»Ich freue mich auf alles, was noch kommt« |
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Helden der Zeit: Julia Jäger mit ihrem Echtzeitehemann Oliver Stokowski als Ehepaar Brunner |
Julia Jäger, geboren 1970, ist als Darstellerin in Theater, Kino und Fernsehen bekannt. Sie lebt in Berlin, mit Mann und zwei Kindern. Jetzt spielt sie die Hauptrolle in der Echtzeitserie „Zeit für Helden“, die seit Montag im Zentrum des Spezialprogramms „40 plus“ steht, das parallel auf Arte und im Dritten des SWR ausgestrahlt wird. Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland.
artechock: „Zeit für Helden“ ist Zentrum eines Spezialprogramms „40 plus“ – finden Sie sich darin eigentlich wieder?
Julia Jäger: Ja natürlich. Meine Figur hat auch abgesehen von der Zahl, die Sie nennen, in ihrem ganzen familiären Verhalten und Umfeld Ähnlichkeiten und einen Wiedererkennungswert für mich.
artechock: Was sagt das Alter denn wirklich über einen Menschen aus? Sie sind ja als Darstellerin jemand, die schon vor ein paar Jahren Figuren gespielt hat, die erwachsen sind, die auch über 40 sein könnten. Man könnte ja auch feststellen: Jeder ist anders. Und es ist immer eine Form der Reduktion, jemanden auch so eine Generationslage zurückzubringen: Ich finde es immer doof, wenn man Menschen – nicht nur mich selbst – nach ihrem Alter fragt: Und wenn man dann mit unter 30 bestimmte Dinge macht, dann ist es angeblich „zu früh“, wenn man das Gleiche mit über 30 macht ist es plötzlich „zu spät“. Das Alter sagt angeblich etwas, was es tatsächlich dann doch nicht sagt...
Jäger: Alter ist nur ein Vehikel und ein Konstrukt in den Köpfen unserer Welt, um miteinander zu kommunizieren. So ist es ja mit Sprache überhaupt. Jedes Wort ist nur ein Konstrukt um etwas zu transportieren und wenn wir Glück haben, verstehen wir einander oder zumindest glauben wir das. Am Set erlebe ich das sehr oft, dass man zwar dieselben Worte benutzt, aber mit Sicherheit definitiv nicht das Selbe meint. Wie oft entstehen dadurch Missverständnisse und Irrtümer. Das verstehe ich: Dieses Zurückgeworfenwerden und Festgelegtwerden auf eine Zahl, auf ein Alter, auf einen projizierten Lebensbereich, der mit diesem Alter verbunden sein soll, das ist natürlich eine Reduktion.
artechock: Die Probleme und Träume, die ihre Figur da in der Serie hat – ist sie nicht in einer sehr speziellen Lage? Läßt sie sich etwas einreden? Das ist ja eine Geschichte, in der viele Menschen lügen oder nicht alles sagen, was sie wissen – lässt sie sich da vormachen?
Jäger: So wie wir es vielleicht von uns kennen, aus dem normalen Leben? Von Freunden und Verwandten? Dann ist ja die Frage: Wie wahr ist das gesprochene Wort? Wie hilfreich ist es die Missverständlichkeit der Sprache zu gebrauchen? Aber Ihre Frage war, ob das speziell ist? Ich glaube es ist eher allgemein. Ich finde, dass die Drehbücher von Daniel Nocke und Beate Langmarck doch ein breites Spektrum aufzeigen, und einen ganz breiten Fächer möglich machen an unterschiedlichen Figuren.
Kann sein, dass die Figur, die ich spiele, die May, in diesem Alter mit zwei Kindern, die schon durch die Pubertät durch sind, die sich dafür entschieden hat, Hausfrau zu sein, speziell ist. Aber da werden sich viele wiedererkennen und sie repräsentiert da auch eine breite Fläche an Frauen in diesem Land. Und Inka Friedrich deckt natürlich eine andere Richtung ab. Und Palina Rojinskis Figur ist jünger, hat einen interessanten Beruf und sie hat auch eine interessante Wahrnehmung, so dass ich dann mit offenem Mund davor sitze und denke: So jung und so lebendig und so bodenständig und so kraftvoll – so ist May nie gewesen. May hatte schon immer die Tendenz, sich für andere hinzugeben.
artechock: Ist das ein Film, in dem die Frauen die Hauptfiguren sind? Es dreht sich um die Frauen, und die Männer hier sind etwas depperter an der Seite der Frauen...
