»Einen Film für alle, der einen wegfegt!« |
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Kitsch und Klischees – aber gekonnt! |
Baz Luhrmann müsste eigentlich noch viel berühmter sein, als er ist. Nur eine Handvoll Filme hat der 1962 geborene Australier bisher gedreht, aber die haben es in sich. Schon Strictly Ballroom begeisterte, mit seinen beiden folgenden Filmen Romeo + Juliet und Moulin Rouge aber gewann Luhrmann Publikum und Kritiker in der ganzen Welt. Mit seinem unverwechselbaren Stil wurde er zum König des Kino-Pop, ein genialer Effekthascher, der in die Vollen greift: Rasante Schnitte, fixe, virtuos-überraschende Kamerafahrten, ein neobarock überladenes, sich selbst immerfort weiterschraubendes Durcheinander, voller Verfremdungseffekte: Kino als Karussell, Jahrmarkt, und Rausch. Und natürlich Kitsch. Von Anfang an, ganz selbstbewusst. Luhrmann überbot und betonte die Klischees so lange, bis sie plötzlich wieder funktionierten – auch in Australia seinem neuen Film, dem ersten nach fast acht Jahren, ist dies Luhrmanns Erfolgsrezept. – Das Interview führte Rüdiger Suchsland.
artechock: Die Vorgeschichte von Australia war eigentlich nicht sehr erfreulich. Lange arbeiteten Sie an einem Film über Alexander den Großen, Leonardo DiCarpio hatte schon für die Hauptrolle zugesagt. Dann wurde doch nichts draus…
Baz Luhrmann: Ja, den Film wollte ich mit Steven Spielberg drehen, unsere Vorbereitung war schon sehr weit gediehen. Aber leider floppte OIiver Stones Film Alexander, und dann waren die Studios nicht mehr sehr interessiert. Aber ich habe das Projekt noch nicht aufgegeben. Vielleicht wage ich irgendwann einen neuen Anlauf.
artechock: Also war Australia gar nicht ihr Herzensprojekt?
Luhrmann: Ganz im Gegenteil: Seit vielen Jahren lebte ich mit meiner Familie in Paris. Meine Frau Catherine Martin, die ja bei allen meinen Filmen die Kostüme designed und für die Ausstattung verantwortlich ist, und ich haben zwei Kinder. Sie kannten Australien gar nicht. Das Scheitern des Alexander-Projekts war die Gelegenheit, zu unseren Ursprüngen zurückzukehren, und den Kindern zu zeigen, wo wir herkommen. Als wir erst mal da waren, erkannten wir, das Australien für uns wie ein Traum war, den wir lange vergessenen hatten, und nun wieder entdeckten. Davon erzählt der Film – von der Erfahrung des Kontinents.
artechock: Australia erzählt auch von alten Kinotraditionen, etwa einem romantischen Abenteuerkino wie Vom Winde verweht und Filmen die märchenhafte Elemente enthalten, wie The Wizard of Oz. Hollywood wurde damit groß, und ihr Film ist voller Anspielungen auf diese Klassiker…
Luhrmann: Ja, unbedingt. Das ist für mich etwas ganz Persönliches. Sehen Sie, ich bin quasi im Kino aufgewachsen. Mein Vater war Kinobesitzer. Als Kind habe ich viele dieser Filme gesehen. Und nicht einmal, sondern zehn Mal. Abenteuer und Romantik sind für mich ein unentbehrlicher Teil des Kinos. Und noch etwas anderes ist an diesen Filmen wichtig: Es waren Filme für die ganze Familie. Man konnte das sehen: Das Kino meines Vaters war das einzige am Ort, also sind alle in den gleichen Film reingegangen: Von den Großeltern bis zu den Enkeln. Es gab nicht diese Segregation, diese feinsäuberliche Trennung: Das ist ein „Teenie-Film“, das ist ein Film für „40 plus“, das ist ein „Date-Movie“, das ist ein Kriegsfilm. Filme waren alles und für alle. Zu diesem Kino wollte ich wieder zurück. Ich will einen Film für alle machen, einen großen, großen vergnüglichen Film, der einen wegfegt. Das gibt es eigentlich im zeitgenössischen Kino gar nicht, nur im indischen Bollywood. Leider!
