27.05.1999

»In erster Linie eine lustige Idee«

Kresten & Liva in MIFUNE
Kresten & Liva

Ein Gespräch mit Søren Kragh-Jacobsen über seinen „Dogma“-Film Mifune

Denen Dänen ist ja alles zuzu­trauen: Da setzen sich vier von ihnen, Filme­ma­cher von Beruf und Berufung, eines Tages zusammen und beschließen, dem Kino wieder seine Kraft und Reinheit zurück­zu­geben. Sie formu­lieren (nicht ohne Ironie) das Dogma 95, einen strengen Kanon von Regeln, der fast alles untersagt, was die Film­technik an Bear­bei­tungs­mög­lich­keiten bietet. Und siehe da: Mit wackliger Hand­ka­mera und ruppiger Ästhetik gelingen ihnen gleich zu Anfang zwei große Würfe – Thomas Vinter­bergs Festen (Das Fest) und Lars von Triers Idioterne (Idioten).
Der Erfolg bei Publikum und Kritik ist zu Recht groß. Mit Mifunes sidste sang (Mifune) erreicht deshalb nun bereits „Dogma #3“ die deutschen Kinos – und man darf darauf gespannt sein, welch Aufnahme er finden wird. Denn Søren Kragh-Jacobsen hat den Versuch unter­nommen, im Rahmen der Dogma-Regeln so nah wie möglich an eine konven­tio­nelle Film-Ästhetik heran­zu­kommen.
Unser Mitar­beiter Rüdiger Suchsland hatte Gelgen­heit, den Regisseur dazu zu befragen.

artechock: Vom Leben auf dem Land halten Sie wohl nicht viel?

Søren Kragh-Jacobsen: Ich habe dort nie gelebt. Ich bin in Kopen­hagen aufge­wachsen, und habe mein ganzes Leben in der Stadt verbracht. Und dort habe ich viele getroffen, wie Anders meine Haupt­figur, diese Yuppie-Typen. Die Stadt kreiert solche Typen. Und ich bin sicher selbst ganz lange so gewesen.

artechock: Und heute nicht mehr? Der ist ja nicht durchweg schlecht.

Kragh-Jacobsen: Nein, ich denke nicht. Dinge passieren, wenn man über 40 ist. Und ich bin über 50.

artechock: Was passiert denn? Ich bin noch nicht so alt, und würde es gerne wissen.

Kragh-Jacobsen: Wirklich? Na ja, ich war ziemlich ehrgeizig, früher. Seit ich 25 bin. Vor allem beruflich. Und bis ich Ende 30 war, habe ich mich immer umge­schaut, ans nächste Projekt gedacht, auf andere geachtet, und mich mit denen vergli­chen. Auf mich selbst habe ich nie geschaut. Das geht erst mit Ende 30 los. Und wenn man einmal damit anfängt, wird man ein anderer Mensch.

artechock: In Mifune geht es ja auch um einen, der sein Leben ändert. Das hat also viel mit Ihnen selber zu tun?

Kragh-Jacobsen: Ja. Meine früheren Filme machte ich oft nur, weil die Produ­zenten es wollten. Und da haben total viele Leute mitge­redet. Island of Bird Street zum Beispiel habe ich zwar sehr gerne gemacht, aber es war doch rück­bli­ckend auch ein Film, dessen Entste­hungs­prozeß ich gehaßt habe. Die Companys haben mir total rein­ge­redet. Ameri­ka­ni­sche Produ­zenten, die wollten, daß ich eine Art dritte Fort­set­zung von Home Alone (Kevin – Allein zu Haus) drehe. Im Ernst!
Die haben sich nicht darum gekümmert, ob sie irgend­etwas mit europäi­scher Kultur am Hut haben.

artechock: Kamen Sie darum darauf, sich der »Dogma95«-Bewegung anzu­schließen?

Kragh-Jacobsen: Ja, ich hatte schon lange darüber nach­ge­dacht: Warum muß ein Film so „schwer“ sein, warum müssen wir uns so von der Technik tyran­ni­sieren lassen? Warum kann man nicht ein filmi­sches Pendant zur „unplugged music“ reali­sieren, durch die wir überhaupt wieder mitbe­kommen, wie gut die Musiker sind? Und dann kam Lars von Trier mit diesen Ideen: Kein künst­li­ches Licht, keine feste Kamera, und so weiter... Ich fand das amüsant. Ich fand es sehr witzig.

artechock: Witzig schon, ja, aber inwiefern ist „Dogma“ denn überhaupt ernst gemeint? Ist das nicht in erster Linie ein großer ironi­scher Scherz? Allein schon der Name „Dogma“.

