25.12.2008

»Einen Film für alle, der einen wegfegt!«

Nicole Kidman reitet durch »Australia«
Kitsch und Klischees – aber gekonnt!

Baz Luhrmann über seinen Film Australia, den Dreh im ausstralischen Outback, das Kino seines Vaters und seine Liebe zu alten Abenteuerromanzen

Baz Luhrmann müsste eigent­lich noch viel berühmter sein, als er ist. Nur eine Handvoll Filme hat der 1962 geborene Austra­lier bisher gedreht, aber die haben es in sich. Schon Strictly Ballroom begeis­terte, mit seinen beiden folgenden Filmen Romeo + Juliet und Moulin Rouge aber gewann Luhrmann Publikum und Kritiker in der ganzen Welt. Mit seinem unver­wech­sel­baren Stil wurde er zum König des Kino-Pop, ein genialer Effekt­ha­scher, der in die Vollen greift: Rasante Schnitte, fixe, virtuos-über­ra­schende Kame­ra­fahrten, ein neobarock über­la­denes, sich selbst immerfort weiter­schrau­bendes Durch­ein­ander, voller Verfrem­dungs­ef­fekte: Kino als Karussell, Jahrmarkt, und Rausch. Und natürlich Kitsch. Von Anfang an, ganz selbst­be­wusst. Luhrmann überbot und betonte die Klischees so lange, bis sie plötzlich wieder funk­tio­nierten – auch in Australia seinem neuen Film, dem ersten nach fast acht Jahren, ist dies Luhrmanns Erfolgs­re­zept. – Das Interview führte Rüdiger Suchsland.

artechock: Die Vorge­schichte von Australia war eigent­lich nicht sehr erfreu­lich. Lange arbei­teten Sie an einem Film über Alexander den Großen, Leonardo DiCarpio hatte schon für die Haupt­rolle zugesagt. Dann wurde doch nichts draus…

Baz Luhrmann: Ja, den Film wollte ich mit Steven Spielberg drehen, unsere Vorbe­rei­tung war schon sehr weit gediehen. Aber leider floppte OIiver Stones Film Alexander, und dann waren die Studios nicht mehr sehr inter­es­siert. Aber ich habe das Projekt noch nicht aufge­geben. Viel­leicht wage ich irgend­wann einen neuen Anlauf.

artechock: Also war Australia gar nicht ihr Herzens­pro­jekt?

Luhrmann: Ganz im Gegenteil: Seit vielen Jahren lebte ich mit meiner Familie in Paris. Meine Frau Catherine Martin, die ja bei allen meinen Filmen die Kostüme designed und für die Ausstat­tung verant­wort­lich ist, und ich haben zwei Kinder. Sie kannten Austra­lien gar nicht. Das Scheitern des Alexander-Projekts war die Gele­gen­heit, zu unseren Ursprüngen zurück­zu­kehren, und den Kindern zu zeigen, wo wir herkommen. Als wir erst mal da waren, erkannten wir, das Austra­lien für uns wie ein Traum war, den wir lange verges­senen hatten, und nun wieder entdeckten. Davon erzählt der Film – von der Erfahrung des Konti­nents.

artechock: Australia erzählt auch von alten Kino­tra­di­tionen, etwa einem roman­ti­schen Aben­teu­er­kino wie Vom Winde verweht und Filmen die märchen­hafte Elemente enthalten, wie The Wizard of Oz. Hollywood wurde damit groß, und ihr Film ist voller Anspie­lungen auf diese Klassiker…

Luhrmann: Ja, unbedingt. Das ist für mich etwas ganz Persön­li­ches. Sehen Sie, ich bin quasi im Kino aufge­wachsen. Mein Vater war Kino­be­sitzer. Als Kind habe ich viele dieser Filme gesehen. Und nicht einmal, sondern zehn Mal. Abenteuer und Romantik sind für mich ein unent­behr­li­cher Teil des Kinos. Und noch etwas anderes ist an diesen Filmen wichtig: Es waren Filme für die ganze Familie. Man konnte das sehen: Das Kino meines Vaters war das einzige am Ort, also sind alle in den gleichen Film rein­ge­gangen: Von den Großel­tern bis zu den Enkeln. Es gab nicht diese Segre­ga­tion, diese fein­säu­ber­liche Trennung: Das ist ein „Teenie-Film“, das ist ein Film für „40 plus“, das ist ein „Date-Movie“, das ist ein Kriegs­film. Filme waren alles und für alle. Zu diesem Kino wollte ich wieder zurück. Ich will einen Film für alle machen, einen großen, großen vergnüg­li­chen Film, der einen wegfegt. Das gibt es eigent­lich im zeit­genös­si­schen Kino gar nicht, nur im indischen Bollywood. Leider!