artechock: An welchen Kino-Werken haben Sie sich orientiert? Im Film wird die Geschichte von The Wizard of Oz erzählt. Der kam 1939 heraus, wenn ihr Film spielt. Genau wie Vom Winde verweht…
Luhrmann: Natürlich sind beide wichtig. Und es gibt noch vieles andere: Der erste Teil von Australia ist ja eine Art Aussie-Western. Da war für uns Red River von Howard Hawks und ein paar John-Ford-Klassiker wichtig. Aber auch Spaghetti-Western von Sergio Leone. Wenn etwa Hugh Jackman ganz cool seine Zigarettenkippe im Mund hat, während er redet, dann ist das reiner Leone. Bei der Beziehung zwischen Hugh und Nicole Kidman haben wir uns ein bisschen daran orientiert, wie John Huston in African Queen die Beziehung der ganz gegensätzlichen Humphrey Bogart und Katherine Hepburn zeigt. Natürlich verlieben sie sich ineinander, aber es dauert.
artechock: Australische Vorbilder gibt es aber nicht, oder? Für ihre wundervollen Landschaftsaufnahmen?
Luhrmann: Keine australischen, obwohl meine Kamerafrau Mandy Walker wunderbare australische Filme gedreht hat, und diese Erfahrungen bestimmt in den Film einfließen. Aber für die Landschaft war mir wirklich David Lean am wichtigsten. Was er in Lawrence of Arabia gemacht hat, ist unvergleichlich. Die Landschaft ist bei ihm immer Metapher, auch für die Charaktere, ein Spiegel der Gefühle.
artechock: Wie in Lawrence of Arabia geht es bei aller Unterhaltung zugleich um ernsthafte Themen. Sie erzählen von Rassismus…
Luhrmann: Genau. Natürlich ist der Film keine Dokumentation. Aber ich habe viel gelernt. Zum Beispiel wusste ich nichts von der Bombardierung Australiens durch die Japaner.
Nehmen Sie Vom Winde verweht: Das ist eine Romanze, aber es ist auch ein Film, der sich ganz ernsthaft mit Sklaverei auseinandersetzt. Das ist für mich ein tolles Beispiel,
wie man ernsthafte Inhalte innerhalb eines großen Unterhaltungsfilms vermitteln kann, ohne das es langweilig wird. So haben wir etwas über die „gestohlene Generation“ Australiens erzählt. Das waren jene Mischlings-Kinder aus Aborigines und Weißen. Sie wurden ihren Eltern weggenommen, um bei weißen Nonnen zwangsweise von ihren Traditionen getrennt und „weiß gewaschen“ zu werden. Eineunglaubliche, skandalöse Tatsache – das war bis in die 70er Jahre
so. Wäre Barak Obama in Australien geboren worden – man hätte ihn umprogrammiert.
artechock: Der Film ist in den USA und Australien zwar gut angekommen, aber weil er sehr teuer war – etwa 130 Millionen –, waren die Erwartungen noch höher. Sind Sie zufrieden mit der bisherigen Aufnahme?
Luhrmann: Ich bin zufrieden, ja. Ich bin jetzt in Europa, und ich vertraue darauf, dass das europäische Publikum den Film besonders gut versteht. Sein Genre-Springen, seine emotionale Wahrheit. In den USA hat man den Film falsch vermarktet: Sie haben den Film nicht verstanden, und ihn zu etwas gemacht, was er nicht ist: Eine Art Out of Africa. Da gab es dann bei manchen enttäuschte Erwartungen. Man sollte den Lügen des Marketing generell nicht glauben, und sich selbst ein Urteil bilden. Marketing ist ein Krieg. Ein Film wie Australia kann durch Marketing nicht adäquat verkauft werden. Dabei hatte der Film in den USA bessere Kritiken, als alle meine vorherigen Filme.
artechock: Sie haben Australia im nordwestlichen Outback gedreht. Wie waren eigentlich die Dreharbeiten?
Luhrmann: Eine Offenbarung. Ich weiß, das sagen Regisseure immer, aber bei uns war es wirklich so. Ich kannte die Gegend dort selber nicht. Sie heißt »Northwestern Kimberly« und ist menschenleer. Und wir haben dann wochenlang in Zelten geschlafen. Ich habe noch nie so gut geschlafen, alle Sorgen, aller Stress fällt von einem ab. Wer das nicht erlebt, glaubt es nicht, ich habe es auch nicht geglaubt, also kann ich jedem nur empfehlen, hinzufahren, und es selbst zu erleben.