Im Land der ausgeträumten Träume |
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Ferrari vor Seelenlandschaft |
Das Plakat zum Film Alter und Schönheit verspricht eine Komödie, wie vielleicht auch der Titel, und jedenfalls die Besetzung mit Darstellern wie Armin Rohde, Peter Lohmeyer und Henry Hübchen. Man sollte sich davon aber nicht täuschen lassen: Seit Anfang der 90er-Jahre ist der 1943 geborene Berliner Regisseur Michael Klier (Heidi M., Farland) einer der wenigen echten Unabhängigen und subversiven Geister im deutschen Film. Sein neuer Film, der einmal den viel schöneren Arbeitstitel Ferrari 49 hatte – so etwas ist in unseren heutigen düsteren Zeiten markengeschützt und darf nicht verwendet
werden – ist wie alle seine Filme eine Gratwanderung: Zwischen Ernst und Unbefangenheit, zwischen unheimlicher Leichtigkeit und »deutscher Tiefe«.
Mit Michael Klier sprach Rüdiger Suchsland.
artechock: Michael Klier, Du bist (und auch wieder nicht) ein Spätzünder im deutschen Kino. Deine ersten Spielfilme als Regisseur hast Du jedenfalls erst ab Ende der 80er Jahre gedreht, also mit Mitte 40. Trotzdem hast Du in den zwanzig Jahren zuvor immer schon Filme gedreht – kannst Du erzählen, was das für Filme waren? Und der Nachwuchspreis beim Filmfest München 1989? Warst Du da noch Nachwuchs? Oder inwiefern?
Michael Klier: Zum Nachwuchs habe ich nie gehört. Der Preis vom Filmfest München war damals glaube ich noch gar kein Nachwuchspreis. Das Wort wurde noch nicht verwendet, um Filmemacher zu klassifizieren. Das war glaube ich eher später der Versuch, den deutschen Film mit einer Idee vom ständigen Jungsein zu koppeln, warum auch immer.
Bevor ich angefangen habe Spielfilme zu drehen, habe ich ein paar Kurzfilme gedreht. Dann hin und
wieder Dokus oder Kurzporträts über Leute wie Rossellini, Truffaut, Godards Kameramänner oder Henri Alekan, und viele andere. Ich habe sie bewundert – und interviewt. Manchmal habe ich Stunden an Material gedreht, so wie im Falle von Rossellini. Er hat mich in seinem Vacel Vega (von dem es nur 500 Stück, handfertigt, auf der ganzen Welt gab) durch Rom gefahren, ich habe ihn zum Friseur begleitet, und so, und am Schluss hatte die eigentlich filmenthusiastische
Filmredaktion beim WDR nicht einmal 20 Sendeminuten dafür frei. Vielleicht bringen wir einige von diesen Sachen davon demnächst auf DVD heraus oder stellen sie in Youtube.
Mein Problem war, dass ich nie einen starken Ehrgeiz als Filmemacher entwickelt habe, es gab Phasen, da existierten Dinge im Leben, (wie z.B. Vereinsfußball zu spielen oder in anderen Ländern zu leben) die damals offenbar reizvoller für mich waren. Vielleicht ist das der Grund, warum ich nur relativ wenige
Film vorzuweisen habe. Jetzt habe ich mir Clint Eastwood ein bisschen zum Vorbild genommen- Er macht immer noch viele Filme und je älter er wird, desto besser ist er...
artechock: Ein Ferrari und ein kurzer Schwarzweiß-Film über einen Mann und dessen Ferrari-Träume spielt in Alter und Schönheit eine Rolle. Wer es wissen will, kann auch noch wissen, dass der alte Film von Dir stammt, und aus den späten Sechzigern ist. Und dass der Arbeitstitel zu Alter und Schönheit hieß Ferrari 49. Was hat es mit dieser Verbindung über die Zeiten für eine Bewandnis? Wie verhalten sich beide Filme zueinander?