Kragh-Jacobsen: Oh nein. Sie müssen wissen, daß „Dogma“ außerhalb von Skan­di­na­vien ein viel stärkes Wort ist. Es hat mit Religion zu tun, mit Straf­an­dro­hung. Ich kannte das Wort, aber die Bedeutung war mir vorher nicht klar.

artechock: Sie wissen aber, daß es die Päpste sind, die Dogmen verkünden?

Kragh-Jacobsen: Ja, und Lars von Trier ist ja katho­lisch. Und dann dieses soge­nannte „Keusch­heits­gelübde“, das wir unter­schreiben müssen... Also ich sage ihnen ganz ehrlich, darauf gebe ich einen Scheiß­dreck.

Aber „Dogma 95“ hat auch einen sozialen Aspekt. Wir sind zu viert. Ich habe noch nie zuvor mit anderen zusam­men­ge­ar­beitet, so wie jetzt, wo wir gemeinsam disku­tiert haben: Was ist »Dogma«, was sind die „Regeln“, wie kann man sie inter­pre­tieren?
Wir sind uns alle einig, daß es in erster Linie um Spaß geht. Speziell Lars und mir hat das die Freude am Filme­ma­chen zurück­ge­geben. Er wußte, daß ich es nicht mehr so toll fand. Spätes­tens nach Island of Bird Street dachte ich: Jetzt ist Filmen ein normaler Job geworden.

Als ich ange­fangen habe, war es so voller Freude. Und dieses Gefühl wollte ich nach über 20 Jahren wieder­be­kommen.
Aber ande­rer­seits, das kann ich Ihnen versi­chern: Als wir da zusam­men­saßen, war es kein Scherz, keine Zuschau­er­ver­ar­schung. Es ging uns nicht um ein möglichst geschicktes kommer­zi­elles Projekt –wie das jetzt von manchen behauptet wird: »Dogma« sei ein Marke­tinggag, oder so etwas, blabla...
Wir waren ja auch ziemlich unbekannt, also wer hätte damit rechnen können, daß wir soviel Wind mit diesen Ideen machen?
Ich fand es in erster Linie eine lustige Idee.

artechock: Wie verhält sich Mifune zu den anderen Dogma-Filmen ?

Kragh-Jacobsen: Ich wollte einen leichten Sommer-Film drehen, eine Art Situa­ti­ons­komödie. Nicht zu platt witzig, aber schon wirklich lustig. Über ein paar Leute, die sich irgendwo treffen. (In gewisser Weise geht es darum immer in Geschichten: Leute, die nichts mitein­ander zu tun haben, treffen sich.) Jeden­falls ein Kammer­spiel. Das wollte ich: Ein Kammer­spiel mit vier Personen. Und ich wollte zual­ler­erst mich selbst amüsieren. Den Spaß zurück­ge­winnen. Einen schönen Sommer verbringen, umgeben von schönen Menschen. Und das ist mir bestimmt gelungen!

Und noch etwas zu diesen „Dogma“-Regeln: Wenn man sich mit denen näher beschäf­tigt, mit ihnen arbeitet – da gibt es natürlich bei uns allen das Gefühl, als wir anfingen, am Dehbuch zu arbeiten: Mann, das wird ziemlich schwer, wie werde ich das wohl machen, wie kann ich tricksen, diese Regeln umgehen? Wenn ich das gewollte hätte, hätte ich es mir sehr sehr einfach machen können. Ich hätte einfach in einem dänischen Film­studio drehen können, und behaupten: Ok, meine Story ist eine Liebes­ge­schichte zwischen einem Script­girl und einem Kame­ra­mann. Wenn man tricksen will, dann kann man das sehr leicht. Aber ich wollte lieber wissen, was ich mit ihnen erreichen kann. Und ich fand sie ziemlich befreiend. Ich habe mich hinge­setzt, und wollte endlich wieder einmal eine Liebes­ge­schichte erzählen – das hatte ich lange nicht gemacht. Und der Schau­platz Lolland, die totale Pampa in Dänemark, der war mir so fremd, daß er inter­es­sant war. Und dann ist der Film wirllich sehr spontan entstanden: Wir hatten nur einen Haupt­er­zähl­strang (die Begegnung unglei­cher Menschen an einem fremden Ort – und alle lügen über sich selber); kein richtiges Drehbuch, der Schau­platz – das Haus in dem alles spielt – war ein Zufalls­fund. Das einzige, was sehr früh feststand, waren die Schau­spieler. Und mit denen haben wir dann gemeinsam die Einzel­heiten ausge­ar­beitet. Das war sehr spannend, und witzig: Der Schau­spieler, der Anders spielt, hat mich gefragt: Was darf ich jetzt tun? Darf ich auf sie schießen? Nein, Pistolen sind verboten – ok, wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen. Man merkt einfach in der Arbeit, daß »Dogma« wirklich etwas bringt. Diese Regeln zeigen einem neue Wege. Man beginnt, das Spek­ta­kuläre in den kleinen Dingen zu entdecken.