Jäger: [Lacht laut und lang] Wenn Sie das als Mann so sagen... Was wir sehen, sind keine perfekten Männer. Ob wir als Frauen uns immer perfekte Männer wünschen in unserer Projektion oder ob Männer das tun... Aber zumindest scheint es doch so zu sein, dass Frauen Imperfektion mehr erlaubt ist als Männern. Darum scheinen diese schwächer zu sein, aber nicht schwächer als die Frauen, sondern nur schwächer als die Projektion, die wir
normalerweise auf Männer haben und auf deren Mannhaftigkeit.
Aber ich glaube, es ist gleichberechtigt gedacht.
artechock: Was wünschen Sie sich denn: Imperfektion oder Perfektion?
Jäger: Ich glaube, dass das Leben nicht perfekt ist. Auf einer Ebene. Und dass es dadurch komplett perfekt ist, wenn man es im Gesamtzusammenhang sieht. Und darin liegt für mich 'ne Perfektion.
artechock: Also erkennbar am Ende des Lebens?
Jäger: Auch jetzt im Moment. Dass wir hier sitzen, dass ich diese Arbeit hatte. Dass da natürlich privat die Familie etwas herunterfällt... Deshalb ist die Betrachtungswarte immer die Frage: Aus welcher Sicht ist etwas perfekt? Ich finde es perfekt, wenn das Leben stattfinden darf. Dazu gehören auch schwache Momente. Das gibt einem die Möglichkeit es als Herausforderung anzunehmen
artechock: Wenn man jetzt diese Serie ernst nimmt, dann geht es ja – neben dem legitimen Interesse an Unterhaltung – hier auch darum, ernsthafte Fragen zu stellen und zu beantworten: Nach dem Sinn des Lebens. Wie soll man leben?
Ich kann mich erinnern: In den 70er-Jahren war Midlife-Crisis in. Aber heute? Gibt es noch Midlife-Crisis? Man redet doch eher von „best agers“. Midlife-Crisis bedeutet ja immer, man hat etwas verloren...
Jäger: Verloren hatte ich immer irgendetwas: Man wollte 12 sein, um die Filme ab 12 sehen zu dürfen, man wollte 18 sein, um erwachsen zu werden. Gleichzeitig geht damit immer auch ein Verlust einher. Verlust im Sinne von Loslassen passiert tagtäglich. Gleichzeitig: Ich glaube nicht irgendetwas verloren zu haben. Ich habe das Gefühl, ich habe wahnsinnig gewonnen, haben und freue mich auf alles, was noch kommt.
Was May passiert: Sie wird
nicht mehr so gebraucht, als Projektionsfläche und Ansprechpartner, und kann deshalb Dinge machen, wie sie es sich wünscht. Das ist eine Chance. Was kommt noch?
Für mich privat ist im Moment nicht die Frage: Was kommt »noch«?, sondern: Was kommt alles?
artechock: Wie machen Sie das, wenn Sie sich Rollen aussuchen? Gibt es Prinzipien? Es gibt Leute, die behaupten, Sie würden immer melancholische Rollen spielen...
Jäger: Nee. Aber es ist schon eher die Wahrheit. Nur Frau Brunetti ist anders. Was immer eine Rolle spielt: Wie sehr berührt es mich? Dazu kommt: Wer führt Regie? Wer sind die Kollegen? Im Fall von »Zeit der Helden« kam natürlich alles zusammen.
artechock: In den letzten Jahren machen Sie – von dem Oscargewinner Spielzeugland abgesehen – vor allem Fernsehen. Spielt der Unterschied zwischen Fernsehen und Kino für Sie eine Rolle?
Jäger: Den Unterschied mache ich gar nicht. Es wird beim Fernsehen schneller gearbeitet. Das ist auch wieder eine Herausforderung. Ich kenne Kolleginnen, die drehen im Jahr vier fünf Hauptrollen – das kann ich nicht. Dazu bin ich zu langsam. Fernsehen ist schneller. Es wird oft ungenauer gearbeitet, mit weniger Interesse und weniger Intention. Aber ich habe auch schon mit Kollegen gearbeitet, denen es nicht egal ist, wie die Kameraeinstellung aussieht, und was inhaltlich zu klären ist. Ich spiele ja als Schauspielerin nicht anders, ob die Rolle fürs Kino oder fürs Fernsehen gedreht wird. Ich möchte darum verstehen, was ich spiele, und ich möchte es richtig machen – so wie wir uns das miteinander vorstellen, Da gibt es den Unterschied für mich nicht. Bei der Arbeit mit Kai Wessel gab es den nicht. Wir hatten Druck, die Pausen mussten auf die Minuten eingehalten werden. Aber wir hatten genug Zeit, am Einzelnen zu feilen. Das wirkte so entspannt, als hätten wir alle Zeit der Welt. Von der Drehzeit, die wir hatten, waren es 60 Drehtage für rund 6 Stunden. Das waren 8 Minuten pro Tag.
artechock: Was sehen Sie sich im Fernsehen privat an?