Klier: Heute wirkt der kurze Film von damals wie Nostalgie einer verschwundenen Zeit. Ein junger Typ stellt sich hin und sagt, mein Traum ist ein Ferrari. 30 Jahre später hat er den Ferrari, aber jetzt bedeutet die Erfüllung nichts mehr. Vielleicht hat es zu lange gedauert, ihn zu erfüllen oder es war ein falscher Traum. Es gibt wahrscheinlich viele falsche Träume. Aber es geht vielleicht auch gar nicht so sehr darum, ob die Träume richtig oder falsch sind, sondern um die Energie, die Träume freisetzen. Und so gesehen, können sie ziemlich viel Energie freisetzen. Ein kurzer Film über einen Traum und ein langer über einen ausgeträumten Traum. Wir leben ja in einer Zeit der ausgeträumten Träume, (ob große oder kleine), und der sich buchstäblich häufenden Alpträume. Der kurze Film zeigt aber auch noch etwas anders in Bezug zum langen Film. Eine Art Unschuld des Blicks auf die Welt, eine Art Weltvertrauen in das Leben und auch in das Kino. Ein Weltvertrauen, das es heute nicht mehr gibt. Der lange Film weiß das, die »Risse« sind überall zu sehen. Der kurze Film handelt von der stürmischen Unbefangenheit eines jungen Mannes und eines Stils zu filmen, der lange Film von einem Innehalten, einem Anhalten, der kurze Film ist, wenn man so will, Aktion, der lange, Reflektion, auch der Protagonisten. Nun könnte man Alter und Schönheit auch als eine Metapher für das Kino an sich betrachten. Das Kino selbst ist nicht mehr jung, es wird gerade von etwas Anderem abgelöst, von dem wir noch nicht wissen, ob es je alt werden wird und eine dem Kino vergleichbare Schönheit wird bieten können.
artechock: Kannst Du diesen Gedanken vom Weltvertrauen in das Leben und auch in das Kino, das es heute nicht mehr gäbe, das verloren sei, noch ein bisschen erläutern, auch Ursachen benennen?
Klier: Aber vielleicht ist die Idee der Unschuld des Blicks und des Weltvertrauens auch eine romantische Idee, die aus dem Konzept der heilen Welt entspringt oder nur eine Illusion, die man hegt, wenn man jung ist. Oder vielleicht hat das auch mit der Idee der ewigen Jugend zu tun, was auch ein bisschen der Mythos der Romantik oder der Nouvelle Vague ist. Trotzdem gibt aber auch heutzutage immer wieder Filme, wo man etwas sieht, wie man es bisher noch nicht gesehen hat, etwas das buchstäblich unberührt aussieht – wie gelegentlich bei asiatischen Filmen.
artechock: Das Kino, das wir beide mögen, die „Nouvelle Vague“, war ja nicht jung, sondern im Gegenteil gewissermaßen altklug, jedenfalls auf langen Traditionen und Traditionsbewusstsein aufbauend. Trotzdem war es unschuldig. Oder es schien so, eigentlich gelang es Godard und Truffaut, Unschuld zu simulieren und künstlich, bewusst herzustellen. Trifft diese Überlegung zu? Könnte man sagen, dass der Nouvelle Vague jenes seltene Kunststück gelang, Mythologie, Sinnlichkeit und Vernunft zu versöhnen, also „die Ideen ästhetisch zu machen“ wie’s Hegel genannt und Schiller schon in etwa gedacht hat?
Klier: Ich glaube die französischen Filmemacher waren vor allem von einer Art Selbstverständlichkeit getragen, sie haben ihren Energien freien Lauf gelassen, und fühlten sich nicht begrenzt, sie haben derart viel ausprobiert und herumexperimentiert, was ihre Filme so lebendig gemacht hat. Sie waren verspielt, naiv und für Regisseure superintelligent zugleich. Sie haben sich berauscht, am Kino, den Frauen, an Schönheit, am Widerspruch. In der Zeit in der sie damals Filme gemacht haben, da gab es keine großen Krisen, keine emotionalen Desaster, keinen Medienterror, kein Hinterfragen von allem. So gesehen, kommt aber richtig harte Wirklichkeit in diesen Filmen auch nicht vor. Ob das ein Manko ist, weiß ich nicht.
artechock: Handelt es sich bei der von Dir erwähnten verlorenen Unschuld des Blicks Deiner Ansicht nach um einen Erkenntnisfortschritt oder um eine Handlungslähmung oder gar um beides zugleich?