Thomas Vinter­berg hat es in Festen (Das Fest) geschafft: ein sehr ehrgei­ziger, ganz phan­tas­ti­scher Film, wenn Sie mich fragen. Viel­leicht ist Mifune mein bester Film. Ich weiß es nicht genau. Aber Festen ist ganz bestimmt Thomas Vinter­bergs bester Film. Und Lars von Triers Idioterne (Idioten) ist ganz bestimmt der reinste „Dogma“-Film. Er hat es nicht daraufhin gestylt. Ich weiß nicht, warum das so gut klappt. Viel­leicht geht es einfach darum, auf die Ursprünge des Filme­ma­chens zurück­zu­kommen: Gute Geschichten, gute Schau­spieler, nichts mehr als das heißt Filme­ma­chen. Wieviel Zeit verbringt man mit Vorbe­rei­tungen: hier 20 Minuten Licht, dort 20 Minuten Ton. Und es sind nie 20 Minuten, sondern alles dauert mindes­tens doppelt so lang. Mir ging es darum, die Atmo­sphäre zu ändern. Bei „Dogma“ geht es ja nicht um die Wackel­ka­mera. Es geht um Hand­ka­mera. Mifune sieht tradi­tio­neller aus, aber nur, weil meine Kamera stati­scher ist, ruhiger. Ich wollte mit Mifune auch zeigen, daß dies möglich ist, ohne die Regeln zu brechen. Die Schau­spieler haben sich auf diese andere Art zu arbeiten schnell einge­stellt: Kein Licht, egal, laßt uns einfach filmen – das war die Atmo­sphäre. Es war mir auch wurscht, ob alle Anschlüsse gestimmt haben, ob die Leute immer exakt die gleichen Klamotten anhaben. Wenn Leuten das auffällt, inter­es­siert sie der Film nicht. Wenn man gut ist, sind solche Dinge egal. Den Schau­spie­lern ist nie kalt geworden, die mußten 6 bis 9 Szenen am Tag drehen, das ist unglaub­lich viel. Aber ihnen hat es Spaß gemacht, sie haben sich ganz eng mit dem Film verbunden gefühlt. Wie bringt man die Schau­spieler zum Fliegen? Ich hatte noch nie so glück­liche Schau­spieler.

artechock: Wie hoch war Ihr Budget?

Kragh-Jacobsen: Eine knappe Million. 900.000 Dollar. Für einen Film ist das fast nichts. Ich habe seit 1982 keinen so billigen Film gemacht. Das ist ja kein Geld für einen Film. Es gibt im Prinzip keine finan­zi­elle Grenze. Wenn Sie 100 Millionen zum ausgeben haben, dann können Sie die auch ausgeben. Aber um noch einmal auf „Dogma 95“ zu kommen: Ich möchte da schon noch etwas am Lack kratzen. »Dogma« ist kein neuer Kinostil. Es ist ein Event, eine Bruder­schaft, um andere Filme zu machen mehr nicht. Ande­rer­seits hat es natürlich seine Vorteile, das ist schon klar. Ich habe mit Mifune sehr viele Erfah­rungen gemacht, die in meine nächsten Projekte einfließen werden. Für einen »mittel­alten« Regisseur wie mich ist das natürlich phan­tas­tisch. Man kann noch einmal quasi von vorn anfangen. Und für Newcomer ist es eine echte Chance: Es gibt so viele Leute in der ganzen Welt, die »Dogma 95« beitreten wollen Thomas Vinter­berg kümmert sich um das Orga­ni­sa­to­ri­sche – ich glaube es werden zur Zeit ungefähr 20 „Dogma“-Filme gedreht.

artechock: Ja, „Dogma 95“ ist ultrahip, es wird jetzt zur Mode. Und das bedeutet doch auch die Kommer­zia­li­sie­rung, der Sie doch gerade entgehen wollten. Sitzen Sie da nicht wieder in der Falle?