artechock: An welchen Kino-Werken haben Sie sich orien­tiert? Im Film wird die Geschichte von The Wizard of Oz erzählt. Der kam 1939 heraus, wenn ihr Film spielt. Genau wie Vom Winde verweht

Luhrmann: Natürlich sind beide wichtig. Und es gibt noch vieles andere: Der erste Teil von Australia ist ja eine Art Aussie-Western. Da war für uns Red River von Howard Hawks und ein paar John-Ford-Klassiker wichtig. Aber auch Spaghetti-Western von Sergio Leone. Wenn etwa Hugh Jackman ganz cool seine Ziga­ret­ten­kippe im Mund hat, während er redet, dann ist das reiner Leone. Bei der Beziehung zwischen Hugh und Nicole Kidman haben wir uns ein bisschen daran orien­tiert, wie John Huston in African Queen die Beziehung der ganz gegen­sätz­li­chen Humphrey Bogart und Katherine Hepburn zeigt. Natürlich verlieben sie sich inein­ander, aber es dauert.

artechock: Austra­li­sche Vorbilder gibt es aber nicht, oder? Für ihre wunder­vollen Land­schafts­auf­nahmen?

Luhrmann: Keine austra­li­schen, obwohl meine Kame­ra­frau Mandy Walker wunder­bare austra­li­sche Filme gedreht hat, und diese Erfah­rungen bestimmt in den Film einfließen. Aber für die Land­schaft war mir wirklich David Lean am wich­tigsten. Was er in Lawrence of Arabia gemacht hat, ist unver­gleich­lich. Die Land­schaft ist bei ihm immer Metapher, auch für die Charak­tere, ein Spiegel der Gefühle.

artechock: Wie in Lawrence of Arabia geht es bei aller Unter­hal­tung zugleich um ernst­hafte Themen. Sie erzählen von Rassismus…

Luhrmann: Genau. Natürlich ist der Film keine Doku­men­ta­tion. Aber ich habe viel gelernt. Zum Beispiel wusste ich nichts von der Bombar­die­rung Austra­liens durch die Japaner.
Nehmen Sie Vom Winde verweht: Das ist eine Romanze, aber es ist auch ein Film, der sich ganz ernsthaft mit Sklaverei ausein­an­der­setzt. Das ist für mich ein tolles Beispiel, wie man ernst­hafte Inhalte innerhalb eines großen Unter­hal­tungs­films vermit­teln kann, ohne das es lang­weilig wird. So haben wir etwas über die „gestoh­lene Gene­ra­tion“ Austra­liens erzählt. Das waren jene Misch­lings-Kinder aus Abori­gines und Weißen. Sie wurden ihren Eltern wegge­nommen, um bei weißen Nonnen zwangs­weise von ihren Tradi­tionen getrennt und „weiß gewaschen“ zu werden. Eine­un­glaub­liche, skan­dalöse Tatsache – das war bis in die 70er Jahre so. Wäre Barak Obama in Austra­lien geboren worden – man hätte ihn umpro­gram­miert.

artechock: Der Film ist in den USA und Austra­lien zwar gut ange­kommen, aber weil er sehr teuer war – etwa 130 Millionen –, waren die Erwar­tungen noch höher. Sind Sie zufrieden mit der bishe­rigen Aufnahme?

Luhrmann: Ich bin zufrieden, ja. Ich bin jetzt in Europa, und ich vertraue darauf, dass das europäi­sche Publikum den Film besonders gut versteht. Sein Genre-Springen, seine emotio­nale Wahrheit. In den USA hat man den Film falsch vermarktet: Sie haben den Film nicht verstanden, und ihn zu etwas gemacht, was er nicht ist: Eine Art Out of Africa. Da gab es dann bei manchen enttäuschte Erwar­tungen. Man sollte den Lügen des Marketing generell nicht glauben, und sich selbst ein Urteil bilden. Marketing ist ein Krieg. Ein Film wie Australia kann durch Marketing nicht adäquat verkauft werden. Dabei hatte der Film in den USA bessere Kritiken, als alle meine vorhe­rigen Filme.

artechock: Sie haben Australia im nord­west­li­chen Outback gedreht. Wie waren eigent­lich die Dreh­ar­beiten?

Luhrmann: Eine Offen­ba­rung. Ich weiß, das sagen Regis­seure immer, aber bei uns war es wirklich so. Ich kannte die Gegend dort selber nicht. Sie heißt »Northwes­tern Kimberly« und ist menschen­leer. Und wir haben dann wochen­lang in Zelten geschlafen. Ich habe noch nie so gut geschlafen, alle Sorgen, aller Stress fällt von einem ab. Wer das nicht erlebt, glaubt es nicht, ich habe es auch nicht geglaubt, also kann ich jedem nur empfehlen, hinzu­fahren, und es selbst zu erleben.