Klier: Schwer zu sagen, es gibt zu viele Krisen, die das Vertrauen unterminieren, emotionale Krisen, gesellschaftliche Krisen. Der Zweifel als Lebensgefühl ist ja sehr stark geworden. Die Kontinuität ist in Frage gestellt, die Dinge verschwinden zu schnell, und das hängt damit zusammen, dass der Markt immer Neues durchsetzen will. Und die Übertreibungen von allem, JEDER übertreibt quasi, was auch immer er vertritt oder repräsentiert. Das Exzesshafte überall... Sehen und Fühlen kommt da nicht mehr mit, es verweigert sich im besten Fall dagegen.
artechock: Alter und Schönheit kann man ja verstehen als Film über die Generation des Jahrgangs 1949. Die werden im kommenden Jahr 60 Jahre alt, und sind damit überdies genau so alt wie die Bundesrepublik. Eine »goldene« Generation, für die es immer gut lief, immer aufwärts… Jetzt zeigen sich nicht nur »natürliche« Alterserscheinungen, auch Haarrisse im von ihnen etablierten und gelebten Fortschrittsmodell sind unübersehbar. Ist es überhaupt richtig, Deine vier Männerhauptfiguren als Generation zu begreifen? Oder geht es Dir darum gar nicht? Kann man sagen, dass diese vier von Dir einerseits als emotional gescheitert gezeigt werden, Du ihnen aber doch – bis auf den Lohmeyer-Charakter –, die Chance eines Neuanfangs gibst? Warum haben Sie, warum hat diese Generation noch Grund zum Optimismus?
Klier: Was mich immer sehr gewundert hat, war, wenn ich ehemalige Freunde von früher wieder getroffen habe, die eigentlich gute Typen gewesen sind, voller Ambitionen, mit einer mehr oder weniger guten Art, die Dinge zu sehen – wie sehr sich verändert hatten und plötzlich einen Typus Mann verkörperten, der sie früher hätten nie sein wollen. Sie hatten alle mehrere Frauen gehabt, Kinder mit dieser oder jener Frau, immer wieder das gleiche
Muster von Zusammenleben wiederholend, Trennung, neue Frau, neue Kinder und so fort. Das Auffallendste dabei war, dass es wie eine Pflichterfüllung aussah, was sie da in ihrem Leben unermüdlich taten. Dieses unermüdliche Tun, dass ist es, dem meine Protagonisten im Film schließlich auch zum Opfer gefallen sind. Ich glaube schon, dass es in Deutschland ganze Generationen von Männern sind, die dieser (Fortschritts-) Unermüdlichkeit folgen, insbesondere jene, die in den
Zeiten des Wirtschaftwunder groß geworden ist. Es ist weniger Optimismus als Unermüdlichkeit, was sie antreibt. Aber ihre große Sehnsucht ist die Unbekümmertheit. Unbekümmertheit, nach der die Deutschen sich so sehnen, wie man bei der letzten Fußball-WM gesehen hat.
Diese Unbekümmertheit werden meine Protagonisten aber erst erlangen, wenn sie ihre Unermüdlichkeit aufgeben. Egal wieviel Chancen auf einen Neuanfang ihnen geboten werden. Und in den langen Sequenzen im Bungalow
gelingt ihnen das ja, und dann kommt für ein Moment ein verlorenes Lebensgefühl auf, das etwas Erlösendes hat. Es löst sie, so zu sein, es macht sie weich und offen und plötzlich werden die mehr oder weniger vom Alter gezeichneten Gesichter dieser angestrengten Männer auf eine gewisse Weise schön. Das hat ja auch etwas Optimistisches, dass dies möglich ist.