Jäger: Zu wenig. Sehr sehr wenig. Ich gucke überhaupt nicht mehr regelmäßig fern.
artechock: Wie wir alle...
Jäger: Das ist seltsam, eine seltsame Entwicklung.
artechock: Auch so ein Generationending. Dann guckt man eher DVDs?
Jäger: Ja auch zu wenig. Ich bin froh, wenn es mal still wird. Oder ich zum Beispiel was lese, wenn der Haushalt dann fertig ist, am Ende des Tages.
artechock: Eigentlich sind Sie also auch Hausfrau, wie die May... Darf ich das fragen?
Jäger: Ja, natürlich. Wobei mein Mann als Hausmann zu Hause ist, während ich arbeite. Das ist dann wenn ich arbeite, wie Urlaub von der Familie – und die Arbeit macht Freude. Also es ist einem Hobby nachzugehen.
artechock: Was lesen Sie dann?
Jäger: Sachbücher, Bücher von spirituellen Lehrern. Zur Zeit gerade ein Buch über die „Enneagramm“-Lehre. Da geht es um ein Modell der Charakterlehre. Man kann, wenn man das erkennen kann, unsere Charakterfixierungen loslassen.
artechock: Also gewissermaßen ein Selbst-Training?
Jäger: Ja – im weitesten Sinn hat das viel mit Schauspielerei zu tun: Wo kommen Figuren her, wie entstehen Charaktere? Was haben die für typische Merkmale in sich?
artechock: Gehen Sie denn gern ins Kino?
Jäger: Ja! Ich war kürzlich in Les Misérables und davor in Django Unchained...
artechock: Beides super, nicht? Wie hat’s Ihnen gefallen?
Jäger: Dieses Musical begleitet mich seit 20 Jahren durch verschiedene Lebensphasen und ich finde die deutsche Fassung von Heinz Rudolf Kunze hervorragend. Diese deutschen Texte... Im Kino hab ich das Original gesehen. Es ist toll, wie die Schauspieler singen. Aber ich bin da einfach... nicht objektiv. Ich war sehr berührt, weil ich die Musik so gewaltig finde, aber auch von dem Spiel in verschiedenen Situationen. Es war auch mal zäh. Aber insgesamt finde ich ihn toll. Natürlich ist er kitschig – aber das gehört dazu.
artechock: Was würden Sie sagen: Was ist an diesem Stoff aktuell, abgesehen von den ganz universalen Sachen wie Liebe und der Sinn des Lebens...
Jäger: Aber genau das isses! Liebe missglückt-geglückt, Gerechtigkeit-Ungerechtigkeit, Menschlichkeit; geht es um Christlichkeit?
artechock: Hollywood ist ja nicht so rebellisch und revolutionär drauf. Warum machen die einen Film über Revolutionäre?
Jäger: Weil sie sich hinter dem Musical gut verstecken können. Weil es ein guter Stoff ist, und ein guter Kinostoff. Wenn man meint, dass es Hollywood unpolitisch ist. Cloud Atlas hab ich dreimal gesehen. Ich finde den hochpolitisch und unglaublich spirituell.
artechock: Ach echt?
Jäger: Ja!
artechock: Ich fand den ja scheiße, muss ich leider zugeben...
Jäger: Natürlich, die Idee, alles sei miteinander verbunden... Und dann hört man’s fünfmal.
artechock: Ist das nicht ein bisschen schlicht? Da gibt’s doch Filme, die das alles klüger machen?
Jäger: Ja, das mag etwas einfach sein. Aber ich finde den filmisch, also im Hinblick auf das, was alles dazugehört – die Masken, die unterschiedlichen Regieführungen, die Zeitebenen – das hat mir als Cineastin große Freude gemacht. Und dann ganz untendrunter die sehr simple – ich glaube es ist simpel – spirituelle Idee, wir sind alle miteinander verbunden, die ist so simpel, wie sie daher kommt. Man muss es nicht komplizierter machen. Und dann noch die Vorstellung, dass die Dinge, die vor 200 Jahren von meiner Figur getan wurden, immer noch Auswirkungen haben.
artechock: Glauben Sie denn das? Dass es sowas wie Seelenwanderung durch die Zeiten gibt?