Kragh-Jacobsen: Viel­leicht schon. Aber ich glaube, wir können nicht besser sein, als unsere Filme.
Wenn ich mit Mifune gefloppt hätte, wäre es für Kristian Levring sehr hart geworden, überhaupt Geld zu bekommen. Schauen wir mal, was passiert.

artechock: Irgendwo habe ich gelesen, daß Paul Morrissey einen „Dogma“-Film dreht ?

Kragh-Jacobsen: Ja, das stimmt.

artechock: Kann den jeder so einfach mitmachen ?

Kragh-Jacobsen: Ja, jeder. Es ist keine geschlos­sene Bruder­schaft. Man muß ihn aller­dings nach Kopen­hagen schicken, wenn man den Stempel im Vorspann haben möchte. Und man muß bei uns vorbei­schauen, und uns vier zu einem guten Essen einladen. [LACHT] So treffen wir viele inter­es­sante Regis­seure. Jean-Marc Barr, der fran­zö­si­sche Schau­spieler hat einen gemacht [Lovers, mit Elodie Bouchez in der Haupt­rolle, inzwi­schen in Cannes gezeigt, und Ende Juni auf dem Münchner Filmfest zu sehen. Anm. d. Red.], und Harmony Corinne. Und vier weitere Dänen. Die sind jetzt zu zwei Dritteln vom dänischen Fernsehen finan­ziert.

artechock: Haben Sie in Berlin mit Mike Figgis oder Joel Schuh­ma­cher geredet? Die äußerten sich dort nämlich ganz viel über „Dogma 95“. Und Figgis neuster Film, The Loss of Sexual Innocence ist ja im Prinzip genau wie ein „Dogma“-Film. Bis auf die Musik, die er sehr stark verwendet.

Kragh-Jacobsen: Ich weiß nur, daß Steven Frears und Kathryn Begelow jetzt meine Haupt­dar­stel­lerin Iven in ihren nächsten Filmen gecastet haben. Ich glaube aber, das Geheimnis von „Dogma 95“ ist nicht zuletzt der Schnitt. Der ist sehr genau, sehr durch­dacht. Aber die Haupt­sache ist die Geschichte. Das Tech­ni­sche kann ich jedem von Ihnen in einer Woche beibringen. Aber entschei­dend ist: Wie kommt 'Musik' in das Ganze ? Wie bringt man Figuren zum Klingen ? Die Magie liegt hier.

artechock: Also zurück zur Story, zurück zu den Schau­spielen ?

Kragh-Jacobsen: Ja, ganz genau. Wir müssen darauf mehr achten. In Europa war das zwar immer mehr der Fall, als woanders, aber trotzdem. Wir haben keine Stars und kein großes Publikum, weil die Ameri­kaner alle unsere Autoren nach dem Krieg über­nommen haben. Heute sind 85 Prozent aller Filme, die in Dänemark anlaufen, ameri­ka­nisch. Viel­leicht haben das die Leute satt. Ich fand ja Arma­geddon gar nicht schlecht, aber über den Film kann man nicht lange reden: Man sagt dann: Glaubt Ihr, daß ein Meteor womöglich die Erde treffen kann? Klar! glaubt Ihr, daß Bruce Willis uns dann retten wird Blödsinn! Und das Gespräch ist zuende. Und dann kommen wir wieder u den kleinen Geschichten.

artechock: Ist es mehr als ein Zufall, daß alle 3 bishe­rigen „Dogma 95“-Filme auf ihre Art Fami­li­en­ge­schichten sind ?

Kragh-Jacobsen: Ja bestimmt. Lars bringt eine feste Struktur zur Auflösung, Thomas erzählt von einer Familie, die er zur Auflösung bringt, und neu zusam­men­setzt, ich erzähle von einer Familie, die ich aus Einzelnen neu erschaffe, und Kersten macht etwas Ähnliches.

artechock: Da gibt es sogar eine Koin­zi­denz zum US-Kino. Denn viele US-Filme erzählen gerade Fami­li­en­ge­schichten; sie handeln von
der Dekon­struk­tion und Rekon­struk­tion der Familie. Wie ihr Film.