artechock: Du meinst es vermutlich anders, aber ist das, was Du mit »Sehnsucht nach Unbekümmertheit« andeutest, Deiner Ansicht nach etwas besonders typisch Deutsches? Möglicherweise ein Nachkriegszeitphänomen, die Sehnsucht also nach einer Welt ohne materielle Not und (seinerzeit »amerikanischer«) Freiheit? Oder vieleicht auch umgekehrt typisch deutsch im Sinne einer kulturell längerfristig wirksamen Kraft: Sehnsucht nach einer »neuen Zeit« gehört ja von Romantik über Jugendbewegung bis hin zu den 30er Jahren zu sich wiederholenden deutschen Phänomenen. Und leider lag selbst im Russlandfeldzug 41 so 'was Unbekümmertes, Sehnsüchtiges… Also: Gehören Unermüdlichkeit und Unbekümmertheit nicht auf bizarre Weise zusammen? Suchten die Deutschen bei der WM 2006 nicht diese Unbekümmertheit mit Unermüdlichkeit? Liegt nicht in beidem auch etwas Unreifes? (Nicht dass ich es jetzt besser wüsste oder täte…)
Klier: Ich glaube, das Verlangen nach Unbekümmertheit hat besonders damit zu tun, sich irgendwie aus dem Joch zu befreien, in das sich die Deutschen kulturell und mental seit langer Zeit gespannt haben. Aber aus eigener Kraft scheint ihnen das nicht recht zu gelingen.
Es bedurfte, wie von Dir gesagt, der amerikanischen Kultur, ihrer Musik, ihrer Filme, und so weiter, aber auch der Entdeckung anderer Lebensweisen, südlicher
angesiedelt, wo die Deutschen nach dem Kriege anfingen, hinzufahren, um Urlaub zu machen und dort gesehen haben, wie andere leben. Da haben sie gemerkt, dass ihnen etwas Wichtiges fehlt und so gelang es ihnen sich ein bisschen zu lockern in den letzten Jahrzehnten. Einen Lebenstil der Unbekümmerheit gibt es aber in Deutschland deswegen nicht.
Und was die besagten deutschen, erwachsenen Männer betrifft, so treten sie in deutschen Komödien, und zwar vom Anfang an, immer albern pubertär
auf, und so gesehen hat ihre Unbekümmerheit immer wieder was ziemlich Unreifes.
Es war mir sehr wichtig, die vier Männer in meinem Film nicht pubertär agieren zu lassen, was sehr schnell passieren kann, wenn man nicht aufpasst. Es war aber auch gleichermaßen wichtig, sie nicht zu ernst, zu tiefschürfend zu zeichnen, deutsche Problemfilm-Männer aus ihnen zu machen, mit ihren zutiefst frustrierten Gesichtern.
Im Kleinen ist Unbekümmertheit vielleicht eine Art Loslassen, und was
sie im Großen bedeutet, naja, das soll sich jeder selber fragen. Dass sie sich gegenseitig bedingen können, ja und nein. Unermüdlichkeit hat auf jeden Fall etwas Zwangshaftes an sich. Ich befürchte, wir Deutschen lieben Krisen. Das ganze Volk bräuchte mal eine Art kollektiver »Tiefenentspannung«, in allem, sonst werden wir wahrscheinlich nie locker werden.
artechock: Du hast gesagt, man könnte Alter und Schönheit auch als »eine Metapher für das Kino an sich betrachten.« Wenn das Kino von etwas abgelöst wird: Von was?
Klier: Vom digitalen Filmemachen. Von einer Art Klon des Kinos. Aber vielleicht ist es ja auch eine Befreiung, weil Filmemacher jetzt etwas Neues entdecken, vom System her ist es ja eher etwas Kleines, in dem aber viel Potential steckt. Vielleicht leidet es unter einem Mangel an Sinnlichkeit, die die Filmbilder auf Zelloluid per se in sich tragen. Man muss nur drauf achten, dass es nicht zu glatt und zu kalt bleibt, es kommt darauf an, dem Ganzen Leben einzuhauchen.