. Der Paral­le­lismus ist allen drei Filmen gemeinsam. Aber die Charak­tere kennen sich zumeist nicht. Sie sind emotional, nicht körper­lich verbunden. Zudem sind alle fünf Stories intime Geschichten zwischen Eltern und Kindern.

artechock: Seit Amores perros leben und arbeiten Sie in Hollywood. Man weiß, dass der Produk­ti­ons­druck dort so stark ist, wie nirgendwo. Wie hat Sie das verändert?

Iñárritu: Nicht so sehr. Wenn man dort lebt, ist Hollywood auch nur ein Wort, ein Vorurteil. Ich fühle mich als Autoren­filmer, und will meine eigenen Projekte verwirk­li­chen, und bisher hat das gut geklappt. Mir ist nur Freiheit und Respekt begegnet.

artechock: Aber ihre Filme drehen Sie nun auf Englisch, mit inter­na­tio­nalen Schau­spie­lern, und dem Geld großer Studios. Manche in Mexiko empfinden das als Verrat an Ihrer Herkunft als Inde­pend­ent­filmer…

Iñárritu: Ich sehe das ganz anders. Wir tun etwas für Mexiko. Als Künstler muss man sogar unbedingt aus seinem eigenen Land weggehen, die Perspek­tive verändern. Kultur hat doch vor allem etwas mit Vielfalt zu tun, und Los Angeles ist ein ganz komplexer kultu­reller „Melting Pot“. Ich war auch schon immer offen für Kulturen außerhalb Mexikos. Im Mexiko der 90er Jahre haben wir europäi­sche und asia­ti­sche Filme gesehen, Musik gehört.
Für mich sind viele Sprachen kein Problem. Unser Problem sind die Ideen und Vorstel­lungen, die uns trennen. Wir sehen im Anderen die Gefahr, verschieden sein, heißt gefähr­lich sein. Ich hoffe, dass mein neuer Film nicht von dem handelt, was uns ausein­ander bringt, sondern von dem, was uns einander ähnlich macht.