Kragh-Jacobsen: Exakt. Ja, das ist absolut richtig. Es gibt bei „Dogma 95“ auch in der Hinsicht nichts absolut Neues. Nur, daß wir wirklich
den final-cut haben. Keinen Produzent, der einem sagt: Wo ist denn die Liebes­ge­schichte? können wir nicht ein kleines Kind
einbauen, zumindest an die Straße stellen, damit die Zuschauer es sehen? Oder die Staats­be­amten in Schweden mit ihren
Auflagen. Schauen Sie doch, was nach Bergmann gekommen ist.
Wir machen alles selber.

artechock: Finden Sie nicht, daß Sie auch einen dänischen Western gedreht haben? Dieses Lolland, das ist doch ein Hi-Lo-Country.

Kragh-Jacobsen: Ach, wenn Sie meinen...

artechock: Haben Sie schon ein neues Projekt? Wieder einen „Dogma 95“-Film?

Kragh-Jacobsen: Ja, aber kein „Dogma“-Film.

artechock: Jetzt sind Sie doch wirklich frei, und können endlich alles machen, was Sie wollen. Also was machen Sie? Etwas viel radi­ka­leres?

Kragh-Jacobsen: Nein, das kann man nicht sagen. Ich plane drei Filme mit weib­li­chen Haupt­fi­guren. Es gibt sie nicht oft...

artechock: ...und Sie mögen auch schöne Frauen im Kino um ehrlich zu sein.

Kragh-Jacobsen: Ja, klar, das ist ein wichtiger Bestand­teil [LACHT]. Es ist toll mit ihnen zu arbeiten. Und als Mann mal Frau­en­ge­schichten zu schreiben. Wir geben sie dann Frauen zum lesen [LACHT]. Es gibt zwar viele Frauen, die Regie führen, aber die erzählen immer Männer­ge­schichten.
Der nächste Film handelt von einer schwan­geren Frau, Iven macht die Haupt­rolle. Und im Übrigen: Ich habe nicht die geringste Absicht, einen Film in Amerika zu machen.

artechock: Haben Sie denn die Absicht, einmal einen etwas poli­ti­scheren Film zu drehen? Vor 20, 30 Jahren scheint mir war europäi­sches Kino viel poli­ti­scher. Heute sind die Geschichten privater eben Fami­li­en­ge­schichten. (Wobei die durchaus politisch sein können).

Kragh-Jacobsen: Ja, die Beob­ach­tung ist richtig. Ich denke, es sind heute sehr verwir­rende Zeiten, um poli­ti­sche Filme zu drehen. Das wird zwar schon kommen, so oder so. Aber wie, ...ich weiß nicht...

artechock: Nehmen wir doch Idioten. Finden Sie den nicht einen sehr poli­ti­schen Film?

Kragh-Jacobsen: Ich weiß nicht...

artechock: ...Ich auch nicht...

Kragh-Jacobsen: ...Ich weiß nicht. Ich habe Idioten zweimal gesehen. Beim ersten Mal habe ich ihn gehaßt. Jeden Zenti­meter. Ich habe Lars gesagt – wir haben uns in einer TV-Sendung bei Canal+ in Frank­reich getroffen –, er fragte, wie ich Idioten finde, ich sagte: Lars, ich finde ihn widerlich! [LACHT] Lars hat das geliebt. Beim zweiten Mal habe ich ihn viel besser gefunden. Er ist wie ein Stück abstrakte Kunst: Man kann es nicht mehr vergessen. Aber ich fand ihn sehr sehr konzen­triert. Aber er ist ein Kunstwerk. Mehr als meiner. Mehr als die meisten Filme. Natürlich ist jeder gute Film Kunst. Aber ich will auch meinen Spaß haben. Und ein großes Publikum unter­halten.

artechock: Also sind sie auch einer dieser „ironic guys“ die dauernd Filme machen, und nur Spaß wollen ?

Kragh-Jacobsen: Ja, klar. Ich will schon auch etwas Poli­ti­sches machen. Ich habe da eine Idee, etwas über Terro­rismus zu schreiben. Über Baader-Meinhof viel­leicht... Aber nichts Histo­ri­sches.
Und es wird auch in den nächsten Jahren viel über den Balkan geben.

artechock: Aber ist das nicht etwas nur sehr ober­fläch­lich poli­ti­sches? Ich finde Idioten und Mifune viel poli­ti­scher, als beispiels­weise Welcome to Sarajevo von Winter­bottom der ein guter Film ist, aber kein poli­ti­scher. Man muß keine Szenerie vorkommen lassen, sondern poli­ti­sche Geschichten erzählen.

Kragh-Jacobsen: Ich weiß, was sie meinen.