Jäger: Ja! Ja!!
artechock: Ok, das tue ich jetzt nicht...
Jäger: Das ist schon mal 'ne Grundlage dafür, das so anzunehmen. Dieser Film hat mich beim ersten Mal so geflasht. Ich fand das so beeindruckend, auch in dieser Zukunftswelt zu sehen, dass die künstlichen Menschen wie Schweineschlachthälften aufgehangen wurden. In dieser gesamten Fläche, angefangen bei den Menschenessern – ich find das toll. Die Idee. Im Unterschied zu Django zum Beispiel. Alle Brutalität und Grausamkeit in Cloud Atlas fand ich zwangsläufig richtig.
artechock: Die Sklaverei war doch auch grausam...
Jäger: Die Momente der Grausamkeit der Sklaverei fand ich auch ok. So schmerzhaft sie sind. Aber ich bin 20 Minuten vor Schluss rausgegangen. Denn diese Freude an der Blutspritzerei teile ich nicht. Alles andere war für mich durchaus nachvollziehbar.
artechock: Was ich an Tarantino sehr mag ist genau der Ansatz: Wir ändern die Geschichte. Wir schaffen eine Rachephantasie. Wir schaffen die Gegen-Befriedigung. Ein starkes Gefühl. Denn Tarantino arbeitet ja mit starken Emotionen, Bildern... So wie man körperlich leidet. Ich kenne keinen Film, der diese Realität der Sklaverei so vor Augen führt – diese Halseisen, damit die sich nicht küssen können – und dann gibt es die Erleichterung, dass die Bösen wirklich bestraft werden. Das macht für mich das Geheimnis von Tarantinos Wirkung: Dass die Nazi einmal weggeballert werden... Das ist natürlich eine primitive Freude...
Jäger: Genau diese Freude daran mag ich nicht. Denn es sind immer noch menschliche Wesen.
artechock: Die Nazis? Finde ich nicht... Moralisch gesehen. Ich kann mich freuen, wenn Sie ihre Strafe bekommen...
Jäger: Aber es reicht ne Minute kürzer auch. Das muss man nicht nochmal sehen, und nochmal... Da bin ich glaube ich zu moralisch. Das andere finde ich richtig. Folgerichtig. Das ging mir bei Cloud Atlas anders.
artechock: Jetzt habe ich noch eine letzte Frage: Cloud Atlas oder auch vorher: Die spirituellen Bücher, die Sie lesen. Vielleicht ist das auch 'ne dumme Frage: Ich bin in Westdeutschland aufgewachsen und Sie in der DDR. Ich hatte katholische Priester als Lehrer und Konfirmandenunterricht, Sie hatten Jugendweihe und SED. Mit dem Glauben hatte ich nicht viel am Hut, und ich habe mich gerade gefragt, ob es bei Ihnen oder auch ihrer Generation vielleicht umgekehrt ist: So wie ich gewissermaßen ein materialistisches Defizit hatte, und lieber mal Marx lese, frage ich mich, ob man vielleicht in der DDR ein spirituelles Defizit hatte?
Jäger: Ich finde die Frage sehr interessant. Ich hatte nun beides als Kind. Ich habe sowohl die Jugendweihe erlebt, als auch mich für Konfirmandenunterricht und Konfirmation entschieden. Die Freiheit hatte ich als Kind. Insofern kein Mangel an Spirituellem. Aber ich glaube, dass das Alter, in dem wir sind – und da kommen wir jetzt nochmal auf die Serie „Zeit für Helden“ – dass unsere Lebensphase – die Kinder gehen aus dem Haus. Was kommt noch? Wo bin ich? – es mit sich bringt, dass durch dieses Alter eine Öffnung stattfindet in Richtung Spiritualität. Wenn es die nicht schon vorher gegeben hat. Weil man ja irgendwo nach Lösungen sucht. Nach Antwort, nach Klarheit, nach Richtigkeit des Weges, nach Erlaubnis zu sein. Auch in diesem Alter gibt es eine Idee von Neuanfang – an der Stelle tauchen dann diese Fragen nochmal auf. Unabhängig von der Herkunft.